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Archiv-Schaufenster

Michel Tournier © Adine Sagalyn / akg-images
Brief von Michel Tournier, 13. Juli 1999 © Archiv der SAK
Vorderseite Briefkarte von Michel Tournier, 19.12.2004, mit der Ansicht von Pfarrhaus und Kirche in Choisel, Zeichnung: Jean-Max Toubeau © Archiv der SAK
Briefkarte von Michel Tournier, 19.12.2004, mit der Ansicht von Pfarrhaus und Kirche in Choisel, Zeichnung: Jean-Max Toubeau © Archiv der SAK

100. Geburtstag von Michel Tournier


Am 19. Dezember 2024 wäre Mitglied Michel Tournier, Korrespondierendes Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, 100 Jahre alt geworden. Der französische Schriftsteller mit intensiven Beziehungen zu Deutschland war dem deutschen Publikum vor allem durch den Roman »Le Roi des Aulnes« (dt. Der Erlkönig) bekannt geworden, einer facettenreichen Geschichte über die verhängnisvolle Anziehungskraft von NS-Jugendkult und Naziästhetik.

Der Roman wurde 1970 mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet und 1996 durch Volker Schlöndorff verfilmt. Dem DDR-Publikum wurde Tournier seit den achtziger Jahren durch regelmäßige Beiträge in der Literatur-Zeitschrift »Sinn und Form« bekannt, in der 1999 auch ein längeres Gespräch mit seinem Übersetzer Joachim Meinert erschien.

Tournier war Übersetzer aus dem Deutschen, v. a. der Werke von Erich Maria Remarque, arbeitete als Rundfunkjournalist bei der Office de Radiodiffusion Télévision Française (ORTF) und von 1955 bis 1958 als Presseattaché der neu gegründeten Rundfunkstation Europe 1. 1958 bis 1968 war er Leiter des Lektorats für Literatur im Verlag Plon in Paris.

Friedrich Dieckmann, dem Tournier durch den »Erlkönig« und seine Beiträge in »Sinn und Form« aufgefallen war, reichte im April 1999 den Zuwahl-Vorschlag für Michel Tournier ein, der von der Klasse Literatur und Sprachpflege mehrheitlich unterstützt wurde. Auf der Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste am 12. Juni 1999 in Dresden erhielt Tournier von den zur Wahl stehenden Kandidaten die meisten Stimmen. Die Wahl war für den französischen Autor »eine glückliche Überraschung« und er hoffte, »einen baldigen Anlass zu finden, Ihre schöne Stadt Dresden zu besuchen«.

Doch blieb Tournier während seiner Mitgliedschaft ausschließlich in korrespondierendem und telefonischen Kontakt mit der Akademie. Entweder hinderten ihn Terminschwierigkeiten an einer Teilnahme an den Akademietagungen oder der sich verschlechternde Gesundheitszustand machte die lange Reise in östlicher Richtung zu beschwerlich, wie Tournier mehrfach bedauerte.

So auch am 19. Dezember 2004: Tournier dankte mit einer handgeschriebenen Karte, die eine Zeichnung seines Wohnhauses in Choisel zeigt. Er denke oft mit Sehnsucht an Dresden, aber sein Gesundheitszustand mache jede Reise zur Prüfung. Anlass war die Geburtstagsgratulation von Akademiepräsident und Schriftsteller Ingo Zimmermann zu Tourniers 80. Geburtstag. Darin würdigte Zimmermann ihn mit folgender Einschätzung:

 »Sie können zurückblicken auf acht Jahrzehnte, die reich waren vor allem an literarischen Abenteuern, die Sie und Ihre Leser in vergangene Zeiten und bis in mythische Inseln auf der anderen Seite der Erde geführt haben. Aber in Wirklichkeit führte der Weg stets ins Innere des Menschen, dorthin, wo er sich gewiss nicht allzu gern mit seinen eigenen Wahrheiten konfrontiert sieht. Ihre Kunst ist es, mit literarischen Bildern eine Spannung, einen Sog aufzubauen, dem man sich schwerlich entziehen kann, und anhand dessen man sich zu Konfrontationen mit sich als Vertreter der menschlichen Gattung bewegen lässt, die normalerweise nicht leichtfallen. Und so farbkräftige Szenerien Sie auch entwerfen, worum es geht, ist immer der Mensch mit seiner Psyche oder, um das altmodischere Wort zu wählen, die Seele.«

Michel Tournier starb am 18. Januar 2016 im Alter von 91 Jahren in Choisel bei Paris.

 

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