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Pressemitteilungen

2025

Dresden, 8. Juli 2025

Nach dem Beschluss des Sächsischen Landtages zum Doppelhaushalt 2025/26 wurde der Haushalt der Sächsischen Akademie der Künste einschneidend gekürzt.

Die Kürzungen wirken sich für die Akademie umso gravierender aus, da die Sächsische Akademie der Künste zugleich von hohen Steigerungen bei Mieten, Betriebskosten und Tarifen betroffen ist.

Für die Handlungs- und Arbeitsfähigkeit der Akademie hat dies massive Konsequenzen.

Ausgeschlossen ist unter diesen Umständen die Verleihung des Hans Theo Richter – Preises für Grafik und Zeichnung, des Semperpreises für nachhaltiges Bauen und des Chamisso-Preises für Literatur der Migration. Stark eingeschränkt ist die Durchführung von Veranstaltungen und die Publikation von Arbeitsergebnissen, so das erfolgreiche Programm der Akademie zur Leipziger Buchmesse oder die Fortsetzung des Engagements für die Ukraine. Betroffen sind außerdem Planungen aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums der Akademie im Jahr 2026.

Die Akademie sieht unter diesen Bedingungen die Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags gefährdet, die Kunst zu fördern, Vorschläge zu ihrer Förderung zu machen, die Überlieferungen des traditionellen sächsischen Kulturraums zu pflegen, ein Archiv zu führen und öffentliche Wirksamkeit zu entfalten (Gründungsgesetz) und die Öffentlichkeit über neue Entwicklungen in den Künsten bekannt zu machen (Satzung).

„Die Sächsische Akademie der Künste hat sich in den drei Jahrzehnten ihres Bestehens trotz beständiger Unterfinanzierung zu einem wichtigen Exponenten des Kulturlebens in Sachsen und weit darüber hinaus entwickelt. Ihre herausragenden Veranstaltungen und Publikationen haben ihr internationale Anerkennung verschafft. Die jetzigen Haushaltskürzungen jedoch unterminieren die öffentliche Wirksamkeit der Akademie in existentieller Weise und widersprechen ihrem vom Gesetzgeber niedergelegten Auftrag“.
(Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste)

Dresden, 26. Mai 2025

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied, den Komponisten Christfried Schmidt, der mit 92 Jahren am 29. April 2025 in Berlin verstarb. 

Ein SehnsuchtsAgent
Zum Tod des Komponisten Christfried Schmidt (26.11.1932–29.04.2025)

Nachruf von Annette Schlünz

Christfried Schmidt gehörte zur Generation jener Komponisten wie Georg Katzer, Friedrich Goldmann, Reiner Bredemeyer, Paul Heinz Dittrich, Ruth Zechlin und auch bald Friedrich Schenker, die wir als junge Generation in den Achtziger Jahren mit ehrfurchtsvollem Abstand betrachteten, deren Werke uns interessierten und deren Musik wir in Konzerten der Berliner Musik-Biennale, den DDR-Musiktagen Berlin oder auch in Leipzig und Dresden hören konnten. Persönlich kennengelernt haben wir diese Komponisten in den Geraer Ferienkursen für neue Musik, im »ostdeutschen Darmstadt«, wie wir es nannten.

Ich kann mich nicht genau erinnern, wann ich Christfried Schmidt das erste Mal begegnet bin sicher in einem dieser Kurse Anfang der Achtziger Jahre, ich war selbst noch Schülerin. Schnell fiel die außergewöhnliche Person von Christfried Schmidt auf und wir bemerkten, dass seine Musik weniger als andere in den Konzerten präsent war. Man erfuhr, dass er imposante Orchesterstücke schrieb, die niemand aufführen konnte oder wollte. Viele dieser Werke warteten bis ins neue Jahrtausend, um gehört zu werden, wie die 2. Sinfonie »In memoriam Martin Luther King« von 1968, die 53 Jahre später im Oktober 2021 in der Dresdner Philharmonie uraufgeführt wurde, oder die Markuspassion für Sprecher, Solisten, Chor und Orchester (1975), eine der wichtigsten Passionsmusiken des 20. Jahrhunderts, die 2019, 45 Jahre später, ihre Uraufführung durch die Berliner Singakademie erfuhr. Ähnlich erging es seiner »Kammermusik XI«: als Auftragswerk der Berliner Festspiele 1995 für das Ensemble Modern entstanden und diesem gewidmet, lag diese bis 2018 ungespielt in der Schublade und wurde erstmals vom Ensemble unitedberlin unter der Leitung von Vladimir Jurowski aufgeführt.

Später erfuhren wir, dass Christfried Schmidt die dreistündige Oper »Das Herz« auf ein Libretto von Bernd Schremmer geschrieben hatte - diese Partitur blieb bis heute unaufgeführt. 1986 hatte Schmidt die Zusage des Deutschen Nationaltheaters in Weimar erhalten, die Uraufführung seiner Oper einzuplanen. Nach Vorlage der Partitur erhielt er am 1. März 1990 die definitive Absage: Das Werk sei so fordernd, dass es probenökonomisch den Betrieb sprengen würde. Als Agent in eigener Sache bot er »Das Herz« 15 Opernhäusern zur Uraufführung an, die Anfragen blieben meist unbeantwortet.

Die Aufführungen jedoch, denen man beiwohnen konnte, prägten sich für immer ein, wie die des Oboenkonzertes 1984 durch Burkhard Glaetzner und der Dresdner Philharmonie unter Leitung von Herbert Kegel. In Erinnerung bleiben schrille und die Schmidt so eigenen massiven expressiven Orchesterklänge, denen die sich aufbäumende oder einsam klagende Oboe gegenübersteht. Diese Musik erschüttert die Zuhörer bis ins Innere. Interpreten wie der Oboist Burkhard Glaetzner oder auch der Klarinettist Matthias Badczong mögen als Beispiel stehen: vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass Schmidts Musik gehört werden konnte.

Matthias Badzcong spielte Schmidts »Solo für Klarinette« von 1996 im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Sächsischen Akademie der Künste »Wohin mit der Schönheit« 2016 in der Städtischen Galerie Dresden. Dieses Stück findet man immer wieder in seinen Programmen. Burkhard Glaetzner führte bereits 2008 Schmidts »Aulodie. Episoden für Oboe« (2001) anlässlich der Vorstellung der Akademie in der Landesvertretung des Freistaates Sachsen in Berlin auf.

Mir selbst blieb besonders Schmidts halbstündiges Orchesterstück »Munch-Musik« (1980) in Erinnerung, 1983 vom Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig unter Leitung von Christian Kluttig uraufgeführt. Sie begleitete mich noch im Kopf in der Edward-Munch-Ausstellung, die von Ende 1983 bis Anfang 1984 im Dresdner Albertinum gezeigt wurde und die ich mehrfach besuchte.

Auch Helmut Oehring, dem ich 1990 begegnete, als wir beide Meisterschüler der Ostberliner Akademie der Künste waren, hatte die Erfahrung mit Schmidts Musik geprägt. »Komponisten sind nicht nur MusikErfinder, sondern auch so etwas wie SehnsuchtsAgenten. Und es war für mich auch Christfried Schmidt, der in mir eine Suche nach skrupellosen Grenzgängern initiierte, die mit ihren Partituren neue Klangwelten entdeckten und ergebnisoffene Bewegtheit schufen - zu einer Zeit, in der Lähmung und Erstarrung den Teil Deutschlands erfasste, in dem ich aufwuchs. Die mit ihren Werken etwas oder einfach mal gleich alles aus den Angeln hoben, ungeschützte Vitalität provozierten und dabei immer wieder anders und neu das Kreierte und alles Drumherum ins Wackeln, Schwanken, Stürzen geraten ließen. Diese fortwährende Sehnsucht nach dem einen KeinZurückKlang und FragilbrachialRhythmus geheimer verdeckter Kommunikation. Alles immer ohne Netz und doppelten Boden, keine Limitierungen. Mit einem Verlangen nach Unruhe und: Systembruch. Nach entfesselten und entfesselnden kompromisslosen Ausdrucksformen. Musik wie ein AufRuf nicht zu Erstarren. Es ging dabei nie allein um gelungene MusikAutorenKreation, sondern auch um Authentizität, Haltung, Lebenswirklichkeit, Aufruhr, Protest. Das unzähmbare Feuer, aus einer Erzählungsglut entfacht durch die Klänge hindurch, habe ich in ihren Konzerten gesucht, um nach dieser unverschämten rücksichtslosen Radikalität des Verklingens zu ahnen, dass zu weit gegangen wurde, um dann plötzlich im Freien zu stehen.«

Das Bild, das Christfried Schmidt von sich selbst zeichnet, ruft seinen Humor, seine angenehm querköpfige Art gegenüber sich selbst und den Dingen, ins Gedächtnis. Deshalb soll an dieser Stelle aus seinem eigenen Lebenslauf, der auf seiner Website zu finden ist, zitiert werden:

Aus dem Leben eines Quereinsteigers

Reichlich zwei Monate vor dem Beginn des ›1000-jährigen Reiches‹ in einer dörflichen, kleinen Wassermühle geboren zu werden, ist keine sonderliche Voraussetzung, es einmal zum Komponisten zu bringen. Schon bald nach dem Zusammenbruch - von Befreiung sprach bestenfalls unser damaliger kommunistischer Bürgermeister Karl Marx (sic) - war ich eifriger beim Klavierspiel und Malen als im Schulunterricht. Daß mein alter Vater (er dichtete lebenslang) sich seinen Sohn als späteren Künstler vorstellen konnte, ist schwer vorstellbar. Hätte er meine späten Erfolge noch erlebt, wäre er darüber bestimmt stolz gewesen.

Durch die vergeblichen Bemühungen, von Forst/L. aus ein anderes Kantorenamt zu bekommen (ca. 1 ½ Jahre), hatte ich Zeit zur Liedkomposition. Es sollten bald über Hundert werden. Auch später war ich noch zweimal arbeitslos, aber ›freischaffend‹! Ich wandte mich zunehmend der Instrumentalmusik zu. In diesem Zeitraum (ca. 1962 bis 1964) wurden meine Bewerbungen als Meisterschüler an der AdK (Ost) zweimal abgelehnt. Mein 1. Streichquartett von 1965 wurde sozusagen mein op. 1. Ich möchte meine damalige ›Komponisten-Karriere‹ stichwortartig aufzählen. Seit 1964 Gast, seit 1968 Kandidat und ›schon‹ seit 1971 Vollmitglied beim Komponisten-Verband Halle. In diesem Jahr errang ich, der im ›Ländli‹ gar nicht gespielt wurde, meinen ersten Komponistenpreis in Nürnberg (Psalm 21). Die erste Uraufführung überhaupt war aber schon 1970 in Tokyo (Petite suite), dort folgten noch zwei weitere UAs. Mit der ersten DDR-UA 1974 (Bläserquintett) wurden die Zeiten für mich als Komponist eindeutig besser. Meine Kontakte zur Bläservereinigung Berlin und zur Eislergruppe Leipzig brachten mir Aufträge (Kammermusik VII, mein erster überhaupt!) und Aufführungen ein. Ich fuhr dessen ungeachtet mit dem Bus weiterhin wöchentlich auf drei Dörfer, um Klavierunterricht abzuhalten und zwei Chöre zu leiten (frei nach Mörike: meine ›Dorf-Klavierlehrerknechtschaft‹). Seit 1980 in Berlin schrieb ich ausschließlich Aufträge, die in der Regel auch aufgeführt wurden, was nach der Wende durchaus nicht mehr so war.

Mein Lehrmeister war vor allem das Radio. Die Reisen 1967 zum IGNM-Fest nach Prag und ab 1968 ca. zehnmal zum Warschauer Herbst erweiterten meinen musikalischen Horizont beträchtlich. Über die Schwierigkeiten, einen Paß zu bekommen, schweige ich lieber. Spätestens 1971 wollte ich nach Nürnberg zur UA des Preiskonzerts (der Psalm 21 wurde auch noch zweimal in Kassel gegeben). Natürlich immer ohne den Komponisten, und das ging so weiter bis Ende 1979: meine erste Ausreise ins ›Kapitalistische Ausland‹ (Schweiz) unter übelsten Schikanen. Die Reise-Bewilligungen wie Verbote (nebst Schikanen) hielten an bis zum 26.11.(sic!) 1989 (siehe ›Singet dem Herrn‹). Diese ›freundigen Nichtausreisen‹ veranlaßten mich, die Wende mit ehrlicher Freude zu begrüßen. Jetzt muß ich Peter Schwarz (Kantor an der KFGK-Tiergarten, leider schon verstorben) erwähnen. Er war es, der meine a cappella-Chorwerke endlich aufführte (1989, 1992/94/96; auch den Psalm 21 und die Orgel-Sonate). Für ihn schrieb ich die Choral-Fantasie »Wenn wir in höchsten Nöten sein«.

Die Aufnahme in die Berliner Akademie (1990) verdanke ich auch der Wende. Daß ausgerechnet ich im Zusammenhang mit der Ost-West-Zusammenlegung 1991 als »politisch belastetes Mitglied« (Dokumente zur Geschichte der AdK-Ost, S.645 von 1997) schon wieder rausgewählt wurde, stimmte mich nicht vergnüglich.

Wenig Vergnügen bereitet uns Ostkomponisten im allgemeinen, daß die Aufführungen, aber auch die Rundfunksendungen (bzw. Mitschnitte) in den letzten 18 Jahren arg abgenommen haben. Die Tatsache, daß ich das Material für die Aufführung von »Memento, 1.Teil« (2002), ebenso auch die Interpreten vom Geburtstagskonzert am 22.02.2008 selbst bezahlen mußte, spricht doch wohl Bände!
(April 2008, Christfried Schmidt, http://www.christfried-schmidt.de/index.htm, 26.5.2025)

Nach 1989 gab es die Geraer Ferienkurse nicht mehr, Christfried Schmidt begegnete ich regelmäßig erst wieder, als ich selbst 2011 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste wurde. Diese Begegnungen blieben jedoch in wacher Erinnerung.

1998 wurde Christfried Schmidt von der Mitgliederversammlung der noch jungen Sächsischen Akademie der Künste als Ordentliches Mitglied gewählt, er nahm bis vor wenigen Jahren rege am Leben der Akademie teil. 2003, als die Sächsische Akademie der Künste eine von Christfried Schmidt unterstützte Erklärung gegen den drohenden Irak-Krieg veröffentlichte, schrieb er an den damaligen Akademiepräsidenten Ingo Zimmermann:

»... Meine Noten bedürfen keiner Erklärung. Nur soviel, es sind die ersten Seiten des Memento 2. Teil, in denen die Schrecken abgehandelt werden, die wir Deutschen im 20. Jahrhundert der ›zivilisierten Welt‹ zugefügt hatten.« (Brief vom 27.03.2003 an Ingo Zimmermann) Und in einem anderen Schreiben heißt es: »... Ihre brieflichen ›Zeitmeditationen‹ veranlassen mich, Ihnen aus meinem großen Zeitdokument Memento, 2. Teil, die letzte Seite zukommen zu lassen. In ihm wird u.a. auch Auschwitz abgehandelt, dessen Befreiung genau heute vor 60 Jahren stattfand. Auch hier wieder die von Ihnen beschriebenen ›Zeitspiegelungen‹. Was wäre denn jegliche Zeit, im Guten wie im Bösen, ohne Erinnerung?« (Brief vom 27.01.2005 an Ingo Zimmermann)
Christfried Schmidt blieb der Akademie auch verbunden, als er selbst nicht mehr reisen konnte. Noch im Juni 2020 schrieb er mir als damaligem Sekretär der Klasse einen handschriftlichen Brief und bat um Verständnis, dass er nicht mehr wie früher nach Dresden kommen könne, dem Brief hatte er eine eigene Zeichnung aus der Jugendzeit angefügt: »Othello und Jago«. Man weiß nicht unbedingt, dass Christfried Schmidt immer wieder als Maler tätig war. Er schuf eine beträchtliche Anzahl expressiver Ölbilder mit Landschaften, Porträts und Abstraktem.

In den letzten Jahren stand ich mit seiner Frau, der Komponistin Ellen Hünigen, die ich in den Geraer Kursen kennengelernt hatte, wieder häufiger in Kontakt. Sie hatte bereits 2023 die Freunde gebeten, sich noch einmal persönlich bei ihm zu melden, es schien, als sei der Abschied gekommen. So telefonierten wir noch einmal, seine Stimme war brüchiger, aber hatte den typisch heiteren Tonfall.

Im Februar dieses Jahres besuchte ich sie in ihrer kleinen bis unter die Decke mit Noten und Büchern gefüllten Wohnung. Angesichts der bescheidenen Verhältnisse wuchs meine Ehrfurcht und Bewunderung für die unbeirrbare Beharrlichkeit seiner künstlerischen Arbeit.

Auf die Frage, was Musik bewirken könnte, antwortete Christfried Schmidt: »Kunst im allgemeinen wie Musik im besonderen ist konkret nicht in der Lage, in das Weltgetriebe einzugreifen. Musik kann weder Brutalität noch Unterdrückung, weder Hunger noch Überbevölkerung, weder Dummheit noch Lüge aus der Welt schaffen. Nach künstlerischen Prinzipien gestaltete Musik bewirkt in erster Linie geist-sinnliche Klangfaszination: Was sie bestenfalls noch vermag, ist wenig: empfängliche Seelen in jeglicher Hinsicht sensibel zu machen. Sie kann aufrütteln oder sie kann nachdenklich stimmen, auch kann sie das Feuer der Begeisterung entfachen oder Betroffenheit auslösen. Sie verschafft im ästhetischen Genuß vielleicht heitere Gelöstheit, vielleicht vermag sie sogar zu trösten. Wäre sie allein um dessentwillen nicht lebensnotwendig?« (Interview anlässlich der DDR-Musiktage, Eckhart Schwinger, Neue Zeit, 18.2.1988)

Ende April 2025 verstarb Christfried Schmidt in Berlin. Der Wunsch, seine Musik möge entdeckt und gehört werden, bleibt.

 

requiem verborum pro
christfried schmidt


eine helle
weißschwarzweißtrauer
bevölkert
das innen

wo ist das gold
dass ihr schuldet
ja hört doch
was da
für euch schäumt

ein monolith
in zerklüfteter landschaft
findling abgelegt
am feldrain

ungebändigt
quoll hevor
schwarze einsamkeit
aus tiefen wunden

und im ecksturm der
sich selbst belehrte
schreiweinend
auf geblätterten bühnen

hieroglyphen gewebt
ein offenstrahl
im feuertanz
des aufrechten ganges

und glasblut hebt
durch alle wetter
festgefügtes im wirbel
empor

wo ist das gold
dass ihr schuldet
ja hört doch
was da für euch schäumt


Burghard Glaetzner, 2025

 

 


 

Dresden, 7. Mai 2025

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied, den Literaturwissenschaftler Peter von Matt, der mit 87 Jahren am 21. April 2025 in Zürich verstarb. 

In Memoriam Peter von Matt

Nachruf von Friedrich Dieckmann

Sein – für mich – erstes Buch war ein Paukenschlag: „Literaturwissenschaft und Psychoanalyse“, Freiburg 1972, eine Einführung für den Universitätsgebrauch. Ich erhielt es von einer westdeutschen Freundin und es erwies sich als eine Offenbarung, indem es mit dem Vorurteil aufräumte, daß die psychologisch orientierte Literaturbetrachtung auf eine Relativierung und Subjektivierung des dichterischen Schaffens hinauslaufe. Peter von Matt untersuchte weniger die Autoren als die Werke, die Dichtungen unter psychoanalytischen Aspekten und bezog ihre Wirkung auf die soziale Relevanz der darin enthaltenen psychischen Motivlage. So kam er zu dem Begriff des psychodramatischen Substrats „als Instrument“ und entwickelte ihn überaus spannend an Schillers „Wilhelm Tell“. Die traditionelle Germanistik beruhigte der jugendliche Analytiker mit der Versicherung, daß durch die Deutung des Stücks als Vatermord-Drama „keine der bestehenden, methodisch korrekt geführten Tell-Interpretationen umgestürzt oder gar … lächerlich gemacht“ würde, und legte dar, daß Schiller mit dem Werk das Modell eines Umsturzes aufgestellt habe, „der … das immense Schuldpotential des Vatermords auf raffinierte Art ableitet und so die Selbstzerfleischung der Brüder und die darauf folgende Installation eines neuen Vaterbildes von noch verschärfter Autorität (Napoleon) verhindert“. Das war ebenso historisch wie psychologisch gedacht.

    Der zweite Paukenschlag erreichte mich, der ich zu dieser Zeit Dramaturg am Berliner Ensemble war, 1976 in Gestalt eines Aufsatzes Peter von Matts in der von Rudolf Hartung herausgegebenen Neuen Rundschau. Er hieß „Brecht und der Kälteschock“ und führte die dichterische Intensität des Kältemotivs in Brechts frühen Stücken und Gedichten auf die präödipale Schockerfahrung der Kälte zurück, die den Säugling trifft, ehe das Vater-Mutter-Konfliktfeld in sein Bewußtsein tritt. Dies alles war mit argumentativer Luzidität und in Kenntnis neuester psychologischer Forschung vorgetragen, und ich mußte lachen, als ich im Appendix des Heftes das Geburtsjahr des Verfassers mit 1973 angegeben fand, so als hätte ein Kleinkind aus eigener frischer Erfahrung den Text verfaßt. Ein Zahlendreher war hier am Werk, Peter von Matt war wie ich selbst im Mai 1937 geboren, ein Altersgenosse, von dem man was lernen konnte. Dazu hatten nicht alle Lust und am wenigsten hatten sie die Matadore der Brecht-Industrie, die sich nicht vorstellen konnten, daß der Dichter von etwas anderem bewegt gewesen sei als von der Errettung der Menschheit vom Kapitalismus.

    Der fundamentale Brecht-Aufsatz fand sich 1994 in einem Band des Hanser Verlags wieder, der „Das Schicksal der Phantasie“ hieß. Peter von Matt, der einer Familie von Druckern, Buchbindern, Verlegern und Antiquaren entstammte, war inzwischen Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Zürich geworden. Diese Essaysammlung war kein Streifzug durch die deutsche Literatur – sie war ein Fischzug, dessen Fangkorb eine Fülle überraschender Erkenntnisse mit sich führte. Schillers „Glocke“ konnte der Autor überhaupt nicht leiden und wußte das fesselnd zu begründen, Thomas Mann unterstellte er auf dem Weg zum Nationalschriftsteller sowohl die Hinrichtung wie die Verklärung Goethes, und in Nestroys Kunst, die sich „unter dem feinstausgebildeten und gleichzeitig stupidesten Polizei- und Überwachungssystem des 19. Jahrhunderts“ ausbildete, entdeckte er eine politische wie existentielle Angst, über die die massive Komik der Stücke nicht hinwegtäuschen könne. Das waren drei von vierundzwanzig Texten, die, bei aller wissenschaftlichen Stringenz, Erzählungen mit den Mitteln der Wissenschaft waren. In ihrer Lust an der Freilegung neuer, überraschender Aspekte hatten sie etwas vom Duktus der Detektivgeschichte.

    Vorangegangen war 1983 unter dem Titel „…fertig ist das Angesicht“ eine „Literaturgeschichte des menschlichen Gesichts“. „Fester als bei dieser Nase kann man ein Gesicht nicht fassen“, lautete das Motto nach einer Äußerung Kafkas über Schadows Schiller-Zeichnung, und ein Kapitel über das literarische Bildnis in Goethes „Dichtung und Wahrheit“ mündete in einen Exkurs über „die grundsätzliche Unbeschreibbarkeit des menschlichen Gesichts“. Das Buch, eine brüchige Broschur, war sein erstes bei Hanser, und bei dem zweiten gab sich der Verlag mehr Mühe; es hieß „Der Liebesverrat“ mit dem Untertitel „Die Treulosen in der Literatur“ und war am Leitfaden der Literatur eine Phänomenologie der Liebe in ihren Höhen und Tiefen, ihren Strahlkräften und Fallstricken, wie sie sich geistvoller und umfassender nicht denken ließ. Entgegen seinem Titel kulminiert das Buch in der Entdeckung dessen, was von Matt die „deutsche Gegenreligion“ nannte, „welche, in wie vielen Brechungen auch immer, zuletzt die Einheit der klassisch-romantischen Periode ausmacht“ (S. 212). Ihr Schlüsselwort lautete – Liebe. „…in dem, was die Dichter ‚die Liebe‘ nennen“, erläuterte der Autor, „läuft die ursprüngliche Erfahrung der ganzen klassisch-romantischen Epoche zusammen. … ‚Liebe‘ wird erfahren als eine Gewalt, die nicht ist ohne die konkreten Liebenden und diese doch übersteigt; die erst in ihnen ganz wirklich wird und sich ihrer doch wiederum zu bedienen scheint. … Die Liebenden haben an der Liebe nur Anteil, sie verfügen nicht über sie. Weit eher sind sie deren Medium.“ Diese Gegenreligion sei eine „Religion der Intelligenz“ gewesen, die „sich in einer höchst ungenauen Position zwischen der politisch-gesellschaftlichen Macht und der breiten Masse des Volkes“ befunden habe. Zitate sind nur ein Hilfsmittel; man muß diese mit Erkenntnissen geladenen Texte selber lesen, um ihre Tiefenschärfe zu erfassen.

    Das Berliner Wissenschaftskolleg mit seinen idealen Arbeitsbedingungen förderte 1992 ein Arbeitsprojekt Peter von Matts, dessen Buchgestalt den Titel „Verkommene Söhne, mißratene Töchter“ erhielt mit dem Zusatz „Familiendesaster in der Literatur“. Auch dies: eine Fundgrube ersten Ranges, mit einem Einzugsgebiet, das von Sophokles und Wernher dem Gärtner bis zu Kafka und Brecht reichte. Danach ein Band „über Dichter und Gedichte“, der „Die verdächtige Pracht“ hieß und seinen theoretischen Teil durch eine Fülle von Einzelinterpretationen ergänzte, von denen viele in Marcel Reich-Ranickis Frankfurter Anthologie erschienen waren. Es folgte ein Buch „über die literarische und politische Schweiz“ namens „Die tintenblauen Eidgenossen“; darin konnte man lesen: „Frisch heißt Frisch, in der Schweiz wie in Deutschland, und Muschg heißt Muschg, und Widmer heißt Widmer diesseits und jenseits vom Bodensee. Bichsel aber heißt nur in Deutschland Bichsel. In der Schweiz heißt er Bich-sel, mit jenem entsetzlich knirschenden Gutturallaut, der die Deutschen eher an die Geräusche in einem Steinbruch oder an das schleifende Krachen einer Zahnextraktion erinnert als an die kultivierten Tonfolgen zwischenmenschlicher Verständigung.“ Dieser Autor, dessen grenzenlose Leselust dem Leser auch aus diesem Buch entgegenleuchtete, ist auf eine alpin-lakonische Weise auch ein Humorist, dessen Pointen wie die Zacken des Alpenlandes in den Himmel stechen. Aber er versteht sich auch auf gelindere Heiterkeiten und lenkt in einem Buch, das „Das Wilde und die Ordnung“ heißt, das Auge des Lesers beiläufig auf die unerhörte Tatsache, daß in einem berühmten deutschen Theaterstück auf offener Bühne eine Kopulation der beiden Hauptfiguren stattfindet, so im dritten Akt des Goetheschen „Faust“, Zweiter Teil.

    Wer die Liebe und die Familie, das Wesen der Lyrik und das der Schweiz umfassend ins Auge faßt, kann sich gerüstet finden, es auch mit List und Tücke als dem diabolischen Bodensatz des gesellschaftlichen Betriebs aufzunehmen. „Die Intrige / Theorie und Praxis der Hinterlist“ hieß das Buch, in dem Peter von Matt sich diesem Thema stellte, um es in immer neuen Varianten vor den Leser zu stellen. Er setzte früh an, beim Trojanischen Pferd und der biblischen Jakob-Esau-Affäre, um in der Mitte des Buches darauf zu kommen, daß Schiller der „größte Intrigendichter der deutschen Literatur“ gewesen sei; dessen Hang zu der „diabolischen Dichtart“ sei ein „Akt der Apostasie gegenüber den numinosen schicksalstiftenden Mächten“ gewesen. Die von Lessing mit einem vehementen Aufsatz eingeleitete Ablösung des deutschen Dramas vom Vorbild der Franzosen gerät dem Kommentator zum Strategiedrama, und daß Schiller in einem Brief an Goethe diese Aburteilung später noch einmal vollzieht, läßt ihn von einem Lessing-Schiller-Komplott gegen Corneilles damals berühmte Tragödie „Rodogune“ sprechen, das seither niemand mehr kennt.

    Peter von Matt macht uns mit ihm bekannt; nicht nur hier exzelliert er in dem, was der junge Lessing „Rettungen“ nannte. Er rettet nicht nur die schreckliche „Rodogune“, sondern in andern seiner Bücher auch Grillparzers „Libussa“ oder den Roman „Moderato cantabile“ der Marguerite Duras. Die den Gegenständen innewohnende Spannung wird dabei zu einem Moment der Darstellung selbst. Es ist der Essay, der dem Autor eine Freiheit gibt, die seine Bücher über Literatur selbst als Literatur beglaubigt.

    „Wo nehme ich nur alle die Zeit her, soviel nicht zu lesen?“ ist ein Satz von Karl Kraus, den Peter von Matt im Licht von Lese-Kommentaren bei Lichtenberg, Schopenhauer und Gottfried Keller nach allen Seiten ausleuchtet – einen Satz, erstaunlich genug für einen, der die Zeit fand, mehr zu lesen als alle andern, die ich kenne. Die Intention, die ihn trägt und beflügelt, ist Aufklärung in keinem dogmatischen, sondern einem durchaus lustvollen Sinn; wenn er Werke und Sätze durchleuchtet („Wörterleuchten“ heißt eins seiner schönsten Bücher), tut er es nicht mit Röntgenstrahlen, die alles in Grautöne auflösen, sondern wie mit den farberhaltenden Scannern, die an Flughafenschaltern unser Gepäck aufklären. Wie er in seinem Buch „Sieben Küsse“ anhand der berühmten Erzählung eines Autors, den man wohl seinen Lieblingsautor nennen darf (es ist Heinrich von Kleist), den Nachweis führt, daß „die Literatur in Szenen denkt und nicht Gedanken in Szenen verkleidet“ (S. 159), ist bannend durchaus. Worum es geht, ist „Die Marquise von O…“ und der maßlose Kuß, mit dem am Ende der Geschichte der Vater seine verkannte und verstoßene Tochter wieder an sich zieht. Wie Peter von Matt diese Geschichte und alle ihre Interpreten auf 46 Druckseiten untersucht, ist denkwürdig auch, weil es deutlich macht, wie Dichtung durch die Intensität der Interpretation die Dimension einer Offenbarung in gleichsam theologischem Sinn gewinnt. Ein Bibelphilologe kann sich nicht angelegentlicher über die heiligen Schriften mit ihren Nuancen und Widersprüchen beugen als dieser Kommentator über Kleists Satzzeichensetzung; das Absurde, das dieser nichtendenwollende Vaterkuß bedeutet, ergründet er mit einem Ernst und einer Hingabe, als sei der durch nichts als seine Sprache beglaubigte Dichter die Stimme höherer Vernunft.

    Daß auch ein Opernteam das sein kann, hat Peter von Matt 2023 im Blick auf die „Zauberflöte“ an der Gestalt des Papageno entfaltet und ihn in einem zweiten Aufsatz vertieft, den er „Das Schicksal der Sonne“ nannte. Der Blick reicht von Haydn und Goethe bis zu Caspar David Friedrich und E. T. A. Hoffmann und stellt die „Zauberflöte“ ins Zentrum, mit Paminas und Papagenos Duett, das die frauenfeindliche Ordenswelt der Sarastro-Prieser subversiv aufbricht: „Mann und Weib, und Weib und Mann, / Reichen an die Gottheit an.“ Der Zwiegesang spreche „die Wahrheit über das schöne Paar“ aus: zusammen seien sie, so der Kommentator, „jetzt schon Bewohner der erlösten Welt.“ „Die schönen beiden am schönen Ort waren kein Sinnbild“, fügt er hinzu, „sondern ein Beweis. Sie bezeugten die Möglichkeiten der vollkommenen Welt für alle.“

    Das ist all denen gesagt, die das Werk, wie heutige Inszenierungen quer durch Europa belegen, wieder wie vor Felsenstein und Ernst Bloch für ein Kinderstück halten. Indem Peter von Matt Klassik und Romantik in ihrer Epocheneinheit begreift, vermag er auf wenigen Seiten die Fallhöhe der Enttäuschung deutlich zu machen, die von dem Finale der „Zauberflöte“, wo sich das ganze Theater in eine Sonne – die Sonne realisierter Weltvernunft – verwandelt, zu der kalten Sonne führt, die fünfundzwanzig Jahre später nach ungeheurem Blutvergießen in Schuberts und Schmidts von Lübeck Wanderer-Lied ihr Wesen treibt, Sinnbild einer um fundamentale Neueinrichtung gebrachten Welt. Das geht uns nahe, die wir beim Zusammenbruch des mörderischen Antagonismus zweier Weltmächte durch das Zurückweichen der einen doch auch einige Aussicht auf Weltverbesserung gehabt hatten. Es war ein Traum! Auch hier war die Hybris stärker als die Hoffnung.

    Peter von Matts Interpretationswerk, diese sich in immer neuen Erzählungen ergehende Motivgeschichte der Weltliteratur, gibt uns in einer Welt, deren Anstrengungen vor allem darauf gerichtet erscheinen, sich selbst den Boden unter den Füßen wegzuziehen, eine Vorstellung davon, was Literatur vermag, wenn man sie ernst nimmt, wenn man sich einläßt auf ihre ober- und unterirdischen Gänge und Schlupfwinkel und sie als Element einer Humanität erkennt, die Rätsel zuläßt, um uns auf die Sprünge zu helfen. Die Stimme dessen, der sie uns wie kein anderer zu deuten wußte, wird uns schmerzlich fehlen. Er hinterläßt uns sein Werk, das, die Werke deutend, selbst zum Kunstwerk wurde. Es ist griffbereit, wir müssen es nur aufschlagen.

 

Dresden, 30. April 2025

Mitglieder der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste wenden sich erneut gegen Intransparenz im Diskussionsprozess, gegen Ungerechtigkeit in der Verteilung von Vergütungen und gegen die Auflösung der Sparte E-Musik durch die GEMA-Reformpläne

Die GEMA wird auf ihrer Mitgliederversammlung vom 12. bis 15. Mai 2025 Reformpläne zur Abstimmung bringen, die für Komponisten und Interpreten der sogenannten „ernsten Musik“ eine existenzielle Gefährdung bedeuten. Der Präsident des Verbandes der Komponistinnen und Komponisten Prof. Moritz Eggert und das Mitglied des Aufsichtsrates der GEMA, die Komponistin Dr. Charlotte Seither haben ihre Kritik an den Reformplänen neben vielen anderen prominent öffentlich kundgetan.

Im Auftrag der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste wurde bereits im Januar 2025 eine Stellungnahme an den Vorstand der GEMA versandt. Die öffentliche Darstellung der geplanten Vorhaben seitens der GEMA konnten die prinzipiellen Vorbehalte bisher in keiner Weise ausräumen.

Dies und die seit Jahresbeginn laufenden politischen Neuorientierungen, wie sie sich bspw. auch in der inhaltlichen Neuausrichtung wichtiger kulturpolitischer Entscheidungen und Ämter durch die Bundestagswahl manifestieren, erfordern es, die Stellungnahme und ihre Unterzeichnerinnen und Unterzeichner öffentlich, und damit nochmals die Position der Kulturschaffenden deutlich zu machen.

Das Musikland Deutschland ist geprägt von seiner weltweit einzigartigen Musikszene, die umstandslos eine ihrer E-Musik ist, um es im bisher von der GEMA verwendeten Terminus zu formulieren. Bei allem Verständnis für die Diskussionen um die Verwendung der Begriffe U- und E-Musik wird kaum zu bestreiten sein, dass die deutsche Musikkultur weiß, wo ihr Wert, ihre internationale Bedeutung und ihre schöpferischen Potenziale liegen. Die Beatles haben Karlheinz Stockhausen gehört, Popkultur bezieht ihre Inspiration aus dem musikalisches Material der Avantgarde und Kunstmusik, weshalb es nicht darum gehen soll, Johann Sebastian Bach gegen Dieter Bohlen oder Wolfgang Rihm gegen Die Toten Hosen zu stellen. Es geht darum, Kunstmusik als eigenständige Art des Denkens, Komponierens und künstlerischen Schaffens zu schützen, die Sparte E-Musik im System der GEMA-Vergütungen zu erhalten und sie davor zu bewahren, in einem Inkasso-Markt eingegliedert zu werden. Ihre Preisgabe würde nichts anderes als eine Zerstörung des vielfältigen zeitgenössischen musikalischen Schaffens, kurz, des Besten, das Deutschland bisher weltweit berühmt gemacht hat, bedeuten.

Prof. Ekkehard Klemm, Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste
Stellungnahme vom 9. Januar 2025 (PDF)

 

6. Februar 2025

Am 16. Mai 2025 wird der Chamisso-Preis in Dresden an die Schriftstellerin Dana von Suffrin verliehen. Die Preisverleihung findet in der Aula des St. Benno-Gymnasiums statt.

Dana von Suffrin widmet ihre schriftstellerische Arbeit der Geschichte der Juden und des Antisemitismus in Mitteleuropa. Mit ihren Familienromanen Otto (2019) und Nochmal von vorne (2024) bringt sie die Erfahrung der Shoah und der Migration, die Fragen von Schuld, auch der Überlebenden, aber auch die Schikanen gegen Juden nach 1945 im kommunistischen Rumänien in die deutschsprachige Literatur ein. Die beiden Romane erzählen von Vater-Töchter-, und von Geschwister-Beziehungen, von jüdisch-deutschen Ehen, von der Last der Vergangenheit, von Streit und Sprachlosigkeit in der Familie – und von der beharrlichen Liebe, die dennoch solch schwierige Beziehungen prägt. Die Texte von Dana von Suffrin stehen mit ihrem Humor in der Tradition eines internationalen jüdischen Erzählens, das die Schrecken der Geschichte niemals vergisst.

Dana von Suffrin wurde 1985 in München in einer jüdisch-deutschen Familie geboren. Sie promovierte 2017 über die Wissenschaftsgeschichte im Jischuw. Heute lebt sie als freie Autorin in München und hat neben ihren Romanen auch ein Hörspiel und 2024 als Herausgeberin von Wir schon wieder eine Anthologie zeitgenössischer jüdischer Erzählungen veröffentlicht.

Der Chamisso-Preis in Dresden wird vom Verein Bildung und Gesellschaft e.V. und der Sächsischen Akademie der Künste gemeinsam verliehen. Mit ihm werden Autorinnen und Autoren gewürdigt, die mit ihren von migrantischer Erfahrung geprägten Werken neue Geschichts- und Erfahrungsräume für die deutschsprachige Literatur öffnen. Ausgezeichnet wurde zuletzt die im Banat und Siebenbürgen aufgewachsene Schriftstellerin Iris Wolff.

Mitglieder der Jury des Chamisso-Preises 2025 waren für den Verein Bildung und Gesellschaft Prof. Dr. Walter Schmitz, Verein Bildung und Gesellschaft; Dr. Jutta Weber, Internationale Chamisso-Gesellschaft Berlin; Anne-Dore Krohn, Literaturredakteurin rbb und für die Sächsische Akademie der Künste Prof. Dr. Wolfgang Holler, Präsident der SAK, Dr. Christian Lehnert, Schriftsteller und Theologe, Mitglied der Klasse Literatur und Sprachpflege, Róža Domašcyna, Schriftstellerin, Mitglied der Klasse Literatur und Sprachpflege.

Mit dem Chamisso-Preis ist eine Poetikdozentur verbunden, welche die Preisträgerin im Herbst 2025 in der Sächsischen Akademie der Künste halten wird. Pressevertreter sind herzlich eingeladen, über die Preisverleihung und die Preisträgerin zu berichten und bereits jetzt auf die geplante Poetikdozentur hinzuweisen.

Terminund Ort

16. Mai 2025, Beginn 18 Uhr, Einlass 17.30 Uhr
Aula des St. Benno Gymnasiums, Pillnitzer Str. 39, 01069 Dresden

Kontakt

Für Rückfragen und weitere Informationen wenden Sie sich bitte an: sekretariat@chamisso-preis.de

Ansprechpartner

Bildung und Gesellschaft e.V.
Hüblerstraße 26
01309 Dresden
Ansprechpartner: Alexander Bärtl, M.A.
E-Mail: sekretariat@chamisso-preis.de

Sächsische Akademie der Künste
Palaisplatz 3
01097 Dresden
Ansprechpartnerin: Anne Koban, M.A.
E-Mail: koban@sadk.de

Der Chamisso-Preis Dresden wurde 2017 neu gestiftet und wird von dem gemeinnützigen Verein Bildung und Gesellschaft e.V. / Dresden gemeinsam mit der Sächsischen Akademie der Künste verliehen. Die Förderer des Chamisso-Preises 2024/2025 sind: die C.H.Beck Kulturstiftung / München, das Forum Tiberius – Internationales Forum für Kultur und Wirtschaft e.V., die Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V. Dresden die Internationale Chamisso-Gesellschaft Berlin e.V., die Sächsische Aufbaubank – Förderbank. Ihnen gebührt unser Dank für die Unterstützung des Preises.

24. Januar 2025

Die staatliche und kommunale Förderung zahlreicher kultureller Einrichtungen in Deutschland soll massiv gekürzt werden.
Kulturförderung ist keine Subvention, die je nach wirtschaftlicher Lage bemessen werden kann, sondern eine lebensnotwendige Investition zur Entfaltung und Gestaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen wie auch einer demokratischen Gesellschaft. In einer zunehmend polarisierten Welt können Kunst und Kultur Räume für Dialog und Begegnung öffnen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und zur nationalen und internationalen Verständigung beitragen.
Der freie Zugang zu kultureller Bildung muss seitens der öffentlichen Hand von der Kindertagesstätte bis zum Lebensabend für alle Schichten gewährleistet werden.
Kultur darf weder von "Sponsoring" noch von politischen oder nationalen Interessen abhängig gemacht werden.
Es geht uns nicht um eine bevorzugte Stellung von Kunst und Kultur innerhalb unserer Gesellschaft, doch sind wir der festen Überzeugung, dass für eine Verständigung über die Parteigrenzen hinaus, wie unsere Gesellschaft künftig leben will, die Einbeziehung von Kunst und Kultur unabdingbar ist.
Als Vertreter von Akademien, deren Mitglieder in verschiedenen Bereichen der Kultur national und international anerkannt sind, warnen wir vor den Folgen der geplanten Kürzungen für das Zusammenleben jetzt und in Zukunft in unserem Land. Sprechen Sie mit den Kulturschaffenden und entscheiden Sie nicht über unsere Köpfe hinweg.

Manos Tsangaris, Präsident der Akademie der Künste, Berlin
Ingo Schulze, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt
Winfried Nerdinger, Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München
Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, Dresden
Michael Propfe, Präsident der Freien Akademie der Künste, Hamburg
Gerd Heusch, Präsident der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Düsseldorf

13. Januar 2025

Bis zur Verabschiedung eines neuen Haushalts 2025/2026 durch den Sächsischen Landtag, geplant im Juni 2025, unterliegt die Sächsische Akademie der Künste einer vorläufigen Haushaltsführung. Die Akademie darf in dieser Zeit nur Aufgaben tätigen, die nach Artikel 98 der Sächsischen Verfassung dem unmittelbaren Existenzerhalt dienen. Die für das erste Halbjahr 2025 geplanten Veranstaltungen, Symposien, Ausstellungen und Gesprächsreihen können daher nicht durchgeführt werden. Durchgeführt werden Projekte und Veranstaltungen, deren Kosten von Kooperationspartnern übernommen werden, sowie Gastveranstaltungen.

 

Stellungnahme vom 9. Januar 2025 im – leicht gekürzten – Wortlaut:

an
Herrn Dr. Tobias Holzmüller
Vorstandsvorsitzender
Herrn Dr. Ralf Weigand
AR-Vorsitzender
GEMA 11506 Berlin
 

Dresden, den 9. Januar 2025

„Keine Kultur überlebt ohne die Künste, die sie herausfordern“, hinterließ uns der im Jahr 2024 verstorbene Wolfgang Rihm[1]. Und es war Helmut Lachenmann, der darauf verwies, Musik müsse eine existenzielle Erfahrung sein, will sie als vom Geist beherrschte Magie uns erreichen. Die wesentliche Komponente eines zeitgemäßen Schönheitsbegriffes von Kunst liege in der „Verweigerung des Gewohnten“. Das „humane Potenzial dieses Widerstands“ müsse sie „um der Wahrheit willen“ auf sich nehmen.[2] 

Die gegenwärtige Entwicklung weist genau in die entgegengesetzte Richtung. Die Mittel, die der Kunst – noch! – gewährt werden, dienen „hauptsächlich zur Bewerbung und möglichst effizienten Auswerten des Vorhandenen, des Etablierten, des Mainstreams“, nicht zum Erschaffen des wirklich und existenziell Neuen. Die Autor:innen, die unbequemen, widerständigen ganz besonders, geraten immer mehr in den Hintergrund, die „Verwerter“ in den Vordergrund. „Die negativen Auswirkungen sind zum Beispiel im Musikbereich eklatant, dort vergegenwärtigt sich die Unterhaltungskultur durch riesenhaften Einsatz von Werbemitteln, deren Gravitation kaum eine vom Mainstream abweichende Bewegung mehr duldet.“ (W. Rihm) Die Worte von 1998 werden in beinahe jeder Kultursendung bspw. des DLF beglaubigt. Während in den Wortbeiträgen etwa von „Fazit – Kultur vom Tage“ viel über avancierte Kunst, neueste Ausstellungen oder Inszenierungen berichtet und über aktuelle Entwicklungen diskutiert wird, schrumpft der Anspruch in den zwischengeschalteten Musiktiteln auf ein unterhaltsames Format in Dur und Moll mit in aller Regel betonter Zwei und Vier.

Die GEMA war bisher trotz aller bereits stattgefundenen Umstrukturierungen und Diskussionen noch immer eine Institution, in der der Solidaritätsgedanke eine nicht unwesentliche Rolle spielte und jenes Schöpferische, das sich nicht umstandslos vermarkten lässt, sondern die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und ihrer Kultur sucht, bewusst unterstützt und gefördert wurde. Ausgerechnet in einer Zeit, in der mehrere Krisen, von Corona über Ukraine-Krieg bis hin zu wirtschaftlichen und finanziellen Verwerfungen der Kultur ohnehin der Boden unter den Füßen weggezogen wird, strengt die GEMA ein Reformvorhaben an, das die Freien, die Avancierten und mit ihnen die sie musizierenden Ensembles in den Abgrund zu reißen imstande ist.

Die Informationen über die geplanten neuen Verfahrensweisen, die gegenwärtig über verschiedene Kolleginnen und Kollegen aus Gesprächen mit der GEMA zu uns dringen, versetzen die Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste sowie das Institut für Neue Musik der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden in große Sorge. Demnach werden Umstrukturierungen auf den Weg gebracht, die das Solidarprinzip innerhalb der Sparten massiv verändern und beschädigen werden.

Dem Vernehmen nach wird ein Grundprinzip der GEMA zur Disposition gestellt, ein Vorgang, der gerade viele Freiberufler:innen im schöpferisch tätigen Bereich wie auch viele Ensembles für neue Musik in Existenznot bringen wird. Das Bewusstsein der kollegialen und solidarischen Quersubventionierung für die E-Musik, die als kulturell wie gesellschaftlich besonders wertvoll und schützenswert, traditionsreich und zukunftsweisend erachtet wird, gehört zu den Fundamenten der GEMA: Die Anerkennung und der Schutz von schöpferischer Individualität und Unabhängigkeit, hochprofessioneller Qualifikation, Spezialisierung, Innovationskraft, Neugierde und Mut, das Experimentieren mit Musik und neuen Aufführungsformen, mit Elementen der Klangforschung bspw. in Hybrid-Music-Labs gehört neben vielen anderen Kriterien zu jenen, die auch andere Genres maßgeblich beeinflussen und zum Selbstverständnis einer offenen und demokratischen Gesellschaft beitragen.

Die Protagonist:innen eines solchen Verständnisses von Schöpfergeist werden an den Rand und sprichwörtlich nicht nur aus dem Markt, sondern aus der Gesellschaft hinausgedrängt, sollte es zu den offenkundig geplanten Veränderungen kommen. Die Kultur unseres Landes und Europas würde damit massiv beschädigt. Eine Gesellschaft, die solcherart das Schöpferische, Widerständige, Ungewohnte und Neue ins Aus befördert, schadet sich vor allem selbst.

Die Unterzeichnenden fordern:

  • eine transparente Offenlegung geplanter Änderungen;
  • einen Erhalt des Solidarprinzips zwischen den Vertreter:innen von U- und E-Sparten;
  • den Schutz und die besondere Förderung avancierter Konzepte im von W. Rihm oder H. Lachenmann skizzierten Sinne;
  • eine faire und offene Diskussion verschiedener Konzepte, Ansätze und Reform-Ideen;
  • die Offenlegung von Zahlen, die zu Berechnungsgrundlagen verwandt werden;
  • den im Verhaltenskodex festgehaltenen wertschätzenden Umgang und die Rückkehr zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Im November 2024 veröffentlichte Moritz Eggert ein Statement, in dem es hieß: „Dass das Aufkommen der E-Musik im Vergleich zur Ausschüttung gesunken ist, ist nicht die Schuld der Komponierenden, und das Missverhältnis bedeutet auch nicht, dass die E-Musik ‚überbewertet‘ ist. Die Höchstverdiener der E-Musik verdienen lächerliche Summen gegenüber den Höchstverdienern der U-Musik. Wir neiden dies den Kolleginnen und Kollegen nicht im Geringsten, wollen aber auch nicht marginalisiert werden, nur weil das, was wir machen, seine Wichtigkeit nicht durch einen kommerziellen Erfolg bekommt.“ Dem ist wenig hinzuzufügen.[3]

„Wohin mit der Schönheit“ hieß das Motto der Sächsischen Akademie der Künste aus Anlass ihres 20. Jubiläums vor neun Jahren. Die Frage scheint aktueller denn je: Schützen wir ihr humanes Potenzial, in dem wir die Avantgarde, die Individualität, die Verweigerung des Gewohnten in den Mittelpunkt unseres Denkens stellen und die Kunst damit als eine Herausforderung begreifen, die unsere Kultur nicht weniger als überleben lässt!

In diesem Sinne fordern wir, das Reformvorhaben zu stoppen, die Zahlen offenzulegen, welche eine Veränderung angeblich notwendig machen und zu einem vertrauensvollen und transparenten Diskurs zurückzukehren.

Mit freundlichen Grüßen!

Prof. Ekkehard Klemm,
Dirigent und Komponist; HfM Carl Maria von Weber Dresden;
Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste

Im Namen und mit Unterstützung von u. a.

Prof. Dr. Jörn-Peter Hiekel,
Musikwissenschaftler und Leiter des Instituts für Neue Musik, HfM Carl Maria von Weber Dresden
Prof. Mark Andre, Komponist
Prof. Dr. hc. Christfried Brödel, Präsident der Internationalen Bach-Gesellschaft
Prof. Lennart Dohms, Dirigent, HdK Bern
Prof. Dr. Regine Elzenheimer, stv. Sekretärin der Klasse Musik der SAdK

Katja Erfurth, Vizepräsidentin des Sächsischen Kultursenats
Prof. Dr. hc. Hartmut Haenchen, Dirigent
Olaf Katzer, Dirigent, Auditiv vokal Dresden
Albrecht Koch, Präsident des Sächsischen Kultursenats
Prof. Wilfried Krätzschmar, Komponist
Prof. Dr. hc. Helmut Lachenmann, Komponist
Prof. Franz-Martin Olbrisch, Komponist, Sekretär der Klasse Musik der SAdK
Helmut Oehring, Komponist
Annette Schlünz, Komponistin

Prof. Manos Tsangaris, Komponist, Präsident der Akademie der Künste Berlin
Prof. Lothar Voigtländer, Komponist
Saskia Zimmermann, Dramaturgin und Autorin

 


[1] W. Rihm: Bemerkungen zur Autorschaft in Kunst, Kultur und Staat; Rede aus Anlass des 41. Weltkongresses der „Confédération Internationale des Sociétés d’Auteurs et Compositeurs“ (CISAC), 09/1998

[2] H. Lachenmann: Zum Problem des musikalisch Schönen heute; in: Musik als existenzielle Erfahrung, Wiesbaden, 1996, S. 109

[3] Moritz Eggert: Vorschläge für eine Reform innerhalb der GEMA; Bad Blog of Musick; 11./2024; https://blogs.nmz.de/badblog/2024/11/10/vorschlaege-fuer-eine-reform-innerhalb-der-gema/

 

2024

Dresden, 22. Dezember 2024

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied, Kammersängerin Sigrid Kehl, die in der Nacht zum 18. Dezember 2024 in Leipzig verstarb.

Ein Leben für die Bühne  Zum Tode von Sigrid Kehl

Nachruf von Holk Freytag

Wer einmal Sigrid Kehl begegnet ist, wird ihren unbestechlichen Blick nicht vergessen. Es waren ihre Augen, die dem Gegenüber kein Ausweichen, keine Ungenauigkeit in der Argumentation erlaubte. Einmal, es war im Foyer »ihrer« Leipziger Oper, habe ich Sigrid Kehl gefragt, ob sie optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft schaue. »Ich hoffe«, antwortete sie mir, »dass die Menschen so viel Vernunft haben werden, dass sie auf das Zusammenleben achten«. Es war immer der Blick fürs Wesentliche, der in der Begegnung mit ihr bestach.

Über sagenhafte 33 Jahre war Sigrid Kehl im Ensemble der Leipziger Oper, ja sie war das Gesicht ihres Hauses. Ihr Rollenspektrum reichte vom Hirtenjungen in Puccinis »Tosca« bis zu hin zu Brünnhilde im »Ring des Nibelungen«. Es war die Genauigkeit in der Analyse ihrer Figuren, die sie zu einer der bedeutendsten Sängerdarstellerinnen ihrer Zeit machten. Das Rezept für ihren Erfolg hieß Teamarbeit, eben das Zusammenleben, auch mit denen, die nicht ihrer Ansicht waren. Streitbar und unbestechlich war sie und immer war der Mensch in all seinen Facetten ihr Gegenstand. »Singen muss man«, sagte sie einmal, »das ist die Grundlage, aber für mich war immer die Darstellung auf der Bühne das Eigentliche«. So war es denn auch nur folgerichtig, dass Joachim Herz, mit dem sie einen Großteil ihrer Karriere verbunden war, sie als Mitglied der Klasse Darstellende Kunst und Film der Sächsischen Akademie der Künste vorschlug. Bereits auf der ersten Mitgliederversammlung der Akademie im Jahr 1996 wurde sie zum Mitglied berufen. Sie war seither aktiv am Aufbau und an der Arbeit der Akademie beteiligt. Ihr Hauptaugenmerk galt der Kenntlichmachung des Erbes von Walter Felsenstein und Joachim Herz.

Einige Beispiele ihrer Kunst sind erfreulicherweise auf Tonträgern festgehalten und wer sich ein Bild von der Bedeutung dieser Ikone des Musiktheaters machen möchte, dem empfehle ich die Aufnahme des Schlussgesangs der Brünnhilde aus der »Götterdämmerung«. Hier erleben wir eine Figur, die am Ende von Wagners Opus Magnum Geschichte verwaltet und den Willen ihres Göttervaters Wotan so behutsam, so menschlich zu Grabe trägt, wie es vielleicht keine ihrer Vorgängerinnen in der Rolle vermochte.

 

Am 24. Oktober 2024 wird der Semperpreis der Sächsischen Akademie der Künste an den Schweizer Architekten Roger Boltshauser verliehen. Aus diesem Anlass laden wir Sie an diesem Tag um 12 Uhr zum Pressegespräch mit dem Preisträger und Mitgliedern der Jury in das ZfBK – Zentrum für Baukultur Sachsen im Kulturpalast Dresden, Schloßstraße 2, 01067 Dresden herzlich ein. An diesem Ort wird eine Ausstellung des Preisträgers unter dem Titel »Roger Boltshauser – Resistance« gezeigt, die in Fotografien, Materialsammlungen und Projektdokumentationen das Streben Roger Boltshausers nach neuen Strategien für eine nachhaltige Architektur anschaulich werden lässt.

24. Oktober 2024, 12-13.30 Uhr

Begrüßung
Juliane Naumann, Leiterin des ZfBK - Zentrum für Baukultur Sachsen
Prof. Dr. Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

Vorstellung des Preisträgers Roger Boltshauser
Prof. Ivan Reimann, Mitglied der Jury

Pressegespräch mit den Medienvertretern
Prof. Ivan Reimann und Prof. Roger Boltshauser

Rundgang mit dem Preisträger durch die Ausstellung
Prof. Roger Boltshauser, der Präsident der Sächsischen Akademie der Künste Prof. Dr. Wolfgang Holler und die Mitglieder der Jury Prof. Ivan Reimann und Prof. Dr. Annette Menting stehen Ihren Fragen in diesem Rahmen zur Verfügung.

Anmeldung:
Die Plätze sind begrenzt. Wir bitten deshalb um Ihre Anmeldung an: koban@sadk.de

Pressemappe:
Das Pressedossier mit Jurybegründung, Informationen zum Preisträger und ausgewählten Projekten steht Ihnen hier zur Verfügung.

Bildmaterial:
Pressefotos der Veranstaltung senden wir Ihnen im Anschluss gern direkt zu.
Werkabbildungen und ein Porträt des Preisträgers finden Sie unter https://www.sadk.de/presse/pressebilder
 

Dresden, 5. September 2024

Dem seit über zwei Jahren in Deutschland lebenden Komponisten Vladimir Tarnopolski, Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, droht aufgrund eines Beschlusses der Ausländerbehörde München wegen eines formalen Hindernisses die Einweisung in ein Flüchtlingslager oder die Abschiebung nach Russland. Auf Initiative von Kollegen und Freunden des oppositionellen Künstlers hat Kerstin Holm, Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einen offenen Protestbrief verfasst, der an das Bundesamt für Kultur, das Außen- und das Innenministerium sowie an die zuständigen Behörden des Landes Bayern gesendet wird. Die Sächsische Akademie der Künste unterstützt diese Initiative aus tiefer Solidarität und Verbundenheit mit ihrem korrespondieren Mitglied.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir bringen unsere tiefe Besorgnis über die drohende Abschiebung aus Deutschland oder eine mögliche Umsiedlung unseres Kollegen, des Komponisten Vladimir Tarnopolski, und seiner Familienangehörigen in ein Flüchtlingslager zum Ausdruck. Tarnopolski, seine Frau und sein Sohn hatten Russland im März 2022 kurz nach dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine und der internen Repression verlassen.

Vladimir Tarnopolski ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen russischen Komponisten, dessen Werke von bekannten Musikern und Orchestern auf den größten Konzert- und Opernbühnen in Deutschland, in anderen europäischen Ländern sowie in den USA aufgeführt werden.

Als Professor für Komposition am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium hatte er entscheidenden Einfluss auf den Entstehungsprozess einer neuen Kompositionsschule in Russland. Er initiierte die Schaffung grundlegender Institutionen für zeitgenössische Musik in Russland: das erste Zentrum für zeitgenössische Musik im Land, das Ensemble „Studio für Neue Musik“ und das internationale Festival „Moscow Forum“.

Mit seinem Ziel, neue russische Musik in den europäischen Kulturkontext zu integrieren, war er fast 30 Jahre lang eine Schlüsselfigur bei der Entwicklung künstlerischer Kontakte in der Sphäre der zeitgenössischen Musik zwischen Russland und europäischen Ländern, vor allem zwischen Russland und Deutschland. Dank seiner langjährigen Bemühungen traten viele berühmte deutsche Musiker und zeitgenössische Musikensembles bei den von ihm geleiteten unabhängigen Festivals in Russland zum ersten Mal auf, fanden Hunderte russische Erstaufführungen von Werken deutscher Komponisten sowie zahlreiche Vorträge und Meisterkurse statt.

Vladimir Tarnopolski ist seit vielen Jahren tief in das künstlerische und gesellschaftliche Leben Deutschlands integriert. Er ist Mitglied des Deutschen Komponistenverbandes, Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin, Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, Träger des Paul-Hindemith-Komponistenpreises sowie anderer internationaler Auszeichnungen. 2023 wurde ihm der Preis der Christoph und Stephan Kaske Stiftung verliehen.

Nur vier Tage nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine gab Tarnopolski ein Antikriegskonzert im Boulez-Saal in Berlin. In den zwei Jahren seines Aufenthalts in Deutschland schrieb er fünf große, leidenschaftlich gegen den Krieg gerichtete Musikstücke, die in den bekanntesten Konzertsälen von München (Prinzregententheater), Hamburg (Elbphilharmonie), Frankfurt (Alte Oper), Wien (Konzerthaus), wie auch Berlin, Freiburg, Dresden sowie in österreichischen, norwegischen, italienischen und amerikanischen Städten aufgeführt wurden. In mehreren Städten Deutschlands nahm er an der Tagungsreihe „Kunst und Verantwortung“ teil; auf Einladung der Musikhochschulen München und Dresden leitete er Zyklen von Kompositionsseminaren.

Im Moment wird Herrn Tarnopolski vorgeschlagen, nach Russland zurückzugehen, um ein anderes Visum zu beantragen – wo ihm und seinen Familienmitgliedern nur aufgrund seiner antikriegerischen Gesinnung Strafverfolgung droht – oder ein Asylverfahren mit einem ungewissen Ausgang anzustreben – wobei ihm die Möglichkeit zum künstlerischen Schaffen geraubt wird, da in dem Fall ein Beschäftigungsverbot besteht und somit unmöglich ist, als Musiker zu arbeiten. Paradoxerweise wird einem Komponisten, der Russland aufgrund der Unmöglichkeit künstlerischer FREIHEIT verlassen hat, in Deutschland nahegelegt, das künstlerische Schaffen ganz aufzugeben. So wird einer der bedeutendsten Stimmen russischer Musik aufgefordert, zu schweigen.

Es fällt auf, dass Hunderte Vertreter der russischen Kultur verschiedener Generationen und mit unterschiedlichsten künstlerischen Erfahrungen in Deutschland Aufenthaltstitel erhalten und ihre berufliche Tätigkeit in Deutschland fortsetzen. Und es kommt uns seltsam vor, dass Vladimir Tarnopolski nicht darunter ist.

Wir wenden uns mit der Bitte an die zuständigen Behörden des Freistaates Bayern und die Bundesbehörden:

Unter Berücksichtigung der großen sozialen und künstlerischen Bedeutung der schöpferischen Tätigkeit von Vladimir Tarnopolski, seines bedeutenden persönlichen Beitrags zur Entwicklung der kulturellen Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland, und in Anbetracht der in seinen Werken und öffentlichen Äußerungen zum Ausdruck gebrachten Antikriegshaltung, ihm und seinen Familienangehörigen als Sonderfall einen Rechtsstatus zu verleihen, der es ihm ermöglicht, seine bürgerlichen Grundrechte – den Aufenthalt in Deutschland ohne Beschränkungen seiner beruflichen schöpferischen Tätigkeit und Bewegungsfreiheit – wahrzunehmen und auch die Gefahr einer Abschiebung ausschließt.

 

Dresden, 13. August 2024

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Gründungsmitglied Uwe Grüning, der am 23. Juli 2024 in Zwickau verstarb. Der Dichter, Erzähler und Romancier, Essayist, Herausgeber und Nachdichter, der auch als Politiker für drei Legislaturen im Landtag des Freistaates sowie in öffentlichen Funktionen in Sachsen tätig war, wurde 82 Jahre alt.

Nachruf von André Schinkel

Wie erst vor kurzem bekannt wurde, ist der Autor, Nachdichter und Politiker Uwe Grüning (1942–2024) bereits am 23. Juli 2024 in Zwickau gestorben. Grüning gehörte zu den stillen Dichtern im Land, sein veröffentlichtes Werk scheint mit dem »Poesiealbum 280« (2008) im Märkischen Verlag seinen Abschluss gefunden zu haben. Das Œuvre Grünings kann dabei alles andere als schmal genannt werden, es enthält neben Gedichten, Erzählungen, Romanen, Essays und Exegesen auch eine Vielzahl Nachdichtungen, Miniaturen und Sachtexte. Auch um die Bewertung dieses Werkes wird noch einmal zu diskutieren sein, scheint es doch vom Blickpunkt der Epoche, die uns soeben ansieht, aus durchweg weitsichtig und bedeutend.

Uwe Grüning gehörte zum Kreis der Autoren, die man unter dem Begriff der „Landschafter“ versucht zu vereinen – Dichtern wie Johannes Bobrowski, Peter Huchel oder Erich Arendt war er poetisch, teils auch in Freundschaft verbunden. Zu seiner direkten Stil- und Motivverwandtschaft sind Autoren wie Wulf Kirsten und Harald Gerlach zu zählen. Ähnlich wie bei Gerlach fächerte sich sein Werk auf in ein reiches Genre-Rund, auch wenn er in der Grund- und Herkunftsschicht Lyriker war – woher auch seine Vorliebe für stilistische Akkuratesse rühren dürfte. Mit seinen reichen vor allem in einigen frühen Erzählungen vorantreibenden Phantasmagorien war Uwe Grüning zudem ein Meister der farbenprächtigen Desillusion.

Zuletzt lebte Grüning im nordwestlichen Zipfel des sächsischen Vogtlands, in Neumark. Der am 16. Januar 1942 in Pabianice bei Łódź Geborene wuchs bei Hohenstein-Ernstthal und Glauchau auf, er studierte und promovierte an der TU Ilmenau und war ab 1982 als freier Schriftsteller, Übersetzer, Herausgeber tätig – seine Gedichte, Erzählungen, kleinen Prosaarbeiten, Romane, seine Übersetzungen, Heraus- und Sammelausgaben etwa zur tschechischen und englischen Lyrik erzielten teils hohe Auflagen. Die ersten Texte des Ingenieurs der Fertigungstechnik, der von 1975 an mehrere Jahre an einer Fachschule in Jena arbeitete, erschienen 1966 in Zeitschriften, Anthologien, so in »Erlebtes Hier«, in der er sich an der Seite von Peter Gosse, Andreas Reimann und eben Kirsten in bester Gesellschaft fand.

Bereits hier zeigte sich seine Gabe des punktgenauen wie unbestechlichen Zugriffs, wie er ihn in »Landschaft« oder »Anabasis« formulierte: »Am sechsten Tag aber blühte / in den Bergen der Schnee auf, / der mit Blindheit schlug meine Füße, / daß sie aufgingen – zwei Knospen – / und wuchsen statt Blätter / Felsen aus ihnen auf / mit den fleischigen Schiefern …« War dieser Aufbruch einer neuen Generation ein Versprechen, so konnte dem auch religiös Beschlagenen nicht entgehen, dass einerseits das kleine Land, in dem er lebte, Anschluss an jene große Welt der Literatur suchte, in der ungeheuerliche Geister wie Márquez und Borges wirkten, zugleich aber auch in interne Grundsatzdiskussionen über das Wirken und Dienen von Literatur verstrickt war.

Uwe Grünings Bücher erschienen ab 1977 im Berliner Union Verlag, hier debütierte er, flankiert von einem Nachsatz Heinz Czechowskis, mit seinem Gedichtband »Fahrtmorgen im Dezember«.  Die christliche Ausrichtung des CDU-eigenen Verlags, dem einst Bobrowski als Lektor wie Autor angehört hatte, bot offenbar einen günstigen Raum für die (bis in die 2000er) kontinuierliche Stimme von Uwe Grüning – in regelmäßiger Taktung wurden der Roman »Auf der Wyborger Seite« (1979), die furiose Erzählsammlung »Hinter Gomorrha« und der zweite Lyrikband »Spiegelungen« (beide 1981), gefolgt von »Laubgehölz im November« (Prosa, 1983), »Im Umkreis der Feuer« (Gedichte, 1984), »Moorrauch« (Essayistik, 1985) ediert. 1986 folgten der zweite Roman Grünings: »Das Vierstromland hinter Eden«, 1988 »Innehaltend an einem Morgen« (Gedichte) und 1989 mit »Der Weg nach Leiningen« ein weiterer Band Erzählungen.

Wohlwollende Programmleiter schrieben den teils aufs Schärfste entlarvenden Erzählungen in »Hinter Gomorrha« Turbulenz und Skurrilität, ja Humor zu, was für einen Teil dieser Texte so stimmen mag, jedoch im Blick auf »Die Hecke«, »Der Schatten« oder »Die Vollendung des Menschen« ein ziemlicher Unfug ist – sprechen diese Texte doch durchaus in der Dystopie mit Erfindungen, Erfahrungen in einer vergleichbaren Stärke wie Marlen Haushofers »Wand« oder die kühlen Sektionen Borges', den Grüning (auch wenn er das in einem Essay in »Moorrauch« zu verbergen sucht) bewunderte. Freilich: Es übt sich im Buch auch eine Pfütze im Kraftmeiern, spuckt ein Pudelgeysir plüschige Hässlons in irren Farben in die Welt. Im Licht unserer Ära, in der das Grauen in allen Neonfarben um die Ecken der frisch aufgestellten Fallen äugt, wäre es klug, dieses Kompendium wieder aufzulegen.

Uwe Grünings letztes Buch im Union Verlag war »Goethes Garten am Stern« (1989). Der Weimarer Maître sollte ihn noch mehrfach beschäftigen wie auch Kirchenkunst und die Jenaer Romantik. 1990 war Grüning Mitglied der letzten Volkskammer der DDR, danach für drei Legislaturen Mitglied des sächsischen Landtags, wo er zur CDU-Fraktion gehörte, wissenschaftspolitischer Sprecher war und sein Mandat 2004 niederlegte. Grüning gehörte zu den Gründern der Sächsischen Akademie der Künste. Politische Funktionen hatte er in den Medienanstalten des Freistaats inne und war so u. a. als Präsident des Medienrats der Sächsischen Landesmedienanstalt tätig. Um sein Werk wurde es indes zusehends stiller, erst spät wurde es geehrt und ausgezeichnet: 1997 mit dem Esslinger Andreas-Gryphius-Förderpreis, 2004 mit dem Eichendorff-Literaturpreis.

Große Teile seines Werks sind mittlerweile schwer zu erreichen – seine Gedichte nur vereinzelt im Netz zu lesen, die Bände, die sie sammelten, nahezu vollständig und bis auf ein paar wenige signierte Exemplare vergriffen. Dabei galt und gilt Uwe Grüning in seiner oft desillusionierten Sprache und Motivik als leiser Meister der Form, die auf das Wesentliche und Greifbare sich orientiert. 2005 und 2008 erschienen letztmals Sammlungen aus seiner Feder: in der Un-Art-Ig-Reihe des Grauen Hofs in Aschersleben, noch einmal mit einem für ihn so sprechenden Titel: »Bienenkönigin Zeit« und in der wiederbegründeten »Poesiealbum«-Reihe im Märkischen Verlag. Darin führt er letztmals seine strenge Dichtkunst, die vielen als formvollendet galt, vor.

Selbst die letzten Bücher, seine Essays zu Goethe, Jena, Landsberg; die Notizen und späten Gedichthefte sind, wenn man sie nicht längst im Schrank hat, so gut wie nicht erhältlich. 2023 starb seine Frau Barbara, mit der Uwe Grüning an zahlreichen Übersetzungen gearbeitet hatte; wenige Tage nach ihm der Komponist Wolfgang Rihm, dessen letztes Opus auf Gedichten Uwe Grünings fußt, die ihn begeisterten. Sein Titel: »Überwundene Zeit«. Das Gedicht führt noch einmal alle Kraft vor, mit der der Dichter auf zuweilen kleinstem Raum zu reüssieren wusste: »Der Sommer verrät schon das Land. / Die Mühlenflügel / stehen still wie mein Schicksal. / Jeder Spiegel bleibt blicklos. / Die Augen regen sich nicht. // Alles / scheint ohne Gewalt / und wird / unendlich leicht / wie mein Leben«. Zehn Zeilen, die Wucht und Leichtigkeit dieses leisen Schreibers einend.

In die Rihm‘sche Würdigung durch Musik gefasst, bleibt nun zu denken und zu hoffen, dass auch das Werk Uwe Grünings wieder in die Welt sprach- und denkmächtig zurückkehrt. Die Sächsische Akademie der Künste trauert um einen Dichter und Erzähler, dem es gelang, das zu Hinterfragende wie das zu Wünschende in Worte zu fassen, was viel ist, in dieser beherzt und zunehmend leidenschaftskühl sich entleerenden Zeit. Sie vermisst in Uwe Grüning eines ihrer Gründungsmitglieder, das sich um ihre Existenz verdient gemacht hat.

 

Dresden, 3. Juni 2024

Der Kunsthistoriker Wolfgang Holler wurde am Wochenende von der Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit für weitere drei Jahre zum Präsidenten der Sächsischen Akademie der Künste gewählt. Die zentrale Aufgabe der Akademie sieht Wolfgang Holler nach wie vor im offenen Dialog: „Es ist der aufklärend-aufklärerische Anspruch“, so der Präsident, „der uns leitet und der geprägt ist von kritischem Verstand, differenzierender Diskursivität und Verständigung auf der Basis unideologisierten Denkens.“ 

Die Künste, über deren Freiheit und Grenzen die Mitglieder auf ihrer Versammlung diskutierten, „sind auf Gedeih und Verderb in die kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Kontexte einer multivalenten Welt der Krisen einbezogen“, so Wolfgang Holler. Holler plädiert für ein von gegenseitigem Respekt getragenes Engagement in die Öffentlichkeit hinein. Meinungs- und Kunstfreiheit bedeuten dabei nicht, sich in einem „kritikfreien“ Raum zu bewegen. Die Kunst ist immer wieder gefordert, den Spielraum ihrer Möglichkeiten auszuloten. Die Sächsische Akademie der Künste gleicht dabei einem Atelier, in dem virulente Fragen in Kunst und Kultur bearbeitet werden.

„Akademien sind getragen vom Wunsch nach ästhetischer Erfahrung und sinnlichem Erleben, nach intellektuellem Austausch, nach Erkenntnisgewinn und Bildung. Akademien arbeiten in ihrem gesellschaftlichen Engagement entschieden gegen die um sich greifende Geschichtsvergessenheit und für ein sinnstiftendes Andocken der Gegenwart an die historischen Tatsachen,“ betonte Wolfgang Holler in seiner Rede an die Mitglieder.

So hat sich das zum Amtsantritt 2021 erklärte Ziel, „den mitteleuropäischen Resonanzboden zu beklopfen“ angesichts verschärfter Konflikte und dem Krieg in Europa als umso notwendiger erwiesen und seinen Niederschlag in zahlreichen Projekten gefunden: U.a. in einem Artist-in-Residence Programm für ukrainische Künstlerinnen, in der Beteiligung an der Leipziger Buchmesse 2023 und 2024 und dem verstärkten Dialog mit den Mitgliedern aus den Nachbarländern Tschechien, Polen und der Ukraine. Die Frage nach der Zukunft Europas wird auch weiterhin das Programm der Akademie und die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern bestimmen.

Mit Blick auf die Situation der Akademie setzt sich der Präsident energisch für die notwendige Verbesserung der personellen und finanziellen Ausstattung gegenüber der Landespolitik ein. Mit einem Memorandum hat die Akademie auf ihre Leistungen und die unzureichende Personal-, Finanz- und Standortsituation hingewiesen. Um ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen zu können, muss eine entschiedene Verbesserung erfolgen.

 

Dresden, 23. Mai 2024

„Nur wenige Architekten besitzen heute genug Widerstandskraft, sich den momentan angesagten Trends und pragmatischen Zwängen zu entziehen.“ (Jurybegründung Semperpreis 2024). Der Schweizer Architekt Roger Boltshauser gehört zu ihnen. Er wird mit dem Semperpreis 2024 der Sächsischen Akademie der Künste ausgezeichnet.

Mit Roger Boltshauser würdigt die Akademie einen Architekten, der sich schon seit Ende der 1990er Jahre mit nachhaltigen Baumaterialien und innovativen Energiekonzepten beschäftigt hat. Bekannt ist er unter anderem für die Verwendung des über lange Zeit vergessenen Materials Lehm geworden, das er auch in größeren und komplexen Bauten auf verschiedene Weise einsetzt und mit anderen Materialien kombiniert. Sein Credo, aus dem Streben für Nachhaltigkeit Architektur zu machen, ist umfassend gedacht und beginnt für ihn mit der Qualität des Entwurfs.

Boltshauser sucht gemeinsam mit seinem Büro und seinen Studenten nach neuen Strategien für eine Architektur, die angenommen wird, bewohnbar und flexibel ist und die verschiedenen Tendenzen überleben kann. „Wir können Antworten geben, die wegen der Klimafragen plötzlich Chancen bekommen, die sie vorher nie hatten.“ (Roger Boltshauser, UDK Tuesday 236)

Neben seiner Tätigkeit als Architekt ist Boltshauser seit über 20 Jahren in der Lehre und Forschung aktiv und bringt seine Themen praxisorientiert an seinem Lehrstuhl an der ETH Zürich ein. „Er ist ein Baumeister im traditionellen Verständnis dieses Begriffs. Er erschafft Bauwerke, deren Bedeutung weit über die Befriedigung temporärer Bedürfnisse hinausreicht und Sinn stiftet. Sie zeigen, was Architektur heute sein kann.“ (Jurybegründung Semperpreis 2024)

Kuratorium des Semperpreises 2024 (Jury)
Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
Annette Menting, Mitglied der Klasse Baukunst
Ivan Reimann, Mitglied der Klasse Baukunst

Findungskommission 2024
Annette Menting Mitglied der Klasse Baukunst,
Ivan Reimann, Mitglied der Klasse Baukunst
Florian Nagler, Preisträger des Semperpreises 2022

Die Preisverleihung an Roger Boltshauser findet am Abend des 24. Oktober 2024 im Blockhaus in Dresden statt, im Archiv der Avantgarden der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (AdA). Am gleichen Tag laden wir Sie im Rahmen einer Ausstellung des Preisträgers im Zentrum für Baukultur Sachsen(ZfBK) im Dresdner Kulturpalast zum Pressegespräch mit dem Preisträger und Mitgliedern der Jury ein. Eine Einladung und weitere Informationen dazu erhalten Sie zu gegebener Zeit.

Das Pressedossier mit Jurybegründung, Informationen zum Preisträger und ausgewählten Projekten steht Ihnen hier zur Verfügung

Bilder zum Download finden Sie unter https://www.sadk.de/presse/pressebilder

 

Dresden, 7. Mai 2024

„Physische Angriffe gegen Politiker aller Parteien verurteilen wir zutiefst.“, beeilte sich Tino Chrupalla (AfD) abwehrend zu betonen, nachdem der SPD-Politiker Matthias Ecke Opfer eines tätlichen Angriffs geworden war und über 3000 Menschen am Dresdner Pohlandplatz sich versammelten, um ihrem Protest gegen solcherlei Brutalität Ausdruck zu verleihen und sich solidarisch mit den Angegriffenen zu zeigen.

Auf der Demonstration war es eher eines der kleinen Plakate, das meine Aufmerksamkeit erregte: „Gegen den stochastischen Terrorismus“. Ich musste nachlesen und fand bestätigt, woran mich meine religiöse Erziehung die ganze Zeit erinnert hatte: „Cogitatione, verbo et opere“, wie es im Schuldbekenntnis sowohl der katholischen wie der evangelischen Kirche heißt, das Sündigen in „Gedanken, Worten und Werken“ ist ein Grundproblem, das den Menschen vom Göttlichen trennt. Die Mütter und Väter dieses Gebetes wussten sehr wohl, dass die Taten höchstens ein Drittel der Schuld betreffen.

Genau um diese Problematik geht es beim Konzept des stochastischen Terrorismus, einem Begriff, der seit etwa 2011 in die politische Diskussion eingeführt wurde. Die Plattform „HateAid“ erklärt:

Es geht vor allem darum, dass viele Menschen massenhaft Hassbotschaften über digitale Kommunikationsmittel versenden. Andere Nutzer*innen unterstützen diesen Hass durch Likes, Teilen oder Klicken. Das befeuert manche Menschen so, dass sie terroristische Attentate begehen.[1]

Exakt das scheint in Dresden wieder passiert zu sein. Die Rednerinnen und Redner der Kundgebung erinnerten an die Attentate von Halle, Hanau, auf Walter Lübke u. a. Hass auf Andersdenkende oder Ausländerinnen und Ausländer ist in Sachsen virulent und wurde lange ignoriert. Schon 2010 machte der deutsch-koreanische Solocellist der Sächsischen Staatskapelle Isang Enders in einem Interview darauf aufmerksam, dass er ständiger Ausländerfeindlichkeit ausgesetzt sei: "Diese Blicke, mich anfeindend, ablehnend oder ignorierend, habe ich in keinem meiner bisherigen Wohnorte erlebt."[2] In der beginnenden Zeit von Pegida trat Ende 2014 eine große Runde von Hochschulrektoren und Kulturschaffenden im Ministerium der damaligen Kunst- und Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange zusammen auf der Suche nach Konzepten. Ich erinnere mich meiner dringenden Mahnung, dass es in Sachsen eine nicht zu leugnende „braune Hintergrundstrahlung“ gebe und Menschen aus der Kunst- wie Wissenschaftsszene deshalb schon die Stadt verlassen hätten. Mir wurde heftig widersprochen. Zehn Jahre später war es dem Konzept des stochastischen Terrorismus nach nur eine Frage der Zeit, wer wann und wo gegen wen zuschlägt. Musikfestspielintendant Jan Vogler warnt aktuell davor, wie sehr diese Vorgänge auf das Image der Stadt abfärben.

Was ist zu tun? Gesetze schärfen, verschärfen, nur noch am Tag plakatieren und nicht in Gruppen unter 4 Leuten? Wenn wir so denken, hat die Demokratie ein weiteres Mal verloren.

Anfangen müssen wir beim Denken und Reden! Und da hat leider die Demo vom Dresdner Pohlandplatz letzten Sonntag kein gutes Bild abgegeben – bei aller Einigkeit und Einfühlsamkeit dem Opfer gegenüber. „Nazis töten.“ prangte rot glühend ein Transparent in der ersten Reihe und ich frage mich die ganze Zeit, warum keine der Rednerinnen und Redner darauf eingegangen ist, was in den Pressebildern überdeutlich zu sehen ist, und dazu eindeutig Stellung bezogen hat. Sicher, es steht ein Punkt am Ende, kein Ausrufezeichen. Die Aussage in ihrer provokanten Zweideutigkeit ist – ohne an dieser Stelle die Hufeisentheorie bemühen zu wollen – unerträglich und ebenso eine Aussage, die zum stochastischen Terrorismus führen kann. Und das gemeinsam skandierte „Ganz Dresden hasst die AfD“ ist in seiner Unwahrheit bei über 30% Zustimmung zu deren Botschaften hilflos und ebenfalls eine Hassbotschaft, mit der die Demonstrierenden sich wenig von denen unterscheiden, gegen die sie damit aufbegehren wollen.

Nötig wäre ein Innehalten, eine Katharsis unseres Denkens und Redens. Ob im Sinne des religiösen Schuldbekenntnisses, mag dahingestellt bleiben. Im 200. Jahr nach der Uraufführung der 9. Sinfonie könnten vor allem die Künste vielleicht auch in den ‚bestirnten Himmel‘ Beethovens, Schillers oder Kants schauen und dort ein Stück des in uns verankerten moralischen Gesetzes finden, das uns mit denen verbindet, die „bonae voluntatis“ sind, andernfalls wir uns mit jenen, die es nie gekonnt, weinend aus diesem Bund stehlen sollten.

Ekkehard Klemm
Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste
 


[1]https://hateaid.org/stochastischer-terrorismus/; abgerufen am 07.05.2024

[2]https://www.musik-in-dresden.de/2010/01/27/am-13-februar-schweigt-mein-cello-konzertmeister-isang-enders-ueber-dresdens-gedenkkultur/

 

Dresden, 6. Mai 2024

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied, den Fotokünstler Ulrich Lindner, der am 29. April 2024 im Alter von 86 Jahren in Dresden verstorben ist.

Nachruf von Matthias Flügge

Am 29. April 2024 ist Ulrich Lindner in Dresden gestorben. Er war seit 1998 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste in der Klasse Bildende Kunst. Von 2002 bis 2005 ist er als deren stellvertretender Sekretär tätig gewesen.

Ulrich Lindner wurde 1938 in Dresden geboren. Nach dem Abitur und einem Chemiestudium an der TU Dresden arbeitete er von 1963 bis 1982 als Fotochemiker. Seit 1983 war er in seiner Heimatstadt als freischaffender Fotokünstler, Illustrator, Experimentalfilmer und Gärtner tätig. Bekannt geworden ist er vor allem mit seinen technisch ausgefeilten, auf historischen und selbstentwickelten analogen fotochemischen Prozessen beruhenden „Fotografiken“, deren Themen letztlich von seiner tiefen Sehnsucht nach kultureller Vergewisserung handelten. In schwarz-weißen Serien und vielen Einzelblättern hat er seinem inneren Erleben die Bilder gegeben, sei es von italienischen Landschaften oder Architekturen, Gärten und Parks oder von selbst gefundenen gegenständlichen Relikten des Weltkrieges, die er fotobildnerisch zu Skulpturen der Erinnerung überhöht hat.

Bei allem war Ulrich Lindner der Phänotyp des Künstlers als Sammler. Er sammelte nach atmosphärischen Kriterien die Dinge, die ihn berührten: Bilder, Skulpturen, Möbel und mit Hingabe vor allem mediterrane Pflanzen. Er fand aber auch vermeintlich unscheinbare Gegenstände, die Geschichten erzählen: rostige Waagen, zerbrochenes Spielzeug, den Zünder eines Brandsatzes aus der Bombennacht von Dresden oder besonders hinterhältige Mausefallen… Durch Lindners Aufnahmetechnik gewannen diese Dinge ein formales Eigenleben, das sie weit von ihrem ursprünglichen Zweck und Gebrauch entfernte. Diese Entzwecklichung der Dinge, die im Bild als Signale einer unwirklich gewordenen Wirklichkeit erscheinen, ist das Agens Lindnerscher Fotografien und fotografischer Montagen.

Ulrich Lindner war sieben Jahre alt, als Dresdens Altstadt zertrümmert wurde. Er war Zeuge des Feuersturms und wuchs dann in Ruinen auf. Das war eine tiefe Prägung und doch war Lindners Bild- und Erfahrungshorizont sehr viel weiter gezogen. Die magisch-surrealen Szenerien, in denen Menschen nur in den Spuren ihrer Taten auftauchen, und die als Prospekte ungeahnter Elegien deutbar sind, haben keinen direkt abbildhaften Bezug zum Ort ihres Entstehens. Allenfalls einen metaphorischen. Ulrich Lindner komponierte diese Szenerien aus Fotografien von konkreten Gegenständen und konkreten Orten und erzeugte damit gleichsam Räume individueller Mythologien, geschaffen als Konstrukte der Erinnerung an die Gegenwart – auch dann, wenn ihr Vokabular gänzlich der Vergangenheit entstammte.

Lindner hat dieses Verfahren von Fotografie, Collage, höchst verfeinerten Ausschneidetechniken, Mehrfachkopie, Solarisation, trickreichen Belichtungen und fotochemischen Manipulationen im heraufkommenden Zeitalter digitaler Fotografie und Bildbearbeitung nicht etwa aufgegeben, sondern immer weiter elaboriert. Das entrückte seine Bilder, die sich von jeher auf eine Aura des Außerzeitlichen berufen konnten, noch weiter in die „Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft“, wie Benjamin das Auratische beschrieben hat.

Wenn Ulrich Lindner collagierend seine Bilder komponierte, dann ausschließlich aus eigenem Material. Sein angesammelter Vorrat der Bilder wurde zum Arsenal der umgeformten Zeichen: Meer konnte Himmel werden, Skulptur zu Gewächs und Lavaberg zu Interieur. Die Metamorphosen, denen der Künstler seine Einzelbilder unterzog, erscheinen noch immer als Details luzider Träume. Das verbindet sie mit surrealistischen Bildstrategien. Doch folgte Ulrich Lindners künstlerische Methode gerade nicht dem „Prinzip Collage“, das in der Kunst des 20. Jahrhunderts die Idee der ganzheitlichen Darstellbarkeit der Welt ad absurdum geführt hatte. Vielmehr ging es ihm darum, aus den bildhaften Fragmenten der eigenen Wahrnehmung eine neue Ganzheitlichkeit zu erschaffen – als Elegie und Provokation in einem. Doch das „Stimmungshafte“ ihrer zwischen leichten Graus und tiefem Schwarz changierenden Tonalität war für ihn nie ein Ausdruck melancholischen Weltverdrusses. Ulrich Lindner, im Refugium seines verwunschenen Künstlerhauses, inmitten der Trouvaillen seines Sammlerlebens, hat sehr genau beobachtet und den Grad seiner Teilhabe an der wahrgenommenen Außenwelt ebenso präzise bemessen. Auch das hat ihn mit dem seelenverwandten Gerhard Altenbourg verbunden, dessen Haus und Garten er mit seinen eigenen künstlerischen Mitteln fotografisch interpretiert hat. Auch dies aus der Perspektive der nahen Ferne.

Die Klasse Bildende Kunst betrauert einen ebenso noblen wie klugen, ebenso traumnahen wie scharfsichtigen Künstler.

 

Köln, 22. April 2024

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied, den ungarischen Komponisten und Dirigenten Péter Eötvös, der am 24. März 2024 im Alter von 80 Jahren in Budapest verstorben ist.

Nachruf von Manos Tsangaris

Auch heute wird die musikalische Landschaft von außergewöhnlichen Persönlichkeiten geprägt. Aufgrund historisch bedingter Dynamiken mag einem das eine Zeitalter in der Entwicklung der Künste zwar heroischer vorkommen als das andere. Das scheint aber nur so. Denn das ist meistens gebunden an Abfolgen von Krisen und Kriegen, die hernach ein gewisses Reinigungs- und Reflexionsbedürfnis begründen. Immer wieder wollen Menschen es dann endlich anders machen als zuvor. Die letzte heroische Generation der klassischen Musik war wohl jene nach dem zweiten Weltkrieg, die in Europa gerne mit Darmstadt assoziiert wird, also mit der berühmten Darmstädter Schule um Messiaen, Boulez, Nono, Stockhausen und anderen. Später dann kamen Kagel und Ligeti hinzu, sowie John Cage als »anarchische Alternative«.

Der Dirigent, Pianist, Komponist und Lehrer Péter Eötvös, der am 24. März dieses Jahres verstarb, gehörte der Nachfolge-Generation an, der zunächst einmal weniger Chancen eingeräumt wurde, als ihrer Vorgängerin. Zwar kam auch Eötvös in den Genuss einer vielfältigen und umfassenden Ausbildung, doch um sich freizuschaufeln aus den Fängen der Lehrer bedarf es immer der eigenen Sinnsuche und Dringlichkeit. 

Eötvös, der aufgrund seiner Hochbegabung schon im Alter von 14 Jahren in Budapest von Zoltán Kodály an die Musikakademie aufgenommen worden war, kam 1966 nach Köln, um an der dortigen Musikhochschule zunächst Dirigieren, dann aber auch Komposition bei Bernd Alois Zimmermann zu studieren. Recht bald geriet er in den inneren Zirkel des Stockhausen-Kreises, was ihn nachhaltig beeinflussen sollte. Er wurde Pianist des Stockhausen-Ensembles. Von daher schien sein Weg vorgezeichnet zu sein als Musiker, Experimentator, Performer, auch als Dirigent u.a. später für die Opern-Uraufführungen Stockhausens. In den 1970er Jahren gründete sich dann im Umfeld Stockhausens im Bergischen Land in der Nähe Kölns die Gruppe Oeldorf, eine loser Zusammenschluss von Komponisten, die die ländliche Ruhe suchten, um weitreichend zu experimentieren und um dort auch aufzuführen. Parallel dazu war Péter Eötvös von 1971 bis 1979 Mitarbeiter am Elektronischen Studio des WDR. 1979 dann wurde Péter Eötvös von Pierre Boulez als musikalischer Direktor des Ensemble Intercontemporain in Paris engagiert. Und ab da ging es allmählich, aber stetig bergauf.

Seit den 1990er Jahren widmete sich Eötvös vermehrt der Komposition von Opernwerken für die großen Häuser Europas. Zunächst kamen ‒ mit gigantischem Erfolg ‒ seine »Drei Schwestern« 1997 in Lyon heraus, die seitdem weltweit nachgespielt und -inszeniert werden. Danach folgten noch zwölf weitere Opernwerke neben solchen in anderen Gattungen, gerne auch groß besetzt, also Orchesterwerke und Konzerte. Währenddessen gab Péter Eötvös das Dirigieren und Aufführen zeitgenössischer und klassischer Stücke niemals auf. Die Liste der Orchester, die ihn regelmäßig einluden, spricht für sich – mit den Berliner und den Wiener Philharmonikern, dem BBC-Symphony Orchestra, dem Cleveland Orchestra u.v.m. Doch auch die seit den 1980er Jahren vielerorts aufsprießenden Ensembles neuer Musik, denen der Dirigent Eötvös ein maßgeblicher Lehrer und Coach wurde, spricht Bände, etwa das Ensemble Modern, das Ensemble Musikfabrik und andere.

Nur folgerichtig ist es also, dass Péter Eötvös, der zunächst auch an den Hochschulen in Karlsruhe und Köln lehrte, dann in späteren Jahren seine Kräfte und Möglichkeiten in einer Péter Eötvös-Stiftung von Budapest aus bündelte und damit seinen internationalen Einfluss, besonders auch auf junge Nachwuchs-Künstler und -Künstlerinnen, intensivierte. Zum Nutzen aller. Die Reihe der Dirigenten und Musiker, die bei ihm gelernt, studiert, Kurse besucht, sich fortgebildet haben, ist schier endlos.

Als Lehrer wie als Dirigent pflegte Péter Eötvös einen so ruhigen wie eindrücklichen und wirkungsvollen Stil. Der Autor dieser Zeilen genoss selbst Anfang der 1980er Jahre das Privileg, mit ihm als Dirigent zu arbeiten. Er hat niemals einen sensibleren, zuverlässigeren und kompetenteren musikalischen Leiter erlebt als Péter Eötvös. Komplexeste musikalische Strukturen wurden immer mit Leichtigkeit und Präzision freigelegt und ins klingende Leben geholt. Das Musizieren unter solchem Dirigat fiel trotz der zum Teil extremen Anforderungen sehr leicht. Es herrschte immer eine Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens bei gemeinsamer Sachbezogenheit, Konzentration, Passion und Genauigkeit.

Diese Verbindung von Sachverstand, Zuverlässigkeit und Feinheit zeichnete Péter Eötvös auf allen Gebieten aus. Seine Opernarbeit war ausgesprochen pragmatisch, was die Realisierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Produktions-Verhältnisse in den Opernhäusern anging. So gelang es ihm, solche Institutionen optimal für neuere Perspektiven, soll sagen, für die Kunst zu nutzen. 

Die Musik des Komponisten Péter Eötvös ist von spezieller Virtuosität, Geschmeidigkeit und geprägt durch außergewöhnliches psychologisches Einfühlungsvermögen. So werden diverse soziale Situationen, Konflikte und Spannungsverläufe als Narration plastisch und plausibel, ohne je ins Plakative zu abzurutschen. Hier hat wohl auch die Erfahrung des Dirigenten Eötvös produktiv mitgespielt. Neue, ungewöhnliche und schillernde Klanglichkeiten wurden sowohl mit den üblichen Instrumenten als auch mit außergewöhnlichen, experimentellen Klangerzeugern erreicht. Kaum jemand vermag wie er den Orchester-Apparat zusammen mit Gesangsstimmen derart beweglich zu führen, die Balance herzustellen und in ein so lebendiges, »erzählerisches« Spannungsverhältnis zu setzen.

Der Künstler selbst hat sich als Theater-Komponist bezeichnet. Das Theater reicht immer durch die Musik in den Klang als Körper hinein und von daher mitten in die jeweilige szenische Konstellation. Diese Theatralität seiner Musik führte das Werk von Péter Eötvös weltweit in einen regelrechten Triumphzug. Ihm ist es gelungen, die Palette zeitgenössischen Komponierens in eine Reihe zu stellen mit den großen Opern vergangener Jahrhunderte.

Mit Péter Eötvös hat uns einer der faszinierendsten Musiker unserer Zeit verlassen. Er verstarb am 24. März 2024 in Budapest im Kreis seiner Familie. Seine Werke werden weiterleben.

 

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, den langjährigen Sächsischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, der am Karfreitag, dem 29. März 2024 im Alter von 87 Jahren verstorben ist.

Dresden, 1. April 2024

Als langjähriges Mitglied des sächsischen Kabinettes unter Kurt Biedenkopf war Hans Joachim Meyer nicht nur ein Architekt der sächsischen Wissenschaftslandschaft, der die Universitäten neu aufzustellen und dabei auch die Stasi-Aufarbeitung in Forschung und Lehre zu leiten hatte. Hans Joachim Meyer hat vor allem die Kunst- und Kulturlandschaft im Freistaat Sachsen nach 1990 geprägt. Nahezu alle wesentlichen strukturellen Entscheidungen sind mit seinem Namen verbunden, so die Gründung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, die Berufung des Sächsischen Kultursenates und die Initiative zu einer Sächsischen Akademie der Künste vor nunmehr 30 Jahren.

Das in anderen Bundesländern bewunderte Sächsische Kulturraumgesetz trägt ebenso die Handschrift Meyers wie viele personelle Entscheidungen an der Spitze sächsischer Kunst- und Ausbildungsinstitutionen. Er berief Christoph Albrecht zum Intendanten der Semperoper, Martin Roth zum Direktor der Sächsischen Kunstsammlungen Dresden, Siegfried Thiele und Wilfried Krätzschmar zu Rektoren der Musikhochschulen in Leipzig und Dresden, um nur einige wenige hervorzuheben. Mit allen Entscheidungen verbinden sich Erfolgsgeschichten, die viel mit der Aufrichtigkeit und Integrität als Staatsminister (1990–2002) und als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (1997–2009) zu tun haben.

Sein engster Mitarbeiter Reiner Zimmermann würdigte Hans-Joachim Meyer aus Anlass des 80. Geburtstages mit einer Rede, in der es hieß: »… ich habe in meinem Berufsleben niemals einen Chef gehabt, der diskreter, zurückhaltender, niemals laut und dabei freundlicher gewesen wäre als Sie.«

Von dieser zutiefst menschlichen Haltung, von diesem in der Politik leider selten aufzufindenden Stil berichten viele, die mit Hans Joachim Meyer zusammengearbeitet haben und dabei stets seine Fachkompetenz, sein enormes Wissen sowie sein überlegtes Agieren ohne Intrigen zu schätzen wussten. Zahlreiche Künstler im Freistaat haben davon in vielerlei Weise profitiert. Ohne Hans-Joachim Meyer gäbe es die Sächsische Akademie der Künste nicht in dieser Form.

Wir gedenken seiner in Dankbarkeit und sprechen den Angehörigen unsere Anteilnahme aus. Wir werden die großen Verdienste von Hans Joachim Meyer in Ehren halten.

Im Namen des Senats und aller Mitglieder der Sächsischen Akademie der Künste

Wolfgang Holler, Präsident
Ekkehard Klemm, Vizepräsident

 

Dresden, 19. März 2024

Die Sächsische Akademie der Künste wurde vor 30 Jahren mit dem am 24. Mai 1994 verabschiedeten »Gründungsgesetz über die Errichtung der Sächsischen Akademie der Künste (SächsAKG)« gegründet und im Januar 1996 durch den Freistaat Sachsen ins Leben gerufen. Sie vereint heute etwa 180 herausragende künstlerisch und kunsttheoretisch arbeitende Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland.

Die Sächsische Akademie der Künste gehört zu den wichtigen kulturellen Akteuren des Freistaates. Neben dem Kunstministerium (SMKT), dessen beratendem Gremium, dem Kultursenat und der Kulturstiftung als Fördereinrichtung des Freistaates Sachsen ist sie eine Sozietät von Kunstschaffenden, Kunstkommunikatoren und -wissenschaftlern, die im Sinne eines Kreativzentrums aktuelle Entwicklungen der Kunst bündelt, reflektiert und Anstöße gibt zu wichtigen Auseinandersetzungen künstlerischer und kunsttheoretischer Positionen. Als Pendant auf dem Feld der universitären und außeruniversitären Forschung steht ihr die bereits 1846 gegründete Sächsische Akademie der Wissenschaften zur Seite.

Zu den per Gesetz festgelegten Aufgaben gehört:

- Die Kunst zu fördern beziehungsweise Vorschläge zu ihrer Förderung zu erarbeiten.
- Die Überlieferung im traditionellen sächsischen Kulturraum zu pflegen.
- In eigener Verantwortlichkeit und öffentlicher Wirksamkeit zu sprechen.
- Ein Archiv zu Dokumentationszwecken ihrer Tätigkeit und die ihrer Mitglieder anzulegen, das professionell betreut wird und öffentlich zugänglich ist.

Die Sächsische Akademie der Künste macht die Öffentlichkeit mit wichtigen künstlerischen Leistungen, Positionen und Prozessen bekannt und pflegt laut Satzung Verbindungen zu anderen künstlerischen Gesellschaften, Kultureinrichtungen und Einzelpersonen. Sie ist dazu international vernetzt.

Den Aufgabenanforderungen an die Akademie widersprechen jedoch in gravierender Weise die von Anfang an zu geringen finanziellen und personellen Ressourcen. Sie wird momentan ehrenamtlich von je einem Präsidenten und Vizepräsidenten geführt, denen die Sekretäre der Klassen (ebenfalls ehrenamtlich) und 3,25 Mitarbeiterstellen zugeordnet sind.

Zum Vergleich:

- Bayerische Akademie der Schönen Künste: 13 Mitarbeiterstellen;
- Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt: 11 Mitarbeiter;
- Akademie der Künste Berlin: etwa 180 Mitarbeiter, davon 40 im Mitgliederbereich;
- Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig: 21 Mitarbeiter.

Der Freistaat Sachsen als Gründer und Träger der Akademie verhindert damit, dass die im Gründungsgesetz und in der Satzung niedergelegten Aufgaben angemessen erfüllt werden können. Es muss das Ziel sein, diesen Missstand durch eine entschiedene Verbesserung ihrer Finanzausstattung und Stellensituation zu beheben.

Mit den gegenwärtig 3,25 Mitarbeiterstellen, die aus einem Gesamtjahresetat von 548 500 Euro finanziert werden, ist die Akademie nicht in der Lage, die ihr übertragenen Aufgaben adäquat zu erfüllen. Dennoch tritt sie seit ihrer Gründung im Vergleich zu den anderen Akademien mit maßstabsetzenden Projekten an die Öffentlichkeit. Darüber hinaus werden jährlich rund 35 Veranstaltungen angeboten, darunter:

- Vergabe des Hans Theo Richter-Preises für Zeichnung und Grafik (mit zusammenfassender Publikation);
- Vergabe des Semperpreises für umweltbezogenes, ökologisches Bauen (mit Publikationen);
- Vergabe des Chamisso-Preises seit 2023 und die Durchführung der Chamisso-Poetikdozentur zur Migrationsliteratur ab 2005 (mit Publikationen);
- Teilnahme an der Leipziger Buchmesse 2023 mit sieben Veranstaltungen im umfangreichem Begleitprogramm zum Thema »Mitteleuropa«;
- Schaffung eines Ukraine-Stipendiums 2022/23 aus Privatmitteln der Mitglieder und Förderung der Stipendiatinnen durch Veranstaltungen und Betreuung;
- Veranstaltungstätigkeit der fünf Klassen.

Die Erhöhung interner Betriebskosten, externe Kosten für Raummieten, die Honorare für die unerlässliche Unterstützung durch freie Mitarbeiter und so weiter erfordern ein neues Nachdenken über Sach- und Projektmittel.

Notwendig sind:

- signifikanter, schrittweiser Stellenaufwuchs;
- erhebliche Aufstockung der Sachmittel,
- Lösung der Standortfrage und
- Lösung des Standorts für das Archiv der Akademie.

Mit drei wichtigen Themenfeldern geht die Akademie derzeit an die Öffentlichkeit:

- Neubewertung der Mitte Europas im Kontext der aktuellen politischen Herausforderungen,
- das Verhältnis von Kunst und Demokratie und
- die Rolle der Künste im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit.

Für 2024 stehen als zentrale Vorhaben beispielsweise auf der Agenda:

- Teilnahme an der Buchmesse Leipzig,
- Kolloquium zum Wiederaufbau zerstörter Städte und Kulturbauten in der Ukraine,
- Digitalität und künstliche Intelligenz in den Künsten,
- Semperpreis,
- Chamisso-Preis und Chamisso-Dozentur

Den Künsten kommt im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs eine herausragende Rolle zu. Die Sächsische Akademie der Künste hat seit ihrer Gründung Visionen entwickelt, Prozesse angestoßen, begleitet und mit maßstabsetzenden Initiativen weithin sichtbare Zeichen für die Öffentlichkeit gesetzt.

Die Akademie hat dies von Anfang an ohne ausreichende Finanzierung getan, in großen Teilen ehrenamtlich und ohne angemessene personelle Ausstattung. Nach 30 Jahren ist es zwingend, diesen Missstand zu beheben. Jetzt ist ein mutiger Schritt nötig, um die Potenziale der Akademie zu entfalten!

Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste,
im Auftrag des Senats und der Mitgliederversammlung vom 10. Oktober 2023
 

Berlin, 16. März 2024

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied, den Komponisten und Musikwissenschaftler Aribert Reimann, der am 13. März 2024 in Berlin verstorben ist.

Nachruf von Franz Martin Olbrisch,
Sekretär der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste

Nur wenige Tage nach seinem achtundachtzigsten Geburtstag verstarb am 13. März 2024 unser geschätztes Mitglied Aribert Reimann. Mit ihm verlässt uns nicht nur einer der profiliertesten Komponisten der Nachkriegsgeneration und ein geschätzter Liedbegleiter, sondern auch und besonders ein engagierter Förderer junger Komponisten.

Reimann, am 4. März 1936 in Berlin als Sohn des Kirchenmusikers Wolfgang Reimann und der Sängerin Irmgard Rühle geboren, wurde quasi schon als Kind in die Welt der Musik und ganz besonders des Gesangs hineingeboren. Schon früh komponierte er Klavierlieder, wirkte später als Korrepetitor an der Städtischen Oper Berlin und studierte gleichzeitig Komposition bei Boris Blacher und Ernst Pepping sowie Klavier bei Otto Rausch.

Als Pianist, Pädagoge und Komponist hat er über Jahrzehnte die Musikwelt prägend mitgestaltet. Besonders seine Liedzyklen und Werke für das Musiktheater sind aus dem heutigen Musikbetrieb nicht mehr hinwegzudenken. Dabei blieb er trotz seiner überragenden internationalen Erfolge stets ein sympathisch-bescheidener Einzelgänger.

Ich selbst hatte Anfang der 1980er Jahre die Freude ihn erstmals persönlich zu treffen. Damals - als er an der Berliner Hochschule der Künste eine Professur für zeitgenössisches Lied antrat - war Reimann schon ein weltberühmter Komponist und Pianist, der so bedeutende Sänger und Sängerinnen wie Dietrich Fischer-Dieskau und Brigitte Fassbaender am Klavier begleitete und mit Opern wie dem Lear bereits Welterfolge feierte. Umso erstaunter war ich, wie unprätentiös er mir und den anderen Studierenden gegenüber auftrat.

Als wir ihn dann in den letzten Jahren mehrfach zu uns an die Dresdner Musikhochschule einluden, hatte sich an dieser Bescheidenheit sowie an der nachdrücklichen Offenheit gegenüber der jüngeren Generation nichts geändert. Bis ins hohe Alter war er stets interessiert an ihren Arbeiten, auch und gerade, wenn sie einer völlig andersartigen Ästhetik entsprangen - eine Offenheit, die nur wenigen Kollegen zu eigen ist. Von diesem Engagement für die nachfolgenden Generationen zeugt nicht nur, aber auch der 1988 von ihm gestiftete Busoni-Kompositionspreis.

Er selbst erhielt während seiner ganzen Schaffensperiode eine Vielzahl von Preisen und Ehrungen, von denen hier nur einige wenige genannt seien: das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland mit Stern (1995), der Ernst von Siemens Musikpreis (2011) oder der Deutsche Musikautor*innenpreis der GEMA für sein Lebenswerk (2024).

In die Sächsische Akademie der Künste wurde Aribert Reimann im August 2002 aufgenommen. An ihren Aktivitäten beteiligte er sich letztmalig am 6. Dezember 2017. Unter dem Titel »Ich möchte die Menschen ein bisschen aufrütteln« sprach Ekkehard Klemm mit Aribert Reimann über dessen Arbeiten und sein Leben.

Aribert Reimann war eine Ausnahmepersönlichkeit. Als Mensch zutiefst sympathisch, der seinen Weg als Komponist unbeirrt und abseits jeder avantgardistischen Modererscheinungen konsequent voranging. Mit ihm verliert die Welt einen der führenden Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts.

Dresden, 13. Februar 2024

Die Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Peter Kulka. Der Architekt war 1996 Gründungsmitglied der Akademie und hat sich immer wieder mit Vorträgen, Ausstellungs- und Wortbeiträgen in die Arbeit der Akademie eingebracht. Er starb im Alter von 86 Jahren am 5. Februar 2024 in Dresden.

Nachruf vonThomas Will, Sekretär der Klasse Baukunst

Peter Kulka war einer der führenden Architekten seiner Generation in Deutschland. Sein Werk hat sich seit den 1980er Jahren immer konsequenter in der Tradition der Moderne entfaltet und diese mit einer zeitgenössischen und über die Zeit hinaus gültigen Sprache angereichert. Die hohe Anerkennung, die seine Arbeit in Berlin, Stuttgart, Hamburg, Köln, München, Potsdam und vielen anderen Städten gefunden hat, gründet in besonderer Weise auf seinem architektonischen Schaffen für Dresden und Sachsen und sie hat auch dorthin zurückgestrahlt.

Peter Kulka wurde am 21. Juli 1937 in Dresden geboren. Seinen Vater, ebenfalls Architekt, verlor er als Siebenjähriger im Krieg. Aufgewachsen ist er in der Siedlung in Dresden-Trachau, die Hans Richter 1927-1928 in funktioneller Sachlichkeit entworfen hatte. Auch die strengen, poetisch minimierten Häuser Heinrich Tessenows in Dresden-Hellerau waren nicht weit – Einflüsse einer aufs Wesentliche reduzierten, exakt durchkomponierten Architektur, die sich im späteren Werk Kulkas immer wieder zeigen sollten – wenn er etwa den Birkenhain, der in Tessenows Landesschule in Klotzsche stand, als Zitat in den Innenhof des von ihm renovierten und erweiterten Deutschen Hygienemuseums pflanzen ließ.

Als Architektensohn musste Kulka zunächst eine Maurerlehre absolvieren, um sich dann den Hochschulzugang auf dem zweiten Bildungsweg über ein Ingenieurstudium an den Bauschulen in Görlitz und Gotha zu erarbeiten. Seine Ausbildung als Architekt erhielt er 1959-1964 an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee bei Selman Selmanagić, einem Schüler Mies van der Rohes, der die Bauhaus-Tradition in der DDR fortzusetzen suchte. Als Absolvent wurde Kulka Mitarbeiter bei Hermann Henselmann am Institut für Typenprojektierung in Berlin, doch schon ein Jahr später flüchtete er aus der DDR und konnte im Büro von Hans Scharoun in Westberlin einsteigen – ein prägendes Kontrastprogramm über vier Jahre. Bald darauf als Freier Architekt etabliert, stand er mit seinen Erfahrungen mit dem Fertigteilbau, die er sich in der DDR erworben hatte, dem Team von Berliner Hochschulabsolventen zur Seite, die sensationell den Wettbewerb für die Reformuniversität Bielefeld gewannen und dann in Büropartnerschaft mit ihm den Bau dieser Megastruktur realisieren konnten (1970–1979). Danach ging Kulka seinen eigenen Weg und weiter nach Westen. Er eröffnete sein Büro in Köln, das er in den 1980er Jahren zusammen mit Hans Schilling betrieb. Schon damals konnte er große und bemerkenswerte Bauten errichten, u.a. in Köln (Maternushaus) und Meschede (Erweiterung der Benediktinerabtei Königsmünster). Seine preußische Strenge sollte sich bald mit der etwas heitereren Version der rheinischen (Post-) Moderne verbinden.

Kulkas eigentliche „Meisterjahre“ aber begannen, als ihn der gewonnene Wettbewerb für den Sächsischen Landtag vom Rheintal zurück ins Elbtal, in seine Heimatstadt Dresden führte. Er gründete hier ein zweites Büro und gab seine Professur für konstruktives Entwerfen, die er seit 1986 an der Technischen Hochschule Aachen innehatte, auf, um sich im Westen und Osten des Landes ganz dem Bauen zu widmen. Als Dauerpendler konnte er wie kaum ein anderer die lange getrennten Bautraditionen in neue, fruchtbare Verbindung bringen. Sein 1991-1997 geplantes Landtagsgebäude wurde bald als „gebaute Inkunabel der Demokratie“ (W. Pehnt) eingeschätzt, es repräsentiert in überzeugender Weise den Aufbruch des Freistaats Sachsen in ein neues Selbstbewusstsein und Selbstverständnis, transparent, offen zur Stadt und zur Landschaft, einladend für Besucher (es gibt keine Bannmeile). Zugleich ist der Bau in die Architekturgeschichte eingegangen: Als ein Schlüsselwerk der „Zweiten Moderne“ steht es für eine neue Einfachheit, mit der die Sprache der klassischen Moderne neu entdeckt wurde: nun nicht mehr als Dogma, sondern als Ausdrucksmittel einer reflektierten Modernität ohne heroische Gesten, einer Architektur von „Minimalismus und Sinnlichkeit“, wie eine große Werkschau Kulkas im Deutschen Architekturmuseum betitelt war. Für Dresden hat sich der Bau als Glücksfall erwiesen. Er vermochte wie kein anderer, der zeitgenössischen Architektur Ansehen und breite Zustimmung auch in der „Barockstadt“ zu verschaffen. Er wurde mittlerweile zum jüngsten Kulturdenkmal Sachsens erklärt, doch ist er kein monumentales, sondern ein filigranes, transparentes Haus der parlamentarischen Demokratie, direkt am Ufer der Elbe gelegen, ein Teil des Flussraums, den der Architekt noch unlängst bei der Vorstellung seines Erweiterungsprojekts treffend als die eigentliche Hauptstraße Dresdens bezeichnete: „Eine schönere kriegen wir nicht!“

Kulkas zunehmend umfangreiches Werk, das schon lange international Beachtung fand, leistete insbesondere für die bauliche Entwicklung Dresdens einen wichtigen Beitrag. Stets wird bei der besorgten Frage, wie im historischen Zentrum der Stadt erfolgreiche neue Architektur bestehen könne, sein Landtagsneubau als herausragend positives Beispiel für eine zeitgenössische Fortsetzung der großen, aber untergegangenen Bautradition genannt. Die moderne Architektur, deren Ansehen im Osten Deutschlands und besonders in Dresden durch ihre politische Indienstnahme und ideologisch-ökonomische Verengung nachhaltig beeinträchtigt war (und teils noch immer ist), hat durch Kulka, den „Architekten einer neuen Einfachheit“ (H. Klotz), ihren für Dresden wichtigsten neuen Vertreter gefunden. Vielleicht ist das kein Zufall, denn seine Biographie ist mit der deutsch-deutschen (Bau)-Geschichte paradigmatisch verwoben. Mit der Arbeit, die er mit seinen Büros in Dresden und Köln leistete, ist er zu einem Architekten geworden, der im Werk wie im Leben die deutsche Teilung überwunden hat.

Neben seiner praktischen Arbeit war Kulka in vielfältiger Weise für die Vermittlung von Baukultur tätig: als Hochschullehrer, als Fachberater und gefragter, mitunter auch gefürchtet strenger und überzeugungsmächtiger Gutachter, so u. a. als Vorsitzender des Gremiums bei herausragenden Wettbewerben (Fußballstadion München, BMW-Erlebniszentrum München), als Mitglied der Gestaltungsbeiräte mehrerer Städte sowie des Präsidiums im Konvent der Bundesinitiative Baukultur.

In Dresden wurde Kulka nicht nur ein wichtiger Vertreter der Architektenschaft, sondern auch Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Diese sollte keine Honoratiorenversammlung werden, sondern eine Arbeitsakademie, und in diesem Sinn hat Kulka sich auch bis zuletzt als Mitglied der Klasse Baukunst mit Beiträgen engagiert – so noch ruhelos und energisch wie immer eine Woche vor seinem plötzlichen Tod. 1996 wurde er auch in die Berliner Akademie der Künste berufen, 2010 in die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste.

Für sein gebautes Werk und für seine Arbeit als politisch denkender Anwalt seines Berufsstandes und unerschrockener Kritiker und Mahner im Diskurs über das Bauen hat Peter Kulka zahlreiche weitere Ehrungen und Preise erhalten. Die Fakultät Architektur der TU Dresden verlieh ihm 2006 die Ehrendoktorwürde „für seine künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Architektur, seine Verdienste um die Baukultur in Deutschland und sein fachpolitisches Engagement für das Berufsfeld des Architekten im wiedervereinigten Deutschland.“ Zu der fast unübersehbaren Serie von Auszeichnungen zählen der Deutsche Architekturpreis (1995), die Heinrich-Tessenow-Medaille (1996), der Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau (1998) und der Sächsische Staatspreis für Baukultur (2015).

Bereits 2005 wurde das Werk Peter Kulkas mit einer Ausstellung, die ihm das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main widmete, umfassend gewürdigt. Wenn es einen gemeinsamen Nenner dieser Arbeiten gibt, so ist es der Bezug auf die Tradition der Moderne. Doch anders als die klassische Moderne und ihre Nachkriegsvertreter, die sich gerne in freier Form und auf freiem Feld vom Ballast der Geschichte distanzierten, baute Kulka meist im Bestand. Er arrangierte sich beim Umbauen, Integrieren und Ergänzen erfindungsreich mit dem Vorhandenen, manchmal mit kühner Logik, oft mit spröder Abstraktion, seit langem aber vor allem mit einfühlsamen Neuinterpretationen und auch mit deutlicher Zurücknahme, wo es die Aufgabe verlangte (Alter Hof in München, Haus des Gastes in Moritzburg, Hochwasserschutzbauten am Dresdner Theaterplatz).

Während zu Beginn seiner über mehr als fünf Jahrzehnte währenden Schaffenszeit die Planung einer funktionalistisch-technoiden Großstruktur auf der grünen Wiese stand (Universität Bielefeld), war Kulka später, wie ein Kritiker es schön formulierte, durch die „rheinische Postmoderne“ gegangen und orientierte sein Werk an den Qualitäten der Orte und des Bestands, ohne sich freilich formal anzupassen. Immer häufiger ging es dabei um wertvolle Baudenkmale, vor allem in den östlichen Bundesländern, so im Konzerthaus Berlin (dem ehemaligen Schauspielhaus von Schinkel), bei der Galerie für zeitgenössische Kunst in der Villa Herfurth in Leipzig und beim Umbau des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden, aber auch anderswo (Villa Bosch in Stuttgart).

Von 2004 an war Kulka beim Wiederaufbau des Ostflügels des Dresdner Residenzschlosses mit seinen künstlerisch und denkmalpflegerisch wohl anspruchsvollsten Bauaufgaben betraut. Als er den Wettbewerb für die Überdachung des Kleinen Schlosshofes mit einer technisch und formal höchst ungewöhnlichen, aber logischen Lösung gewonnen hatte, war die Denkmalpflege zunächst sehr besorgt: Würde die in Teilen erhaltene Renaissancearchitektur durch einen kaum zu bewältigenden Eingriff verunstaltet? Ich meinte damals, man dürfe die Erfolgsaussichten ruhig daran bemessen, was der Entwurfsverfasser schon geleistet hat. Dann könne man darauf vertrauen, dass es gut würde – andernfalls würde er es gar nicht ausführen oder so lange daran arbeiten, bis es seinen Ansprüchen genügte. Das hat sich bewahrheitet. Während man in der Stadt nach der erfolgreichen Rekonstruktion der Frauenkirche das Trauma der Zerstörung weiterhin mit dem Bau von Erinnerungsbildern zu kompensieren suchte, setzte Kulka eine fein gesponnene Luftkissen-Haube über den Kleinen Schlosshof. Das war nicht nur konstruktiv kühn, sondern bewies sein Festhalten an den Errungenschaften moderner Baukunst auch in Zeiten, in denen die Vergangenheit immer mehr Anhänger fand. Er blieb bei seinem bewussten Bekenntnis zu einer konstruktiven Formensprache der Gegenwart, geradezu demonstrativ unterstrichen bei seinem eigenen Dresdner Wohnhaus, das er 2015 als streng kubischen Monolithen zwischen Gründerzeitfassaden setzte.

Wir erinnern Peter Kulka als einen leidenschaftlichen und rastlosen Architekten mit einer klaren Haltung, die er auch selbstbewusst und sprachmächtig vorzutragen wusste. Er konnte dabei provokant und manchmal auch verletzend sein, aber seine Unnachgiebigkeit in künstlerischen Fragen hat ihm andererseits eine persönliche Glaubwürdigkeit und Autorität geschaffen, die vieles ermöglicht hat, was eigentlich undenkbar schien. Dabei folgte er keiner Dogmatik, schon gar nicht einem zur Routine gewordenen Personalstil. Sogar mit dem historisierenden Wiederaufbau der Fassade des Potsdamer Stadtschlosses für den Brandenburger Landtag konnte er sich abfinden, solange er im Innern umso kompromissloser minimalistische (und preußisch sparsame) Räume realisieren durfte.

Nun ist der einstige Maurergeselle aus Dresden-Friedrichstadt nach einer über fünf Jahrzehnte umfassenden Schaffensperiode im Alter von 86 Jahren in seiner Geburtsstadt Dresden verstorben. Als charismatischer und kämpferischer Architekt hat er für die Baukultur des Landes und seiner Stadt gültige Anstöße und Qualitätsmaßstäbe gesetzt. Dresden hat einen großen, einen kantigen und zugleich feingeistigen Baukünstler verloren, einen streitbaren Demokraten, den Schöpfer des bedeutendsten modernen Bauwerks der Nachwendezeit in der Stadt. Die Ausführung seines Erweiterungsbaus am Landtag hat er nicht mehr erlebt, aber er hat die Pläne als Vermächtnis hinterlassen.

 

Berlin, Januar 2024

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr langjähriges Mitglied Elke Erb. Sie starb am 22. Januar 2024 mit 85 Jahren in Berlin.

Nachruf von Peter Geist

Die Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste berief sie am 17. Juni 2000 zum Ordentlichen Mitglied. Elke Erb brachte sich, solange es ihre Kräfte zuließen, engagiert und inspirierend in das Akademie-Leben ein, so 2001 bei der tschechisch-deutschen Autorentagung »Die deutschsprachige Literatur der Prager Moderne« im Goethe-Institut Prag, 2003 bei einem Autorentreffen der Akademie aus Anlass der Buchmesse in Basel, bei der Paul-Fleming-Würdigung 2009, bei dem Übersetzertreffen 2013 in Hradec Králové oder beim deutsch-tschechischen Literaturfestival »Poesie in Bewegung - Zur Medialität und Übersetzbarkeit von Lyrik« 2017 in Liberec.

Worin besteht das Unverwechselbare des Erbschen Œuvres? Ann Cotten hat es in ihrem Text »Das Staunen und die Unschuld und die Macht und die Einsamkeit« dergestalt umschrieben: »der Erbʼsche Kosmos [wird] zu einem Phänomen wie jene Schultafel-Feenwelt, wo alles, was je auf die Tafel geschrieben wurde, im Unendlichen, Dunklen […] herumspukt. In diesem Fall ist es die Dunkelheit der gerade nicht aufgeschlagenen Seiten der Bücher. Dort lagert, fein ausgezogen wie ein Strudelteig, der Text der Auslegung ebenso wie der schwerere, süßere Text der Fülle der Poesie.«

Es sind alltägliche Verrichtungen vom Spaziergang bis zum Abwasch, gegenständliche Umgebungen vom Holzzaun bis zum Rehbraten, die durch die Art und Weise ihrer sprachlichen Einkreisung und Benennung zu etwas Besonderem werden. Mit Raffinesse unterwandert sie dabei billig zu habende Naturalismen. Elke Erb ist in ihren Prosa-Miszellen, Tagebuchnotizen, vor allem natürlich in ihren Gedichten eine Verwandlerin, ja: Eine Verzauberin. Ganz und gar autochthon und einzigartig in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik, vergleichbar in ihrem Schreib-Werk höchstens den Texten ihrer Kollegin und Freundin Friederike Mayröcker. 1981 nahm sie in dem bemerkenswerten Vortrag »Von Arendt bis Anderson« analytisch und ahnungssicher neue Bewegungsrichtungen in der DDR-Lyrik in Augenschein, die nicht zuletzt ihre eigenen Maximen berührten. »Erstens: eine Verschärfung der semantischen Konturen. Zweitens: eine Entfaltung und Verselbständigung des Spielerischen. Das bedeutet eine Freisetzung und Entgegensetzung nicht integrierter und nicht einzuordnender Realität, des Klangs oder der lexikalischen Assoziation, des Schriftbildes oder der Bedeutung, gegen ein verantwortungslos lineares, aggressiv totalitäres Verständnis. Oder anders gesagt: Eine spielerisch willkürliche Bevorzugung des Unwillkürlichen und Unterdrücktgewesenen. Drittens: Die Aufnahme alltäglicher, nicht literarisierter Realität als Zitat oder Thema, mit oder ohne Umgebung von anderem Text, als dunkle Größe, d. h. nicht zur Parabel oder zum Dienst als Symbol.«

Elke Erb war nicht nur hochgeachtet bei ihren Kolleginnen und Kollegen etwa der »Sächsischen Dichterschule«, sondern, erstaunlicherweise über mehrere Generationen hinweg, bei jüngeren Dichterinnen und Dichtern. In den siebziger/achtziger Jahren stand sie den Lyrikrebellen vom »Prenzlauer Berg« zur Seite, die sie mit der von ihr besorgten grandiosen Anthologie »Berührung ist nur eine Randerscheinung. Neue Literatur aus der DDR« (Mit Sascha Anderson) 1985 überhaupt erst in das Licht deutschlandweiter Aufmerksamkeit rückte. Seit den neunziger Jahren beriet und förderte sie die nachrückenden Lyriker und Lyrikerinnen wie Ann Cotten, Monika Rinck, Uljana Wolf, Steffen Popp, Daniel Falb, Hendrik Jackson u.a. Wo sie ein außergewöhnliches Talent wahrnahm, gab sie freizügig von ihrem Erfahrungsreichtum weiter, lektorierte und ermutigte.

»Der Faden der Geduld« war Elke Erbs zweite eigenständige Publikation mit Prosatexten übertitelt. Sie spann den Lebens-, den Schreibfaden nicht einfach nur weiter, sondern verdrillte, verknäulte, verwob ihn so, dass gestalteter Stoff die Sinne des Betrachters berühren konnte.

Essentiell war dabei stets auch der materiale Aspekt der Sprache: Schriftgrößen und -typen, die verräumlichende Verteilung der Worte auf der Seite, das Ineinandergreifen von Gedichttext und Kommentar – all dies mag an die Figurengedichte des Barock oder die Konkrete Poesie erinnern. Der entscheidende Unterschied zu diesen Spielformen der Poesie besteht allerdings darin, dass im Mittelpunkt ihres Insistierens stets die Balance zwischen Textleben und Lebenstext steht. Es nimmt nicht Wunder, dass beinahe abwechselnd ihre Gedichtbandtitel auf textuelle Organisationsformen (»Gutachten«, »Vexierbild«, »Winkelzüge«, »Sonanz«) oder auf Lebensweltlichkeiten (»Kastanienallee«, »Unschuld, du Licht meiner Augen«, »Nachts, halb zwei, zu Haus«, »Mensch sein, nicht«, »die crux«, »Meins«) verweisen. Eine der Haupteigenschaften der Poetin, im Leben wie in der Poesie, ist immer das Wundern - »Ich höre nicht auf mich zu wundern« - und Staunenkönnen gewesen: Elke Erb: »Das Staunen ist nichts anderes als ein ungehindertes Wahrnehmen und Ermessen. Das nichts Absprechendes, Einschränkendes, nichts erledigend Einordnendes zu gewärtigen hat. Mit der Lust des Staunens gepaart ist die, daß es ihm gelingt zu entkommen, ehe die in ihm aktuelle Intelligenz Schaden genommen hat.« Dieses Staunenkönnen kam auch ihren Nachdichtungen besonders aus dem Russischen zugute: Von Achmatowa, Jessenin, Jurjew, Martynova, Pasternak, Schwarz bis zur Zwetajewa – Elke Erb hat diese Tätigkeit genau und so genommen wie die Arbeit an ihren eigenen Texten: Auf Präzision bedacht und auf das Lebendigwerden der Sprache.

In »mein Hineingedachtes zu Elke Erb« in der von Brigitte Struzyk und Richard Pietraß besorgten Festschrift zum 60.Geburtstag der Dichterin 1998, schreibt Friederike Mayröcker treffend und bündig: »Dasz sie I grosze Phantasie Faҫon hat, wissen wir alle.«

Unsere Trauer gilt einer Poetin hohen Ranges und generationsübergreifender Wirksamkeit.

 

 

Dresden, 11. Januar 2024

Das vom 13.-15. Januar 2024 geplante Festival Messiaen-Tage in Görlitz/Zgorzelecwird aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln abgesagt. Ekkehard Klemm, Professor für Dirigieren, Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden und Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste äußert sich zu dieser Absage in dem folgenden Statement.

Die Absage des Festivals der Messiaen-Tage ist ein fatales kulturpolitisches Signal mit einer tragischen Pointe – war es doch das „Quatuor pour la fin du temps“, das „Quartett für das Ende der Zeit“, das als Nukleus des Festivals gelten kann und nun womöglich das Ende einer der kreativsten Ideen der Musikszene der letzten zehn Jahre einläutet. Das berühmte Quartett wurde nicht in einem beheizten Arbeitszimmer entworfen, sondern in einem Straflager der Nazis. Dort hat es der Gefangene Olivier Messiaen komponiert, es wurde mit den vorhandenen Instrumenten in Waschräumen geprobt und die Uraufführung fand am 15. Januar 1941 vor etwa 400 Kriegsgefangenen statt.

Die Geschichte dieses eindrücklichen Dokuments kreativer Energie vor dem Hintergrund der Finsternis des totalitären Regimes der Nationalsozialisten nahm der Theaterpädagoge und Dramaturg Dr. Albrecht Götze zum Ausgangspunkt seiner Idee, den Meetingpoint Messiaen als eine Begegnungsstätte zwischen Menschen, Künstlerinnen und Künstlern aus Ost und West zu gründen. Direkt im Zentrum Europas, an der Grenze zwischen Polen und Deutschland. Dort entstand auch ein Neubau für kulturelle Begegnungen auf dem Territorium des ehemaligen Straflagers auf polnischer Seite. Die Idee wurde Wirklichkeit, die Einweihung des Zentrums und das Festival der Messiaen-Tage konnte der Gründer nicht mehr erleben, er verstarb 2015. Der inzwischen gegründete Verein setzte sein Werk unter Leitung von Frank Seibel fort und engagierte sich nicht nur für das Kulturzentrum, sondern war auch maßgeblicher Unterstützer der Rekonstruktion eines bedeutenden Bauwerks des jüdischen Bürgertums, das inzwischen als „Kulturforum Görlitzer Synagoge“ zu einer Pilgerstätte für ambitionierte Veranstaltungen, Diskussionsforen und Ausstellungen geworden ist.

Die Messiaen-Tage Görlitz waren mehr als ein übliches Klassik-Festival. Sie sind (waren?) ein kreativer Impuls, mit neuer Kunst, neuen Formaten und kontrastreichen Diskussionsforen die neu entstehende Mitte Europas auszuloten, die einerseits im Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien ihr Zentrum hat, andererseits durch die politischen Ereignisse des russischen Angriffs auf die Ukraine immer weiter nach Osten verschoben wird und Gestalt gewinnt. Politik und Kultur diskutieren seit Jahrzehnten über die Konsequenzen dieser Entwicklung. Erinnernd an einen Essay Milan Kunderas aus dem Jahr 1984 beschäftigt sich auch die Sächsische Akademie der Künste seit längerer Zeit mit dem Thema und hat aus Anlass des Krieges gegen die Ukraine auf der Leipziger Buchmesse 2023 mit verschiedenen Veranstaltungen reagiert, zu denen insbesondere auch Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine und Polen geladen waren.

Die Messiaen-Tage in Görlitz/Zgorzelec waren seit 2017 die zarte Pflanze eines neuen Denkens, das mit künstlerischen Mitteln an Gewalt und Vertreibung erinnerte, dabei nicht auf Bewährtes zurückgriff, sondern internationale Gäste in die neue Mitte Europas holte, um damit ein neues, junges Publikum zu erreichen, Menschen aus Polen, Tschechien und Deutschland zusammenzuführen, die diese neue Mitte täglich gestalten und formen.

Die Ablehnung von Projektmitteln hat den Impuls der Messiaen-Tage nun zum Erliegen gebracht. Was für ein Menetekel für die Kulturlandschaft der Region. In einer Zeit größter Verwerfungen innerhalb unserer Gesellschaft wird ein Festival, das mit neuen Mitteln und mit Foren der Begegnung vielfältig an die Gewalt des Dritten Reiches erinnert, zur Aufgabe gezwungen. Sollte es Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikern nicht vielmehr darum gehen, diesen Impuls auf sichere Beine zu stellen und die finanzielle Basis zu schaffen für die solide Weiterentwicklung einer nicht nur kreativen, sondern vor allem existenziell wichtigen Idee, die Erinnerung an Gewalt und Gefangenschaft mit dem Aufbruch zu neuen künstlerischen Formaten zu verbinden?

 

2023

Dresden, 9. November 2023

Feindbilder zu suchen, sich gegen »das Andere« zu wenden, um vermeintlich so die eigene Identität zu behaupten oder die eigenen Ansprüche durchzusetzen treibt die Menschen stets aufs Neue zu entsetzlicher Gewalt. Für uns Deutsche genügt der Blick zurück in die Abgründe des Nationalsozialismus und seine Folgen, um zu sehen, wohin blinder Hass führt. Weder die Errungenschaften unserer Zivilisation noch unsere Kultur haben uns davon abgehalten, einen Weltkrieg anzuzetteln, Millionen von Menschen zu ermorden, das jüdische Volk vollständig vernichten zu wollen. Auch auf uns, so steht zu befürchten, ist kein sicherer Verlass, wie die jüngsten antisemitischen Vorfälle zeigen, die nicht nur die Jüdinnen und Juden, sondern auch unsere demokratische Rechtsordnung in Gefahr bringen!
Die katastrophale Gewaltexplosion ist durch den Angriff der Hamas auf Israel ausgelöst. Dieser terroristische Vernichtungsangriff ist unentschuldbar. Alles hat seine Zusammenhänge, aber nichts rechtfertigt diese mörderischen Handlungen, die nur noch mehr Tod und Verwüstung nach sich ziehen. Ein Angriffskrieg kann keine Lösung sein, sondern ist immer der Beginn neuen Unheils. Israel hat das Recht, sich zu verteidigen und doch müssen alle unmittelbar und im Weiteren in diesem Konflikt beteiligten Parteien darauf hinwirken, die Kampfhandlungen so schnell als möglich zu beenden, um auf diplomatischem Wege nach friedlichen Lösungen im Rahmen des Völkerrechts zu suchen.
Gegenseitiger Respekt und Achtung vor den anderen sind Bedingungen für ein humanes Zusammenleben auf dieser Erde, eine Forderung, die allererst an uns selbst gerichtet ist. Wir müssen sie von denen einfordern, die sie verweigern.

Wolfgang Holler
Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

Die Sächsische Akademie der Künste unterstützt den Aufruf der Freien Akademie der Künste Hamburg, verfasst von Wolfgang Hegewald: »[...] Wer sich, wie wir, nicht vorstellen mag, dass abermals Jüdinnen und Juden aus Sorge um ihr Leben unser Land verlassen, muss dies jetzt laut bekennen, mit allen Mitteln, über die er verfügt - mit Aufmerksamkeit und Zivilcourage, Takt und Empathie, öffentliche Rede und Begegnungen [...]«

 

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr am 26. Juli 2023 im Alter von 96 Jahren verstorbenes Mitglied, den Schriftsteller Martin Walser.

Martin Walser zum Gedenken

Nachruf von Friedrich Dieckmann

Martin Walser ist einer der sprachmächtigsten und geistreichsten, scharfsichtigsten und unerschrockensten Autoren, die die deutsche Literatur hervorgebracht hat. Die Sächsische Akademie der Künste hat ihn bald nach ihrer Gründung zum Mitglied gewählt, sie tat es im Blick auf seine nicht nur im Romanwerk manifeste Verbundenheit mit der mitteldeutschen Kulturlandschaft; in publizistischen Äußerungen Mitte und Ende der achtziger Jahre hatte er zum Entsetzen eines Großteils der westdeutschen medialen und literarischen Szene auf der Unhaltbarkeit einer dauerhaften Teilung Deutschlands insistiert.

Die Trauer über den Tod dieses bis ins hohe und höchste Alter aktiven Schriftstellers, in dessen geistigem Kosmos die Liebe in all ihren Schattierungen und Konflikten, Verhängnissen und Beglückungen eine zentrale Rolle spielte, mahnt uns, ihn mehr und wieder zu lesen, auch und gerade seine Essays zu Literatur und Zeitgeschichte, die in zahlreichen Sammelbänden zur Hand sind. Ein auf Fehlleistungen erpichter Zeitgeist arbeitete sich von Zeit zu Zeit an seiner Gestalt ab, aber seine fundamentale Lebensheiterkeit ließ sich niemals ins Bockshorn jagen; die Behauptung der Freiheit bestimmte sein Werk bis in seine späten Tage.

Die Sächsische Akademie der Künste gedenkt seiner mit Dankbarkeit und Trauer.

Dresden, 13. Juni 2023

Die Sächsische Akademie der Künste hat auf ihrer letzten Mitgliederversammlung 12 neue Mitglieder in den Sparten Baukunst, Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Film und Musik gewählt, die Hälfte davon Frauen. Die Akademie hat damit derzeit 176 Mitglieder. Gewählt wurden Sigrid Brandt, Krista Kodres (Baukunst), Christiane Baumgartner, Christian Macketanz, Hans-Christian Schink (Bildende Kunst), Katharina Christl, Harriet Maria Meining, Peter Meining, Patrick Primavesi, Maxim Didenko (Darstellende Kunst und Film), Oksana Lyniv und Sergej Newski (Musik). Die Urkundenübergabe und Vorstellung der neuen Mitglieder erfolgt auf der bevorstehenden Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste am 17. Juni 2023.
Die ausgewiesenen sowohl künstlerisch als auch kunsttheoretisch aktiven neuen Mitglieder stammen aus dem mitteldeutschen Kulturraum bzw. haben durch Werk oder Biografie einen engen Bezug zum sächsischen Kulturraum. Bei der Wahl von Korrespondierenden Mitglieder aus den mittel- und mittelosteuropäischen Nachbarländern galt das Augenmerk Künstlern, die den unabhängigen künstlerischen Szenen und jüngeren Generationen verbunden sind. Korrespondierende Mitglieder sind Sigrid Brandt (Salzburg), Krista Kodres (Tallinn), Maxim Didenko (St. Petersburg, jetzt Berlin), Oksana Lyniv (Lviv/Düsseldorf); Sergej Newski (Moskau, jetzt Berlin).
Als neue Partner der Zusammenarbeit repräsentieren die zugewählten Mitglieder neue Entwicklungen in den Künsten und stärken die Akademie als Ort des kulturellen Dialogs insbesondere mit den mitteleuropäischen Nachbarn. Eine Verjüngung und Vergrößerung des Frauenanteils in ihrer Mitgliedschaft wird auch weiterhin eine große Rolle bei den Wahlen neuer Mitglieder spielen.

Klasse Baukunst

Sigrid Brandt, Musikwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin, geb. 1968 in Riesa
2012–2021 Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland, seit 2016 assoziierte Professorin an der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät, Abteilung Kunstgeschichte, lebt in Salzburg

Krista Kodres, Kunsthistorikerin, geb. 1957 in Tallinn
Professur an der Estnischen Akademie der Künste, Institut für Kunstgeschichte und Visuelle Kultur, Chefredakteurin der sechsbändigen Kunstgeschichte Estlands, Leiterin zahlreicher Forschungsprojekte zur Geschichte der Kunstgeschichte Estlands, lebt in Tallinn

Klasse Bildende Kunst

Christiane Baumgartner, Bildende Künstlerin, Grafikerin, geb. 1967 in Leipzig
seit 1995 Atelier auf der Leipziger Spinnerei, Gastdozenturen in London, New York, Chicago, Wellesley, Rhode Island, Hanoi und Harvard und Vertretungsprofessur für künstlerische Lehre an den Druckwerkstätten der HGB Leipzig, lebt in Leipzig

Christian Macketanz, Maler, geb. 1963 in Eutin
bis 1994 in Wien, 1995–2001 in Rom und 2001–2010 in Berlin lebend und arbeitend, seit 2010 Professur für Malerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, lebt in Dresden

Hans-Christian Schink, Fotograf, geb. 1961 in Erfurt
Teilnahme an internationalen Projekten, u.a. 2009 European Eyes on Japan/Japan Today Vol. 11, letzte Ausstellung: Unter Wasser, Galerie Rothamel, Frankfurt am Main 2023, lebt in Lindetal/Mecklenburg-Vorpommern

Klasse Darstellende Kunst und Film

Katharina Christl, Tänzerin und Choreografin, geb. in Dresden
1990–1996 Studium Moderner Tanz an der Palucca Schule Dresden/Hochschule für Tanz, Engagements in Belgien, Frankreich und Deutschland, Diplom als Tanzlehrerin, ab 1998 zugleich freischaffende Choreografin, zahlreiche Gastdozenturen weltweit, seit 2015 Professorin für Choreografie an der Palucca Hochschule für Tanz Dresden, lebt in Dresden

Harriet Maria Meining, Regisseurin, Filmemacherin, Produzentin, geb. 1967 in Cottbus
ab Mitte der 1980er Jahre in der alternativen Kunstszene aktiv, Studium der Malerei und Neuen Medien an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden, Stipendiatin und Meisterschülerin bei Lutz Dammbeck, seit 1993 Zusammenarbeit mit Peter Meining, 1995 Gründung von norton.commander.productions, 2018 Gründung der Filmproduktionsfirma MauserFilm GbR, lebt in Dresden

Peter Meining, Filmemacher, Regisseur und Produzent , geb. 1971 in Dresden
ab 1988 in der alternativen Theaterszene Ostdeutschlands aktiv, ab 1991 in der Europäischen Werkstatt für Kunst und Kultur Hellerau e.V./am Europäischen Zentrum der Künste Hellerau aktiv, seit 1993 Zusammenarbeit mit Harriet Maria Meining, 1995 Gründung von norton.commander.productions, 2018 Gründung der Filmproduktionsfirma MauserFilm GbR, lebt in Dresden

Patrick Primavesi, Theater- und Tanzwissenschaftler, geb. 1965
seit 2008 Professor für Gegenwartstheater und Theatergeschichte an der Universität Leipzig, Institut für Theaterwissenschaft, seit 2017 geschäftsführender Direktor und Direktor des Tanzarchivs Leipzig e.V., Gastdozenturen und -professuren weltweit, lebt in Frankfurt am Main und Leipzig

Maxim Didenko, Regisseur, Choreograf und Schauspieler, geb. 1980 in Omsk
2004–2009 Schauspieler am Tanztheater-Ensemble DEREVO St. Petersburg/Dresden, ab 2007 Zusammenarbeit mit dem russischen Ingenieurstheater AKHE und dem Zentrum für Zeitgenössische Kunst DAKH in Kiew, seit 2010 Arbeit als Regisseur, Leitung von Meisterkursen, u.a. in St. Petersburg, Kiew, Moskau, Omsk, Prag, Chicago, lebt in Berlin

Klasse Musik

Oksana Lyniv, Dirigentin und Musikforscherin, geb. 1978 in Brody/Ukrainische SSR
Aufbaustudium bei Ekkehard Klemm an der Hochschule für Musik Dresden, Meisterkurse u.a. bei Hartmut Haenchen, Kurt Masur, Peter Gülke, Dirigentin an der Bayerischen Staatsoper, Chefdirigentin der Grazer Oper und des Grazer Philharmonischen Orchesters, Gründung des Internationalen Festivals der klassischen Musik LvivMozArt sowie des Ukrainischen Jugend-sinfonieorchesters, 2021 Dirigentin bei den Bayreuther Festspielen, 2021 Gründung der Musik-forschungsinitiative „Mozartiana Galicia“, seit 2022 Generalmusikdirektorin des Teatro Comunale di Bologna, lebt in Düsseldorf

Sergej Newski, Komponist, geb. 1972 in Moskau
Studium im Fach Komposition an der Hochschule für Musik Dresden bei Jörg Herchet, an der Universität der Künste (UdK) Berlin bei Friedrich Goldmann, bis 2000 dessen Meisterschüler, Studium im Fach Musiktheorie an der UdK Berlin bei Hartmut Fladt, Leitung von Meisterkursen für Komposition sowie Gastvorlesungen weltweit, Kurator bei der Project Platform des Zentrums für Zeitgenössische Kunst Vinzawod Moskau, Leitung von Workshops für neues Musiktheater am Meyerhold-Zentrum in Moskau, lebt in Berlin

 

Dresden, 8./9. Juni 2023

Die Sächsische Akademie der Künste verleiht den diesjährigen Hans Theo Richter-Preis für Zeichnung und Graphik dem japanischen Künstler Rikuo Ueda. Der Hans Theo Richter-Preis wird in Zusammenarbeit mit der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vergeben. Er ist mit 20.000 Euro dotiert.

Die öffentliche Übergabe des Preises an den 1950 in Osaka geborenen Künstler ist für den Herbst 2023 geplant. Sie soll mit einer Ausstellung und einer Aktion in Zusammenarbeit mit dem Kupferstich-Kabinett Dresden verbunden werden.

Rikuo Ueda arbeitet gattungsübergreifend als Installationskünstler, Zeichner und Druckgrafiker. Im Mittelpunkt stehen seine im Rahmen einer Aktion entstandenen Zeichnungen, die jedoch nicht unmittelbar vom Künstler auf das Papier oder andere Bildträger gezeichnet werden. Vielmehr nutzt er die Kraft des Windes, dessen Bewegung mit einfachen, aber auch mit ausgetüftelten Apparaturen des Künstlers auf das Papier übertragen wird.

„Ueda hat dem Repertoire der Zeichenkunst eine völlig neue, gattungsübergreifende Dimension hinzugewonnen“, sagt Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste. Auch der Künstler Max Uhlig, Mitglied der Klasse Bildende Kunst der Sächsischen Akademie der Künste, kennt und schätzt seit Jahren Uedas Werk: „Ich bin fasziniert und magisch angezogen von seinen Arbeiten, Wirkkraft der Natur; Wind, gelenkt direkt in Zeichnung zu transformieren, trotzdem das Unnachahmliche des Zufalls zu erhalten“.

Zur Arbeit von Rikuo Ueda

Rikuo Ueda agiert weltweit. Er plant seine Arbeiten mit Blick auf die jeweilige klimatologische Situation und Ortsbeschaffenheit und entwirft jeweils ein mehr oder weniger kompliziertes „Zeichengerät“ zur Übertragung der Windkraft. Dafür baut er aufwändige Konstruktionen aus Holz, Metall, mit Rollen oder Windsegeln, nutzt aber ebenso ganz einfache Möglichkeiten wie vom Wind bewegte Äste oder Zweige, an die er Zeichengeräte heftet. Seine beweglichen Zeichenapparate wirken wie Seismografen, die jede Regung des Windes notieren. Viele seiner erfindungsreichen Bauten sind selbst künstlerische Findungen, wirken wie Versuchsanordnungen und zeugen von einfallsreichem, konstruktivem Geschick.

Als Zeichen- und Malgeräte können Tintenstifte ebenso dienen wie Wachsmalstifte, manchmal einzeln, manchmal mehrere zugleich; aber auch Pinsel werden eingesetzt oder in Tinte getauchte Wattebäusche, Geäst oder Zweige samt reifer Beeren, die über das Papier streifen können. Das Ergebnis der immer neuen Arrangements ist unvorhersehbar und hängt von der Intensität und Dauer des einwirkenden Windes ab, vom gewählten Standort, der Jahreszeit und den gewählten Zeichenmitteln und Bildträgern. Zufall und Lenkung sind die Parameter für die in ihrer Weise einzigartigen „Windzeichnungen“. In ähnlicher Weise entstehen auch grafische Blätter, bei denen der Künstler eine Radiernadel vom Wind bewegt über die Kupferplatte kratzen lässt.

Ueda verbindet in seinem Schaffen Merkmale der Aktionskunst, konzeptueller Vorstellungen, der Land Art und der Objets trouvés, aber auch der japanischen Kalligraphie. Er materialisiert durch seine Arbeit den flüchtigen Wind, der vom lauen Lüftchen zum tosenden Sturm werden kann. Dabei thematisiert er in seinen Schöpfungen in besonderer Weise die Veränderlichkeit von Intensität, insistierender Wiederholung und die Bedeutung von zeitlicher Dauer. (Wolfgang Holler)

Zur Person

Rikuo Ueda, geboren 1950 in Osaka, Japan, Technikstudium in Osaka, zahlreiche internationale Ausstellungen und Preise, Werke in öffentlichen und privaten Sammlungen, vertreten von Mikiko Sato Galerie Hamburg, lebt und arbeitet in Osaka, Japan.

Einzel- und Gruppenausstellungen (Auswahl)

2023 LEERE/FÜLLE II Installation auf dem Putbuser Rondellplatz „Circus“ ab 17.6.2023, LEERE / FÜLLE I Circus eins, Putbus (bis 30.4.2023)
2022 Up in the Air (Welt in der Schwebe), Kunst Museum Bonn; Linking Transformations, Stadt Galerie Kiel; Paper Positions Berlin; Solo Exhibition, Gallery Irohani Osaka
2021 CROSSING BORDERS, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett; on line discuss, Pinakothek München; utakata – Die Unbeständigkeit des Moments, Mikiko Sato Gallery Hamburg; Solo Exhibition, Gallery Irohani Osaka
2018 Letter, Kunst-Station Sankt Peter Köln
2017 Nach der Natur, Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg v.d. Höhe
2015 DISEGNO - Zeichenkunst für das 21. Jahrhundert, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Dresden
2006 Das Wind Haus, Ernst Barlach Haus, Hamburg

Öffentliche Sammlungen

Staatliche Graphische Sammlung München; Staatliche Kunstsammlungen Dresden - Kupferstich-Kabinett; Hans Platschek-Stiftung Hamburg; Contemporary Art Collection of Osaka Prefectural Government, Japan; State College Wabash, Indiana, USA, State College Charleston, South Carolina, USA

Zum Hans Theo Richter-Preis

Der Hans Theo Richter-Preis für bedeutende Leistungen der bildenden Kunst, besonders auf dem Gebiet der Zeichnung und Graphik, wird in Zusammenarbeit mit der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vergeben. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis steht in finanzieller Trägerschaft der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und wird 2023 zum 13. Mal verliehen. Mit der Verleihung ist in der Regel die Schenkung einer Werkgruppe an das Kupferstich-Kabinett Dresden verbunden. Der Preisträger oder die Preisträgerin wird durch Entscheid einer Jury bestimmt, bestehend aus den Mitgliedern der Klasse Bildende Kunst der Sächsischen Akademie der Künste, dem Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und der Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Über die Termine der Preisverleihung und eines Pressegesprächs im Herbst 2023 informieren wir Sie rechtzeitig.

Pressebilder: https://www.sadk.de/presse/pressebilder

Weitere Informationen: https://www.mikikosatogallery.com/de/kuenstler/rikuo-ueda

 

Dresden, 14. April 2023

Der diesjährige Chamisso-Preis Dresden wird an die Schriftstellerin Iris Wolff verliehen.

Die Preisverleihung findet am Freitag, den 27. Oktober 2023 im St. Benno-Gymnasium in Dresden statt.

Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und seit 2023 mit der Chamisso-Poetikdozentur verbunden. Die beiden Vorlesungen der Dozentur finden am 27. und am 29. November in der Sächsischen Akademie der Künste statt.

Der Chamisso-Preis Dresden wurde 2017 neu gestiftet und wird von dem gemeinnützigen Verein Bildung und Gesellschaft e.V. / Dresden gemeinsam mit der Sächsischen Akademie der Künste verliehen. Kooperationspartner sind das Forum Tiberius – Internationales Forum für Kultur und Wirtschaft e.V. und die Internationale Chamisso-Gesellschaft Berlin e.V.

Die Preisträgerin Iris Wolff, geboren 1977 in Hermannstadt, wuchs im Banat und in Siebenbürgen auf; sie kam 1985 nach Deutschland. Hier studierte sie Germanistik, Religionswissenschaft und Grafik & Malerei in Marburg. Heute lebt sie in Freiburg im Breisgau als freie Schriftstellerin; zudem ist sie als Dozentin für Literatur- und Kulturvermittlung tätig. Zuletzt erschien 2020 ihr Roman »Die Unschärfe der Welt«.

Iris Wolff erkundet in ihren Romanen immer wieder auch die Welt ihrer Kindheit im Banat – das Glück, die Wechselfälle und ‚dunklen Schatten der Geschichte, Krieg, kommunistische Diktatur, Zusammenbruch des ‚Ostblocks‘ und Migration. Gemeinsam aber ist den Romanen ein tastendes, abwägendes Erzählen, eine lockere Fügung, die die Komplexität der Geschichte nicht reduziert, sondern einlädt zu einer poetischen Suche nach der verlorenen Zeit.

Mit dem Chamisso-Preis Dresden werden Autorinnen und Autoren geehrt, die ausgehend von einer migrantischen Erfahrung ein Werk von hohem literarischem Rang schaffen; so tragen sie auch zu einem erweiterten Blick auf unsere Gesellschaft bei, zur Offenheit gegenüber anderen Kulturen und zum Bewusstsein der europäischen Verflechtung unserer Geschichte – auch in Verschulden und Verantwortung. Der Preis setzt somit auch ein Zeichen für die Fortentwicklung unserer Gesellschaft hin zu zukunftsfähiger Gemeinschaft kultureller Vielfalt in Europa.

Die Jury: Prof. Dr. Wolfgang Holler (Präsident der Sächsischen Akademie der Künste), Dr. Peter Geist (Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege der Sächsischen Akademie der Künste), Dr. h.c. Christian Lehnert (Schriftsteller, Mitglied der Klasse Literatur und Sprachpflege der Sächsischen Akademie der Künste), Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Walter Schmitz (Vorsitzender von Bildung und Gesellschaft e.V.), Axel Helbig (Redakteur der Zeitschrift für Literatur und Kunst „Ostragehege“), Dr. Jutta Weber (Vorsitzende der Internationalen Chamisso-Gesellschaft Berlin e.V.)

Die Förderer des Chamisso-Preises sind die C.H.Beck Kulturstiftung aus München, das Forum Tiberius - Internationales Forum für Kultur und Wirtschaft e.V., die Internationale Chamisso-Gesellschaft Berlin e.V., und die Sächsische Aufbaubank - Förderbank.

 

Dresden/Leipzig, 4. April 2023

Leipziger Buchmesse (27. April bis 30. April 2023)
Aus Krisen heraus: Für ein neues Mitteleuropa

Die Sächsische Akademie der Künste präsentiert sich nach vielen Jahren erstmals wieder auf der Leipziger Buchmesse – und das mit einem starken politischen Programm aus der Perspektive der Künste. Im Fokus der Gespräche stehen die Entwicklungen in Mitteleuropa vor dem Hintergrund des Krieges gegen die Ukraine.

„Die Sächsische Akademie der Künste tritt in diesen Zeiten herausfordernder, ja existentieller Krisensituationen entschieden für die Freiheit der Kunst und ihre Wirksamkeit in einer offenen, demokratischen Gesellschaft ein“, Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste. „Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Frontalangriff auf unser kulturelles Selbstverständnis, und die Ukraine ist ganz in die Mitte Europas gerückt, genau dahin, wo auch wir stehen. Es ist klar: Zukunft haben wir nur gemeinsam. Daher freuen wir uns, die Expertise der in- und ausländischen Mitglieder der Akademie in die weitere Profilierung der Leipziger Buchmesse einbringen zu können.“

Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse ergänzt: „Die Leipziger Buchmesse nimmt seit jeher die Entwicklung in den Ländern Mittel- und Osteuropas über die Literatur und deren Akteure in den Blick. Das Programm der Sächsischen Akademie der Künste schärft diesen Fokus weiterhin. Ich freue mich sehr darauf, diesen wichtigen Stimmen Gehör zu geben.“

Programm richtet Fokus auf Mitteleuropa

Zur Messe eingeladen sind Mitglieder und Gäste aus Polen, Tschechien, der Ukraine, aus Frankreich und Deutschland, darunter die Autoren Marcel Beyer, Volker Braun, Kerstin Preiwuß, Jurko Prochasko, Cécile Wajsbrot und Jakub Ekier, der Dramaturg und Regisseur Ondřej Černý sowie die Fachexperten Arnold Bartetzky und Wilfried Jilge. Sie stellen ihre Beobachtungen, Analysen und Reflexionen zu den gegenwärtigen geopolitischen, demokratischen, aber auch ökologischen Krisen zur Diskussion. Mit dem Fokus auf einem neuen Ostmitteleuropadiskurs verständigen sie sich über die Zukunft Europas. Der Münchner Architekt Florian Nagler, Träger des Semperpreises 2022 und Vertreter des schönen, nachhaltigen und „Einfachen Bauens“ präsentiert die erste Dokumentation seines Werks im Gespräch mit der Architekturhistorikerin Annette Menting. Die Veranstaltungen finden im Café Europa sowie im Sachbuch-Forum statt.

In Kooperation mit der Leipziger Buchmesse und Partnerakademien gestaltet die Sächsische Akademie der Künste auch aktiv das Forum Offene Gesellschaft mit. Vertreter der Europäischen Allianz der Akademien wie Marion Döring (Wim-Wenders-Stiftung), Cécile Wajsbrot (Akademie der Künste Berlin und Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung) und Martin Krafl (Tschechisches Zentrum für Literatur Prag) diskutieren über Potenziale einer Allianz von Kultureinrichtungen, die sich für die Freiheit der Künste in Europa einsetzt. Moderiert wird die Veranstaltung von Holk Freytag (Sächsische Akademie der Künste). Eine Gemeinschaftsveranstaltung mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und in Kooperation mit dem Literaturhaus Leipzig zum Thema „Wo liegt die Mitte Europas?“ beschließt am Abend des 29. April im Literaturhaus Leipzig das Programm.

Darüber hinaus dient der Buchmessestand der Sächsischen Akademie der Künste (Halle 5, E107) als Ort des Austauschs, Einspruchs und Treffens mit Mitgliedern von Partnerakademien, mit Autoren, Verlegern, Übersetzern, Vertretern von Literaturhäusern und Kulturinstitutionen – am herausragenden Platz europäischer Verständigung und des solidarischen menschlichen und künstlerischen Miteinanders.

Öffnungszeiten und Preise

Die Leipziger Buchmesse öffnet vom 27. bis 30. April auf dem Leipziger Messegelände. Tickets gibt es unter www.leipziger-buchmesse.de/tickets. Das detaillierte Programm ist unter www.leipziger-buchmesse.de/programm zu finden.

Über die Sächsische Akademie der Künste

Die Sächsische Akademie der Künste ist ein Forum des lebendigen Diskurses über die Perspektiven von Kunst und Kultur und ein Ort des Dialogs und Kulturaustauschs mit den mittel- und osteuropäischen Ländern. Ihre Kraft beruht nicht allein auf der Produktivität und dem Reichtum der künstlerischen Positionen ihrer Mitglieder. Ihr Potenzial liegt in dem Bewusstsein ihrer Mitglieder, als Künstler Teil der Gesellschaft zu sein und sich mit Offenheit, Enthusiasmus und Elan mit den grundsätzlichen Fragen der Kunst auseinanderzusetzen. Die Sächsische Akademie der Künste vereinigt namhafte Künstler und Kunsttheoretiker aus dem In- und Ausland. In ihr versammeln sich Persönlichkeiten aus den fünf Sparten Baukunst, Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Film, Literatur und Sprachpflege und sowie Musik.

Über die Leipziger Buchmesse

Die Leipziger Buchmesse ist der wichtigste Frühjahrstreff der Buch- und Medienbranche und versteht sich als Messe für Leser, Autoren und Verlage. Sie präsentiert die Neuerscheinungen des Frühjahrs, aktuelle Themen und Trends und zeigt neben junger deutschsprachiger Literatur auch Neues aus Mittel- und Osteuropa. Gastland der Leipziger Buchmesse 2023 ist Österreich. Durch die einzigartige Verbindung von Messe und „Leipzig liest“ – dem größten europäischen Lesefest – hat sich die Buchmesse zu einem Publikumsmagneten entwickelt. Zur letzten Veranstaltung kamen 2.500 Aussteller aus 46 Ländern und begeisterten auf dem Messegelände sowie in der gesamten Stadt 286.000 Besucher. Die Leipziger Buchmesse wird durch NEUSTART KULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.

Programm der Sächsischen Akademie der Künste

Stand der Sächsischen Akademie der Künste: E107 in Halle 5

Kontakt SÄCHSISCHE AKADEMIE DER KÜNSTE
Palaisplatz 3, 01097 Dresden
Anne Koban, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: + 49 351 810763 02
E-Mail: koban@sadk.de

Kontakt LEIPZIGER BUCHMESSE
Julia Lücke, Pressesprecherin
Telefon: +49 341 678-6555
E-Mail: j.luecke@leipziger-messe.de

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Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr am 14. Februar 2023 verstorbenes Mitglied, den bedeutenden Wiener Komponisten und Dirigenten Friedrich Cerha.  "Es kam nicht oft vor, dass Nachrichten aus dem avancierten Westen direkt und ohne Umschweife in die DDR fanden. Friedrich Cerhas Oper "Baal" gehörte dazu. Das lag einerseits an Brecht und andererseits an Akademiemitglied Theo Adam, für den die Hauptrolle geschrieben war, die er 1981 in Salzburg bei der Uraufführung auch sang. 1998 wurde Friedrich Cerha vom damaligen Leipziger Intendanten Udo Zimmermann als korrespondierendes Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste vorgeschlagen, 1999 von der Akademie gewählt." (Ekkehard Klemm)

Nachruf von Lennart Dohms

In einen Spiegel zu schauen, bedeutet sowohl einen Blick nach außen zu richten als auch ganz auf sich selbst zurückgeworfen zu werden. An Spiegeln bricht sich nicht nur das Licht, Spiegel sind auch Bruchstellen für unser Verständnis von Äußerlichkeit und Innerlichkeit. Als 1972 in Graz sämtliche sieben „Spiegel“ des gleichnamigen Zyklus für großes Orchester von Friedrich Cerha aufgestellt wurden, traf die Wucht dieser Bekenntnismusik auf eine sich konsolidierende Nachkriegsmoderne und schleuderte noch einmal die Frage in den Hörraum, was Musik denn nach Auschwitz noch sein könne und wie sie sein dürfte. Da fasste einer seine Zeit zusammen, ergreift sie, packt zu und schreit ihr ins Gesicht, explodiert in Klängen. Und zieht sich zugleich ganz in sich selbst zurück, lässt die Musik immer wieder implodieren. Dabei eignet Cerhas Musik häufig eine plastisch-theatrale Komponente, die nicht nur immer wieder zur - auch durch den Komponisten gewünschten - szenischen Inszenierung einlädt, sondern eine fast haptische Qualität entwickelt, wie sie in der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht häufig zu finden ist. In ihrer Schockwirkung sind die sieben Spiegel vergleichbar mit Edgar Varèses „Déserts“ oder dem „Requiem für eine jungen Dichter“ von Bernd Alois Zimmermann.

Cerhas Musik verhandelt immer wieder das Ausgesetzt-Sein gegenüber einer Masse, das Verhältnis von Widerstand und Anziehung, Umwelt und Eigenständigkeit. Er, der 1943 mit dem Mut des überzeugten Antifaschisten als jugendlicher Erwachsener aus der Wehrmacht desertierte, hat diesen Mut zum selbstbestimmten Denken und Handeln immer wieder in Anspruch genommen: sei es als Gründer von „die reihe“, einer Konzertserie mit eigens aufgebautem Ensemble, die auf eigenes Risiko die Breite zeitgenössischer Musik in einer auch aus der Rückschau immer noch eindrücklichen Vielfalt einem verspäteten Nachkriegs-Wien präsentierte und damit den Boden bereitete für zahlreiche ähnliche Initiativen in Österreich und Deutschland , sei es als herausragende Dozierendenpersönlichkeit, die eine ganze Generation von jungen Komponisten und Komponistinnen auch gegen institutionelle Widerstände förderte, sei es als Opernkomponist, der die theatralen Elemente seiner frühen Kammermusik und Orchestermusik in Werken wie „Netzwerke“(1967), „Baal“(1981) und „Der Riese vom Steinfeld“ (1997) für die Bühne übersetzte. Häufig entstand dabei in der wissenschaftlichen Literatur und der Kritik das Bedürfnis, Cerhas Musik mit anderen Komponisten der Vergangenheit und Gegenwart vergleichen zu wollen, nicht zuletzt deshalb, weil seine Arbeiten eine Bandbreite an musikalischen Sprachen hervorbrachte, der schwierig beizukommen schien. Dieser Schwierigkeit liegt der Anspruch Cerhas an sich selbst zugrunde, die Gesetze des musikalischen Geschehens für jedes Werk völlig von Grund auf neu zu bestimmen. Das gilt selbst dort, wo die Gesetzmäßigkeiten mit dem Werk eines anderen Komponisten sich zu einem musikalisch organischem neuen Ganzen verbinden müssen, wie in Cerhas bis heute bekanntesten Arbeit, der Vollendung des 3. Aktes von Alban Bergs unvollendet gebliebener Oper „Lulu“.

Wie weit dieser Umgang mit den je zeitbezogenen Gesetzmäßigkeiten geht, zeigt sich in einer Filmdokumentation des österreichischen Rundfunks aus den 1970er Jahren, im Laufe derer Friedrich Cerha, der neben Komposition, Pädagogik und Musikwissenschaft auch Konzertfach Geige studierte, auf einer historischen Violine aufführungspraktisch informiert zu hören ist mit einer Sonate des barocken Komponisten Dario Castello, die den Untertitel „in stilo moderno“ trägt. Nur wenige Augenblicke später zeigt der Film Cerha am Mischpult für eine Aufführung von Karlheinz Stockhausens „Kurzwelle“ und danach als Dirigenten seines eigenen Werkes „Excercises“.

Es mag daher nicht wundernehmen, dass ihn, das Arbeiterkind aus Wien, eine die Tradition reflektierende radikale Gegenwart mit seinem nach außen so anders wirkenden Zeitgenossen aristokratischer Herkunft, Nikolaus Harnoncourt, verband. So wie Harnoncourt in der Musik der Klassik und des Barock eine rhetorische Direktheit aus dem Geist der Vergangenheit für die Gegenwart der Zuhörenden (wieder)zu finden bestrebt war, so ging es Cerha im bewussten Bruch einerseits wie auch im ebenso bewussten Anknüpfen an musikalische Traditionen andererseits immer um ein direktes, sinnliches Welttheater, dessen wandelnde Gesetze den Wandel der Gesellschaft wi(e)derspiegeln sollten.

Friedrich Cerha, der seit 1999 korrespondierendes Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste war und in seinen letzten Jahren mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt wurde, verstarb am vergangenen 14. Februar kurz vor seinem 97. Geburtstag - auch wenn der Spiegel nun zerbrochen ist, seine reflektierten Strahlen bleiben weiterhin Teil unserer Gegenwart.

Bern, 22. Februar 2023

 

Dresden, 10. Februar 2023

Das Gesprächskonzert mit den ukrainischen Dirigentinnen Nataliia Stets und Oksana Lyniv am Sonntag, den 5. März 2023, um 11 Uhr im Jagdschloss Graupa präsentiert ein Panorama der ukrainischen Musikkultur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts und deren enge Verbindungen nach Mitteleuropa. Ein besonderer Fokus wird auf dem Komponisten und Pianisten Franz Xaver Mozart (1791–1844) liegen, dem Sohn von Wolfgang Amadeus, der über drei Jahrzehnte das Kulturleben der Stadt Lemberg (heute Lviv) prägte.

Die ukrainische Dirigentin und Musikforscherin Nataliia Stets hat das Konzertprogramm entwickelt, ebenso wurde die Besetzung, ein Kammerorchester überwiegend aus ukrainischen Musikern und Musikerinnen, von ihr zusammengestellt. Welche immense Bedeutung Musik insbesondere in Zeiten des Krieges haben kann, wird Nataliia Stets im Gespräch mit der international renommierten Dirigentin Oksana Lyniv ausloten, die 2017 das Festival LvivMozArt gegründet hat und 2022 als erste Frau bei den Bayreuther Festspielen dirigiert hat.

Nataliia Stets ist derzeit Stipendiatin des Artist-in-Residence-Programms der Sächsischen Akademie der Künste, das in Kooperation mit den Richard-Wagner-Stätten Graupa nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ins Leben gerufen wurde.

Weitere Informationen zum Konzertprogramm und zur Kartenbestellung: https://pirna.reservix.de/p/reservix/event/2060222

Veranstaltung in Kooperation mit den Richard-Wagner-Stätten Graupa und mit freundlicher Unterstützung des Gaßmeyer-Förderkreises der Richard-Wagner-Stätten Graupa e.V.

Anliegen

Das Gesprächskonzert will die hierzulande kaum bekannte Rolle ins Bewusstsein bringen, die die Regionen der heutigen Ukraine seit dem 18. Jahrhundert in der europäischen Musikgeschichte und insbesondere für den internationalen Kulturaustausch gespielt haben. Im ukrainisch geprägten Hluchiv, seit 1708 Hauptstadt des Kosaken-Hetmanats, entstand 1730 die erste musikalische Ausbildungsstätte innerhalb des Russischen Reichs. Die Komponisten Maksim Beresowskyj und Dmytro Bortnjanskyj, die als Väter der Klassik innerhalb des Russischen Reiches in die Geschichte eingingen, stammten aus dieser Stadt und erfuhren dort ihre erste musikalische Prägung. Später setzten sie ihre Karrieren in St. Petersburg und Italien fort. Sie sind mit jeweils einem Orchesterwerk in dem Konzert zu hören.

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das westukrainische Lemberg (Lviv) zu einem der führenden Musikzentren des osteuropäischen Raums. Franz Xaver Mozart, Sohn des weltberühmten Komponisten, fand als 17-jähriger in Lemberg über 30 Jahre hinweg ein fruchtbares Wirkungsfeld. Vorher hatte seine Mutter Constanze versucht, ihn in Wien unter dem Namen „Wolfgang Amadeus“ als musikalisches Wunderkind zu vermarkten, gleichsam als Reinkarnation ihres Mannes. In Lemberg avancierte Franz Xaver als Musikpädagoge, Konzertveranstalter und Gründer des ersten Musikvereins zu einer prägenden Figur des dort aufblühenden bürgerlichen Musiklebens. Den Forschenden des Projekts Mozartiana Galicia gelang jüngst der Nachweis, dass Mozart vermutlich seit Mai 1834 auch der erste Dirigent des Lemberger Deutsch-Polnischen Stadttheaters und von 1836 bis zu seiner Rückkehr nach Wien 1838 Musikdirektor des kaiserlich-königlich privilegierten Theaters in Lemberg war – jenes Hauses, das Ende des 19. Jahrhunderts zu einer der bedeutendsten Bühnen im östlichen Europa aufsteigen sollte.

In Franz Xaver Mozarts Lemberger Kompositionen wie dem Liederzyklus op. 21 zeigen sich bereits Reflexe der musikalischen Romantik.

Die Attraktivität Lembergs als Musikzentrum strahlte indirekt bis ins sächsische Graupa aus. Einer der wenigen Besucher, die Richard Wagner während seines Urlaubs in der ländlichen Sommerfrische im Frühsommer 1846 empfing, war der polnische Violinvirtuose Karol Lipiński. Der als zweiter Paganini gefeierte langjährige Konzertmeister der Dresdner Hofkapelle hatte seine Kariere am Lemberger Operntheater begonnen. Nach seiner Pensionierung 1861 übersiedelte er auf sein Landgut Urłów bei Lemberg. Ein Streichorchesterarrangement eines seiner Kammermusikwerke rundet das Programm ab.

Ein Europa der Regionen, die sich gegenseitig inspirieren und befruchten – in jener Zeit hat es existiert, und die Territorien der heutigen Ukraine waren ein integraler Teil davon. Diese für die Erweiterung unserer kulturhistorischen Kartographie so wichtigen Zusammenhänge werden in dem Gespräch beleuchtet werden, ebenso wie die zerstörerische Gewalt, die der russische Angriffskrieg über dieses Land gebracht hat. Das Trauma der Kriegsgewalt reflektiert auch das von Nataliia Stets komponierte Violinduo „Teren“. Es verarbeitet ein ukrainisches Liebes- und Wiegenlied, das von einem jungen Paar handelt, das getrennt wird, weil der Bräutigam in den Krieg ziehen muss.

Hintergrund

Zum Artist-in-Residence-Programm

Der Krieg in der Ukraine bedroht seit dem 24. Februar 2022 die Sicherheit und das Leben der Bevölkerung und zwingt die Menschen zur Flucht. Davon ist auch der kulturell-künstlerische Bereich hart betroffen. Um praktisch zu helfen und unterstützend in den Alltag von Künstlerinnen und Künstlern, die von den Kriegswirren betroffen sind und ihr Heimatland kriegsbedingt verlassen müssen, hineinzuwirken, hat sich die Sächsische Akademie der Künste mit einem Spendenaufruf an ihre Mitglieder gewandt. Ziel war es, Spendengelder zu sammeln, um geflüchteten Künstlerinnen aus der Ukraine Unterkunft und Lebensunterhalt und damit die Fortsetzung ihrer künstlerischen Arbeit zu ermöglichen. Mitglieder der Klasse Musik sollten die Stipendiatinnen nach Möglichkeit durch Kontakte mit der Musikszene in Dresden unterstützen.

Dank der großen Resonanz der Mitglieder und einiger Privatpersonen auf diesen Appell konnte die Finanzierung für zwei Arbeitsstipendien für jeweils sechs Monate ermöglicht werden. In Zusammenarbeit mit einem engagierten Kooperationspartner, der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH als Trägerin der Richard-Wagner-Stätten Graupa, konnte das Stipendium mit der Unterbringung an einem historischen Ort, in einer Stipendiatenwohnung der Richard-Wagner-Stätten in Pirnas Ortsteil Graupa verbunden werden. Diese Unterkunft wird von der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH zur Verfügung gestellt und befindet sich in dem ehemaligen Bauerngut, wo schon Richard Wagner 1846 für mehrere Monate logierte und an seiner Oper Lohengrin schrieb. Das Haus ist heute eine museale Gedenk- und kulturelle Begegnungsstätte. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das barocke Jagdschloss Graupa, wo regelmäßig Konzerte und Kulturveranstaltungen stattfinden.

Das Artist-in-Residence-Programm wird zunächst der ukrainischen Dirigentin Nataliia Stets und von April bis September 2023 einer weiteren ukrainischen Musikerin Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten gewähren.

Zur Stipendiatin Nataliia Stets

Seit Mitte Oktober 2022 ist die ukrainische Dirigentin Nataliia Stets Stipendiatin des Artist-in-Residence Programms der Sächsischen Akademie der Künste und Gast der Richard-Wagner-Stätten Graupa im Lohengrin-Haus in Graupa. Mitglieder der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste stehen im Austausch mit der Stipendiatin, geplant werden Aufführungen und Gesprächskonzerte mit der Dirigentin, die außerdem während ihres Aufenthalts eigene musikwissenschaftliche Forschungsprojekte u.a. zum Wirken von Franz Xaver Mozart weiterverfolgen möchte.

Nataliia Stets, geboren 1990 im Oblast Ternopil/Westukraine · 2016 Studium an der Nationalen Tschaikowsky-Musikakademie der Ukraine, Abteilung für Opern- und Sinfoniedirigieren in der Klasse von Prof. Ihor Palkin, außerdem bei Allin Vlasenko und Sviatoslav Lytvynenko · 2015-2019 Leitung des Orchesterstudios „Svitanok“ (Kiew) · 2017 Assistentin der Chefdirigentin Oksana Lyniv bei der Inszenierung der Oper „Eugen Onegin“ von Tschaikowski an der Oper Graz · 2019 stellvertretende Chefdirigentin des Kiewer Symphonieorchesters · 2020-2021 zweite Dirigentin des Kiewer Symphonieorchesters · ab 2021 Meisterkurse im Fach Dirigieren u.a. bei Christopher Lyndon-Gee, Sviatoslav Lytvynenko, Allin Vlasenko und insbesondere Oksana Lyniv · 2022 Projektleiterin für Lviv-Salzburg: Mozart for Solidarity, eine Kooperation von Stiftung Mozarteum Salzburg und LvivMozArt-Festival · 2022 Dirigentin und musikalische Assistentin am Theater Bielefeld

Ansprechpartner:

Dr. Wolfgang Mende, Wissenschaftlicher Mitarbeiter
RICHARD-WAGNER-STÄTTEN GRAUPA
LOHENGRINHAUS, Richard-Wagner-Straße 6, 01796 Graupa
Tel: +49 3501 46 19 65 23
E-Mail: Wolfgang.Mende@pirna.de

Anne Koban, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
SÄCHSISCHE AKADEMIE DER KÜNSTE
Palaisplatz 3, 01097 Dresden | www.sadk.de
Tel.: + 49 351 810763 02
E-Mail: Koban@sadk.de

 

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr am 7. Februar 2023 im Alter von 94 Jahren verstorbenes Ehrenmitglied, den Schriftsteller, Lektor und Verleger Gerhard Wolf.

Zum Tod Gerhard Wolfs

Nachruf von Friedrich Dieckmann

Gerhard Wolf war einer der letzten Vertreter jener Flakhelfer-Generation, die, in den letzten Monaten des Krieges zu den Waffen gerufen, um ein zum Untergang verurteiltes Reich zu verteidigen, in den Nachkriegsjahren zu einem geistigen Neuanfang aufbrach, der im östlichen Deutschland im Zeichen sozialistischer Hoffnungen stand. Als Neulehrer für Deutsch und Geschichte begann der in Bad Frankenhausen Geborene eine berufliche Laufbahn, die ihn 1949 nach Jena zum Studium der Germanistik führte; dort begab sich eine schicksalhafte Begegnung: er lernte eine Frau kennen und lieben, die als Christa Wolf bald die Seine wurde. Zusammen traten sie ins literarische Leben, die Romanautorin und ihr Mann, der der geborene Lektor war und nach Zwischenstationen als Rundfunkredakteur Ende der fünfziger Jahre als Außenlektor des Mitteldeutschen Verlags auf dem Feld der Lyrik eine Wirksamkeit entfaltete, der viele junge Autoren – darunter Volker Braun, Adolf Endler, Elke Erb, Karl Mickel, Sarah und Rainer Kirsch – ihre ersten und dann viele weitere Schritte in die Öffentlichkeit verdankten.

    Gerhard Wolf war kein Mann des Rampenlichts; ein Helfer im Hintergrund, genügte er sich daran, Dinge und Verhältnisse vom Rand her zu beeinflussen. Das stimmte zu seiner Vorliebe für die Randständigen, die aus Neigung oder Veranlagung oder Übermacht allgemeinen Unverstands am Rand des Getriebes oder der Geschichte stehenden Kunstnaturen. Es begann mit Louis Fürnberg, dessen Werk unter einem Vers, mit dem der Prager Autor sich in bedrängter Lage Mut zu machen versucht hatte, begraben zu werden drohte; es setzte sich fort mit Johannes Bobrowski, dem poetischen Ergründer einer zerstörten, verlorenen Heimat. Auf dessen Lebensbeschreibung folgte ein Buch, „Beschreibung eines Zimmers“, das das Andenken Bobrowskis durch die eindringliche Darstellung der Bilderwelt vertiefte, die der Autor der „Litauischen Claviere“ um sich geschaffen hatte.

Die Ergründungsarbeit setzte sich fort mit Albert Ebert, dem farbsprühenden, farbglühenden Miniaturisten, den eine bornierte Kulturpolitik lange ins Abseits gestellt hatte; sie gewann historische Dimension mit dem Tiefblick auf den späten Hölderlin, den Dichter im Turm. In einer Buchreihe, die ganz unverdächtig „Märkischer Dichtergarten“ hieß, folgten die Protagonisten einer Romantik, die auf ihre Weise dem Erstarren der Verhältnisse die Macht der Phantasie entgegengesetzt hatten. Davor, danach, parallel dazu der rastlose Einsatz für die Jungen, noch Unbekannten, sei es auf dem Feld der Dichtung, sei es auf dem der Zeichnung, der Malerei, und die zugleich verschwiegene wie offenbare Kooperation des geborenen Lektors mit der Autorin im eigenen Haus, am eigenen Tisch: Christa Wolf.

Es war Anfang der siebziger Jahre, daß die Wolfs durch Vermittlung von Lothar Lang einen in Annaberg verborgenen Zeichner entdeckten, dessen Werk Text und Bild auf die eigentümlichste Weise amalgamierte: Carlfriedrich Claus, den utopiefrommen Clausner unter dem Annaberger Kino, für den das Ehepaar Wolf bald eine Lebens-, ja Überlebenshilfe wurde. Neben der Lyrik, der er als Lektor und Herausgeber immer neue Talente zuführte und heranbildete, galten Gerhard Wolfs Aktivitäten zunehmend der bildenden Kunst und besonders der aufrührerisch gestimmten jungen Dresdner Kunstszene. Wirrnisse und Schikanen, die sich mit seiner und seiner Frau Unterzeichnung des Protestbriefs gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann verbanden, vermochten ihn in seiner Rolle als Schutzpatron und Geburtshelfer von Dichtung und bildender Kunst nur vorübergehend zu erschüttern, und in den achtziger Jahren konnte er schließlich im Aufbau-Verlag eine Buchreihe mit Texten einer neuen Autorengeneration etablieren, die mit Recht „Außer der Reihe“ hieß.

Als 1990 in Mitteldeutschland alles anders geworden war, gelang ihm in Berlin die Gründung eines eigenen Verlags, der Janus Press, die zwanzig Jahre lang mit vielen bibliophilen Editionen zu einer Stimme auch „meiner Freunde, der Maler“ wurde, wie ein besonders schöner Band hieß. In einer gesellschaftlichen Situation, die im Osten des schmerzhaft vereinigten Landes vom Untergang zahlreicher Verlage gekennzeichnet war, war diese Neugründung ein Signal des Widerstands gegen die Einebnung einer Kunstszene, die, wenn sie sich zuvor gegen die Maßgaben der Politik hatte wehren müssen, sich nun gegen die diffusen Verhältnisse eines westlich dominierten Marktes zu behaupten hatte. Gerhard Wolf gelang es mit der unauffälligen Hartnäckigkeit und heiteren Verschmitztheit, die ihn von Anbeginn seines Wirkens ausgezeichnet und immer wieder unwiderstehlich gemacht hatte.

Nach dem Tod seiner Frau wandte der Achtzigjährige seine Arbeitskraft an die Erschließung ihres umfassenden Briefwerks; in einem phänomenalen Großband trat die Doppelkorrespondenz der Wolfs mit Carlfriedrich Claus ans Licht. Aber der beharrlich Tätige, der seinen 90. Geburtstag in Berlin mit hundertzwanzig Gästen beging, förderte auch eigene Texte zutage. Dem Band „Im deutschen Dichtergarten“, einer voluminösen Sammlung seiner Aufsätze zur deutschen Gegenwartslyrik, folgte 2020 „Herzenssache“, Texte über Begegnungen mit Weggefährten aller Art und Profession, ein Vermächtnis, das eine im Stillen wirkmächtige Persönlichkeit noch einmal im Licht einer Diskretion zeigt, die eine Form der Zuwendung war und ihm die Herzen eines großen Kreises von Lesern, Freunden, und Bewunderern gewann.

Die Sächsische Akademie der Künste gedenkt seiner mit Dankbarkeit und Trauer.

Berlin, 8. Februar 2023

Der Architekt Joachim Schürmann war 1996 Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste und hat sich mehrfach mit Vorträgen und Ausstellungsbeiträgen in die Arbeit der Akademie eingebracht. Er verstarb im Alter von 96 Jahren am 8. Dezember 2022 in Köln.

"Joachim Schürmann – seiner Zeit immer voraus"

Nachruf von Jörn Walter

In Erinnerung an einen der bedeutendsten Nachkriegsarchitekten Deutschlands, Joachim Schürmann, gehen mir an erster Stelle gar nicht seine baukünstlerischen Leistungen, sondern persönlichen Tugenden durch den Kopf, mit denen er eine unvergessliche innere Autorität ausstrahlte, der man sich nicht entziehen konnte: Bildung, Besonnenheit, Bescheidenheit, Verantwortung, Aufrichtigkeit, Edelmut und vor allem Nachsicht und Güte gegenüber all jenen, die die Dinge noch nicht so weit durchdrungen hatten wie er. Vor dem Entwerfen stand das in Augenschein nehmen, das Wirken lassen, das Anhören, das Denken. Keine spontanen Einfälle und schnell hingeworfene Skizzen wurden kommuniziert, sondern nur durchdachte, überprüfte und tragfähige Lösungen. Im Atelier wurde „nachgedacht und nicht auf den Markt geschrien“, wie Jörg Friedrich es einmal treffend formulierte. Und trotz dieser intensiven Arbeit, stiller Konzentration und rationalen Disziplin stand darüber immer die tiefe Überzeugung, allein die schöpferische, intuitive und poetische Kraft des Menschen und Architekten sei in der Lage, im unübersichtlichen Anforderungs- und Interessengeflecht der Gesellschaft zu guten Entscheidungen und schönen Lösungen zu kommen.

Joachim Schürmann, geboren 1926 in Viersen, aufgewachsen in Dresden und Darmstadt, gründete mit seiner Frau und Architektin Margot Schürmann 1956 ein gemeinsames Büro in Köln, das fortan zu jenen herausragenden gezählt werden muss, die den Quellen der klassischen Moderne der zwanziger und frühen dreißiger Jahre in der Nachkriegszeit ein frisches und neues Bild zu geben verstanden. Materielle Sparsamkeit, Konzentration auf das Wesentliche, Funktionalität und angemessene Konstruktion sind ebensolche Maximen wie Offenheit und Zugänglichkeit, soziale Durchdringung, Rücksichtnahme auf Bestand und Natur sowie poetische Anmutung. Ein breites Spektrum an Entwürfen und Bauten ist daraus hervorgegangen, von Einfamilienhäusern über große Wohnanlagen, Schulen, Rathäuser, Kirchen, Museen, Verwaltungs- und Verkehrsbauten bis zu ganzen Stadtquartieren, öffentlichen Platzanlagen und dem Design von Ausstattungsobjekten. Die Aufträge gingen fast ausschließlich auf über 50 gewonnene Wettbewerbe zurück. Die Bauten wurden 1981 und 1991 mit dem Deutschen Architekturpreis, das Lebenswerk 1986 mit der Tessenow-Medaille in Gold, 2007 mit dem Fritz-Schumacher-Preis und 2008 dem Großen BDA-Preis gewürdigt, um nur die wichtigsten Auszeichnungen zu nennen.

Seinen Maximen blieb er zeitlebens treu, was eine wesentliche Ursache dafür sein mag, dass uns seine Bauten bis heute so unverbraucht erscheinen und nichts an ihrer gestalterischen Kraft eingebüßt haben. Modischen Strömungen und oberflächlichem Stilfanatismus in der Architektur stand er immer kritisch gegenüber: „Bleiben Sie misstrauisch gegenüber den Trendsettern, die, häufiger als gut ist, ihr Outfit austauschen werden. Es lohnt nicht, sich als Trendscout zu profilieren. Prüfen Sie die saloppe, kaltschnäuzige Beredsamkeit. Gedanken sind schnell, Zungen noch schneller, unsere Bauten aber stehen sehr lange“ äußerte er in seiner Antrittsvorlesung 1966 in Darmstadt. Und mit dem Nachforschen und Überlegen vor dem Entwerfen und Reden war er seiner Zeit immer weit voraus. Einige Beispiele mögen das demonstrieren.

Am Wiederaufbau der romanischen Kirche Groß St. Martin in Köln arbeiteten Joachim und Margot Schürmann über ein Vierteljahrhundert, von 1961 bis 1985. Mit Akribie, Sorgfalt und Präzision wurde die wechselvolle Geschichte des Bauwerkes aufgearbeitet, mit der Freilegung immer neuer Schichten und Fundstücke wurden auch die Entwürfe für den Wiederaufbau immer wieder neu infrage gestellt, überprüft und modifiziert. Eine unendliche Geschichte, die sehr an die Suche nach der verlorenen Zeit erinnert. Wie bei Marcel Proust führt das immer bessere Verständnis des Verlorenen und Untergegangenen bis in die letzten Details der eingesetzten Materialien und Bodenmosaiken, der Fensterfarben und Beleuchtungskörper, der Geländer, Türen und Treppen, bis hin zur Möblierung mit Ambo und Beichtstuhl, zu einem überwältigenden neuen Kunstwerk, das eine wiedergefundene Zeit nicht anschaulicher und überzeugender in Szene setzen könnte. In "singender" Kargheit wird hier nach Carlo Scarpa Neuland betreten und im Abstraktions- und Reduktionsvermögen einem Jahrzehnte später vielbeachteten Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin von David Chipperfield der Weg gewiesen. Wie kläglich und mutlos, wie intellektuell und künstlerisch arm dagegen unser historisierender Zeitgeist.

Auch wenn wir an die aktuellen Debatten über Graue Energie und die Bedeutung des Grüns in Architektur und Städtebau denken, müssen wir feststellen, dass Joachim Schürmann seiner Zeit weit voraus war. Angefangen von seinen eigenen Einfamilienhäusern in Köln und Darmstadt über die vielen Wohnanlagen, Schulen und großen Verwaltungsgebäude wie dem ursprünglichen Abgeordnetenhaus und der späteren Deutschen Welle in Bonn, dem sogenannten Schürmann-Bau, spielen die Natur und das Grün am und mit dem Gebäude immer eine prägende Rolle. Nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus sozialen Gründen, war ihm dieses Zusammenspiel immer von zentraler Bedeutung. Gleiches gilt für seinen höchst sparsamen, authentischen und auf das notwendige Minimum reduzierten Materialeinsatz, der zwar sicherlich vom Mangel der Nachkriegszeit geprägt war, ihn aber über sein gesamtes Werk zu Höchstleistungen ästhetischer Formbildung antrieben, die zeitgenössische Lösungen nur selten erreichten. Als wäre er in der Kultur des japanischen Wabi-Sabi groß geworden: „Beschränke dich auf das Wesentliche, aber entferne nicht die Poesie“. Gerade diese vermisst man bei vielen nachhaltigen und hochgelobten Holzarchitekturen der Gegenwart. Der frühzeitige und umfassende Einsatz dieses Materials, ganz besonders bei der Ausgestaltung seiner atmosphärisch immer Geborgenheit und Wärme ausstrahlenden Innenräume, gehört zu den zukunftsweisenden Elementen der Architektur von Joachim Schürmann – niemals kalte Pracht, verschwenderische Ausschmückung oder gar auf Repräsentation setzende Monumentalität.

Seiner Zeit nicht nur weit voraus, sondern lange Zeit geradezu im Gegensatz zu ihr standen Schürmanns städtebaulichen Arbeiten. Mag sein, dass sein ausgeprägter Sinn für räumliche Ensembles und städtebauliche Dramaturgie mit seinem Lehrer Karl Gruber zusammenhängt, doch ohne persönliche Gabe ist Joachim Schürmanns hohe Sensibilität für das Weiterbauen und Ergänzen kaum zu erklären. Schon seine frühen Arbeiten für das Martinsviertel in Köln, das Bürgerhaus und den Kirchplatz in Wiedenbrück sowie das Rathaus in Bad Honnef fallen völlig aus dem Rahmen der damals noch vorherrschenden großen Flachdachsolitäre: Sie sind maßstäblich und feingliedrig in ihre Umgebung eingefügt, trauen sich die Verwendung seinerzeit verpönter Sattel- und Pultdächer in höchst moderner Interpretation wieder zu und bilden mit den Beständen wunderbar proportionierte Stadtplätze. Das findet später am Bahnhofsplatz Salzburg, dem Domshof in Bremen und vielen anderen Orten seine Fortsetzung, bis hin zu den Wettbewerbsgewinnen am Postplatz und den Deutschen Werkstätten Hellerau in Dresden.

Gerade seine aus dem genauen Studium der Nord-Süd-Wege in Dresden hergeleitete sensible Komposition des neuen Postplatzes zeigte seine ganze Meisterschaft. Es gehört zur großen Tragik seiner hingebungsvollen Arbeit für diesen schwierigen Ort gegenüber dem Dresdner Zwinger, dass sein feinsinniges und feingliedriges - geradezu schwebendes - Arrangement der Bauten in der architektonischen Realisierung dermaßen missverstanden werden konnte und nun preußische Schwere und der Wunsch nach monolithischer Fassung dominieren. Vergleicht man die heutige sture Bebauung der Wallstraße in Dresden mit der grazilen Erscheinung seiner 300 Meter langen Deutschen Welle in Bonn, wird einem klar, welche Chance hier vertan wurde. Nun, in Hellerau besteht für Dresden noch die Möglichkeit, den ihr eng verbundenen Stadtbaukünstler posthum zu würdigen.

Hamburg, 20. Januar 2023

 

Dresden, 9. Januar 2023

Die Mitglieder der Sächsischen Akademie der Künste trauern um ihr langjähriges Mitglied, den Dramaturgen, Literaturwissenschaftler und Schauspielintendanten Dieter Görne. Er starb am 4. Januar 2023 in Dresden im Alter von 87 Jahren. Dieter Görne, der bereits 1992 zu den Mitgliedern des Gründungsausschusses der Sächsischen Akademie der Künste gehörte, wurde 1996 in die Reihe der Gründungsmitglieder gewählt. Er setzte sich in der Sächsischen Akademie der Künste für die Diskussion von Gegenwartsfragen im Spiegel der Kunst ein, nicht nur in seinen Amtszeiten als Sekretär der Klasse Darstellende Kunst und Film oder als Vizepräsident der Akademie (2005-2008). Zahlreiche Inszenierungsdiskussionen, Schauspielredenreihen zu den Perspektiven des Schauspieltheaters und Diskussionsreihen zur Zukunft der Oper im Programm der Akademie gingen auf seine Initiative zurück. Nachruf von Holk Freytag, Dramaturg und Regisseur und ehem. Präsident der Akademie.

»Ein Mann zur rechten Zeit«
Zum Tode von Dieter Görne (7. August 1936 Heidenau‒4. Januar 2023 Dresden)

Jeder Tod kommt zur Unzeit, denn wir sind auf Zeitgenossenschaft eingerichtet, nicht auf Abschied. Dieser Abschied allerdings schmerzt in besonderem Maße, denn Dieter Görne war ein Glücksfall - und er war es zu einer Zeit, als er am meisten gebraucht wurde. Als Chefdramaturg des Staatsschauspiels zu einer Zeit, in der ein Umbruch in der Luft lag, als Intendant, als es galt, das bedeutende Haus in eine neue Zeit zu führen, als Vorsitzender der Intendantengruppe, wo er die Kollegen aus Ost und West in Einklang zu bringen hatte und als Mitgründer der Sächsischen Akademie der Künste, der er in einer Reihe von Funktionen seinen humanen Stempel aufdrückte.

Gern, sehr gern erinnere ich mich an jene Sitzung der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein, die den Beginn unserer jahrzehntelangen Freundschaft markierte. Es war das Jahr 1991 und der Schauplatz war das erst drei Jahre zuvor eröffnete Essener Aalto-Theater. Dessen Intendant, Manfred Schnabel, hatte uns gerade voller Stolz durch sein wirklich großartiges Haus geführt, als wir zur Tagesordnung überschritten. Und als profane Alltagsgeschäfte und Fragen der Gremienbesetzung die Debatte zum Erliegen zu bringen drohten, richtete Schnabel irgendwann das Wort an Dieter Görne, der seit einem Jahr am Vorstandstisch saß, was denn seine Sicht auf die Dinge sei. Görne antwortete am Beispiel von „Emilia Galotti“ mit einem geschliffenen Kurzvortrag über die Frage, zu welchen Umdeutungen der klassischen Texte uns die gegenwärtige gesellschaftspolitische Situation zwinge.

Seine Worte waren wie eine Rückbesinnung auf die Inhalte, auf die wir doch eigentlich verpflichtet waren, und die Debatte nahm einen unerwartet auf politische Inhalte gerichteten Verlauf. Bald darauf wählten wir Dieter Görne zum Vorsitzenden der ersten gesamtdeutschen Intendantengruppe und als er mich fragte, ob ich bereit sei, die Position seines Stellvertreters zu übernehmen, war das ein Ritterschlag. Ein Jahrzehnt lang haben wir die Gruppe in engster Abstimmung geführt und ich hatte Gelegenheit, sein auf einer fundamentalen Bildung beruhendes Weltbild kennen und schätzen zu lernen. Ich habe nie erlebt, dass er anders als mit Respekt auch der abwegigsten Überzeugung entgegentrat. Sein Kosmos war der Mensch und dem war mit Respekt zu begegnen, solange er sich im Rahmen der Gesetze bewegte.

Einmal verlas er zu Beginn der Sitzung einen Text, mit dem er auf das Anspruchsdenken junger Menschen verwies, das in der vorherigen Sitzung Thema gewesen war. Ganz unverhohlen trat er jenen bei, die von der Jugend gar nichts und von den Älteren alles erwarteten. Nach einer Pause, in der sich merkbare Verwunderung unter den Kollegen breit machte, sagte er dann, dieser Text sei zweieinhalbtausend Jahre alt und der Verfasser sei Aristoteles. Dieter Görnes Humor war nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Sein Glaube aber an die Leistungsfähigkeit der Generationen nach ihm war für jeden sichtbar, der sein Theater betrat. Die Menschen um ihn, die sein Haus in eine Denkfabrik verwandelten, waren überwiegend eine Generation jünger. Er ließ sie die Erfahrungen machen, die sie dann alle in führende Positionen anderer Häuser gebracht haben – und er beschützte sie. Ja, Dieter Görne war eine Vaterfigur, einer, der Fehler zuließ und Erfolge teilte. Meinungsdifferenzen diskutierte er aus und bei dem Begriff Streitkultur, den er gerne benutzte und den ich von ihm gelernt habe, lag die Betonung deutlich auf dem zweiten Teil des Wortes. Das brachte ihm die Zuneigung seiner Mitarbeiter und den Respekt seiner Kollegen ein.

Als er 1990 die Intendanz des Staatsschauspiels übernahm, war es für ihn selbstverständlich, dass er das Haus sofort für Kollegen aus dem Westen öffnete. Die Wiedervereinigung war für ihn der historische Glücksfall und seine Rolle als Vermittler zwischen Ost und West in den Jahren nach der Wiedervereinigung ist nicht hoch genug zu schätzen. Damit hat er sich in die deutsch-deutsche Theatergeschichte eingeschrieben.

Die Trauer um einen der sympathischsten Theaterleiter seiner Zeit vermischt sich mit tiefer Dankbarkeit für sein Lebenswerk.

 

Dresden, 9. Januar 2023

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um Eberhard Göschel, der am 28. Dezember 2022 verstarb. Der 1943 in Bubenreuth geborene Maler, Zeichner, Grafiker, Plastiker und Aktionskünstler war seit 1996 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und von 1996 bis 1998 Sekretär der Klasse Bildende Kunst. Nachruf von Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste.

»Wunderbar, dass ich machen kann, was ich will«
Zum Gedenken an Eberhard Göschel (28. März 1943‒28. Dezember 2022)

Der große alte Bildermaler, der Künstler Eberhard Göschel ist tot. Genau drei Monate vor seinem 80. Geburtstag, den wir am 28. März dieses Jahres hätten feiern können, ist er gestorben. Nach schwerer, mit großer Tapferkeit getragener Krankheit, hat er nun ausgelitten. Noch immer erscheint es unglaublich, dass Göschel, diese personifizierte künstlerische Kraft, nicht mehr bei uns sein soll, dass seine packende physische Präsenz vergangen ist.  

Marie Luise Kaschnitz hat in ihrem inspirierenden Buch über den französischen Maler Gustave Courbet danach gefragt, inwieweit die Persönlichkeit und das Werk eines Künstlers untrennbar miteinander verbunden sind, ob man Courbets Kunst wirklich unabhängig von seiner Biografie verstehen könne. Für den großen französischen Realisten kommt sie zum Schluss, dass sein Leben und seine Kunst einander regelrecht bedingten. Aber, so sieht sie es auch, was am Ende bleibt, ist die Kunst. Das gilt in gleicher Weise für Eberhard Göschel, dessen kreativer Wesenskern in seinen herausragenden Schöpfungen für alle Zeit aufgehoben ist. Sein Werk ist das Eigentliche, und es trägt den Dahingeschiedenen in die Zukunft. Es ist sein bleibendes Vermächtnis, und es ist sein Geschenk an uns alle. Zu den beglückenden Qualitäten seiner Kunst gehört überdies, dass sie „frei“ ist, bei aller Gebundenheit an die persönlichen Kausalitäten des Menschen. Sie scheint keinen persönlichen, politischen und gesellschaftlichen Bedingtheiten unterworfen. Das gilt für seine Gemälde, die Gouachen, die Zeichnungen und Druckgrafik genauso wie für seine plastischen Arbeiten und letztlich ebenso für seine aktionskünstlerischen Arbeiten. Und daraus folgt ein weiteres, denn die Begegnung mit seinem Werk ist so erfüllend und motivierend, weil sie auch uns die Freiheit belässt. Seine Schöpfungen haben nichts Dirigistisches, transportieren keine moralistischen Inhalte, wollen nicht überwältigen. Seine Kunst verlangt nach ihren Entstehungsbedingungen zu fragen, sondern sie überlässt uns allein dem ästhetischen Vergnügen, großer Kunst zu begegnen, die durch lebenslange, konsequente künstlerische Arbeit so und nicht anderes geworden ist. Göschel durfte in seinem Leben über viele Jahrzehnte erfahren, was der Schriftsteller und Dramatiker Carl Zuckmayer in seinen Lebenserinnerungen in die Worte fasste: „Denn die einzige, dauerhafte Form irdischer Glückseligkeit liegt im Bewusstsein der Produktivität“.

Das ist keineswegs selbstverständlich, denn Eberhard Göschel hatte keinen leichten Lebensweg. 1943 wurde er in Bubenreuth geboren, einem hübschen mittelfränkischen Ort, der heute fast zu Erlangen gehört. Noch im gleichen Jahr zog die Familie nach Königstein in der Sächsischen Schweiz. Von 1949 bis 1961 besuchte er die Schule, legte das Abitur ab und begann anschließend im nahegelegenen Pirna eine Gebrauchswerbelehre. 1962 bis 1963 absolvierte er Abendschulkurse an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden und schloss trotz seiner Ablehnung der Wehrpflicht 1964 ein Studium der Malerei in Dresden an. Herbert Kunst und später Rudolf Bergander gehörten zu seinen Professoren. Von 1965 an wohnte Eberhard Göschel in Dresden. Bald schon, 1968, erwarb er zudem ein Bauernhaus in Fürstenau im Erzgebirge, wo er bis zu seinem Lebensende regelmäßig arbeitete. Göschel beendete sein Studium 1969 mit dem Diplom als Maler und Grafiker und begann freiberuflich zu arbeiten. 1977 bis 1980 war er dann noch einmal Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR bei Theo Balden. Seine erste Einzelausstellung hatte er 1975 im Dresdner Leonhardi-Museum.

Göschels Schaffen konzentriert sich auf die Malerei, die Zeichnung und die Druckgrafik. Ab 1979 wandte er sich auch plastischen Arbeiten zu, zunächst vorwiegend mit Terrakotta; 1991 arbeitete er erstmals mit Porzellan. Aktionskünstlerische Arbeiten datieren vorwiegend in die Jahre vor 1989, wobei er immer wieder mit befreundeten Künstlern wie Peter Herrmann, Bernhard Theilmann, Michael Freudenberg, Michael Wüstefeld, Thea Richter, Günter „Baby“ Sommer und anderen zusammenarbeitete.

Die im Zentrum seines Schaffens stehende Malerei, Zeichnung und Grafik ging vom Gegenständlichen aus und wurde gegen Ende der 1970er Jahre vollständig abstrakt. Göschel vertritt in seinem Werk keinen narrativen Ansatz, sondern folgt seinen bildnerischen Impulsen, die wesentlich vom handgeleiteten Gestus, den verwendeten Materialien und Arbeitswerkzeugen, der Bildfläche, den Farben, und den sich entwickelnden Strukturen im künstlerischen Prozess bestimmt werden. Rapporthafte, gestisch gesetzte Bildchiffren stehen im Vordergrund, Riefelungen, Schleifen und Schlingen, Wellen- und Pünktchenmuster, Zackenbänder, musterartige Abbreviaturen. Auf den Gemälden und Gouachen arbeitete er häufig pastos, mit Rakeln und Spachteln schichtend und schiebend, kratzend und bürstend. In seinen druckgrafischen Experimenten ist er dagegen oft zart und linear versponnen.

Prägend waren schon in seinen jüngeren Jahren die Zurücksetzungen, die er erfahren musste, das Kujoniert-werden und die gezielten Einschränkungen zu Zeiten des DDR-Kunstdiktats. Darunter hat er gelitten, das hat seine Einstellungen zum Leben und zu den Menschen geformt. Und es machte ihn in mancher Beziehung unversöhnlich.

Dabei ging es ihm nicht nur um sich selbst, denn Göschel trat auch offen für Gleichgesinnte ein. So führten im Leonhardi-Museum die zwischen 1974 und 1978 unter seiner Leitung veranstalteten Ausstellungen mit Werken von Herbert Kunze, Peter Herrmann, Strawalde, Horst Leifer, Otto Möhrwald, Lothar Böhme oder Claus Weidensdorfer immer wieder zu heftigen Kontroversen mit den Kunst-Apparatschiks. Bis zuletzt hat sich Eberhard Göschel nicht gescheut, seine Überzeugungen deutlich auszusprechen. Konflikten ist er niemals aus dem Weg gegangen, vor allem wenn es darum ging, den Anspruch und die Würde der in der DDR gepiesackten, gepeinigten und unterdrückten Künstler zu wahren. In der Klasse Bildende Kunst unserer Sächsischen Akademie der Künste, zu deren frühen Mitgliedern Göschel 1996 berufen wurde und deren Sekretär er in den Anfangsjahren war, löste noch 2011 die in seiner Klasse gestellte Frage nach dem Umgang mit der „offiziellen“ DDR-Kunst und der Rolle der „staatsfernen“ Künstler hochemotionale, lange nachhallende Diskussionen aus. Göschels Haltung dabei war stets glasklar und ohne jede Konzilianz. Prinzipiell galt es, Abstand zu wahren zwischen den mit staatlichen Stellen verquickten Künstlerkollegen und seinesgleichen, die das DDR-System trotz massiver Gängelung und Einschränkung unterlaufen haben und rückhaltlos für das autonome künstlerische Arbeiten eingetreten sind: Wahre Kunst darf sich eben nicht vereinnahmen lassen, in welcher Form auch immer. Niemals hätte er in Zeiten der DDR ein offizielles Amt oder ein Lehramt angetreten, das sich nicht mit seinen Überzeugungen vereinbaren ließ. Immer blieb er unabhängig und hat die damit verbundene Fragilität des Lebens in Kauf genommen. Künstlerische Integrität, dies war Göschels unverrückbare Sicht, verlangt eine klare Position, wenn es sein muss, entschiedene Opposition; das galt vor der Wende und ebenso danach. Keine Frage war für ihn, dass in der DDR die systemfernen Künstlerinnen und Künstler bleibende Kunst geschaffen haben. Nicht nur die verehrten Alten wie Glöckner, Richter oder Altenbourg. Auch seine Freunde und Weggefährten, Ralf Winkler, Peter Hermann, Peter Graf und manche andere. Umso unsäglicher musste für ihn daher die empörende, geradezu obszöne Behauptung von Georg Baselitz sein, dass unter der ostdeutschen Parteienherrschaft überhaupt keine „Kunst“ entstanden sei. Wir alle wissen, dass Göschel und viele andere Künstler immer wieder das Gegenteil bewiesen haben. Hoch einzuschätzen ist dabei die Leistung, gemeinsam mit seinen Freunden Bernhard Theilmann, Peter Hermann und A.R. Penck, die Obergrabenpresse zu gründen, in der jahrelang ein weiterer Mitgründer, Jochen Lorenz, als Drucker wirkte. Was „an einem gewissen Sommerabend des Jahres 1976“ in ausgelassener Runde im damaligen Dresdner „Hansa-Hotel“ ersonnen und „mit einiger Zwangsläufigkeit“ 1978 in die Tat umgesetzt wurde, wie Bernhard Theilmann schrieb, ist heute schon Legende. Dutzende von Grafikern haben bei der Obergrabenpresse gedruckt, eine Vielzahl von Editionen, nicht zuletzt für Rudolf Mayers eikon-Grafik-Presse, und eine große Zahl von Einzelblättern sind bis zu ihrer Schließung 2008 entstanden und gehören zum Besten, was die gedruckte Kunst dieser Zeit hervorgebracht hat.

Besondere Bedeutung hatte für Eberhard Göschel die jahrzehntelange Beziehung zu Werner Schmidt, dem von 1996 bis 1999 ersten Präsidenten der Sächsischen Akademie der Künste, und dem langjährigen Direktor des Dresdner Kupferstich-Kabinetts. Es war ein schicksalhaftes Glück, dass Werner Schmidt von 1959 an für dreißig Jahre Direktor des Kabinetts gewesen war. Wie kein anderer Museumsmann in Ostdeutschland hatte er ein Auge für qualitativ hochrangige Kunst, für junge Talente und für innovative Außenseiter. Dabei widmete er seine Aufmerksamkeit in besonderer Weise den staatlich missliebigen Künstlern und stiftete trotz des Risikos eine enge Verbindung zwischen Museum und Künstlerszene. Eberhard Göschels überragendes künstlerisches Vermögen hat Werner Schmidt schnell gesehen. Bereits 1978 wurden Werke des Künstlers für das Kupferstich-Kabinett erworben. Mit Werner Schmidt verband Eberhard Göschel eine einzigartige, auf unbedingter Loyalität gründende Beziehung, die von tiefstem gegenseitigen Respekt getragen war. Und über Jahre und Jahrzehnte wurde Göschel im Kabinett auch nach Werner Schmidts Amtszeit weiter gesammelt. Inzwischen besitzt das Kupferstich-Kabinett wohl die größte, kostbarste Sammlung seiner Werke in einem öffentlichen Museum.

Göschels Schöpfungen, seine Kunst wird bleiben: ihre natürlich-naturhaft gesättigte Abstraktion, die spröde, zugleich fast „romantische“ Poesie, ihre stupende Schönheit, die Rhythmik und der immer spürbare zupackende Gestus des schaffenden Künstlers, genauso wie der Reichtum der Farben mit ihrer sinnlichen Haptik, ihrer Materialität, - die herrlichen, unendlichen Grautöne natürlich -, genauso wie die Delikatesse der Papiere und das elegante, statiös antikische seiner plastischen Arbeiten; und immer wieder bestechen seine Werke durch die Meisterschaft der Technik. Das Große, das Weite und Offene der Kunst von Eberhard Göschel, dass so viel Heimatverbundenheit einbegreift, all das wird bleiben. Und – auch wenn er selbst 2019 in einem Film von Tom Ehrhardt zu Recht beklagt, dass er nicht so bekannt sei, wie er es verdient hätte, dass auch die Nachwendezeit daran nichts Grundlegendes geändert habe: Göschel ist ohne Frage einer der Großen seiner Generation. Man darf beruhigt sagen, dass Göschels Kunst Zeit hat, alle Zeit der Welt, denn sie ist in ihrer serenen Zeitferne von zwingender Gegenwärtigkeit.

Und, dies sei doch angefügt, wichtige Anerkennung hat er trotz seiner pessimistischen Sicht immer wieder erfahren. So zeigte etwa das Dresdner Albertinum 1994 eine signifikante Auswahl seiner Gemälde und Zeichnungen. Zu seinem 70. Geburtstag richtete das ihm lange verbundene Leonhardi-Museum eine umfassende Würdigung aus. Glück und Bestätigung seiner Arbeit muss Eberhard Göschel auch die Bekanntschaft mit Torsten Kunert bedeutet haben, der 2011 das alte Maltzahnsche Schloss Kummerow an der Grenze von Mecklenburg zu Vorpommern erworben hatte, um daraus einen besonderen, einen „dritten“ Ort der Kunst zu machen. 2015 stellte Göschel im großen Stil an diesem kongenialen Ort aus, ein Kunsterlebnis der ganz seltenen Art. Und ein Jahr später war er mit seinem „Fürstenauer Triptychon“ an der Ausstellung zum 20jährigen Jubiläum der Sächsischen Akademie in der Städtischen Galerie vertreten. Eine besondere Kostbarkeit war noch im vergangenen Jahr 2021 sein Beitrag in der Ausstellung „Royal Grey“ zusammen mit Christiane Baumgartner und Jennifer König in der Galerie Ursula Walter.

Schaut man sich die hinreißenden Fotografien von Lothar Sprenger und Werner Lieberknecht mit den Arbeiten und Arbeitsräumen Göschels an, so wird seine Kunst durch die beiden Fotokünstler wie in einer Art „wiederholter Spiegelung“ in ein Brennglas gerückt: der Zusammenklang der Dinge und des Raums, das Licht, die Kraft des Materials, eine den handelnden Künstler ahnen lassende atmosphärische Aura, all dies ist in den Aufnahmen bezwingend präsent. Einmal mehr wird deutlich, dass die Kunst für Göschel nicht nur die Vermittlerin des Unaussprechlichen, sondern dass sie – um es mit den Worten Friedrich Schillers zu sagen, „eine Tochter der Freiheit“ ist.

Die Mitglieder der Sächsischen Akademie der Künste werden Eberhard Göschel ein ehrendes Gedenken bewahren.

 

2022

Dresden, 3. November 2022

Sächsische Akademie der Künste und Richard-Wagner-Stätten Graupa leisten mit einem Stipendiatenprogramm gemeinsam Ukraine-Hilfe

Um ein deutliches Zeichen der Solidarität zu setzen, das unterstützend in den Alltag von ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern hineinwirkt, hat sich die Sächsische Akademie der Künste mit einem Spendenaufruf an ihre Mitglieder gewandt, um damit geflüchteten Künstlerinnen aus der Ukraine zu Unterkunft und Lebensunterhalt zu verhelfen. In Zusammenarbeit mit der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH als Trägerin der Richard-Wagner-Stätten Graupa für die praktische Umsetzung vor Ort hat die Akademie eine erste Stipendiatin aus der Ukraine einladen können: Seit kurzem ist die ukrainische Dirigentin Nataliia Stets Stipendiatin des Artist-in-Residence Programms der Sächsischen Akademie der Künste und Gast im Lohengrin-Haus der Richard-Wagner-Stätten Graupa.

Gern möchten wir Sie über dieses Artist-in-Residence-Programm informieren und laden Sie ein zum Pressegespräch am 7.11.2022 um 11 Uhr in das Jagdschloss der Richard-Wagner-Stätten zu Graupa, Tschaikowskiplatz 7, 01796 Pirna / OT Graupa

Das Projekt vorstellen werden Ihnen von Seiten der Sächsischen Akademie der Künste:
Prof. Dr. Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
Prof. Ekkehard Klemm, Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste

von Seiten der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna (KTP):
Klaus Hanke Oberbürgermeister Pirna
Christian Schmidt-Doll, Geschäftsführer KTP
Dr. Wolfgang Mende, Richard-Wagner-Stätten Graupa

Beide Kooperationspartner sowie die Stipendiatin selbst stellen sich gern Ihren Fragen zur Verfügung.

Zum Artist-in-Residence-Programm

Der Krieg in der Ukraine bedroht seit dem 24. Februar 2022 die Sicherheit und das Leben der Bevölkerung und zwingt die Menschen zur Flucht. Davon ist auch der kulturell-künstlerische Bereich hart betroffen. Um praktisch zu helfen und unterstützend in den Alltag von Künstlerinnen und Künstlern, die von den Kriegswirren betroffen sind und ihr Heimatland kriegsbedingt verlassen müssen, hineinzuwirken, hat sich die Sächsische Akademie der Künste mit einem Spendenaufruf an ihre Mitglieder gewandt. Ziel war es, Spendengelder zu sammeln, um geflüchteten Künstlerinnen aus der Ukraine Unterkunft und Lebensunterhalt und damit die Fortsetzung ihrer künstlerischen Arbeit zu ermöglichen. Mitglieder der Klasse Musik sollten die Stipendiatinnen nach Möglichkeit durch Kontakte mit der Musikszene in Dresden unterstützen.

Dank der großen Resonanz der Mitglieder und einiger Privatpersonen auf diesen Appell konnte die Finanzierung für zwei Arbeitsstipendien für jeweils sechs Monate ermöglicht werden. In Zusammenarbeit mit einem engagierten Kooperationspartner, der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH als Trägerin der Richard-Wagner-Stätten Graupa, konnte das Stipendium mit der Unterbringung an einem historischen Ort, in einer Stipendiatenwohnung der Richard-Wagner-Stätten in Pirnas Ortsteil Graupa verbunden werden. Diese Unterkunft wird von der Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH zur Verfügung gestellt und befindet sich in dem ehemaligen Bauerngut, wo schon Richard Wagner 1846 für mehrere Monate logierte und an seiner Oper Lohengrin schrieb. Das Haus ist heute eine museale Gedenk- und kulturelle Begegnungsstätte. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das barocke Jagdschloss Graupa, wo regelmäßig Konzerte und Kulturveranstaltungen stattfinden.

Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke unterstreicht die Bedeutung dieser Initiative: „Es ist ein kleiner Baustein in der Ukraine-Hilfe - aber ein nicht minder bedeutsamer. Wenn ein ganzes Land unter den Folgen eines Angriffskrieges von russischer Seite aus leidet, dann leidet nicht nur die Kunst und die Kultur, sondern auch die Identität eines ganzen Staates. Mit diesem Stipendiatenprogramm möchten wir unseren kleinen Teil dazu beitragen, dass diese Seele des ukrainischen Volkes auch über die schwere Kriegszeit weiter erhalten bleibt.“

Das Artist-in-Residence-Programm wird zunächst der ukrainischen Dirigentin Nataliia Stets und ab dem Frühjahr 2023 weiteren ukrainischen Komponistinnen oder Musikerinnen für einen begrenzten Zeitraum Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten gewähren.

Zur Stipendiatin Nataliia Stets

Seit Mitte Oktober ist die ukrainische Dirigentin Nataliia Stets Stipendiatin des Artist-in-Residence Programms der Sächsischen Akademie der Künste und Gast der Richard-Wagner-Stätten Graupa im Lohengrin-Haus in Graupa. Mitglieder der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste stehen im Austausch mit der Stipendiatin, geplant werden Aufführungen und Gesprächskonzerte mit der Dirigentin, die außerdem während ihres Aufenthalts eigene musikwissenschaftliche Forschungsprojekte u.a. zum Wirken von Franz Xaver Mozart weiterverfolgen möchte.

Kontakt

SÄCHSISCHE AKADEMIE DER KÜNSTE
Palaisplatz 3, 01097 Dresden
Ansprechpartner: Anne Koban, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: + 49 351 810763 02
E-Mail: Koban@sadk.de

Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH
Am Markt 1/2, 01796 Pirna
Christian Schmidt-Doll, Geschäftsführer
Leiter der Richard-Wagner-Stätten Graupa
Tel: +49 3501 556-451
E-Mail: Christian.Schmidt-Doll@pirna.de

Dr. Wolfgang Mende, Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Geschäftsbereich Richard-Wagner-Stätten Graupa
LOHENGRINHAUS, Richard-Wagner-Straße 6
01796 Pirna OT Graupa
Tel: +49 3501 46 19 65 23
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Dresden, 15. Oktober 2022

Die Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste hat am 14.10.2022 den Dirigenten Ekkehard Klemm zum neuen Vizepräsidenten gewählt. „Als Operndirigent weiß man, was Literatur, Bildende Kunst, Theater, Film und Baukunst miteinander zu tun haben und wie wichtig es ist, über die Klassen hinaus zusammen zu wirken. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Sparten und den Austausch untereinander werde ich besonders zu befördern suchen und in vielen Formaten begleiten und unterstützen. Ich freue mich auf die zukünftigen Aktivitäten und hoffe, der Verantwortung dieser Aufgabe gerecht zu werden.“ sagte Ekkehard Klemm anlässlich seiner Wahl zum Vizepräsidenten der Sächsischen Akademie der Künste. „Diese von einer breiten Zustimmung der Mitglieder getragene Wahl ist ein Glücksfall für die Akademie. Mit Ekkehard Klemm, der sich in seiner Arbeit als Dirigent und Hochschullehrer der zeitgenössischen Musik und Nachwuchsförderung besonders verpflichtet fühlt, werden zudem auch die jüngeren Generationen stärker in die Akademiearbeit mit hineinspielen. Gemeinsam werden wir der Sächsischen Akademie der Künste mit Unterstützung unserer Mitglieder noch stärkeren Auftrieb geben“, so Akademiepräsident Wolfgang Holler. Ekkehard Klemm folgt im Amt des Vizepräsidenten auf Jörg Bochow, Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden. Die Amtszeit beträgt drei Jahre.

Ekkehard Klemm, Dirigent und Komponist, geboren 1958 in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), seit 2003 Professor für Dirigieren an der Hochschule für Musik »Carl Maria von Weber« Dresden, seit 2013 Präsident des Verbandes Deutscher KonzertChöre und seit 2017 Chefdirigent der Elbland Philharmonie Sachsen, lebt in Dresden.

 

Marica Bodrožić ist Dozentin der Chamisso-Poetikdozentur der Sächsischen Akademie der Künste 2022. Die 1973 in der Nähe von Split geborenen Schriftstellerin folgt als Dozentin auf Paul-Henri Campbell 2021 und Artur Becker 2020. Für die Chamisso-Poetikdozentur werden Autoren und Autorinnen mit Migrationshintergrund ausgewählt, die auf Deutsch schreiben und sich mit Fragen nach den nationalen und normativen Unterschieden und Brüchen von Sprache und Kultur auseinandersetzen. Welche Bedeutung haben Emigration, Exil, Mehrsprachigkeit? Welche Rolle spielen Heimat und Muttersprache für das eigene Schreiben?

Die Autorin kroatischer Abstammung ist stets "unterwegs an der unsichtbaren Grenze zwischen Ost- und Westeuropa und erweist sich als sensible Zeitgenossin, die mit verschiedenen, auch gebrochenen Erinnerungsräumen umzugehen vermag und diese verwandelt in eine europäische Hoffnung. In ihren Romanen und Gedichten entwickelt die Autorin eine Bildlichkeit, welche die Gattungsgrenzen subtil unterwandet und die Sprache selbst in ihrem schöpferischen Vermögen zeigt. Kindheitserinnerungen aus Dalmatien und der Herzegowina verbinden sich in ihren Texten mit Naturbeobachtungen, genauen Porträts und Gesellschaftsanalysen. Diese werden teils in großen Erzählsträngen, teils in überraschenden lyrischen Augenblicksgestalten verwoben mit Gedankenabenteuern, die Marica Bodrožić aus den großen Texten der europäischen philosophischen Tradition heraus unternimmt.“ (aus der Jurybegründung)

Termine

Drei Vorlesungen werden am 7., 14. und 21. November 2022 jeweils um 19.30 Uhr in der Zentralbibliothek im Dresdner Kulturpalast stattfinden.  Christian Lehnert, Dichter und Theologe aus Leipzig, übernimmt als Mitglied der Akademie die Einführung und moderiert das anschließende Gespräch mit der Autorin.

Kooperationsveranstaltung von Sächsische Akademie der Künste, Bildung und Gesellschaft e.V. und Städtische Bibliotheken Dresden

 

Der Jury für die Chamisso-Poetikdozentur 2022 gehörten an:

- für die Sächsische Akademie der Künste:

Prof. Dr. Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

Dr. Peter Geist, Literaturwissenschaftler Berlin und Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege;
Dr. h.c. Christian Lehnert, Dichter und Theologe Leipzig, stellv. Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege

- für den Verein Bildung und Gesellschaft:

Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Schmitz, Vorsitzender

Axel Helbig, Autor und Herausgeber der Zeitschrift Ostragehege

2020 wurde die Dozentur von der Sächsischen Akademie der Künste, in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Verein Bildung und Gesellschaft und der Zentralbibliothek der Städtischen Bibliotheken Dresden mit dem 1968 in Polen geborenen Autor Artur Becker wiederbelebt. Seine Vorlesungen sind unter dem Titel „Von der Kraft der Widersprüche“ (ISBN: 978-3-95908-423-9) im Thelem Verlag Dresden erschienen.

2021 war der in Boston (USA) geborene Autor und Übersetzer Paul-Henri Campbell Dozent der Chamisso-Poetikdozentur.

Die Dresdner Chamisso-Poetikdozentur für Migrantenliteratur wurde 2002 vom Mitteleuropazentrum der Technischen Universität Dresden und der Robert Bosch Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der TU Dresden ins Leben gerufen. Von 2005 bis 2011 wurde die Poetikdozentur mit der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden durchgeführt. Gastdozenten waren 2002 Yüksel Pazarkaya, 2003 Gino Chiellino, 2004 Adel Karasholi, 2005 Ilma Rakusa, 2006 Vladimir Vertlib, 2007 José F.A. Oliver, 2008 Zsuzsanna Gahse, 2009 Hussain Al-Mozany, 2010 Ota Filip und 2011 Francesco Micieli. Die Robert Bosch Stiftung stieg 2012 aus der Dresdner Chamisso Poetikdozentur und 2017 aus dem Adelbert-von-Chamisso-Preis aus.

 

Die Sächsische Akademie der Künste verleiht den Semperpreis 2022 an den Münchner Architekten Florian Nagler. Mit der Verleihung des Preises verbindet die Sächsische Akademie der Künste die Aufgabe, auf zukunftsweisende Lösungen hinzuweisen, die den Zusammenhang von Baukunst und Umwelt in einer Synthese von Ästhetik, Ökologie und sozialer Verantwortung herausstellen.

Mit Florian Nagler präsentiert die Akademie einen Architekten, der sich in seiner Arbeit den Anforderungen des zeitgemäßen, nachhaltigen Entwerfens und Bauens praktisch und theoretisch widmet. Nagler ist dabei gleichermaßen dem künstlerischen und wissenschaftlichen Anspruch verpflichtet. Auf die Frage, was heute umweltgerechtes Bauen bedeutet, sucht Florian Nagler mit architektonischen Mitteln nach Lösungen. Seine konstruktive Konsequenz und die Präzision seiner Materialkonzepte sind damit Teil der Architektur als Ganzem. Florian Naglers Verständnis von Gestaltung ist umfassend im Sinne der „Welt als Entwurf“ und damit beispielgebend für eine nachhaltige und baukünstlerisch wegweisende Architektur.

Die Preisverleihung findet am 14. Oktober 2022 in Dresden statt. Am Nachmittag laden wir Sie zum Pressegespräch mit dem Preisträger und Mitgliedern der Jury ein. Weitere Informationen dazu erhalten Sie zu gegebener Zeit.

Weitere Informationen finden Sie im Pressedossier. Porträts und Projektbilder stehen Ihnen zum Herunterladen hier zur Verfügung.

Jurybegründung

Der Architekt Florian Nagler aus München erhält den Semperpreis 2022 der Sächsischen Akademie der Künste. Konzise Formensprache und bewusster Materialeinsatz bestimmen seine Architektur, die sich überzeugend aus gestalterischer Einfachheit und moderner Übersetzung von Bautradition entwickelt. Mit den Bauten Naglers entstehen wegweisende Beiträge zur gebauten Umwelt, die Nachhaltigkeit zugleich materiell und gesellschaftlich verfolgen. Bemerkenswert ist die unprätentiöse Haltung, die sich in seinen Bauten widerspiegelt, die Gestaltung in Reduktion und die Konsequenz von Form, Material und Fügung.

Bereits seine frühen Projekte im ländlichen Raum sind von Holzkonstruktionen geprägt und als zeitgemäße Definition des Bauens in der Region zu verstehen. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich Florian Nagler mit der Materialität im Sinne gestalterischen Erforschens und Experimentierens bei einer Vielfalt von Bauaufgaben, sowohl in ländlichen und urbanen Kontexten als auch bei verschiedenen Typologien vom kleinen Atelierhaus bis zum Geschossbau für Wohnen und Arbeiten. Wenn es von K.F. Schinkel heißt, er könne nicht einmal einen Kuhstall bauen, ohne seine Ideale zu verwirklichen, gilt dies auch für Florian Nagler, indem er sich dieser profanen Typologie architektonisch widmet und die Bauaufgabe mit hoher Angemessenheit und Genauigkeit neu bestimmt.

Eine eindrucksvolle Intervention in historischem Bestand realisierte Florian Nagler beim Wiederaufbau der St. Martha Kirche in Nürnberg. Mit seinem Konzept für eine neue Dachkonstruktion und für die Innenausstattung bezieht er sich gleichermaßen auf die filigrane Konstruktion der Gotik wie auf ihre Ornamentik, indem er ein kongeniales Holz-Flechtwerk als hölzerne Netzstruktur entwickelte. Seitenflügel, Empore und Dach in innovativer Holzbauweise sind der steinernen Kirche subtil eingefügt, sie nehmen sich gestalterisch zurück und verweisen durch die Materialdifferenz zugleich auf die nachträgliche Ergänzung.

Eines seiner jüngsten Projekte ist die architektonische Untersuchung des Einfachen Bauens in dem Nebeneinander von drei Forschungshäusern in Bad Aibling, die in monolithischer Bauweise jeweils in Massivholz, Mauerwerk und Leichtbeton entwickelt wurden. Bei gleicher Grundform variieren gestalterische Entscheidungen materialadäquat wie Raumabschlüsse, Öffnungen für Fenster und Türen sowie Fassadendetails. Florian Nagler ist gleichermaßen dem künstlerischen und wissenschaftlichen Anspruch verpflichtet, er macht seine Gestaltungsentscheidungen am Werk nachvollziehbar und belegt sie auch theoretisch.

Als Professor für Entwerfen und Konstruieren an der Technischen Universität München verfolgt er die zentralen Fragen an die Architektur, wie mit vorwiegend baulichen Mitteln und möglichst geringem Einsatz von Technik ein angenehmes Raumklima erzeugt werden kann. Er widmet sich in seiner architektonischen Arbeit den Anforderungen des zeitgemäßen, nachhaltigen Entwerfens und Bauens. Die konstruktive Konsequenz und die Präzision der Materialkonzepte sind damit Teil der Architektur als Ganzem. Florian Naglers Verständnis von Gestaltung ist umfassend im Sinne der „Welt als Entwurf“.

Kuratorium (Jury)
Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
Annette Menting, Mitglied der Klasse Baukunst, Architekturhistorikerin und Architekturkritikerin Leipzig
Ivan Reimann, Mitglied der Klasse Baukunst, Architekt Berlin

Findungskommission
Annette Menting, Mitglied der Klasse Baukunst, Architekturhistorikerin und Architekturkritikerin Leipzig
Ivan Reimann, Mitglied der Klasse Baukunst, Architekt Berlin
Christoph Ingenhoven, Preisträger des Semperpreises 2019, Architekt Düsseldorf

 

15. April 2022

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr langjähriges Mitglied Thomas Rosenlöcher. Er starb am 13. April 2022 in Kreischa bei Dresden nach schwerer Krankheit im Alter von 74 Jahren. Nachruf von Peter Geist, Literaturwissenschaftler.

Thomas Rosenlöcher gehörte zu den Autoren ostdeutscher Herkunft, die sich seit der Umbruchszeit 1990/91 Gehör verschaffen konnten bei einer gesamtdeutschen Leserschaft. Seine bei Suhrkamp verlegten Tagebücher „Die verkauften Pflastersteine“ 1990, „Die Wiederentdeckung des Gehens beim Wandern“ 1991 und  der Essayband „Ostgezeter“ 1997 überzeugten durch Zeitzeugenschaft, Authentizität in Wahrnehmung und Reflexion, die freundliche Offenheit im Gestus und nicht zuletzt durch subtile Selbstironie. Kaum ein anderer Autor konnte ostdeutsches Gewordensein und Gegenwartsbefinden so anschaulich-anekdotisch, dabei genau und tiefenscharf lebendig werden lassen wie er.

Doch im Zentrum seines Werkes stand die Poesie. Bereits sein vielbeachteter Debütband „Ich lag im Garten bei Kleinzschachwitz“ 1982 offenbarte, dass hier eine unverwechselbare neue Stimme in das Ensemble der deutschsprachigen Gegenwartslyrik aufgenommen worden war. Schon das Titelgedicht hatte es in sich: Dem lyrischen Sprecher, „nachdenkend über die Belange / der unerhörten Rose und des Staats“, wachsen die Füße von Kleinzschachwitz bis „knapp vorm Brandenburger Tor“, wo „sie von selber stillestanden“, denn: „Man muß bescheiden sein.“ Welch Unerhörtheit, als Einzel-Ich dem Staat von gleich zu gleich entgegenzutreten. Mehr noch: Nicht die landesquerende „Verlängerung“ – so der Gedichttitel – der Gliedmaßen erscheint als monströs, sondern das Bauwerk, vor dem sie notgedrungen haltmachen.

Und trotzdem kamen Rosenlöchers Gedichte nicht als Bizarrien auf den Leser, sondern als raffiniert gebaute Grotesken. Warum dies so ist, zielt ins Zentrum seiner unverwechselbaren lyrischen Subjektivität: Thomas Rosenlöcher knüpfte in Versbau und Bildsprache an die klassisch-romantische Erlebnislyrik an. Um dann, in der Balance von Ich-Erkundigung und Welterkundung, die Bildfindungen ironisch zu unterlaufen und/oder in die Groteske kippen zu lassen. Diese Verfahrensweisen eröffneten dem Lyriker nach den Umbrüchen 1989/90 weitbare Spielfelder, ohne seine inhärente Poetik neu justieren zu müssen. Von Anfang an hatte der Lyriker die ökologischen Verheerungen in den Industriegesellschaften auf seinem post-romantischen Schirm und wenig Anlass, seit den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts seine in eindrücklichen Bildern vor Augen geführten Besorgnisse abzumildern. Rosenlöcher 1991: „Wenn die Dinge immer mehr abnehmen um uns herum, wenn wir feststellen, daß wir immer weniger greifen, dann will ich das nicht bloß konstatieren, sondern versuchen, das Noch-Vorhandene im Wort festzuhalten, mit dem Wissen, daß es verschwindet“. Nun sah er sich durchaus schon mal als „Irrfahrer“, als „Ostbarbar“ mit „Russenmütze“. Der lyrische Sprecher zelebrierte besonders in etlichen Gedichtschlüssen Abgesänge und dystopisches Unbehagen: „Abschied vom Prinzipiellen / heißt auch nur Gute Nacht“; „Groß meine Mühe, würdevoll zu fliehn. / In johlende Jahrtausendfinsternisse. / Da paßte das Jahrhundert mit hinein.“

„Engel hab ich mir abgewöhnt“, schließt ein Gedicht lakonisch. Gerade letztere Sentenz dünkt beinahe bitter, war es doch Rosenlöcher, der mit seinen Engel-Gedichten Rilkes Vorgaben am Ende des 20. Jahrhunderts traumwandlerisch aufzunehmen verstand. Die Vielzahl der Engelwesen, die seine Gedichte durchstöbern - der Kicherengel und der Nachwuchsengel, der rettende oder der mit der Eisenbahnermütze, waren immerhin ein Erkennungszeichen seiner Dichtung gewesen.

Einige der engelischen Zuschreibungen böten sich trefflich an, die Persönlichkeit Thomas Rosenlöcher zu beschreiben. 1998 in die Sächsische Akademie der Künste gewählt, brachte er sich von Anfang an mit großem Engagement in die Akademiearbeit ein, u.a. als Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege, als Anreger von zahlreichen Lesungen, Diskussionen und Tagungen der Akademie. Sein entwaffnender Humor, sein punktgenauer Intellekt, seine Zuhörkunst und charmante Offenheit gegenüber Personen und Positionen waren ein Gewinn für die Akademie. Was ihn im Übrigen nie davon abhielt, klar und klug Haltungen zu zeigen, sei es in Bezug Rechtschreibreform, Waldschlößchenbrücke oder Rechtspopulismus – seine scharfzüngigen Interventionen wurden stets von einer großen Öffentlichkeit wahrgenommen.

Thomas Rosenlöcher war bekennender Dresdner, was den Zwiespalt dieser Elementarliebe für ihn einschloss: „Jeder Angriff auf Dresdens Besonderheit ist ein Angriff auf meine schriftstellerische Existenz. Das kann bis zur persönlichen Beleidigung gehen, wenn ich nur an die Allerweltsbebauung auf dem Altmarkt oder der Prager Straße denke. Oder an den Historienkitsch im Umkreis der Frauenkirche.“

Wir verlieren in Thomas Rosenlöcher einen großartigen Dichter, einen heiteren Vollblutintellektuellen, einen die Akademie mit prägenden Gestalter. Es ist der Sächsischen Akademie der Künste in der Trauer Verpflichtung, sein Andenken in Ehren zu halten.

 

 

Dresden, 18. März 2022

In der Ukraine herrscht ein Krieg, der für den gesamten europäischen Kontinent zur existentiellen Bedrohung wird.

Die Sanktionen gegen Russlands Krieg sind notwendig in der Hoffnung, den Aggressor zum Einlenken zu bewegen und dem Krieg ein schnelles Ende zu bereiten. Zwingend ist dabei die Distanzierung von staatlichen Kulturinstitutionen und Staatskünstlern, die sich auf die Seite des russischen Präsidenten stellen und den Krieg gegen die Ukraine mittragen. Umso dringlicher erscheint es uns jedoch, mit jenen Kräften in Verbindung zu bleiben, die für das andere Russland, das Russland Puschkins, Dostojewskis, und Tschechows, das Russland Daniil Charmsʼ und Casimir Malewitschs, das Russland der Avantgarde in Literatur, Bildender Kunst, Architektur, Theater, Tanz und Musik stehen. Wir dürfen die Verbindung nicht abreißen lassen!

Die Mitglieder der Sächsischen Akademie der Künste treten in voller Überzeugung für die Freiheit der Kunst ein, für den Dialog der Völker und für den Erhalt von Zivilität und Kultur. Wir unterstützen all jene Kräfte, Persönlichkeiten und Initiativen, die sich dem Krieg entgegenstemmen. So wie während des Zweiten Weltkriegs deutsche Musik in Ländern erklungen ist, denen Deutschland den Krieg erklärt hatte, befürworten wir, in dieser Zeit des Krieges zu unterscheiden zwischen denen, die sich in Russland dem Krieg entgegenstellen und jenen, die den Krieg für gutheißen. Wir stehen damit hinter dem offenen Protest von Tausenden Wissenschaftlern, Kulturschaffenden, Künstlern und Journalisten gegen den Überfall auf die Ukraine.

Genauso wie die Geschichte der Vereinigten Staaten mit den Freiheitsrechten beginnt, die in Washington die freie Welt vertritt, aber in Little Rock oder Alabama von Rassenhass und Diskriminierung geprägt wurde, so wie die französische Geschichte nicht nur das weltoffene, demokratische Paris charakterisiert, sondern auch der Kolonialismus und gewaltsame Machterhalt in Algier, so wie deutsche Geschichte und europäische Integration nach 1945 in Berlin oder Bonn geschrieben und angestrebt wird, aber Buchenwald und Auschwitz niemals vergessen werden darf, so gibt es auch in Russland vielfältige Beispiele für eine „andere“, eine differenzierte Geschichte, in der Menschen nach Frieden und Freiheit streben.

Die Sächsische Akademie der Künste unterstützt die weltweiten Proteste gegen den Krieg gegen die Ukraine und den von Putins Russland initiierten Zivilisationsbruch. Sie arbeitet im Rahmen der Europäischen Allianz der Akademien mit an einem Hilfsprogramm für geflüchtete Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine und gibt die Hoffnung auf die Entwicklung eines friedlichen Europas nicht auf, das sich von der Iberischen Halbinsel bis zum Ural erstreckt.

Wolfgang Holler
Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
 

 

Dresden, 1. März 2022

Die Absage der Leipziger Buchmesse 2022 hat in weiten Kreisen der Kultur, aber auch in der Wirtschaft zu einer lebhaften Debatte geführt. In vielen Fällen ist sie auf Unverständnis gestoßen.

Auch in der Sächsischen Akademie der Künste führte die Absage durch die Messegesellschaft, einer Tochter des Freistaates Sachsen und der Stadt Leipzig, zu Irritationen und Debatten. Unsere Mitglieder vertreten auf herausragende Weise die Bereiche Literatur, Kunst, Tanz-, Theater- und Filmwelt, Baukunst und Musik und stammen vor allem aus Mitteldeutschland und den angrenzenden Staaten Mittelosteuropas und sehen daher mit besonderem Interesse auf die Leipziger Situation.

Aus Sicht der Akademie ist die Absage sehr zu bedauern. Das Argument, die Absage sei durch das Fernbleiben der großen Medienkonzerne unausweichlich, erscheint in unseren Augen nicht stichhaltig.

Insgesamt ist festzustellen, dass die Leipziger Messe weniger als Verkaufsmesse von Büchern und Lizenzen floriert, wie es für die Frankfurter Buchmesse zutrifft. Vielmehr hat sie sich in den vergangenen Jahren vor allem als Lese-, Autoren- und Publikumsmesse mit großer nationaler, aber auch internationaler Ausstrahlung profiliert. Besonders für den mitteldeutschen Raum, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, ist sie unverzichtbarer Begegnungsort auf dem Feld der Literatur und zugleich Plattform für wichtige soziale und gesellschaftspolitische Debatten.

Zudem ist sie Drehscheibe für die Literatur Mittel- und Osteuropas, ein Schwerpunkt, der gerade für den sächsischen Kulturraum relevant ist.

Auch die im Rahmen der Leipziger Buchmesse verliehenen Preise genießen hohes Ansehen und heben das Prestige der Stadt und des Freistaates, dies gilt in besonderer Weise für den seit 1994 verliehenen Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung, für den seit 2005 vergebenen Preis der Leipziger Buchmesse aber auch für den Kurt-Wolff-Preis, mit dem das Gesamtschaffen oder das vorbildhafte Verlagsprogramm eines deutschen oder in Deutschland ansässigen unabhängigen Verlages geehrt wird.

Die Akademie begrüßt die Initiativen für eine Pop-up Buchmesse in Leipzig, die deutlich zeigen, wie wichtig es ist, die Leipziger Buchmesse im kommenden Jahr mit neuem Profil stattfinden zu lassen in der Hoffnung, die massiven Imageschäden für den Freistaat und den Messestandort Leipzig wieder auszugleichen.

Gerade der Krieg gegen die Ukraine zeigt, welcher Stellenwert der Verständigung zwischen den Kulturen, Sprachen und Ländern Mittel- und Osteuropas zukommt, vor allem auch die Diskussion von Perspektiven und Möglichkeiten des künftigen Zusammenlebens in Europa. Die Leipziger Buchmesse wird für die Entwicklung eines neuen Mitteleuropa-Diskurses eine prädestinierte Rolle einnehmen, in dessen Mittelpunkt die Freiheits- und Menschenrechte für alle stehen. Anzuregen ist, der Leipziger Buchmesse vor diesem Hintergrund eine neue Ausrichtung zu geben.

 

Dresden, 6. Februar 2022

Die erst spät bekannt gewordenen Pläne für die Neugestaltung des Lindenau-Museums in Altenburg erfordern eine kritische Stellungnahme.

Das Lindenau-Museum ist nicht nur wegen seines Inhalts weit über die Grenzen Thüringens hinaus bedeutsam. Sein singulärer Charakter liegt im hervorragend überlieferten Zusammenspiel einer einzigartigen Sammlung mit dem für diesen errichteten Museumsbau und dem damit verbundenen pädagogischen und kulturpolitischen Anspruch. Eine Realisierung der vorgestellten Umbauplanung würde die Integrität dieses „Denkmals von nationaler Bedeutung“ in höchstem Maße beschädigen. Die Umbauplanung folgt der Idee, den massiven Sockelvorbau in eine gläserne Eingangshalle umzuinterpretieren. Das zeugt von einem grundsätzlichen Unverständnis für die architektonischen Anforderungen eines solchen Bauwerks. Der Ursprungsgedanke, den repräsentativen Monumentalbau tektonisch sinnvoll in die Hanglage hinein zu platzieren, wird ins Lächerliche gekehrt. Diese Idee sollte nicht weiterverfolgt werden, will man das Lindenau-Museum nicht dauerhaft beschädigen.

Ebenso wenig überzeugt die Entscheidung, die Freitreppe zu entfernen, da sie nicht „original“ sei. Natürlich ist die Treppe ein Original ihrer Zeit. Sie ist aus nachvollziehbaren Gründen um 1910 in dieser Form errichtet worden und stellt ein heute selten gewordenes Zeugnis der frühen Verwendung von Beton für monumentale Anlagen dar. Zudem demonstriert sie, wie man damals vorsichtig versucht hat, aus dem Neurenaissancebau eine neubarocke Anlage zu formen. Nach allen Kriterien des Denkmalschutzes ist ein solches Bauteil zu erhalten und nach Bedarf zu reparieren, allenfalls schonend anzupassen. Auch aus architektonischen Gründen erscheint ein Verzicht auf die große Freitreppe dem Bauwerk nicht angemessen. Ohne die plastische Betonung der Eingangssituation verliert der dominierende Portalrisalit seinen ästhetischen wie auch praktischen Sinn. Die Beseitigung der Treppe wäre nur als Amputation, als polemische Verfremdung zu deuten – ein überholter und wenig weitsichtiger Umgang. Die anerkannten Erfordernisse der Barrierefreiheit dürfen nicht als Freibrief dienen, um Werke der Baukunst dauerhaft zu entstellen. Es gibt hierfür gute Lösungen.

Das Vergabeverfahren war offenbar nicht angemessen für den Umfang der geplanten Eingriffe, ganz abgesehen von der Frage seiner formalen Korrektheit. Die Fehlentwicklung hätte vermieden werden können, wenn, wie bei derart bedeutenden und öffentlich finanzierten Projekten üblich, der Weg über einen Wettbewerb mit vorangehenden Fachkolloquien gegangen worden wäre. 

Die geplanten Maßnahmen, die von Bund und Land erhebliche Fördermittel erhalten sollen, weichen von heute allgemein geteilten architektonischen und denkmalpflegerischen Standards ab. Das Projekt scheint noch einer antihistoristischen Haltung verhaftet, wonach man derartigen Bauwerken mit Kontrast und Verfremdung entgegentreten müsse – ein seit langem überholtes Denken, das hier zum Angriff auf ein hochwertiges, in seltener Geschlossenheit erhaltenes Gesamtwerk antritt. 

Die Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste appelliert an die Verantwortlichen, diese Planung grundsätzlich zu überdenken.

 

Der 16. Thomaskantor nach Bach

Georg Christoph Biller

Eine Würdigung von Roderich Kreile, Kreuzkantor

Zu unserer ersten persönlichen Begegnung kam es schon bei meiner Amtseinführung in Dresden im Januar 1997. Der 16. Thomaskantor nach Johann Sebastian Bach war aus Leipzig angereist und überbrachte seine und des Thomanerchores beste Wünsche. Schon bald vereinbarten wir, eine alte Tradition der Begegnungen beider Chöre wieder aufzugreifen, was wir in den Folgejahren, zwar in Zeitabständen, aber doch regelmäßig realisieren konnten. Hier konnte ich das Wirken des Thomaskantors mit seinem Chor unmittelbar wahrnehmen und sah einen Erzmusiker bei der sowohl das Pädagogische als auch das Musikalische in ausgezeichneter Weise umfassenden Arbeit. Wir hatte Freude am gemeinsamen Wirken z.B. beim Leipziger Kirchentag, bei der Orgelwoche Nürnberg, wo wir T. Tallisʼ 40-stimmige Motette „Spem in alium“ ebenso darboten wie das „Stabat mater“ aus der Lukaspassion Pendereckis. Unvergessen auch, als wir unter seiner Leitung Regers Psalm 100 aufführten und sich gewaltige Klangmassen in der Thomaskirche auftürmten.

Georg Christoph Biller war ein äußerst vielseitiger Musiker und Beweger. 

Kurz nach Gründung der Sächsischen Akademie der Künste trat Georg Christoph Biller am 29. Februar 1996 in die Klasse Musik ein. Hier zeigte er bald ein umfassendes Engagement. So entwickelte die Akademie auf seine Anregung hin mit ihm sowie dem Alumnat der Thomaner, (später auch unter Mitwirkung von Siegfried Thiele und Frank Schneider) in Leipzig im Jahr 2000 aus Anlass des Bach-Jahrs viel beachtete Diskussionszyklen (Reihe »Lectiones Thomanae«), die u.a. auch von Georg Christoph Biller moderiert wurden. Im Jahr 2002 gab es einen Diskussionszyklus zur historischen Aufführungspraxis und historischen Instrumenten bei Bach. In seiner Moderation wurden aber auch Uraufführungen zeitgenössischer Komponisten erörtert, wie Steffen Schleiermachers Vertonung des 88. Psalms (2002). Oder bereits am 7. März 1997 bei einer Diskussion in der Oper Leipzig zu Herchets Oper „Abraum“ (Regie Peter Konwitschny) mit Wolfgang Engel, Dieter Görne, Friedrich-Wilhelm Junge, Irina Pauls und Werner Schmidt. Die intensive Diskussions- und Veranstaltungstätigkeit dauerte bis 2002 fort.

Frank Schneider schrieb in einem Rückblick auf die Tätigkeit der Klasse Musik aus Anlass von 20 Jahren Akademie 2016: „Das Jahr der Jahrtausendwende stand für die internationale Musikwelt, insbesondere für Leipzig und nicht zuletzt für die Sächsische Akademie im Zeichen des 250. Todestages von Johann Sebastian Bach. Der Dauereinsatz von Thomaskantor Georg Christoph Biller verlieh der Klasse eine gleichsam virtuelle Präsenz auf höchstem Niveau, und endlich trat auch einmal ein Vertreter jener interpretierenden Sparte voll ins öffentliche Licht, für die sich ansonsten im akademischen Veranstaltungskalender so schwer angemessene Artikulations- und Präsentationsformen sui generis finden lassen.“

Georg Christoph Biller, aus einem Pfarrhaus stammend, wurde 1955 in Nebra geboren. Mitglied des Thomanerchores wurde er als Zehnjähriger und durchlief, als musikalisch Hochbegabter, seine Chorzeit erfolgreich: letztlich diente er dem Chor als 1. Chorpräfekt. Folgerichtig studierte er an der Leipziger Musikhochschule Dirigieren und Gesang. Nur mit höchster Anerkennung darf man sein Tun als Sänger und Chorleiter wahrnehmen. Leider hatte ich nie Gelegenheit, ihn als „Christus“ in Bachschen Passionen zu hören, eine Partie, die er nach Aussagen von damaligen Zuhörern in außergewöhnlich intensiver Weise dargestellt hat. Und zu erwähnen sind die Übernahme des Gewandhauschores 1980 und seine ausgedehnte Unterrichtstätigkeit in Halle, Detmold und Frankfurt/Main.

Die Turbulenzen der Wendejahre hatten natürlich auch Auswirkungen auf den Thomanerchor. Thomaskantor Rotzsch musste sein Kantorat wegen Verstrickungen mit der Stasi niederlegen; die innere Verfasstheit des Chores war durch einen relativ hohen Anteil kirchlich nicht gebundener Thomaner instabil.

Biller wurde in diese Situation 1992 als 16. Thomaskantor nach Bach berufen und begann ein Werk der Erneuerung im Geiste der großen Tradition. Ihm gelang diese Stabilisierung auf musikalisch höchstem Niveau. Zukunftsweisend und den Thomanerchor dauerhaft stärkend dann die Umsetzung des „forum thomanum“, mit dem eine wunderbare Synthese des Zusammenwirkens von Chor, Kirche und Schule erreicht wurde.

Wir, der Dresdner Kreuzchor, nahmen dann dankbar die Gelegenheit zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 800-jährigen Bestehen des Thomanerchores wahr.

Doch über Jahre hinweg mussten wir wahrnehmen, dass sein Tun durch Krankheit immer mehr eingeschränkt wurde. Für mich war es allerdings immer wieder verblüffend wahrzunehmen, wie der Thomaskantor während eines Dirigates aufblühte und krankheitsbedingte Einschränkungen kaum mehr auftraten. Dennoch führte das Fortschreiten der Krankheit dazu, dass er 2015 das Kantorat verlassen musste. Unbeugsam und sich selbst fordernd widmete er sich weiter chorischen Projekten und dem, von ihm, wie könnte es anders sein, auf hohem Niveau weiter verfolgten Komponieren.

Am 27. Januar 2022 aber kam sein Lebenslauf zu seinem Ende. Ein außergewöhnlicher Mensch und Musiker ist von uns gegangen.

 

2021

Leipzig, 10.12.2021

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Thomas Topfstedt. Der Kunsthistoriker war seit dem Jahr 2000 aktives Mitglied der Klasse Baukunst. Neben der Forschung zur Architekturgeschichte insbesondere zur Stadt Leipzig nahm er stets Bezug zur Gegenwart und engagierte sich in zahlreichen Initiativen für den Kulturerhalt. Er verstarb am 6. Dezember 2021 im Alter von 74 Jahren in Leipzig. Nachruf von Annette Menting, Architekturhistorikerin Leipzig und Mitglied der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste.
 

Thomas Topfstedt (1947-2021)
Kunst- und Architekturhistoriker ostdeutscher Kulturlandschaften

Als es in den Jahren der Umbrüche um 1990 um das Verständnis für die letzten 40 Jahre Architektur und Städtebau in der DDR ging, war Thomas Topfstedt eine der ersten Adressen, an die man sich wandte und zwar aus zwei Gründen: Er kannte sich als Kunsthistoriker und Professor für sozialistische Gegenwartskunst (Denomination bis 1991) exzellent aus, hatte seine Habilitation an der Karl-Marx-Universität Leipzig erst wenige Jahre zuvor dem Thema gewidmet, sie als Publikation „Städtebau in der DDR 1955–1971“ vorgelegt und zugleich war er ein bemerkenswert interessierter und aufgeschlossener Mensch, so dass wertvolle Information gewiss war.

Als Kunsthistoriker hat er einen Schwerpunkt in der Architekturgeschichte entwickelt über die Epochen vom Historismus bis zur Ostmoderne und topografisch vor allem in den ostdeutschen Kulturlandschaften. Seit den neunziger Jahren entstanden Beiträge zu seiner Stadt: „Oper Leipzig“ (1993), „Der Leipziger Augustusplatz“ (1994, mit Pit Lehmann) und „Leipzigs Messen 1497–1997“ (1999, mit Hartmut Zwahr und Günter Bentele). Seine historischen Arbeiten nahmen regelmäßig Bezug und Position zu aktuellen Entwicklungen: So war das Kolloquium „Zukunftsfähig oder verzichtbar? Die Architektur der 50er und 60er Jahre in Leipzig“, das wir gemeinsam mit Peter Leonhardt und Wolfgang Hocquél im Ringcafé 2004 durchführten, den gefährdeten Zeugnissen der jüngeren Baugeschichte gewidmet, da bereits zahlreiche Abbrüche sozialistischer Bauten das Stadtbild verändert hatten.

Die Werkstattgespräche zur DDR-Planungsgeschichte des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner wurden zum wichtigen Zentrum des Austauschs unterschiedlichster Generationen von Wissenschaftlern und Praktikeren (Denkmalpflege, Kunst- und Kulturgeschichte, Architektur und Städtebau). Für das IRS haben Thomas Topfstedt und Holger Barth mit der Publikation „Vom Baukünstler zum Komplexprojektant. Architekten in der DDR“ (2000) einen frühen Ansatz verfolgt, die Architektenschaft der DDR zu skizzieren, daran konnte man orientieren und anknüpfen. Thomas Topfstedt war als ein in der DDR sozialisierter Wissenschaftler gefragt und so finden sich in den Ostmoderne-Publikationen und -Kolloquien stets auch seine Beiträge zur DDR-Architektur und ihren Entstehungskontexten; eine vollständige Liste würde den Rahmen sprengen, daher stellvertretend der Verweis auf das von Martin Maleschka herausgegebene Buch „DDR. Baubezogene Kunst“ (2018) als eine der jüngst erschienenen Publikationen. Als ordentlicher Professor für Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Leipzig war er Mentor für viele Nachwuchswissenschaftler (von denen nicht wenige später in der Denkmalpflege tätig wurden), begeisterte für die Themen und betreute qualitätvolle Abschluss- und Doktorarbeiten zu Kunst, Stadt und Architektur. 

Neben der Erforschung waren ihm Aktivitäten für den Kulturerhalt gleichermaßen Anliegen und so findet sich sein Name seit vielen Jahren bei Denkmal-Initiativen und Appellen, so auch noch vor wenigen Wochen in dem offenen Brief zum Erhalt des Lindenau-Museums in Altenburg, initiiert aus der Klasse Baukunst der Akademie. Die thüringische Stadt hatte ihn besonders beschäftigt, zuletzt in dem Beitrag „Stadtdenkmal Altenburg. Eine Herausforderung“, der in einer von Jutta Penndorf und Matthias Flügge herausgegebenen Schrift „Altenburg - Provinz in Europa“ (2007) erschien. In diesem Position-Beziehen zeigt sich das Verantwortungsverständnis des Historikers Thomas Topfstedt. Sein Wissen und Engagement brachte er in verschiedenen Akademien und Institutionen als aktives Mitglied ein, darunter die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung, der Denkmalrat des Freistaates Sachsen, die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig - und nicht zuletzt die Sächsische Akademie der Künste, deren Klasse Baukunst er seit 2000 angehörte.

Zu seiner Verabschiedung von der Universität Leipzig, an der Thomas Topfstedt von 1988 bis 2012 als Professor gewirkt hatte, erschien eine Würdigungsschrift mit dem Titel „Kunst und Architektur in Mitteldeutschland“. Hier wird deutlich, wieviele Impulse er gegeben hat und wie vielfältig seine Interessen waren, denn die ihm gewidmeten Beiträge des Bandes umfassen unter anderem den Kathedralbau, die Buchillustration, die Architektur- und Gartengeschichte sowie den Raum als Motiv der Literatur; Nadja Horsch, Zita Á. Pataki und Thomas Pöpper haben diese Publikation seinerzeit sorgfältig editiert. Die Universität Leipzig war zuvor noch einmal zum Gegenstand seiner architekturhistorischen Forschung geworden, da Thomas Topfstedt zusammen mit seiner Kollegin Michaela Marek zum 600. Jubiläum der Leipziger Universität 2009 den Band „Geschichte der Leipziger Universitätsbauten im urbanen Kontext“ herausgeben hatte. 

Nach seiner Emeritierung hat er sich erneut seiner Stadt gewidmet und ein Kapitel zur fünfbändigen Geschichte der Stadt Leipzig beigesteuert. Thomas Topfstedt war Leipziger Kulturmensch. Geboren wurde er am 18. Februar 1947 in Erfurt, doch kam er bereits 1965 zum Studium der Kunstgeschichte an die Karl-Marx-Universität nach Leipzig. Nach einem fünfjährigen Zwischenaufenthalt in Berlin als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Städtebau und Architektur der Bauakademie der DDR, kam er 1975 zurück in die Stadt, die zu seinem Arbeits- und Lebensmittelpunkt wurde. Nach Promotion und Habilitation wurde er kurz vor der politischen Wende 1988 zum Professor an der Karl-Marx-Universität ernannt, übernahm 1990 die kommissarische Leitung und später die geschäftsführende Direktion des Instituts für Kunstgeschichte. Kennengelernt habe ich Thomas Topfstedt als ich um 2000 von Berlin nach Leipzig gezogen bin. Ein Besuch in seiner schönen Gründerzeitwohnung verdeutlichte, dass auch das 19. Jahrhundert zu seinem Interessensfeld gehörte. Er hatte sich für den Erhalt der gründerzeitlichen Stadt engagiert, insbesondere angesichts von Vernachlässigung und Verfall des historischen Leipzigs während der DDR-Zeit. 

Am 6. Dezember 2021 verstarb Thomas Topfstedt. Eine eindrucksvolle Serie von Illustrationen zu Morgenstern-Gedichten ist noch in diesem Frühjahr während seines Aufenthalts in einer Reha-Klinik entstanden, pandemiebedingt isoliert von Familie und Freunden. In letzter Zeit hatte der Kunst- und Architekturhistoriker sein Medium gewechselt und seine stets aus Freude betriebenen Handzeichnungen weiterentwickelt, sie spiegeln seine präzise Beobachtung und seinen feinsinnigen Humor. Er war ein Kulturmensch und hat angesichts der eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten phantastische Räume und Landschaften imaginiert und illustriert. Unsere gemeinsamen Gespräche und seine kenntnisreichen Beiträge werden nicht nur in der Sächsischen Akademie der Künste fehlen.

 

1. Dezember 2021

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Günter Neubert. Der Komponist verstarb am 18. November 2021 im Alter von 85 Jahren in Leipzig. Noch wenige Wochen vorher widmete er sich mit Engagement seinen kompositorischen Projekten. Nachruf von Christfried Brödel, ehemaliger Rektor der Hochschule für Kirchenmusik Dresden und Mitglied der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste.

 

Zum Gedenken an Günter Neubert (1936–2021)

Mit dem Komponisten Günter Neubert ist ein profiliertes Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste von uns geschieden. Im Alter von 85 Jahren verstarb er am 18. November 2021 nach kurzer, schwerer Krankheit. Bis wenige Wochen vorher widmete er sich mit Engagement und jugendlicher Frische kompositorischen Projekten.

Sofort nach der Wiedervereinigung Deutschlands hatte er sich für die Gründung einer Sächsischen Akademie der Künste eingesetzt. Sein ursprünglicher Plan, die Weesenstein-Akademie der Künste und Musik unter dem ehemaligen Semperoper-Intendanten Schönfelder als eine solche zu etablieren, stieß beim Freistaat Sachsen verständlicherweise auf wenig Gegenliebe. Doch Neubert setzte seine Bemühungen beharrlich fort und war ein wesentlicher Motor für die Gründung einer landeseigenen Akademie der Künste. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bestellte ihn 1992 zum Mitglied des Gründungsausschusses. Folgerichtig wurde er 1996 zum Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste berufen. 2002 bis 2003 nahm er die Funktion des Stellvertretenden Sekretärs der Klasse Musik wahr und arbeitete mit dem damaligen Sekretär Steffen Schleiermacher zusammen.

 

Zahlreiche Impulse im Leben der Akademie gingen von Günter Neubert aus. Unter dem Titel „Musik und Poesie. Vertonungen – Ein Geben, ein Nehmen?“ wurden am 21. März 2006 Kompositionen von Friedrich Goldmann, Günter Neubert, Steffen Schleiermacher und Siegfried Thiele nach Texten von Volker Braun, Wolfgang Hilbig, Reiner Kunze und Thomas Rosenlöcher in Leipzig uraufgeführt; eine zweite Darbietung des Konzerts fand in Dresden in Anwesenheit von Reiner Kunze, dem Textautor der Neubertschen Komposition, statt.

2010 beteiligte sich Neubert am Fleming-Projekt der Akademie zum 400. Geburtstag des Barockdichters. In seinem Rahmen wurden Kompositionen von Mitgliedern der Klasse Musik (Goldmann, Neubert, Schenker, Schleiermacher, Thiele) in den Jahren 2010 bis 2012 in Leipzig, Dresden und Breslau aufgeführt und vom MDR gesendet.

Nicht unerwähnt seien die Akademie-Gespräche, die Neubert führte: 2001 zur konzertanten Aufführung seiner Oper „Persephone oder Der Ausgleich der Welten“ mit Carl Ceiss, Werner Heiduczek und Johannes Kalitzke sowie 2005 anlässlich der Uraufführung seines Singspiels „Animal maris cantans“ („Der singende Fisch“) in der Dresdner Philharmonie mit Theo Adam, Jürgen Becker, Klaus Burmeister, Werner Heiduczek und Wilfried Krätzschmar.

In der Reihe „Komponistengespräche“ diskutierte er 2006 mit Manfred Trojahn aus Düsseldorf (Moderation: Frank Schneider). Unter dem Titel „Richtiges Leben im falschen“ blickte er 2019 in einer Podiumsdiskussion zusammen mit Jörg Herchet und Wilfried Krätzschmar auf die DDR-Zeit zurück, nachdem Christfried Brödel, der das Gespräch moderierte, mit einem Vortrag „Neue Musik unter dem Dach der Kirche in der DDR“ in die Thematik eingeführt hatte.

Günter Neubert hatte selbst erlebt, dass den Komponisten der DDR nach 1989 nicht automatisch der ihnen zukommende Rang in der gesamtdeutschen Kulturlandschaft eingeräumt wurde. Vielleicht waren es auch diese Erfahrungen, die ihn bewogen, sich nachdrücklich für die Stärkung des Engagements der Akademie im mitteldeutschen Kulturraum einzusetzen, auch durch die Berufung von Künstlern und Kunsttheoretikern aus diesem Umfeld als neue Mitglieder.

Günter Neubert stammte aus der westsächsischen Industriestadt Crimmitschau. Er studierte zunächst Schulmusik an der Hochschule für Musik Leipzig, danach das Fach Tonmeister an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin. Als Gasthörer und Aspirant bei Rudolf Wagner-Régeny setzte er seine Studien fort und erwarb die Lehrbefähigung für Musiktheorie. Ein Meisterstudium für Komposition bei Wagner-Régeny und Paul Dessau an der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost) krönte seine musikalische Ausbildung.

Viele Jahre arbeitete er als Tonregisseur beim Rundfunk der DDR in Leipzig. Von 1992 bis 2000 war er Tonmeister beim Mitteldeutschen Rundfunk. Zwischen 1978 und 2006 nahm er außerdem verschiedene Lehraufträge an den Musikhochschulen in Leipzig und Dresden wahr.

Auch außerhalb der Akademie brachte sich Neubert In vielen wichtigen Gremien ein, z. B. als Vorstandmitglied im Deutschen Komponistenverband, dessen Landesverband Sachsen er 1995 bis 2001 leitete. Er war Mitglied im Sächsischen Musikrat und arbeitete im Vorstand des Sächsischen Musikbundes mit. Sein Wirken wurde durch den Hanns-Eisler-Preis des Rundfunks der DDR (1980), den Kunstpreis der Stadt Leipzig (1984), einen Preis beim Kompositionswettbewerb „Reformation und Musik“ der Evangelischen Kirche Deutschlands sowie den Helmut-Bräutigam-Preis der Stadt Crimmitschau gewürdigt. 

Günter Neuberts kompositorisches Œuvre zeichnet sich durch große Vielfalt der Besetzungen und Themen aus. Von seiner Oper „Persephone oder Der Ausgleich der Welten“ war bereits die Rede. Neben der musikalischen Allegorie „Animal maris cantans“ erlangte vor allem sein musikalisches Märchen „Die Weihnachtsgans Auguste“ große Bekannt- und Beliebtheit. Neben zahlreichen Orchesterwerken, Kammermusik und Liedern darf sein vokalsinfonisches Schaffen nicht unerwähnt bleiben, in dem sich Neubert vor allem geistlichen Themen widmete. Das Oratorium „Laudate Ninive“ entstand für den Kirchentag 1983 in Hannover und erklang in der DDR am beziehungsreichen 17. Juni 1989 in der Leipziger Thomaskirche. Stellvertretend für viele weitere seien genannt: „Wo der Herr nicht das Haus baut“ (2005 zur 800-Jahr-Feier Dresdens für die Martin-Luther-Kirche Dresden) und „Da pacem, Domine“ (2008, zum Gedenken an den Westfälischen Frieden). 2019 schrieb er in jugendlicher Frische die sehr wirkungsvolle Glockenweihemusik für das neue Geläut der Leipziger Nikolaikirche. Zahlreiche Orchester und Chöre interpretierten seine Werke, darunter der Thomanerchor und das Gewandhausorchester Leipzig, die Dresdner Staatskapelle, die Dresdner Philharmonie, der Philharmonische Chor und Kinderchor Dresden, der Dresdner Bachchor, die Kantorei der Lutherkirche Radebeul, die Meißner Kantorei 1961, das Ensemble vocal modern und der Chor der Hochschule für Kirchenmusik Dresden.

 

Günter Neubert war ein kraftvoller, innerlich glühender, kantiger Mensch, der kompromisslos das als richtig Erkannte, sein persönliches Anliegen, in seiner Kunst ausdrückte. In einer Zeit, in der es unmodern geworden ist, eine eigene Überzeugung zu offenbaren, und in der mitunter die perfekte Beherrschung des Handwerks bei weitgehender inhaltlicher Beliebigkeit zum Selbstzweck wird, ist es nicht leicht, diese Position durchzuhalten.

Faule Kompromisse waren Günter Neubert fremd. In seinen Werken wird man belangloses Schwelgen in gefälligen Melodien und Stellen von eitler Schönheit vergeblich suchen. Ein starker Ausdruckswille, das unbedingte Bestreben, den Hörer zu erreichen und zu bewegen, sind bereits aus dem Notenbild seiner Kompositionen ersichtlich.

Zum Neuberts 85. Geburtstag im März dieses Jahres hatte das Gewandhausorchester Leipzig zu seinen Ehren ein Konzert geplant, das wegen der Corona-Pandemie ausfallen musste. Wie gut, dass es im September nachgeholt wurde und der Jubilar noch die Uraufführung seines Nonetts (Kompositionsauftrag 2020) miterleben konnte!

Wir haben Günter Neubert viel zu danken. Mögen seine Werke auch weiterhin erklingen und Zeugnis ablegen von der großen inneren Kraft und dem glühenden Aussagewillen ihres Schöpfers.

 

28. Oktober 2021

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Udo Zimmermann, der am 22. Oktober 2021 verstarb. Der 1943 in Dresden geborene Komponist war Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste und von 2008-2011 Präsident der Akademie. Nachruf von Annette Schlünz, Komponistin.
 

»Ein Garten der Zeit«
Zum Tod des Komponisten Udo Zimmermann (6.10.1943 – 22.10.2021)

Stück für Stück wurde er unaufhaltsam von seiner Krankheit aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Er, den ich in umtriebiger und lebendiger Art in Erinnerung behalten werde. Immer aktiv, immer neue Projekt anstoßend, Musik und Ideen im Kopf, die Pläne zum eigenen Komponieren darin verwoben.

Der »Gantenbein« nach Max Frisch geisterte schon zu meinen Studienzeiten durch sein Arbeitszimmer, leider blieb es ein Gedanke, ein unrealisiertes Opernprojekt. Aber vielleicht ist es auch gerade dass, was ihn weiterleben lässt. Seine tollen Pläne, die nicht alle umgesetzt werden konnten. Diese sprudelnde Art, an Dinge heranzugehen, unermüdlich, immer neue Türen aufstoßend und neue Pläne schmiedend, mich schon als seine Studentin in den frühen 80iger Jahren ansteckend, dann später als mein »Chef« im Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik. Er hatte die geniale Idee, zwei Komponisten je eine halbe Stelle in seinem 1986 neu gegründeten Institut zu vermitteln. Ein das Leben sicherndes kleines Gehalt und gleichzeitig Zeit zum Komponieren.

So war er, kein: es geht nicht, sondern: wir machen das möglich. Er probierte es aus. Das eventuelle Scheitern gehörte dazu, aber das Durchhalten zählte wie die Standhaftigkeit.

Bei unserem ersten Unterricht im September 1983, Udo Zimmermann war kurz vorher zum Professor an die Dresdner Musikhochschule berufen worden, kannte ich keine Musik von ihm. Ich sollte sie in den folgenden Jahren bei ihrer Entstehung erleben dürfen, die neue Fassung der »Weißen Rose« vor allem, die ihn voll und ganz beanspruchte. Er sprach über die jeweils im Entstehen befindliche Szene, spielte sie am Klavier, sang dazu und hinterfragte jede seiner Ideen, indem er sie weiter trug in die Köpfe seiner Studenten.

Udo Zimmermann wurde 1943 in Dresden geboren und war von 1954 bis 1962 Kreuzschüler. Er war zeitlebens in seiner Heimatstadt verwurzelt, auch wenn er an anderen Orten arbeitete und sehr viel unterwegs war. Seine Zeit als Dramaturg der Staatsoper Dresden ab 1970 prägte ihn stark - die Dramaturgie in seinen eigenen Stücken und in denen seiner Studenten stand immer im Vordergrund. Befand er sie in unseren Stücken nicht für stimmig, redete er auch nicht mit uns über die musikalische Konzeption, erst musste die Struktur des Werkes stimmen. Die vorbereitende Diskussion über eine Komposition nahm wesentlich mehr Zeit ein als das Komponieren selbst. Fast könnte man sagen, die Noten interessierten ihn letztendlich weniger. War er von der Dramaturgie eines Stückes überzeugt, redete man über musikalische Ideen, dann ließ er uns freie Hand beim Komponieren.

In der Erinnerung seiner Studenten bleibt viel von diesen achtziger Jahren. Udo Zimmermann zog auf die Schillerstraße und wir fuhren zum Einzelunterricht dorthin. Wenn nicht kurz zuvor eines der zahlreichen Urgent-Telegramme in unsere Studentenwohnungen flatterte, wie dieses von 1988: »liebe annette – durch dringende kurzfristige auslandsverpflichtungen ist unser treffen in diesen tagen leider nicht moeglich – ich nehme mir dies fuer die 2. aprilwoche aber ernsthaft vor – ein schoenes osterfest – gruss Udo Zimmermann«

In dieser Zeit pendelte er ständig zwischen Bonn und Dresden. 1985 war Udo Zimmermann Leiter der Werkstattbühne an der Oper Bonn geworden. Er ließ uns teilhaben an diesem Leben »draußen«, es war einerseits eine musikalisch kompositorische und andererseits eine deutsch-deutsche kulturpolitische Ausbildung. In seinem Arbeitszimmer wurden die Aufführungen neuer Werke, die Musik der im westlichen Ausland gespielten Komponisten lebendig. Dort konnte man die neuesten westdeutschen Bücher und Zeitschriften lesen, es war unser Tor zur Welt.

Zu diesen Informationen aus dem Westen kamen die persönlichen Begegnungen im Haus Udo Zimmermann, ungeachtet der verbotenen Westkontakte – so konnte ich zum Beispiel Reinhard Flender vom Peer-Verlag Hamburg und den Komponisten Xaver Thoma durch Dresden führen, dessen Oper »Draußen vor der Tür« nach Wolfgang Borchert Udo Zimmermann (1990–2001 Intendant der Oper) 1995 in Leipzig auf den Spielplan setzte.

In Leipzig konnte Udo Zimmermann sein Engagement für das zeitgenössische Schaffen endlich auf die von ihm so geliebte Oper konzentrieren. Die Uraufführungen von Stockhausens »Dienstag aus Licht« 1993, »Freitag aus Licht« 1996, Dieter Schnebels »Majakowskis Tod« 1998, Jörg Herchets »Nachtwache« 1993, »Abraum« 1997, Günter Neuberts »Persephone« 2001 und Aufführungen von Ligetis »Grand macabre« in der Inszenierung von Joachim Herz 1992 ließen die Leipziger Oper zur »Pilgerstätte« für neues Musiktheater werden. Meine eigene Kammeroper »Matka« konnte dank Udo Zimmermanns 1991 im Kellertheater uraufgeführt werden und »TagNachtTraumstaub« in Koproduktion mit der Expo 2000 in Hannover eröffnete den Deutschen Pavillon, bevor sie nach Leipzig gehen sollte. Udo Zimmermann träumte vom Festival zeitgenössischen Musiktheaters – die Praxis hatte leider nicht genug Raum und Geld für so viele Produktionen, das Publikum, die Politik wollten anderes.

Das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik (DZzM), 1986 aus dem bereits 1974 gegründeten »Studio Neue Musik« hervorgegangen, war unter seiner Leitung bis 2008 ein Podium experimenteller Musik, Theater und Tanz, Begegnungsstätte der Kreativen in Konzerten und Symposien, bis 2004 befand es sich auf der Schevenstraße 17 in Dresden, dann wurde es in das Europäische Zentrum der Künste (EZK) in Hellerau überführt.  Udo Zimmermann verstand es auch hier mit dramaturgischem Feingefühl, Gestandenes neben Gewagtes zu stellen. Liest man die Programme dieser Zeit, so findet man wohl jede/n bedeutende/n Komponist/i/n, es wäre müßig, Namen hier aufzuzählen. Genauso wichtig waren ihm die jungen Komponistinnen und Komponisten, die hier ihr erstes Netzwerk erstellen konnten. Verbindungen, die bis heute tragen.

Die Möglichkeiten des Musik-Erfahrens und des Austausches waren gerade in den letzten Jahren der DDR einzigartig, es lebte hier ein freier, europäischer Geist im Schöpferischen.

1997 bis 2011 hatte er die künstlerische Leitung der Reihe musica viva des Bayerischen Rundfunks inne und brachte in diesen 14 Jahren seines Wirkens 175 Werke zur Uraufführung. Auch dort wurde er kein »schöngeistiger Verwaltungsbeamter«. Wie Kristin Amme in ihrem BR-Nachruf schreibt: »er hatte einen Hang zum Spröden... aber war zugleich jemand, der alles gegeben hat, wenn ihm etwas am Herzen lag. Jemand, der keinen Konflikt gescheut hat. Einer, ohne den das Musikleben der Stadt München heute ganz anders aussähe.« Ein schöneres Statement kann man ihm nicht bescheinigen. Er hat Deutschlands heutiges Musikleben geprägt.

Dies tat er auch in seinen Akademie-Funktionen: Udo Zimmermann war Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste, berufen Anfang 1996 von Kurt Biedenkopf. Von 2008 bis 2011 war er Präsident der Akademie. Als solcher hatte er ein gutes Gespür für Innovation und Qualität, und er war - nach zwei Präsidenten, die den Fokus ihres Denkens eher auf Dresden richteten – wie schon zu Zeiten, als man noch nicht davon sprach: im guten Sinne des Wortes europäisch.

Was wird bleiben von seinem kompositorischen Werk? Ich wünsche mir »Levins Mühle« nach Bobrowski (1972) und »Die wundersame Schustersfrau« nach Lorca (1982). Die »Weiße Rose« (1986) hat schon ihren festen Platz im Repertoire zeitgenössischen Musiktheaters bereits gefunden. Es gibt weit über 200 Inszenierungen des Werkes. Udo Zimmermanns eigenes Dirigieren der Oper mit dem musica viva Ensemble Dresden bleibt unvergessen.

Sein Bezug zur Literatur und Poesie war enorm. Er vertiefte sich immer wieder in die Dichtung, vermittelte sein Wissen, animierte zum Lesen und Erfahren, zum Nachdenken. Die ihm nahe stehenden Dichterinnen und Dichter zitierte er: Nelly Sachs, Else Lasker-Schüler, Johannes Bobrowski, Tadeusz Różewicz, Karel Čapek und immer wieder Federico García Lorca. Diesem widmete er 1977 die »Sinfonia come un grande lamento«, an deren Anfang ein mehr als vier Minuten langes Paukensolo steht, einsam und wachrüttelnd, bis zart erst die Celli und nach und nach alle Instrumente einsetzen und in einem riesigen, sich beschleunigenden Crescendo zu einer Art Marsch führen, der abrupt endet. Der Stille entsteigt eine klagende Melodie, die sich polyphon verwebt, im unisono endet und auf einem einzelnen langen Ton verklingt – ein Symbol für Udo Zimmermanns Haltung, die die Sehnsucht nach Frieden einschließt.

Für diese Geisteshaltung steht ebenso das chorsinfonische Werk »Pax questuosa« (Der klagende Friede) von 1982, eindrucksvoll von Uwe Scholz in Leipzig choreografiert.

Ich erinnere mich an eine unserer letzten Begegnungen – die Sitzung der Sächsischen Akademie in Wittenberg im Oktober 2013. Udo Zimmermann ergriff das Wort zum Thema und plötzlich, völlig aus dem Zusammenhang gerissen, sprach er über seinen »Gantenbein«. Er verwirrte uns damit, aber es zeichnete ein Bild seines Denkens, seines tiefen Wunsches, als Komponist wieder an den Schreibtisch zurückkehren zu können.

Ein letztes Mal besuchte ich ihn vor einiger Zeit im neuen Haus, an den Rollstuhl gefesselt, wachen Auges, aber sein Blick kam weither aus anderen Räumen. Ein Abschied. Wir waren in José Luis Borges »Garten der sich verzweigenden Wege« angekommen. Man weiß nicht, wohin die Wege führen, in welcher Zeit sie sich kreuzen, aber sie werden sich kreuzen.

Wie Udo Zimmermann selbst zu seiner ersten musica-viva-Saison sagte: »Während man darin umhergeht, entstehen neue Wege, wobei jener ein Garten der Zeit ist, in dem unterschiedliche Zukünfte nebeneinander wachsen und man niemals recht weiß, in welchem man sich gerade befindet«.

 

28. Oktober 2021

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Ehrenmitglied Evelyn Richter, die am 10. Oktober 2021 verstarb. Die 1930 in Bautzen geborene Fotografin war Ehrenmitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Nachruf von Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste.
 

»Ihres Glückes Schmied«
Zum Gedenken an das Ehrenmitglied der Sächsischen Akademie der Künste Evelyn Richter (31.10.1930–10.10.2021) 

»Jeder ist seines Glückes Schmied«, lautet ein Sprichwort. Man könnte auch sagen, jeder ist in seinem Leben für sich selbst verantwortlich. Das ist leichter gesagt als getan. Die eigene Persönlichkeit, die äußeren Umstände. Es gibt vieles, das unsere Lebenswege bestimmt, unsere Pläne durchkreuzt, in neue Richtungen lenkt. Es gibt fantastische Impulse, Bestätigung, Erfolge, und es gibt Querschläger, Niederlagen, die wir kaum ertragen können. Ein besonderes Glück ist, wenn es gelingt, im Leben eine klare Haltung zu finden, ein Verständnis von sich selbst, das einen freien Blick und letztlich auch freies Denken und Handeln ermöglicht. Evelyn Richter, die am 10. Oktober 2021 im 91. Lebensjahr verstorben ist, besaß diese persönliche Stärke.

Haltung ist eine unabdingbare Eigenschaft für einen künstlerisch aufrechten Menschen. Denkt man zurück an die repressive DDR, war das geradezu lebenswichtig. Denn künstlerisch tätig zu werden, war weit mehr als nur eine Berufswahl mit unsicheren Aussichten. Dazu gehörte die Notwendigkeit, in einem System, das die Kunst ideologisch instrumentalisierte, früher oder später Position beziehen zu müssen. Es galt, sich klar zu werden, ob man mit dem Strom schwimmen will oder ob man versucht, die Richtung selbst zu bestimmen. Sich staatlich oktroyierten weltanschaulichen Vorgaben zu unterwerfen hindert nicht, ein respektabler Künstler zu sein, aber auf solchen Pfaden verliert man leicht die Integrität sich selbst und der Kunst gegenüber. Für eine herausragende Künstlerin mit der charismatischen Persönlichkeit Evelyn Richters gab es da keine Zweifel. Sie entschied sich für den eigenen Weg, der sie erst in der neuen Lebenswirklichkeit des vereinten Deutschlands zum uneingeschränkten Erfolg führte.

Evelyn Richter wurde am 31. Januar 1930 in Bautzen geboren und starb nach langer Krankheit am 10. Oktober 2021 in einem Dresdner Pflegeheim. Ihr Vater, ein Lausitzer Sägewerks- und Gutsbesitzer, schickte sie als Kind auf eine Schule der Herrnhuter Brüdergemeinde, um sie gegen die Ideologie des NS-Regimes zu wappnen. Nach der Schulzeit erhielt sie ab 1948 eine glänzende fotografische Ausbildung im Fotostudio von Pan und Christine Walther, herausragenden »Lichtbildnern« mit internationalen Kontakten. 1952 war sie als Fotografin am Institut für technische Mechanik an der Technischen Universität Dresden tätig. Dem schloss sich 1953 ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Johannes Widmann an. 1955 wurde sie exmatrikuliert, weil sie wohl mit ihrem Bild von den Menschen und der Gesellschaft nicht dem fahnenschwenkenden Optimismus der Staatsführung entsprechen mochte. Zu dieser Zeit lernte Evelyn Richter über Fotopublikationen der Agentur Magnum und über die von Edward Steichen organisierte Ausstellung »Family of Man« (1955 in West-Berlin) international herausragende Positionen kennen, die fortan die Weite ihres Blicks mitbestimmten. Ohne Hochschulabschluss arbeitete sie bis 1980 als freischaffende Fotografin für Buchprojekte, Zeitschriften, als Theater- und Messefotografin. 1981 gelang ihr trotz ihrer nicht systemkonformen Einstellung der Sprung in die Lehre an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wo sie bis 1990 als Dozentin tätig war. 1991 bis 2001 erhielt sie dort eine Ehrenprofessur und neuerlich einen Lehrauftrag, den sie mit großem Engagement nutzte, ihr Wissen und ihre Überzeugungen an die jüngere Generation weiter zu geben.

Evelyn Richter wurde in späteren Lebensjahren mit einer Fülle von Ehrungen und Preisen in Ost und West bedacht: 1989 Kunstpreis der DDR, 1992 Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), 1997 war sie Stipendiatin der Villa Massimo in Rom, 2006 erhielt sie den Kunstpreis der Landeshauptstadt Dresden, und als erste Preisträgerin erhielt Evelyn Richter 2020 den von der Stadt Düsseldorf alle zwei Jahre für ein Lebenswerk ausgelobten Bernd-und Hilla-Becher-Preis. 

Seit 1992 war Evelyn Richter Mitglied der Freien Akademie der Künste zu Leipzig. Die Sächsische Akademie der Künste ernannte sie 2013 zum Ehrenmitglied. Im Museum der bildenden Künste Leipzig ist seit 2009 das Evelyn-Richter-Archiv beheimatet. Es enthält das von der Ostdeutschen Sparkassenstiftung erworbene Hauptwerk der Fotografin. Insgesamt wird ihre künstlerische Tätigkeit anhand von mehr als 730, meist schwarzweißen Fotografien dokumentiert.

Aus Evelyn Richters freier künstlerischer Arbeit spricht ein tiefes Interesse am persönlichen Befinden der Menschen und an ihrem Lebensumfeld, am Pendeln zwischen tätiger Arbeit, Freizeit, Bildung und stiller Selbstvergewisserung. Dies verbindet sich mit einem feinen Sensorium für die innere Fragilität der gesellschaftlichen Verhältnisse und ihrem übergreifenden historischen Kontext. Sensible ästhetische Einfühlung paart sich mit formaler Klarheit der Komposition. Evelyn Richters Fotografien evozieren persönliche Empathie und lassen die Empfindungen der dargestellten Menschen im Bildraum widerhallen. Stets zu spüren ist die Verantwortung, das für die Künstlerin wahre Bild ihrer Zeit festzuhalten. 

Beispielhaft für Ihr Schaffen steht das Doppelporträt mit dem Drucker Roland Ehrhardt, der sich aufmerksam Otto Dix zuwendet (1964). Ehrhardts Gesicht, durch Licht und Schatten plastisch modelliert, steht für den aufmerksamen, aktiven Handwerker. Der Drucker steht ganz im Dienst der überragenden Künstlerpersönlichkeit, die als tiefschwarze Silhouette im Vordergrund erscheint und wie eine zeitenthobene Ikone ihrer selbst wirkt. Betrachtet man wiederum eine der berühmten Aufnahmen des Geigers David Oistrach, so spürt man, wie der Künstler sich mit geschlossenen Augen, Welt und Publikum vergessend, mit seinem durchseelten Spiel in die Freiheit seines Innern zurückgezogen hat. Das immer neu gesehene Motiv von Menschen in der Straßenbahn steht für einen transitorischen Zustand, einen Zwischenbereich zwischen Abfahrt und Ankunft. Er bietet Zeit zum Ausruhen, zum Innehalten und Nachdenken im Alltagsgetriebe, wobei der umgebende Raum häufig eine melancholische Stimmung auffängt. Die immer wieder reproduzierten Fotos von Arbeiterinnen an der Linotype (1961), einer seit 1886 weiterentwickelten Setzmaschine, zeugen von der Zweckbeziehung des arbeitenden Menschen mit der übergroßen Maschine. Doch scheint der Mensch keineswegs den Prozess zu beherrschen. Vielmehr sitzt er geradezu in der Maschinerie, eingeklemmt in Produktionsprozesse, die faszinierend unerforschlich in Gang gehalten werden. 

Eine andere Atmosphäre wiederum transportieren die vielzähligen Aufnahmen in den Museen Europas und den USA. Hier scheint der Mensch im Gegenüber der Kunst sich sinnend zu besinnen und ganz er selbst zu sein. Eine Arbeit von bestechender Komposition, die zugleich auf brillante Weise wie die Momentaufnahme eines Films wirkt, ist die Fotoarbeit »Dresden, Haltepunkt Pieschen – Unterführung« (1981). Trotz des armseligen Umfeldes steuert die rundliche Frau ungerührt ihr Fahrrad durch das Bild. Welch untergründiger Humor, welch Ironie und Witz Evelyn Richter eigen waren, zeigt auch die Fotografie »Achtung! Weichenstellung beachten« vom Oktober 1989. Ein System im Untergang versucht, mit starren Warnschildern seinen Anspruch zu behaupten und ist schon längst zur Kletterstange der Rebellion geworden. Wundervoll ist in diesem Sinne auch eine der späten Arbeiten von 2009, für die Evelyn Richter eine Installation des argentinischen Künstlers Tomàs Saraceno auf der Biennale in Venedig fotografiert. Die Attraktion des Fotos ist weniger Saracenos an Spinnennetzen und mikroskopischen Gespinsten inspirierte, im Raum verspannte Fadenkonstruktionen, die wie utopische Wolkencluster wirken. Es ist vielmehr die von hinten gesehene Frau, die den Blick der Betrachter auf sich zieht. Man weiß nicht, ob sie dabei ist, die Arbeit mit Fäden zu befestigen, sich vielleicht doch eher verheddert hat oder einen Tanz zur Musik eines neben ihr stehenden Kassettenrekorders aufführt.

Die letzten künstlerisch fruchtbaren Jahre verbrachte Evelyn Richter in Neukirch in der Lausitz, dem Ort ihrer Kindheit, in einem abgeschiedenen, ländlichen Refugium ganz in der Natur. Werner Lieberknecht, ihr Schüler und guter Freund entdeckte 2013 rund 70 Filme in ihrem Haus. Gemeinsam mit Evelyn Richter konnte er noch eine Auswahl von 40 Motiven treffen, die erstmals entwickelt und vergrößert wurden. Sie erzählen von Reisen, die sie im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts nach Moskau, Rumänien, Venedig, London und New York unternahm. Ungebrochen ist in diesen späten Arbeiten die Tiefe ihrer humanistischen Sicht auf die Welt und in den Selbstporträts das Erforschen des eigenen Selbst.  

Mit den selbstbestimmten Themen aus dem Alltags- und Berufsleben, ihren eindringlichen Porträts, den berühmten Musikerfotografien und Museumsfotos, den Fotos zur Zeitgeschichte entwickelte Evelyn Richter ein eindrucksvolles künstlerisches Werk, das neben dem Schaffen von Arno Fischer, Helga Paris, Ursula Arnold, Sibylle Bergemann und Christian Borchert oder später von Gundula Schulze Eldowy zum Bedeutendsten aus dem Osten Deutschlands gehört.

 

Paul-Henri Campbell ist Dozent der Chamisso-Poetikdozentur 2021. Mit dem 1982 in Boston (USA) geborenen Autor und Übersetzer setzt die Sächsische Akademie der Künste die im letzten Jahr wiederbelebte Dozentur fort. Ausgezeichnet werden Autoren und Autorinnen, die sich vor dem Hintergrund ihrer Sprach- und Kulturwechsel mit der Frage nach den nationalen und normativen Zuschreibungen von Literatur und Kultur, Heimat und Geschichte auseinandersetzen. Die Einführung zu den drei Vorlesungen und die anschließende Diskussion moderiert der Dichter und Theologe Christian Lehnert.

Der bilingual aufgewachsene Paul-Henri Campbell, der als einer der wichtigsten Dichter seiner Generation gilt, „schreibt nicht nur Lyrik auf Englisch und Deutsch, sondern unterwandert Sprachgrenzen, indem er durch Klangeffekte und Tonwechsel, durch Wiederholungen und Übersetzungen und durch Brüche in den Perspektiven das Gesagte seiner Fixierung entzieht. [...] Die Mehrsprachigkeit ist in seinem Werk keine schlichte Addition von Aussagemöglichkeiten, sondern ein gärendes Gemenge. [...] Sein Interesse gilt dem Konkreten in seiner Verwandelbarkeit.“ (Christian Lehnert)

In den drei Vorlesungen der Chamisso-Poetikdozentur wird sich Paul-Henri Campbell vor allem mit folgenden Fragen auseinandersetzen: Ist die Sprache ein Serum gegen das Böse? Die Lehrbücher der Pathologie sind durchweg von gesunden Medizinern verfasst. Gilt so etwas auch für Poetiken? Oder hinkt dieser Vergleich, ist das Bild etwa schief? Es braucht mehr Mut zur Insuffizienz. Was riskiert Poesie angesichts einer risikoscheuen Vollkaskogesellschaft? Wird Poesie zur Vergewisserin, zur Dokumentarin, zur Trösterin, zur Therapeutin, zur Klägerin, zur Zeugin von Leid oder Diskriminierung? Ist die gegenwärtige Literatur brünstig nach Heil und geil auf Relevanz? Oder bliebe Literatur bei diesen pädagogischen Anforderungen auf der Strecke? Ginge bei dieser Konzeption nicht der autonome, anarchistische, widersprüchliche, hedonistisch überfließende Impuls des Expressiven verloren? Treten Gedichte in eine Lücke, in ein Fehl – sind sie kompensatorisch? Und: Ist hingegen die wissende, aufgeklärte, durch und durch reflektierte Raffiniertheit lyrischer Sprache ein Symptom einer anderen dichterischen Verlegenheit? Was meinen wir, wenn wir sagen, ein Gedicht sei „stimmig“ oder „kräftig“ oder „berührend“ oder „wichtig“? Welche Ganzheit der Welt setzen Menschen im Sprechen voraus?

Paul-Henri Campbell, geboren 1982 in Boston (USA), studierte Katholische Theologie und Klassische Philologie (Griechisch) in Frankfurt am Main und an der National University of Ireland, Maynooth. Campbell schreibt Lyrik und Prosa in englischer und deutscher Sprache, zuletzt erschienen der Gedichtband »nach den narkosen« (2017) sowie der Interviewband »Tattoo & Religion. Die bunten Kathedralen des Selbst« (2019). Im Frühjahr 2022 erscheint der Gedichtband »innere organe«. Paul-Henri Campbell wurde u.a. mit dem Bayerischen Kunstförderpreis (2017) sowie dem Hermann Hesse Förderpreis (2018) ausgezeichnet. Er lebt in Unterfranken und Wien.

Termine

Montag, 15. November 2021,19.30 Uhr
Frustmensch trifft Lustmensch. Johann Faust und Sir John Falstaff sitzen in einer Bar
Zentralbibliothek im Dresdner Kulturpalast, Schloßstraße 2, 01067 Dresden

Montag, 22. November 2021, 19.30 Uhr
Frankenstein als Poet. Wege aus der Dystopie
Zentralbibliothek im Dresdner Kulturpalast, Schloßstraße 2, 01067 Dresden

Montag, 29. November 2021,19.30 Uhr
Kranke Gedichte. Über hinkende Vergleiche, Stilbrüche und holpernde Verse
Zentralbibliothek im Dresdner Kulturpalast, Schloßstraße 2, 01067 Dresden

Kooperationsveranstaltung von Sächsische Akademie der Künste, Bildung und Gesellschaft e.V. und Städtische Bibliotheken Dresden

Zur Chamisso-Poetikdozentur

Die Dresdner Chamisso-Poetikdozentur wurde 2020 von der Sächsischen Akademie der Künste, in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Verein Bildung und Gesellschaft und der Zentralbibliothek der Städtischen Bibliotheken Dresden wiederbelebt. Dozent 2020 war der 1968 in Polen geborene Autor Artur Becker. Die Vorlesungen sind unter dem Titel „Von der Kraft der Widersprüche“ 2021 im Thelem Verlag Dresden erschienen, ISBN: 978-3-95908-423-9.

Der Jury für die Chamisso-Poetikdozentur 2021 gehörten an:
- für die Sächsische Akademie der Künste: Dr. Jörg Bochow, Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste; Dr. Peter Geist, Literaturwissenschaftler Berlin und Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege; Dr. h.c. Christian Lehnert, Dichter und Theologe Leipzig
- für den Verein Bildung und Gesellschaft: Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Schmitz, Vorsitzender; Axel Helbig, Autor und Herausgeber der Zeitschrift Ostragehege

Die Dresdner Chamisso-Poetikdozentur für Migrantenliteratur wurde bereits 2002 vom Mitteleuropazentrum der Technischen Universität Dresden und der Robert Bosch Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der TU Dresden ins Leben gerufen. Von 2005 bis 2011 wurde die Poetikdozentur mit der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden durchgeführt. Gastdozenten waren 2002 Yüksel Pazarkaya, 2003 Gino Chiellino, 2004 Adel Karasholi, 2005 Ilma Rakusa, 2006 Vladimir Vertlib, 2007 José F.A. Oliver, 2008 Zsuzsanna Gahse, 2009 Hussain Al-Mozany, 2010 Ota Filip und 2011 Francesco Micieli. Die Robert Bosch Stiftung stieg 2012 aus der Dresdner Chamisso Poetikdozentur und 2017 aus dem Adelbert-von-Chamisso-Preis aus.

 

Die Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste hat auf ihrer Sitzung am 25. September 2021 die Würdigung der städtebaulichen Gesamtanlage des Neustädter Marktes Dresden begrüßt. Sie plädiert für die erforderliche Instandsetzung und Entwicklung der Anlage unter fachlicher Mitwirkung der Denkmalbehörden.

Im Frühjahr 2021 wurde der Neustädter Markt in Dresden durch das Landesamt für Denkmalpflege als Kulturdenkmal eingetragen. Die Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste begrüßt die damit verbundene Würdigung der städtebaulichen Gesamtanlage aus den 1970er Jahren als schützens- und erhaltenswert – nicht nur als historisch vielschichtiges Zeugnis, sondern auch im Hinblick auf das Gebot einer ressourcenschonenden Baukultur. In Verbindung mit dem Fußgängerboulevard der Hauptstraße zählt das begrünte Platzensemble zu den bedeutenden städtebaulichen Schöpfungen der Nachkriegsmoderne in Dresden.

Für die Entwicklung südlich des Neustädter Marktes am Königsufer hat der unter reger Bürgerbeteiligung durchgeführte städtebauliche Ideenwettbewerb von 2018/19 interessante Ergebnisse gebracht. Die darin enthaltene Option, zur Einengung des Platzes auf eine annähernd frühere Größe dessen zentrale Flächen zu bebauen, hat der Stadtrat bereits 2020 verworfen – ein wichtiger Schritt in der Reflektion auf das Wettbewerbsverfahren. Der als grüner Aufenthaltsraum mit Brunnen geplante und gut genutzte Platz, der sich im Eigentum der Stadt befindet, wird nicht als Bauland vermarktet werden.

Das Ensemble ist allerdings bereits überformt, teilweise verwahrlost und durch den breiten Verkehrszug in seiner Aufenthaltsqualität gestört. Umso wichtiger wird es nun sein, dass die Stadt die dringend erforderliche Instandsetzung und die Reduzierung der Verkehrsflächen sowie der begleitenden Infrastruktur konsequent angeht. Wie von vergleichbaren historischen Platzanlagen bekannt, muss der Denkmalschutz dem nicht im Wege stehen. Vielmehr kann die fachliche Mitwirkung der Denkmalbehörden gewährleisten, dass die schützenswerten städtebaulichen und baukünstlerischen Belange gegenüber anderen Interessen im Zuge der Weiterentwicklung berücksichtigt und sorgsam abgewogen werden.

 

Dresden, 25. September 2021

Wolfgang Holler, Kunsthistoriker und Generaldirektor der Museen der Klassik Stiftung Weimar, wurde von der Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste am 25. September 2021 zum neuen Präsidenten gewählt. Er ist der siebte Präsident der Sächsischen Akademie der Künste und folgt für eine Amtszeit von drei Jahren auf den Regisseur und Intendanten Holk Freytag. Vizepräsident ist weiterhin der Chefdramaturg des Sächsischen Staatsschauspiel Dresden Jörg Bochow. Wolfgang Holler ist seit 2005 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und war von 2008‒2014 Sekretär der Klasse Bildende Kunst der Akademie.

Was ist Ihr Selbstverständnis von Akademie?

„Mit Blick auf eine aktive, diskursive und polyphone Gesellschaft gehört das Zusammenspiel über die verschiedenen Kunstsparten und Ländergrenzen hinweg zu meinem Selbstverständnis von Akademie. Die Kraft einer Akademie beruht nicht allein auf der Produktivität und dem Reichtum der künstlerischen Positionen ihrer Mitglieder. In dem Bewusstsein, als Künstler Teil der Gesellschaft zu sein und sich mit Offenheit, Enthusiasmus und Elan mit den grundsätzlichen Fragen der Kunst auseinanderzusetzen liegt das eigentliche Potential einer Akademie.“

Welche zentralen Themen sind Ihnen wichtig?

„Ich möchte den mitteleuropäischen Resonanzboden beklopfen. Der historische sächsische Kulturraum gehört zu den stärksten Regionen in Europa mit internationalem Zuschnitt. In einer engeren Zusammenarbeit mit den benachbarten Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt aber auch mit den Mitgliedern aus den Nachbarländern Tschechien, Polen und der Ukraine sehe ich eine Stärkung für die Sächsische Akademie der Künste.“

Zur Person

1956 in Koblenz ∙ Studium der Kunstgeschichte, Neueren Geschichte, Philosophie und Publizistik in Münster, München und Florenz ∙ Wissenschaftlicher Mitarbeiter, später Konservator in den Staatlichen Graphischen Sammlungen München ∙ 1991–2009 Direktor des Kupferstich-Kabinettes der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 2002 stellvertretender Generaldirektor der Kunstsammlungen Dresden ∙ seit 2009 Generaldirektor der Museen Klassik Stiftung Weimar ∙ lebt in Dresden und Weimar

 

 

Dresden, 23. Juli 2021

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Walter Libuda, der am 6. Juli 2021 überraschend verstarb. Der 1950 in Zechau-Leesen im Altenburger Land geborene Zeichner, Maler und Bildhauer war seit 1998 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Nachruf von Jutta Penndorf, ehemalige Leiterin des Lindenau-Museums Altenburg.

 

Walter Libuda (1950-2021)

Wer wagt, durch das Tal der Träume zu schreiten, gelangt zur Wahrheit.
E.T.A. Hoffmann

Walter Libuda wurde 1950 im sächsisch-thüringischen Braunkohlenrevier geboren, in Zechau-Leesen, zwischen Altenburg und Meuselwitz gelegen. Das „meer in sachsen“ war eine proletarische Gegend. Dem Dichter Wolfgang Hilbig erschien dort im „düstern kesselhaus“ die Schönheit eines grünen Fasans – „ein prächtiger clown / silbern und grün den leuchtend roten reif am hals“ – wie ein surrealer Traum. Das Fantastische war Walter Libuda seit jeher vertraut. Vielleicht entspringt der Reichtum seiner geheimnisvollen Bildwelten und ihrer poetischen Wortentsprechungen den kargen Kindheitsmustern – und der Sehnsucht nach dem Andern.

Seine Hochbegabung war von Künstlern und im Lindenau-Museum Altenburg früh erkannt und gefördert worden. Die Sammlungen des Museums faszinierten und regten ihn an: die früh-italienischen Tafelbilder, die antiken Keramiken, die Malerei des 20. Jahrhunderts.

1973 ging er nach Leipzig zum Studium an die Hochschule für Grafik und Buchkunst, wurde im Anschluss Meisterschüler bei Bernhard Heisig und lehrte, mit Unterbrechungen, einige Jahre lang selbst. 1985 zog er nach Berlin. Seither arbeitete er ausschließlich freiberuflich. Zahlreiche Publikationen und Ausstellungen in Museen und Galerien des In- und Auslands widmeten sich seiner Kunst.

1999 erhielt er den Fred-Thieler-Preis für Malerei der Berlinischen Galerie, 2000 den Gerhard-Altenbourg-Preis des Lindenau-Museums Altenburg. Seit 1998 war er Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, seit 2004 lebte er in Schildow bei Berlin.

Walter Libuda hinterlässt ein Werk von barocker Opulenz und außergewöhnlicher Vielgestaltigkeit. Seine Kunst zeichnet sich aus durch unerschöpfliche Imaginationskraft und distanziert abwägende Bändigung der überströmenden Einfälle. In der anfänglich dominierenden expressiven Malerei verband sich seine Bildwelt mit kostbarem Farbornament. Später fand er zu einer neuen, festeren Formensprache, leuchtender in den Farben.

Von Beginn an arbeitete er über die künstlerischen Gattungen hinweg in Werkgruppen: Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, früh auch schon Dreidimensionales – kleine Objekte und Keramiken, dann Skulpturen in Ton und schließlich Bronze. Immer mehr Raum im Werk nahmen großformatige Bildkästen ein, in denen sein sinnliches Empfinden für Material, für Zufallsfunde, für spielerisch offene Gestaltungsfreude und ebenso für architektonisch Modellhaftes besonders deutlich wurden.

In allen Medien vermochte er Kunst und Leben mit ihren Abgründen und Schönheiten zu einer neuen Realität zu vereinen. Und in all seinen Werken spürt man die Verletzlichkeit dieser Realität.

Am 6. Juli 2021 ist Walter Libuda überraschend gestorben. Er war ein verhaltener Beobachter, ein höchst sensibler Seismograph, der Wellen und Schwingungen der Kunst wie des menschlichen Zusammenlebens reflektierte und gelegentlich auch verbal zur Kenntnis gab.

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um eine der bedeutendsten deutschen Künstlerpersönlichkeiten dieser Generation. Er fehlt schon jetzt.

Altenburg, 22. Juli 2021

 

Dresden, 15. Juli 2021

Die Sächsische Akademie der Künste verleiht den Hans Theo Richter-Preis für Zeichnung und Graphik an die Künstlerin Sandra Vásquez de la Horra. Die Preisverleihung findet am 10. September 2021 im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden statt. Der Hans Theo Richter-Preis wird in Zusammenarbeit mit der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vergeben und ist mit 20.000 Euro dotiert. Anlässlich der Preisverleihung wird eine Ausstellung mit Werken der Preisträgerin in der Sächsischen Akademie der Künste eröffnet. Medienvertreter sind zum Pressegespräch am 10. September 2021 um 11 Uhr in der Sächsischen Akademie der Künste herzlich eingeladen.

„Die 1967 in Chile geborene und heute in Berlin arbeitende Künstlerin gehört zu den bemerkenswertesten Zeichnerinnen der Gegenwart. Ihre gänzlich eigenständige, zutiefst bewegende poetische Bildwelt entwächst dem persönlichen Erleben. Sie wurzelt in Traditionen und Mythen ihrer chilenischen Herkunft und schöpft ebenso aus Quellen der europäischen Kulturgeschichte. Sandra Vásquez della Horras Zeichnungen beschäftigen sich mit Grenzerfahrungen, Weiblichkeit, Angst und Tod aber auch Poesie. Ihre Themen verweisen weit über Episodisches hinaus auf menschliche Urerfahrungen.“
(aus der Jurybegründung)

Der Hans Theo Richter-Preis für bedeutende Leistungen der bildenden Kunst, besonders auf dem Gebiet der Zeichnung und Graphik, wird in Zusammenarbeit mit der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vergeben. Der mit 20.000 Euro dotierte Preis steht in finanzieller Trägerschaft der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und wird 2021 zum 12. Mal verliehen. Mit der Verleihung ist die Schenkung einer Werkgruppe an das Kupferstich-Kabinett Dresden verbunden. Der Preisträger oder die Preisträgerin wird durch Entscheid einer Jury bestimmt, bestehend aus den Mitgliedern der Klasse Bildende Kunst der Sächsischen Akademie der Künste, dem Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und der Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

In Zusammenarbeit mit der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Weitere Informationen zum Hans Theo Richter-Preis

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Dresden, 15. Juli 2021

Sehr geehrte Damen und Herren,

um Ihnen die Preisträgerin des Hans Theo Richter-Preises 2021 vorzustellen, laden wir Sie am Freitag, den 10. September 2021 um 11 Uhr in die Sächsische Akademie der Künste am Palaisplatz 3, 01097 Dresden ein. Zugleich eröffnen wir eine Ausstellung mit Werken von Sandra Vásquez della Horra in der Akademie. Für Ihre Fragen steht Ihnen die Künstlerin zusammen mit Vertretern der Jury des Hans Theo Richter-Preises zur Verfügung.

11 Uhr Begrüßung:

Dr. Jörg Bochow
Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste
Sebastian Schmidt
Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung
Dr. Stephanie Buck
Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

Vorstellung der Preisträgerin/Jurybegründung:

Prof. Dr. Jürgen Müller, Sekretär der Klasse Bildende Kunst der Sächsischen Akademie der Künste

11.30 Uhr Pressegespräch:

mit Sandra Vásquez della Horra, Prof. Dr. Jürgen Müller, Dr. Stephanie Buck, Sebastian Schmidt
und Prof. em. Dr. Hartmut Böhme, Laudator

12 Uhr Führung durch die Ausstellung:

mit Dr. Stephanie Buck, Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden

Anmeldung

Die Platzzahl ist begrenzt. Bitte melden Sie sich bis zum 1. September 2021 per E-Mail oder telefonisch an.
Ansprechpartner: Anne Koban
E-Mail: Koban@sadk.de
Tel.: + 49 351 810763 02

Die Zulassungsvoraussetzungen und Hygieneschutzmaßnahmenrichten sich nach der geltenen Sächsischen Corona-Schutzverordnung.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.

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Dresden, 16. Juni 2021

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Heinrich Magirius. Nachruf von Thomas Will, Sekretär der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste.
 

Heinrich Magirius (1934–2021)

Der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Heinrich Magirius, Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste, geboren 1934 in Dresden, starb am 13. Juni 2021 in Dresden.

Heinrich Magirius war in seiner Jugend Kruzianer am Dresdner Kreuzgymnasium. Nach einem Studium der Kunstgeschichte und der Klassischen und Christlichen Archäologie in Greifswald und Leipzig kehrte er in seine Geburtsstadt Dresden zurück. Er blieb ihr und seiner sächsischen Heimat Zeit seines Lebens verbunden, und zwar in besonderer, praktisch wirksamer Weise: Schon mit 24 Jahren wandte er sich der Denkmalpflege zu, jenem Arbeitsfeld der Kunstgeschichte, das am meisten in unsere räumliche und kulturelle Lebenswelt hineinreicht. Als Angehöriger einer neuen Generation von Denkmalpflegern, die sich nach dem Krieg stärker als zuvor der wissenschaftlich begründeten Bewahrung des Erbes verpflichtet fühlten, wurde er bald zu einem der bedeutendsten, auch über die damaligen Landesgrenzen der DDR hinaus bekannten Vertreter des Fachs. Mit Publikationen, insbesondere zu den Sakralbauten des Landes, prägte er wie kein anderer seiner Zeit die Denkmalkunde und Denkmaltopografie in Sachsen – ein Gebiet, das nicht nur die Erforschung, sondern auch die Deutung und Vermittlung der Werte des baukünstlerischen Erbes umfasst. Seine »Geschichte der Denkmalpflege in Sachsen« wurde zum Standardwerk.

Als Mitglied beider Sächsischer Akademien – der Künste und der Wissenschaften – verband Magirius, der auch als Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Dresden lehrte, diese Arbeitsfelder. Er war kein der Welt entrückter Gelehrter, sondern vermochte seine Erkenntnisse und Anliegen in die Praxis und in die Debatten um die Pflege und auch die häufig umstrittene Wiederherstellung des architektonischen und bildnerischen Erbes hineinzutragen. 1994 wurde er zum Landeskonservator ernannt. Seine eminente Doppelrolle als Denkmaltheoretiker und zugleich gestaltender Praktiker wurde mir früh bewusst, als der internationale Arbeitskreis Theorie und Lehre der Denkmalpflege seine Dresdner Tagung 1997 einem von ihm geprägten Begriffspaar »Dokumente und Monumente« widmete, wozu er dann das Eröffnungsreferat beisteuerte.

Vielfältig und bleibend sind die Spuren, die Magirius hinterlässt. Seine bauarchäologischen Arbeiten in Altzella, Freiberg, Wechselburg, Meißen, Leipzig und Torgau, seine Beiträge zum Wiederaufbau von St. Wolfgang in Schneeberg, zu Oper, Residenzschloss und Frauenkirche in Dresden, zur Restaurierung der Dome in Freiberg und Meißen, der Annenkirche in Annaberg, der Gemäldegalerie Dresden, von Kloster Marienstern, Schloss Pillnitz und den bedeutenden Stadtkirchen in Leipzig – sie alle künden davon, dass Denkmalpflege eine auf wissenschaftlicher Sorgfalt gegründete, aber auch gestaltende, ja künstlerische Arbeit ist. So wird sein Werk, auch wenn der Autor in diesem Metier verborgen bleibt, überdauern.

Die Arbeit der Klasse Baukunst in der Akademie hat Heinrich Magirius mit wichtigen Beiträgen bereichert. Er wirkte als kluger Inspirator und Mitorganisator von Veranstaltungen zur Stadtentwicklung in Freiberg und Dresden, zur Wiederbebauung des Dresdner Neumarkts, zur Denkmalpflege als einer Kultur des Erinnerns. Dort, wo er das baukulturelle Erbe durch Vernachlässigung, mangelnde Wertschätzung und allzu überschwängliche Modernisierungstendenzen gefährdet sah, engagierte er sich als mahnender Initiator von Vorschlägen, Appellen und auch scharfen Protesten. Er wirkte federführend mit, wichtigen Anliegen in der Öffentlichkeit und bei den verantwortlichen Stellen Gehör zu verschaffen. So warb er für die Restaurierung des »Dresdner Weltkunstwerks« Neptunbrunnen, plädierte gegen die Pläne zur Verlegung des Eingangsfoyers der Porzellansammlungen am Dresdner Zwinger und förderte einen Appell an die Stadt Dresden zur Wertschätzung und Erhaltung von Ensembles und Einzelbauten der DDR-Moderne anlässlich des geplanten Abbruchs des Centrum-Warenhauses. Nicht in jedem Einzelfall waren diese Wortmeldungen erfolgreich. Sie trugen aber zu einem Bewusstseinswandel und zur Stärkung der Anliegen des Denkmalschutzes zum Wohl der Öffentlichkeit und der Nachwelt bei. Mit einem von ihm angeregten Offenen Brief gelang es, die drohende Schwächung des Sächsischen Denkmalschutzgesetzes abzuwenden.

Ich durfte Heinrich Magirius zuletzt in der Gestaltungskommission für die Paraderäume des Dresdner Residenzschlosses erleben – als einen leise artikulierenden, hochgeschätzten Doyen seines Fachs, dessen enorme Bildung und Sensibilität ihn im Urteil sicher machten, zum strengen und nicht selten auch unbequemen Anwalt seiner künstlerischen und kunsthistorischen Ideale.

Nach Wilfried Sziegoleit verliert die Klasse Baukunst und die Akademie mit Heinrich Magirius zum zweiten Mal in diesem Jahr eines ihrer Gründungsmitglieder, einen bedeutenden und hochgeehrten Denkmalpfleger, dessen Stimme als unbestechlicher Wissenschaftler und zugleich streitbarer Kämpfer für das kulturelle Erbe weit über die Landesgrenzen hinaus gehört wurde. Die Akademie wird ihm ein bleibendes Erinnern sichern.

 

 

Dresden, 9. Juni 2021

Auf der Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste im Mai 2021 wurden 14 neue Mitglieder in den fünf Sparten Baukunst, Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Film, Literatur und Sprachpflege sowie Musik zugewählt, über die Hälfte davon Frauen. Die Akademie hat damit 177 Mitglieder.

Gewählt wurden Alf Furkert, Anke Schettler (Baukunst), Ricarda Roggan (Bildende Kunst), Carena Schlewitt, Mario Schröder, Caroline Link, Kay Voges (Darstellende Kunst und Film), Nancy Hünger, Steffen Mensching, Věra Koubová, Pavel Novotný (Literatur und Sprachpflege), Sarah Nemtsov, Carolin Widmann (Musik) und Peter Graf (Ehrenmitglied).

Der Fokus der Wahl lag darauf, stabile Partner der Zusammenarbeit mit einem Bezug zur zeitgenössischen Kunst zu gewinnen und an die mittel-osteuropäische Gewichtung in der korrespondierenden Mitgliedschaft anzuknüpfen. In die Akademie aufgenommen wurden Vertreter neuer künstlerischer Szenen und Generationen, aktive Vermittler in der mitteldeutschen Kulturszene und engagierte Brückenbauer aus den Kulturen der Nachbarländer.

 

Dresden, 29. Mai 2021

Künstlernachlässe werden an vielen Orten in Sachsen aufgenommen, doch wissen meist weder die Künstler davon, noch sind diese Orte untereinander vernetzt. Wohin also mit dem künstlerischen Erbe? Unter diesem Motto lud die Sächsische Akademie der Künste in Kooperation mit der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden vom 27. bis 28. Mai 2021 zu einem Online-Netzwerktreffen.

Wie erfolgt derzeit die Bewahrung von Künstlernachlässen in Sachsen? Welche Instrumente gibt es bereits? Wo liegen aktuell die größten Herausforderungen? Das große Interesse an der Veranstaltung mit über 100 Teilnehmern aus Deutschland und Österreich zeigt die aktuelle kulturpolitische Relevanz dieser Fragen.

Einigkeit bestand darüber, dass bestehende sammelnde Institutionen gestärkt und Beratungsangebote für Künstler aufgebaut und ausgebaut werden müssen, auch im Freistaat Sachsen. Empfohlen wird in diesem Zusammenhang die Erarbeitung eines Leitfadens für Künstler und sammelnde Einrichtungen. Darüber hinaus ist ein engeres Miteinander von Archiven, Bibliotheken und Museen wichtig. Unverzichtbar ist die Präsentation der Sammlungen in vernetzten Online-Portalen, um Künstlern und ihrer Lebensleistung zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen.

Das Netzwerktreffen wurde so zu einem gelungenen Auftakt für die engere Kooperation von Archiven, Bibliotheken und Museen in ihrem Engagement für Künstlernachlässe. Der Audiomitschnitt der Veranstaltung wird auf der Homepage der Sächsischen Akademie der Künste zum Nachhören demnächst eingestellt. Weitere Veranstaltungen werden folgen.

 

Dresden, 11. Mai 2021

Die Sächsische Akademie der Künste diskutierte auf ihrer Mitgliederversammlung über die Möglichkeiten von Kultur und Kunst, in Prozessen gesellschaftlichen Wandels wirksam zu sein. Die Diskussion ging weit über gefährdete Arbeitsmöglichkeiten von Künstlern und Künstlerinnen hinaus, auch wenn die aktuelle Pandemie diese Gefährdungen offengelegt und verschärft hat.

Im Zentrum stand die Frage nach der Zukunft unserer Gesellschaft. „Angesichts einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft nach vierzig Jahren neoliberaler Umverteilung muss sich eine Akademie den Diskussionen um neue Gesellschaftsmodelle stellen. Fragen der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit sind Fragen nach der Zukunftsfähigkeit unserer Lebensform“, so Vizepräsident Jörg Bochow. Die Spaltungen in der Kultur, von denen die zwischen einer lokal verorteten Identitätsbildung und die einer kosmopolitischen Hyperkultur nur eine von zahlreichen Bruchlinien ist, erzeugen Konflikte, die zur Sprache gebracht werden müssten.

„Wo bleiben die Inhalte, wenn nur noch ideologische Fragen diskutiert werden?“ fragte Akademiemitglied Wolfgang Holler und verwies darauf, dass in den Medien vor allem emotionalisierte Auseinandersetzungen und ideologische Grabenkämpfe stattfinden würden.

Jörg Bochow erklärte: „Die Akademie ist der richtige Ort, um dem Diskurs eine Form zu geben und fern von ideologischen Debatten inhaltliche Diskussionen zu führen.“ Die Notwendigkeit einer solchen Verständigung sei umso dringender geboten angesichts des schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Gefährdungen künstlerischer Freiheit und der geringen Kraft des Europagedankens. Wolfgang Holler postulierte: „Wir sollten uns auf die Suche nach Gemeinschaft mit anderen machen. Wir müssen Europa weiter denken, uns öffnen und zugleich fragen, ob und wie Entgrenzung auch Verortung möglich macht. Dazu brauchen wir eine neue Aufklärung.“ Mit Blick auf die Kanonkritik sprach er sichdafür aus, nicht alles über Bord zu werfen, sondern das Vergangene als Teil der Zukunftsgestaltung zu betrachten.

Die Auseinandersetzung mit diesen Themen wird in der Akademie weitergeführt. Beiträge der Mitglieder sind unter der Rubrik Europa und unter der Rubrik Positionen auf der Homepage der Sächsischen Akademie der Künste nachzulesen.

Zur nächsten Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste im September 2021 werden neu zugewählte Mitglieder in der Akademie begrüßt und es findet die Wahl einer neuen Präsidentin bzw. eines neuen Präsidenten statt.

 

Dresden, 1. Februar 2021

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Winfried Sziegoleit, der am 16. Januar 2021 verstarb. Der 1939 in Insterburg/Ostpreußen (heute Tschernjachowsk/Kaliningrad) geborene Architekt war seit 1996 Mitglied der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste. Nachruf von Wolfgang Kil, Architekturkritiker Berlin.

 

Winfried Sziegoleit (1939–2021)
»Kreativität, langer Atem, Respekt«

Winfried Sziegoleit war Wahl-Leipziger. Als Flüchtlingskind in Köthen aufgewachsen, hatte er in den frühen Sechzigern in Dresden studiert, an der dortigen TU erste Praxiserfahrungen gesammelt und 1966 mit dem radikalen Entwurf für ein Rundkino (mit Manfred Fasold) einen beachtlichen Wettbewerbssieg errungen – der später sogar realisiert wurde, leider in abgewandelter Form. Obwohl sich in Dresden doch alles gut anließ, wechselte Sziegoleit 1969 nach Leipzig, seiner von dort stammenden Frau zuliebe, aber auch, weil ihm das Klima im Dresdner Uni-Betrieb nach der Hochschulreform von 1969 nicht mehr behagte. Zudem war in der Messestadt gerade eine Initiative zum beschleunigten Ausbau des Stadtzentrums gestartet worden, da sollte doch mit attraktiven Bauaufgaben zu rechnen sein. Und siehe, ihm wurde prompt eine Stelle angeboten. Nun war er pro forma beim Wohnungsbaukombinat Leipzig angestellt, das bittere Los des Typenwohnungsbaus blieb ihm allerdings erspart. Gleich seine erste Aufgabe hieß ein »Audimax für die Leipziger Universität«, womit er mitten im Herzen seiner neuen Heimatstadt gelandet war, auf dem Karl-Marx-Platz (der heute wieder Augustusplatz heißt). Zwölf Jahre seines Lebens hat er mit dieser Bauaufgabe zugebracht, deren Wandel vom Uni-Komplex zum Musiktempel »Neues Gewandhaus« mitvollzogen. Hat mit zahllosen Entwurfsvarianten auf schwankende Bauherrenwünsche reagiert, gelegentliche Intrigen durchgestanden, unvermeidliche Materialengpässe bewältigt. Hat sich mal wie bei Kafka, ein andermal wie in einem Politkrimi gefühlt. Wenn aber, nach dem glücklichen Ausgang der Geschichte 1981, die Frage nach der eigentlichen Autorschaft für den Bau aufkam, hielt Sziegoleit sich in aller Regel zurück. Soviel Noblesse unter Kollegen sollte schon sein.

Ähnlich hielt er es bei jenem anderen Wunderbau, mit dem er seiner Stadt einen geradezu exotischen Hingucker bescherte – den »Bowlingtreff«. Das (noch immer der Wiederbelebung harrende) Bauwerk auf dem Leuschnerplatz sollte nicht bloß als rares Exemplar einer spielerischen Postmoderne in der DDR gefeiert werden. Dieser Selbstbehauptungsakt einer Bezirksstadt gegen zentralstaatliche Gängelung lässt auch tief in reale Kräfteverhältnisse der späten DDR-Gesellschaft blicken. Von den verzwickten Entstehungsgeschichten seiner Bauten hat Winfried Sziegoleit stets lieber erzählt, als dass er auf seinen Anteil an der jeweiligen Entwurfslösung pochte. »In der DDR machte man nicht Karriere, sondern seine Arbeit«, hat er es mal in einem Interview auf den Punkt gebracht.

Fünfzigjährig und also auf der Höhe seiner Schaffenskraft, nahm Winfried Sziegoleit die politische Wende als Anlass für einen beruflichen Neustart, der ihm 1990 mit seinem Kollegen Eberhard Göschel als Büropartner sehr wohl gelang. Doch vor allem sah er in dem Systemwechsel die Chance, das Architekturschaffen der DDR endlich aus den Zwängen des technokratisch erstarrten Bauwesens zu befreien. Dass individuelle Kreativität stärker herausgefordert, dafür Respekt und entsprechende Kompetenzen zugestanden sein müssten, war das zentrale Anliegen, mit dem Architekten zum Ende der DDR sich zunehmend Gehör verschafften. Um den vielen Kollegen zu einem fairen Start in die eigene Büropraxis zu verhelfen, engagierte sich Winfried Sziegoleit nun vehement für Berufspolitik. Noch im Clinch mit der letzten DDR-Regierung unterbreitete er mit anderen Leipziger Kollegen Vorschläge für ein Architektengesetz, gemäß dem der Berufsstand in den östlichen Bundesländern sich neu formieren konnte. Als die Architektenkammer Sachsen ihren ersten Präsidenten suchte, versagte Sziegoleit sich nicht. Zwei Jahre hielt er es in dem kräftezehrenden Amt aus, brachte die Altersversorgung für Freiberufler und eine kammereigene Akademie auf den Weg. Dafür mit der Ehrenpräsidentschaft bedankt, konnte er sich ab 1993 endlich wieder seinem »Kerngeschäft« widmen, dem Neubau und zunehmend der Sanierung von alten Häusern, weiterhin in Leipzig und allenfalls ein bisschen drum herum – nach Auskunft der Werkliste lagen seine weitesten Baustellen 25 Kilometer (Wurzen) und 20 Kilometer (Eilenburg) von der Stadtgrenze entfernt. So war sein Berufsbild, und an dem war nichts provinziell. Es ging um Verbindlichkeit. Ab den 1960er Jahren konnte man in der DDR bemerkenswerte Architekturen am ehesten dort finden, wo engagierte Einheimische den Kampf mit den widrigen Umständen aufnahmen. Und diese Kämpfe waren nie anders als kräfte- und nervenzehrend, denn man kriegte es immer gleich mit dem ganzen System zu tun – mit den politischen Hierarchien wie mit der sperrigen Bauwirtschaft. Da blieb nicht viel Spielraum für persönliche Eitelkeit. Was zählte, war der lange Atem und am Ende ein Ergebnis, das letztlich Vielen zu verdanken war. Kein Land für Überflieger.

Auch in der Sächsischen Akademie der Künste, der er seit ihrer Gründung 1996 angehörte, verhehlte Winfried Sziegoleit seine beruflichen Ideale nie. Nichts war ihm wichtiger als Respekt vor der kreativen Leistung der Kollegen. In der Klasse Baukunst werden seine stets maßvoll vermittelnden Beiträge fehlen.

 

2020

Dresden, 31. Dezember 2020

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Paul-Heinz Dittrich, der am 28. Dezember 2020 verstarb. Der 1930 in Gornsdorf im Erzgebirge geborene Komponist war seit 1998 Mitglied der Klasse Musik der Sächsischen Akademie der Künste. Nachruf von Annette Schlünz, Komponistin und eine der letzten seiner Meisterschüler.

„Es sind noch Lieder zu singen jenseits der Menschen“
Zum Tod des Komponisten Paul-Heinz Dittrich (4.12.1930 – 28.12.2020)

Seine engagierte Stimme klingt mir im Ohr. Wenn Paul-Heinz Dittrich über seine Musik sprach, überschlug sie sich geradezu, kippte in hohe Register um. Er redete erregt weiter, nichts konnte ihn aufhalten.

Paul-Heinz Dittrich und die Stimme, das Wort, die Dichtung, die Texte sind eins, untrennbar miteinander verbunden.

Die Dichter waren zeitlebens seine Begleiter, er gab ihnen durch seine Musik eine hörbare Stimme. Leider erklang die Musik nicht oft genug und in den letzten Jahren verstummte sie fast. Dabei war Dittrichs Schaffen ungebrochen – bis zu seinem Schlaganfall 2018 komponierte er ein Werk nach dem anderen, die meisten groß besetzt mit verschiedensten Singstimmen, Chor, Sprechern, Orchester, Kammermusik, Zuspiel-Bändern, live-Elektronik in allen erdenklichen Kombinationen, wobei seit 2005 nicht mehr viel uraufgeführt wurde bis auf die Orchestermusik „Trans-Forme“ (1992–99) in fünf Sätzen, denen jeweils ein Text vorangestellt ist, bei der Münchner Musica-Viva 2010.

Der Aufführung harren die „Poesien“. Der Entstehungszeitraum 1987–2004 lässt auf ein Lebenswerk schließen. Es ist ein literarisch-musikalisches Projekt mit Texten aus dem Alten und Neuen Testament, von Celan, Hölderlin, Joyce, Heiner Müller, Nietzsche, Edgar Allan Poe, Rilke, Rimbaud, Arno Schmidt und Shakespeare für 4 Soprane, Alt, 2 Tenöre, Bariton, Bass, 4 Sprecher, großer gemischter Chor, Kammerchor, Orchester, live-Elektronik. Dieselben Autoren findet man im musikalischen Raumprojekt „Orestie“ (2004–10) und Nelly Sachs und Celan, der Dittrich wohl zum „Lieder singen“ antrieb auch in „Voices“ von 2016 für Sopran, Chor und Orchester.

Dittrichs Stimme als Lehrer war eine genauso bedeutende. 1980 begegneten wir uns in den Geraer Ferienkursen für neue Musik, dem „Darmstadt des Osten“, auf die berühmten Kurse anspielend. Er las, im Gegensatz zu manch anderem seiner Kollegen, die Noten aller seiner Teilnehmer, ob Laie oder Profi, jung oder alt, Komponistin oder Komponist; studierte, schwieg, redete, kritisierte, er forderte heraus zum Neubeginn, er zeigte Fehler auf und machte gleichzeitig Mut. Mehr kann man sich von einem Lehrer nicht wünschen.

Er war ein exzellenter Analytiker, konnte die Strukturen, den Arbeitsprozess seiner eigenen Werke genau aufzeigen, es blieb mir sein „Concert avec plusieurs instruments n° 4“ von 1983–84 für Klavier und Orchester nach Schwitters Ursonate im Gedächtnis. Dittrich berichtete begeistert von der Uraufführung mit Bruno Canino und der Schlesischen Philharmonie Katowice unter seiner eigenen Leitung beim Warschauer Herbst.

Der 1930 in Gornsdorf im Erzgebirge geborene Dittrich hatte in Dresden und Berlin studiert, zog dann an den Zeuthener See in die Arbeitsstille. Dort unterrichtete er auch zwischen 1983 und 1991 seine Meisterschüler der Akademie der Künste. Ich war eine seiner letzten.
1988 kam ich zu ihm – dank seines Engagements durfte ich ihn im Juli 1989, der Mauerfall war für uns in weiter Ferne, nach Köln, genauer in die Außenstelle der Hochschule, nach Heimbach, in einen Sommerkurs für Komposition begleiten. Ein „Umweg“, den Dittrich uns – entgegen aller möglichen politischen Konsequenzen – in der DDR „erlaubte“, führte über Hamburg nach Bargfeld ins Arno-Schmidt-Haus, von dem Dittrich immer begeistert erzählte.

Dittrich verdanke ich in jener Zeit auch die Begegnung mit dem französischen Dichter Pierre Garnier, dessen Werk „Ornithopoesie“ unser beider Schaffen verknüpft. Garnier wiederum hatte Dittrich über den Sprach- und Bildkünstler Carlfriedrich Claus kennengelernt, beide sind Vertreter der sogenannten spatialen Poesie, Garnier als Germanist, aus der französischen Resistance kommend, war nach dem Zweiten Weltkrieg oft im Osten unterwegs und traf dort die deutschen Dichter. Dittrichs Kammermusik VI „Klangtexte“ von 1980 bezieht sich auf Claus’ Sprachblatt „Paracelsische Denklandschaft“.

Nachdem Dittrich seit 1976 nicht mehr an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin unterrichten durfte, weil er zu viel über bürgerliche Komponisten wie Arnold Schönberg erzählt hatte, gründete er später das internationale Brandenburgische Kolloquium für Neue Musik. Zuerst fand es nach der Wende 1991 in Zeuthen statt, dann zog es an die Musikakademie Rheinsberg. Dorthin lud er mich bereits 1995 als Dozentin ein, er setzte sich immer für die Fortsetzung der Arbeit, dem Weitergeben des Gedankenguts ein.
So auch an der Sächsischen Akademie der Künste, dessen Mitglied er 1998 wurde. Als er sich mit Anfang 80 langsam aus der Präsenz zurückziehen wollte, schlug er mich 2011 zur Wahl vor – er wollte, dass die Arbeit aktiv fortgesetzt wird.

Eine ganz wichtige Beziehung hatte Paul-Heinz Dittrich zu seinen Interpreten, die er beim Komponieren immer vor sich sah, denen er seine Musik auf den Leib schrieb, ehrlich und kompromisslos.

Das erlebte ich bei meinem wohl ersten Konzert, in dem seine Musik gespielt wurde, der Uraufführung seiner Kammermusik IV „Engführung“ nach Celan im Februar 1978 in Berlin unter Leitung des Komponisten. Die Interpreten Roswitha Trexler (Sopran), Hermann Wolfram (Flöte), Siegfried Schramm (Klarinette), Andreas Aigmüller (Schlagzeug), Dieter Rumstig (Gitarre), Bernd Casper (Klavier), Ulf Däunert (Violine), Hans-Joachim Scheitzbach (Violoncello), Eckhard Rödger (Synthesizer) unterstützten ihn bei vielen seiner Konzerte. Diese Kammermusik entwickelte er 1979 bis 1981 weiter zur „Engführung“ für Sopran. Sigune von Osten war in diesen Jahren „seine“ Sängerin, er dachte jeden Ton für sie. Dazu kamen im Stück 6 Vokalisten, 6 Instrumentalisten, (Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Gitarre, Klavier) Orchester, Tonband und Live-Elektronik, die er mit dem Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR realisieren konnte.

Seine Streichquartette Nr. 3 (1986–87) „Nacht-Musik“ nach Novalis und Nr. 4 wurden von keinen Geringeren als den Ardittis 1989 und 1992 uraufgeführt.
Für den wunderbaren Jeffrey Burns entstand 1990 die Klaviermusik „Stehen im Schatten“ nach Celan, nach Burns frühem Tod nahm sich Frank Gutschmidt der 10 Klaviermusiken Dittrichs an, alle lang und sehr schwer.

Neben Celan interessierte er sich sein ganzes Leben für Hölderlin. Eines der spannendsten Stücke ist für mich die Kammermusik IX „... und ihr gedenket meiner“ von 1988 nach Texten von Friedrich Hölderlin und Jacques Teboul. Wochenlang erarbeitete ich damals jedes Detail mit dem Schauspieler Lutz Blochberger, den ich für den Sprecher-Part vorgeschlagen hatte, bis er es in Dittrichs Sinne interpretieren konnte.

Nicht zu vergessen in der Reihe der Interpreten ist das Aulos-Trio mit Burkhard Glaetzner, Wolfgang Weber, Gerhard Erber, für die die Kammermusik VIII (1988), „Journal des Oiseaux“, nach der „Ornithopoesie“ von Pierre Garnier für Oboe, Violoncello und Klavier geschrieben und von der sie uraufgeführt wurde. Die Gruppe Neue Musik „Hanns Eisler“, mit denselben Musikern in der Oktett-Besetzung ist aus einer ostdeutschen Biographie nicht wegzudenken, ohne sie wäre vieles nicht entstanden oder aufgeführt worden.

Dittrichs erfolgreichstes Werk ist vielleicht die „Verwandlung“ nach Franz Kafka (1982–83), 1983 in Metz uraufgeführt, dann im berühmten TIP (Theater im Palast) in Berlin, ein denkwürdiger Ort für die neue Musik in der DDR, gespielt. Die Erinnerung daran ist stark und lebendig. 2014 erlebte das Stück eine erfolgreiche Wiederaufführung am Schiller-Theater Berlin. Damit endet leider auch diese Erfolgsgeschichte.

Wenig, zu wenig seiner Musik ist auf Tonträgern vorhanden, der Rundfunk ist ganz gut bestückt, aber wann wird schon noch neue Musik gesendet. Dittrich hoffte bis zuletzt auf Aufführungen seiner Werke. Programmatisch wirkt der Titel von „Durchquerung des Schweigens“ (2010–11) nach Texten des tunesischen Dichters Tahar Bekri, für Sopran, 3 Vokalisten und Orchester, auch diese Partitur harrt darauf, gehört zu werden.

Bei meinem letzten Besuch in Dittrichs Arbeitszimmer lag sein letztes Stück auf dem riesigen Schreibtisch mit dem bezeichnenden Titel „Das öde Land“ (2017) nach T.S. Eliot für Sopran, Vokalensemble und Orchester. Die Stimmen sollten „durchscheinen“, die Instrumente quasi schattenhaft umsingen, Dittrich selbst sprach, gestikulierte, sang, ich konnte das Stück förmlich hören. Ich saß neben ihm, blickte auf den Zeuthener See, auf dem stumm die Segelboote vorbei glitten und wünschte, dass diese Musik einem Publikum, mir selbst, im Konzert hörbar gemacht wird. So spröde, so komplex sie sein mag, sie ist stark und zerbrechlich.

Es wäre schön, wenn diese Stimme Dittrichs singen dürfte, nicht verstummen würde wie die seine am 28.12.2020. Sein stetes Schaffen, allen Widrigkeiten, allem Nicht-Aufführen zum Trotz soll uns Beispiel sein in der jetzigen Zeit, es macht Mut.

 

Die Freiheit der Kunst gegenüber Staat und Gesellschaft zu vertreten ist eine der Aufgaben der Sächsischen Akademie der Künste (§1, 1-2 Satzung). Mit größter Besorgnis sieht die Sächsische Akademie der Künste die Maßnahmen der ungarischen Politik, die die freie Entwicklung künstlerischer Ausbildung beeinträchtigen und erklärt sich solidarisch mit den Studierenden und Lehrenden, die seit Anfang September 2020 gegen die Untergrabung der Unabhängigkeit der Universität für Theater- und Filmkunst Budapest (SZFE) protestieren.

26. November 2020

Seit Anfang September protestieren Studierende und Lehrende der Theater- und Filmuniversität Budapest (SZFE) in Budapest gegen die Verletzung der Autonomie ihrer Hochschule. Die Übernahme der Universität durch die regierungsnahe „Stiftung für Theater und Filmkunst“ hat bereits zum Rücktritt der Universitätsleitung und vieler renommierter Lehrkräfte geführt.

Am 23. Oktober 2020, dem Jahrestag der ungarischen Revolution 1956, demonstrierten rund 10.000 Menschen mit der Botschaft „Die Kunst ist frei“ gegen die neue Hochschulleitung und ihr Vorgehen. Erklärtermaßen will der Stiftungsvorsitzende Attila Vidnyánszky, Intendant des Budapester Nationaltheaters, der 115 Jahre alten Theater- und Filmhochschule ihren „Elitismus“ austreiben und die Lehre künftig auf „die Nation, die Heimat und das Christentum“ konzentrieren. Der zum Kanzler der Hochschule beförderte ehemalige Stabschef im Verteidigungsministerium, Oberst Gábor Szarka, hat in zwei Gebäuden des Campus das Internet abschalten und die Datenkabel kappen lassen. In einem Fernsehinterview rühmte er sich seines persönlichen Durchgreifens. Er werde „so weit gehen wie möglich“, um „diese Art von innerer Anarchie“ zu beenden.

Die Sächsische Akademie der Künste ist höchst besorgt über die Ausschaltung der demokratisch gewählten Organe der SZFE und betont die unverhandelbare Freiheit in Kunst, Wissenschaft und Lehre, die ein Grundpfeiler europäischen Selbstverständnisses ist. Ein an Nationalismus orientierter Kunst- und Bildungsbegriff hingegen gehört endgültig auf den Schrottplatz der unheilvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Wir solidarisieren uns mit den Studierenden, den zurückgetretenen Lehrenden, dem zurückgetretenen Rektorat und dem zurückgetretenen Senat der Budapester Universität für Theater und Filmkunst SZFE und fordern die uneingeschränkte Wiederherstellung der Autonomie der Universität.

Wir erwarten von den Regierungen aller EU-Staaten, dass sie auf die ungarische Regierung einwirken, den Leitungsgremien alle ihre Kompetenzen zurückzugeben.

Die Sächsische Akademie der Künste erklärt sich solidarisch mit allen Künstlerinnen und Künstlern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich für die Freiheit von Kunst und Bildung einsetzen.

Beschlossen in der Sitzung des Senats am 26.11.2020

Holk Freytag,
Präsident

 

Das Archiv der Sächsischen Akademie der Künste steht seit dem 1. November 2020 mit der promovierten Historikerin und wissenschaftlichen Archivarin Judith Matzke (44) erstmals unter professioneller Leitung. Mit dieser neuen Stelle sieht sich die Akademie nach nunmehr 25 Jahren in den Stand gesetzt, einer Aufgabe nachzukommen, die ihr mit ihrer Gründung 1994 durch den Freistaat erteilt wurde: „Die Akademie legt ein Archiv an, in dem sie ihre eigene Arbeit und die ihrer Mitglieder dokumentiert.“ (§ 2,2 Gesetz über die Errichtung der Sächsischen Akademie der Künste SächsAKG vom 24. Mai 1994).

Mit dem Archivaufbau ist auch die Frage nach der Sicherung von Vor- und Nachlässen von Künstlerinnen und Künstlern sowie Kulturschaffenden in Sachsen verbunden. Die Sächsische Akademie der Künste, die bislang keine Vor- und Nachlässe sammelt, sieht sich hier in einer Mitverantwortung, so Akademiepräsident Holk Freytag.

Die Bewahrung dieses in Privathand befindlichen kulturellen Erbes ist eine zentrale Gegenwartsaufgabe der Archive in Sachsen. Hier gilt es, Abstimmungen zwischen sammelnden Institutionen (Archiven, Bibliotheken, Museen) zu treffen und sich in bestehende Netzwerke zu integrieren. Ein Workshop zur Nachlass-Sicherung befindet sich für Sommer 2021 in Planung.

Die Sächsische Akademie der Künste engagiert sich seit fast 25 Jahren als kulturelle Institution in Sachsen. Ihre Mitglieder kommen aus den Sparten Baukunst, Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Film, Literatur und Musik. Sie macht die Öffentlichkeit mit herausragenden künstlerischen Leistungen und Positionen unserer Zeit bekannt, knüpft an den geistigen und künstlerischen Reichtum der sächsischen Kulturlandschaft an und bietet ein Podium für öffentliche Debatten. Diese Arbeit der Akademie und ihrer Mitglieder wird in einem eigenen Archiv dokumentiert.

Das Material umfasst Unterlagen zur Tätigkeit der Akademie, beginnend mit dem Gründungsprozess der Jahre 1992‒1996, und Material zur Arbeit ihrer Mitglieder. Zum Bestand zählen Unterlagen der Geschäftsführung, Material zur Biographie der Mitglieder, Korrespondenzen, Autografen, künstlerische Werke sowie ein Foto- (analog und digital), Ton- (analog und digital) und Filmarchiv mit Veranstaltungsdokumentationen, Interviews und Porträtfilmen insbesondere von Gründungsmitgliedern der Akademie. Die Besonderheit des Archivs besteht in seiner Verbindung zu der lebendigen Künstlersozietät der Akademie. Die Mitgliederdokumentation umfasst 201 Personen, davon 165 lebende Mitglieder (Stand 10.11.2020).

Erste Aufgabe wird die Sichtung, Erfassung und Systematisierung des Materials sein. „Die große Bedeutung dieser Überlieferung steht außer Frage, denn die quellenkundliche Beschäftigung mit diesem Archivbestand liefert neben den Informationen zu einzelnen Künstlerpersönlichkeiten wertvolle Hinweise über den Einigungs- und Transformationsprozess im sächsischen Kulturraum, über kulturpolitische Ziele, Streitthemen und Kontroversen der letzten 30 Jahre.“

Das Akademie-Archiv zu einem Ort der Forschung, der Begegnung und des Austauschs auszubauen, ist das langfristige Ziel der Archivarin Judith Matzke. „Als öffentliches Archiv sollen hier einmal Nutzerinnen und Nutzer zum Transformationsprozess der vergangenen 30 Jahre aus der Perspektive von Kunst und Kultur forschen können. Mit der datenbankgestützten Erfassung der Mitglieder- und Geschäftsunterlagen, der Fotos, Videos und Tondokumente, ihrer Präsentation in Online-Portalen und der Digitalisierung ausgewählter Objekte werden hierfür nun die Voraussetzungen geschaffen. Auf diese große Aufgabe freue ich mich sehr.“

Kurzbiographie: Dr. Judith Matzke, geb. 1976 in Dresden, Studium der Geschichte und Germanistik in Dresden und Madrid, 2007 Promotion, 2007-2009 Archivreferendariat, 2009-2020 Referentin bzw. Referatsleiterin beim Sächsischen Staatsarchiv in Chemnitz und Dresden

 

 

Dresden, 13. September 2020

Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Annette Jahns, die am 11. September 2020 verstarb. Die 1958 in Dresden geborene Opernsängerin und Regisseurin war seit dem Jahr 2000 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste und leitete von 2005–2008 die Klasse Darstellende Kunst und Film. "Auf der Suche nach der Wahrheit hinter dem Offensichtlichen" Nachruf von Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

"Annette Jahns wusste immer, dass hinter den Dingen, die das Auge sah, eine andere, eine tiefere Wahrheit sich verbarg. Die Suche danach war für sie kein Akt der Esoterik, es war ein sachlicher Vorgang, sie hatte einen rationalen Blick fürs Irrationale, das für sie eine treibende Kraft war. Grenzen waren für sie dafür da, dass man sie erweiterte. Hierin mag die Antwort liegen, dass sie so grundverschiedene Künstlerpersönlichkeiten wie Ruth Berghaus, Pina Bausch und Bob Wilson für sich einnehmen konnte. Auf die Frage „wer war Annette Jahns“ gibt es keine eindeutige Antwort. Gewiss, sie war Opernsängerin mit einer herrlich warmen Altstimme, sie war eine hinreißende Darstellerin, eine vor allem dem Neuen zugewandte Regisseurin und in späteren Jahren immer mehr auch eine Performance Künstlerin. Vor allem aber war sie ein wacher Geist, deren eines Hauptmerkmal das Hinterfragen scheinbar selbstverständlicher Dinge war.

Ich hatte einmal das Glück, ihr in der Arbeit begegnet zu sein: als Bradamante in meiner Inszenierung von Antonio Vivaldis „Orlando“ am Wuppertaler Opernhaus, wo sie während meiner Intendanz verschiedentlich gastierte. Singen geriet bei ihr zu einer vollkommenen Symbiose aus Musik und Darstellung – auch die wahnwitzigste Idee probierte sie aus, wenn sie von der szenischen und musikalischen Relevanz überzeugt war. Niemals habe ich mehr vom Zauber des  Musiktheaters erfahren wie in der Probenarbeit mit dieser in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Sänger-Darstellerin.

Als wir uns in Dresden wiedertrafen, durfte ich noch eine andere Seite der Annette Jahns kennenlernen: ihre stete Bereitschaft in kulturpolitische Debatten einzugreifen. Und sie tat es stets mit ihrer Kunst. In der Akademie ist in diesem Zusammenhang ihr Engagement für den Friedrichstädter Neptunbrunnen unvergessen. Ihr Tod trifft uns zur Unzeit und unsere Trauer ist groß."

 

 

Dresden, 15. Juni 2020

Die Sächsische Akademie der Künste startet zusammen mit dem Verein ‚Bildung und Gesellschaft‘ die Chamisso-Poetikdozentur neu. Erster Dozent ist der 1968 in Polen geborene Autor Artur Becker.

Eine Jury aus Vertretern der Sächsischen Akademie der Künste und des Vereins Bildung und Gesellschaft hat Artur Becker, geboren 1968 im polnischen Bartoszyce (Masuren), die Chamisso Poetikdozentur 2020 zugesprochen. Mit der Chamisso-Poetikdozentur ausgezeichnet werden Autorinnen und Autoren, die aus ihrer persönlichen Erfahrung eines Sprach- oder Kulturwechsels heraus in ihren Werken die Fragen der modernen, pluralen und globalisierten Welt reflektieren. Die Poetikdozentur soll sich dabei den Themen widmen, die aus der Erfahrung zwischen den Sprachen, zwischen den Kulturen und der Geschichte unterschiedlicher Sprachräume entstehen. Die Poetikdozentur wurde bereits von 2005‒2011 vom Mitteleuropazentrum der Technischen Universität Dresden gemeinsam mit der Sächsischen Akademie der Künste durchgeführt, gefördert von der Robert Bosch Stiftung. Nach dem Ausstieg der Robert Bosch Stiftung 2012 wird das Projekt nun von der Sächsischen Akademie der Künste, in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Verein Bildung und Gesellschaft wiederbelebt. In Kooperation mit der Zentralbibliothek der Städtischen Bibliotheken Dresden sind drei Vorlesungen am 24.09., 1.10. und 22.10.2020 jeweils um 19.30 Uhr im Dresdner Kulturpalast geplant.

Zur Chamisso Poetikdozentur

Der Jury gehören an:
- für die Sächsische Akademie der Künste: Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste; Dr. Peter Geist, Literaturwissenschaftler Berlin und Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege; Róža Domašcyna, Lyrikerin und Übersetzerin, Zerna (Oberlausitz)
- für den Verein Bildung und Gesellschaft e.V.: Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Schmitz, Vorsitzender; Axel Helbig, Autor und Herausgeber der Zeitschrift „Ostragehege“

Die Dresdner Chamisso-Poetikdozentur für Migrantenliteratur wurde bereits 2002 vom Mitteleuropazentrum der Technischen Universität Dresden und der Robert Bosch Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft der TU Dresden ins Leben gerufen. Von 2005 bis 2011 wurde die Poetikdozentur schon einmal mit der Sächsischen Akademie der Künste in Dresden durchgeführt. Gastdozenten waren 2002 Yüksel Pazarkaya, 2003 Gino Chiellino, 2004 Adel Karasholi, 2005 Ilma Rakusa, 2006 Vladimir Vertlib, 2007 José F.A. Oliver, 2008 Zsuzsanna Gahse, 2009 Hussain Al-Mozany, 2010 Ota Filip und 2011 Francesco Micieli. Die Robert Bosch Stiftung stieg 2012 aus der Dresdner Chamisso Poetikdozentur und 2017 aus dem Adelbert-von-Chamisso-Preis aus.

Die Wiederbelebung der Chamisso-Poetikdozentur wurde von Artur Becker mit Enthusiasmus begrüßt. Die Dozentur sei eine wichtige intellektuelle Plattform der Auseinandersetzung „angesichts der Zerrissenheit des heutigen Europäers und der Stereotype, die seit Jahren durch populistische und nationalbetonte Bewegungen verbreitet werden.“ Er kündigte an, zur Dozentur werde nicht nur „Literarisches, Soziologisches, Philosophisches und Autobiografisches, sondern auch Publizistisches zur Sprache kommen. Die Bilingualität natürlich auch, das Leben zwischen zwei Stühlen und Völkern“. Themen, über die Artur Becker regelmäßig auch in Polen u.a. in der Zeitung Rzeczpospolita publiziert.

Termine

Die Chamisso Poetikdozentur umfasst drei Vorlesungen mit einem anschließenden moderierten Gespräch. Sie findet am 24.09., 1.10. und 22.10.2020 jeweils um 19.30 Uhr in Kooperation mit der Zentralbibliothek der Städtischen Bibliotheken Dresden im Dresdner Kulturpalast statt. Wir bitten Sie um Verständnis, dass die Veranstaltungen unter Corona-Vorbehalt stehen. Nach Maßgabe der zu den Terminen geltenden Hygienevorschriften werden die Vorlesungen ggf. ohne Publikum bzw. mit eingeschränktem Publikum stattfinden. Wir informieren Sie rechtzeitig über die Möglichkeiten der Teilnahme. Es ist geplant, die Poetikdozentur auch als Video-Livestream zu übertragen. Vorgesehen ist die Herausgabe einer Publikation mit den drei Vorlesungen und ergänzendem Material zu Person und Werk.

Zu Artur Becker

Artur Becker, geboren 1968 im polnischen Bartoszyce (Masuren), lebt seit 1985 in Deutschland in der Nähe von Bremen. Becker schreibt Romane, Erzählungen, Gedichte und Essays. Eine Auswahl von Essays ist 2016 zusammengefasst in dem Band „Kosmopolen. Auf der Suche nach einem europäischen Zuhause“ erschienen. Der Gedichtband „Bartel und Gustabalda“ erschien 2019. Für sein Werk wurde er u.a. ausgezeichnet mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis. Sein Roman „Drang nach Osten“ ist 2019 wie viele Bücher Beckers im Verlag weissbooks.w. erschienen.

Für Artur Becker muss sich die Literatur mit der grundsätzlichen Frage „Wer sind wir?“ auseinandersetzen. „Die Literatur muss dies leisten, sie kann diese Frage nicht der Philosophie oder Soziologie überlassen, sonst stünde es nicht gut um sie. Ich will damit nur sagen, dass es in der Literatur auch die Gefahr gibt, dass man abdriftet, dass man sich mit Dingen beschäftigt, die von dem realistischen Hier und Jetzt zu weit entfernt sind.“, (Interview mit Artur Becker, Ostragehege 66/2012). Artur Becker begibt sich mit dieser Frage auch auf das belastete Gebiet der deutsch-polnischen Erinnerung an die Geschichte. „Die intensive Beschäftigung mit der Geschichte dieses Landes und mit meiner eigenen Geschichte hat mir gezeigt, wie zerbrechlich diese Biografien sind, dort, wo die Identitäten so austauschbar sind.“

Aus der Umstellung auf die deutsche Sprache folgte für ihn eine Überprüfung seiner ästhetischen Haltung: „Das war ein Riesenerlebnis für mich, dass die Poesie nicht von einer Sprache abhängig ist. [...] Daraus ergab sich für mich dieses universelle ‚blasphemische Denken‘, welches jedwedes national zentrierte Denken ausschließt.“ (ebd.)

Die polnische Literaturwissenschaft sieht ihn gern als polnischen Autor, der deutsch schreibt. Für die Germanisten ist er inzwischen ein unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Literatur geworden. Becker selbst hält sich am liebsten in der Mitte auf und begreift sich als Kosmopole. „Artur Becker denkt kosmopolitisch und ist von einer Fernliebe nach Polen durchtränkt“, so beschreibt ihn Axel Helbig.

Bildmaterial zum Download unter https://www.sadk.de/presse/pressebilder

 

Dresden, 26. März 2020

Der Hans Theo Richter-Preis der Sächsischen Akademie der Künste, der für bedeutende Leistungen der bildenden Kunst verliehen wird, besonders auf dem Gebiet der Zeichnung und Grafik, wird in diesem Jahr ausgesetzt. Die Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung, Stifter des Preises, hat die für September geplante Preisverleihung abgesagt und zieht damit die Konsequenzen aus den Warnungen des Robert-Koch-Instituts zum weiteren Verlauf der Coronakrise, deren Ende nicht in Sicht sei.

Der Preis sollte in diesem Jahr zum 12. Male verliehen werden. Der Preisträger wird durch Entscheid einer Jury bestimmt, bestehend aus den Mitgliedern der Klasse Bildende Kunst der Sächsischen Akademie der Künste, dem Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und der Direktorin des Kupferstich-Kabinettes der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

 

Dresden, 8. Januar 2020

Das 100-jährige Bestehen des Bauhauses zeigt, dass die Einflüsse des Bauhauses geographisch breiter gestreut sind als bisher bekannt. Die in Lemberg / Lwow / L‘viv (heute Ukraine) während der Habsburger Monarchie 1844 gegründete Universität „Politechnika Lwowska“ war in der Zwischenkriegszeit 1919 - 1939 stark von den Ideen des Bauhauses und der internationalen Moderne geprägt. Das zeigen wegweisende Bauten und Entwürfe in Lemberg selbst, in Europa und in unterschiedlichen Ländern der Welt.

Für den Pluralismus dieser Zeit stehen Vertreter der jüdischen Kultur wie Ferdynand Kassler, Jozef Avin, Simon Wiesental, Bruno Schulz, Jakub Menker u.a., der polnischen Kultur wie Witold Minkiewicz, Jan Bagieński, Tadeusz Wróbel, Władysław Derdacki, Andrzej Frydecki, Tadeusz Teodorowicz-Todorowski u.a. und der ukrainischen Kultur wie Eugen Nahirnyj, Danylo Nimciw, Mykola Mykula, Jewhen Hren u.a.

Allein in Lemberg gibt es 3.216 noch erhaltene Bauten der Zwischenkriegsmoderne. Die Bandbreite reicht von Arbeitersiedlungen, Mehrfamilienhäusern, Villen bis hin zu modernsten öffentlichen Gebäuden.

Die Lemberger Architektur der Zwischenkriegsmoderne muss als kulturelles Erbe Europas erhalten bleiben.
- Es ist ein Architekturdenkmal der frühen Moderne und einer multikulturellen, international geprägten Metropole mit über 500.000 Einwohnern.
- Es ist ein Mahnmal für die ermordeten jüdischen Architekten der Avantgarde.
- Zugleich ist es eine Erinnerung an jene polnischen Architekten, die bis 1945 in Lemberg / L‘viv / Lwów wirkten
- Heute bietet dieses Erbe Heimat für Hunderttausende Ukrainer, Russen und für andere Völker der Nachkriegszeit.

Diese Architektur ist bedroht!
Bedroht ist sie vor allem durch Umbau, Überformung, Vernachlässigung und Abriss. Wir rufen zu einer Initiative auf, durch die der weitere Verlust von Bauten der Moderne in Lemberg/L‘viv verhindert sowie ein Prozess der Sicherung und Erhalt eingeleitet werden kann.

Wir schlagen vor:

1. Bestandsaufnahme besonders hervorragender und exemplarischer Bauten der Architektur der Moderne aus der Zwischenkriegszeit in Lemberg
2. Einberufung einer internationalen Tagung nach Lemberg
3. Gründung eines Dokumentationszentrums «Moderne in Lemberg / L‘viv / Lwów».
4. Gründung eines Fonds zur Rettung gefährdeter Bauten der Moderne der Zwischenkriegszeit in Lemberg / L‘viv / Lwów

Bohdan Tscherkes, Mitglied der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste
Werner Durth, Mitglied der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste

Prof. Thomas Will, Sekretär der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste
Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
Prof. Jörn Walter, Stellv. Direktor der Sektion Baukunst der Akademie der Künste Berlin

 

Dresden, 8. Januar 2020

Im Pressegespräch stellte die Sächsische Akademie der Künste Schwerpunkte ihrer Arbeit für das erste Halbjahr 2020 vor.

Neue Impulse für die Akademie
Die Sächsische Akademie der Künste wird in diesem Jahr Zuwahlen durchführen. Der Senat hat dafür Kriterien aufgestellt: Die Akademie muss jünger und weiblicher werden. Zugewählt werden können auf der Mitgliederversammlung im Juni 2020 in jeder der fünf Klassen der Akademie je zwei Ordentliche und zwei Korrespondierende Mitglieder.

Die Chamisso-Poetik Dozentur
Drei Vorlesungen von Autorinnen und Autoren mit Migrationshintergrund in Kooperation mit dem Verein Bildung und Gesellschaft Dresden, der den Chamisso-Preis/Hellerau vergibt.

Die Sächsische Akademie der Künste führte bereits bis 2011 Poetikdozenturen durch, bei denen Preisträger des Chamisso-Preises der Robert-Bosch-Stiftung (dieser Preis wurde bis 2017 verliehen) nach Dresden eingeladen worden waren. Die Akademie arbeitete dabei mit dem Mitteleuropazentrum der TU Dresden (Leitung: Prof. Dr. Walter Schmitz) zusammen. In der Reihe der Dresdner Chamisso Poetikdozenturen waren zu Gast 2002 Yüksel Pazarkaya, 2003 Gino Chiellino, 2004 Adel Karasholi, 2005 Ilma Rakusa, 2006 Vladimir Vertlib, 2007 José F.A. Oliver, 2008 Zsuzsanna Gahse, 2009 Hussain Al Mozany, 2010 Ota Filip und 2011 Francesco Micieli.

Prof. Dr. Walter Schmitz, Vorsitzender des Vereins Bildung und Gesellschaft e.V. Dresden: „Zuwanderung ist ein Thema, von dem man die ganze Literaturgeschichte neu denken könnte, jenseits des national geprägten Diskurses. Es geht darum, aus dem Schatten des Heimatbegriffs herauszutreten.“ Die Dozentur wird drei Vorlesungen umfassen, die in einer Publikation dokumentiert werden. Der Autor oder die Autorin der nächsten Chamisso Poetikdozentur wird aus den Vorschlägen für den Chamisso-Preis/Hellerau ausgewählt. Darüber entscheidet eine Jury, die aus Vertretern der Sächsischen Akademie der Künste und der Jury des Chamisso-Preises/Hellerau zusammengesetzt ist.

2019 wurde der Preis auf Initiative des Vereins Bildung und Gesellschaft Dresden und privaten Stiftern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft als Chamisso-Preis/Hellerau wiederbegründet. Der Chamisso-Preis/Hellerau wird jährlich genreübergreifend für Texte, die in deutscher Sprache verfasst wurden, vergeben. Der Name des Preises verbindet die Sprach- und Kulturgrenzen überschreitende Literatur deutscher Sprache, für die Adelbert von Chamisso steht, mit der Gartenstadt Hellerau in Dresden, dem ‚Laboratorium‘ einer internationalen Moderne in Kunst und Leben. Ausgezeichnet werden herausragende Beiträge zur Gegenwartsliteratur von Autorinnen und Autoren, die aus ihrer je persönlichen Erfahrung eines Sprach- oder Kulturwechsels heraus neue, eigenständige literarische Antworten auf den Wandel unserer modernen, pluralen und globalisierten Welt zu geben vermögen.

Die Künste im deutsch-deutschen Kontext - eine Bilanz (Arbeitstitel)
Diskussionsreihe zur Bilanz von 30 Jahren deutsch-deutscher Kultur- und Kunstentwicklung
in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.- Politisches Bildungsforum Sachsen

„Ist die Trennlinie zwischen Ost und West auf dem Gebiet der Künste imaginär und nur eine Frage der Wahrnehmung? Sind die Künste in der Wiedervereinigung weiter, als die Gesellschaft?“ Dieser von Dr. Joachim Klose vorgetragenen These will die Diskussionsreihe nachgehen. In der Veranstaltungsreihe besetzen jeweils zwei Persönlichkeiten aus Architektur, Musik, Literatur (u.a. mit Marcel Beyer, Durs Grünbein), Theater (u.a. mit Gert Uecker), Film und Bildende Kunst (u.a. mit Prof. Dr. Marion Ackermann, Staatliche Kunstsammlungen Dresden) aus Ost und West das Podium. Sie werden abwechselnd in Moderation durch Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste (West) und Dr. Joachim Klose (Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. für den Freistaat Sachsen) (Ost) befragt. Diese Gegenüberstellung ruft gemeinsame, aber auch unterschiedliche Erfahrungsräume auf: Welche Impulse lassen sich daraus für künftige Entwicklungen der Künste in Deutschland gewinnen?

Die Moderne retten - Architektur der Zwischenkriegsmoderne in Lemberg
Architekturtagung mit internationaler Besetzung 21.-25. Mai 2020 in Zusammenarbeit mit der Stadt Lemberg, der Architekturfakultät der Polytechnika Lemberg, dem Internationalen Kulturzentrum Kraków und der Sektion Baukunst der Akademie der Künste, Berlin

Lemberg verfügt nicht nur über eine erhaltene Altstadt aus der k.-u.-k.-Zeit, sondern auch über wegweisende Bauten der Moderne. Lemberg war in der Zwischenkriegszeit 1919-1939 stark von den Ideen des Bauhauses und der internationalen Moderne geprägt. Dieses Erbe gilt es zu retten und unter Schutz zu stellen, da es aktuell von Abriss, Umbau und Überformung bedroht ist. Vor allem durch den Krieg in der Ostukraine erlebt die Stadt einen massiven Zuzug, der aller Orten zu intensiver Bautätigkeit führt. Zugleich gilt es die Erinnerung an jene Architekten und Bauherren zu bewahren, die im Holocaust ihr Leben verloren oder vertrieben wurden. Auch darum sieht sich die Akademie in einer besonderen Verantwortung.


Resolution zur Rettung der Architektur der Zwischenkriegsmoderne in Lemberg / Lviv / Lwów, Ukraine

 

Dresden, 3. Januar 2020

Der Opernregisseur Harry Kupfer, der zu den Gründungsmitgliedern der Sächsischen Akademie der Künste zählt, ist am 30. Dezember 2019 im Alter von 84 Jahren in Dresden verstorben. Nachruf von Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

„Entscheidend ist bloß, dass auf der Bühne eine Geschichte interessant, spannend und menschlich erzählt wird“. Mit einfachen Worten umschrieb Harry Kupfer in einem Interview aus dem Jahre 1997 das Rezept seiner Regie-Meisterschaft.  Ein Theater, dass gesellschaftlich nicht geerdet ist, dass sich nicht dem Traum einer gerechteren Welt verpflichtet fühlt, war für ihn nicht denkbar. Ebenso wenig ein Musiktheater, dass seine Phantasie nicht aus der Partitur heraus entwickelt. Meisterhaft seine Personenführung, bisweilen unglaublich, zu welchen darstellerischen Höchstleistungen er seine Sängerinnen und Sänger führte. Insofern waren seine Arbeiten auch immer Annäherungen an den Traum von der griechischen Tragödie, in der die darstellerischen Disziplinen sich gleichberechtigt zum Ganzen fügten.

Immer stand der Mensch im Mittelpunkt, von ihm aus dachte er und für ihn arbeitete er. Eine gründliche und scharfsinnige Analyse der Stücke war die Voraussetzung für sein Menschentheater, das sich stets und notwendigerweise in Konfrontation zu gesellschaftlichen Ist-Zuständen begab. Dazu meinte er einmal:  „Ich möchte alle Fragen der Welt in dieser schönen, totalen Kunstform, der Oper, durchspielen, um dabei Vorschläge zu machen für das Zusammenleben der Menschen.“ Dass er dieses Konzept nicht auf die Oper beschränkte, zeigte er eindrucksvoll in seinen Ausflügen ins leichtere Genre der Operette oder des Musicals, wie 1986 bei der „Lustigen Witwe“ in Berlin oder 2012 bei der Wiener „Elisabeth“. Allerdings forderte er auch im Musical die gesellschaftliche Relevanz ein: „Wenn die Geschichte nicht aufregend und kritisch ist, im Sozialen, Politischen oder Menschlichen, dann hat es für mich keinen Sinn.“

Die Theaterwelt hat mit Harry Kupfer einen ihrer Großen verloren, dessen Credo „Letztendlich geht doch Kunst darauf aus, dass man mit Utopien und Modellen spielt“ auch in Zeiten von fake-news und Netz-Hetze nicht verloren gehen darf.

 

2019

Dresden, 27. Dezember 2019

Der Sänger und Dirigent Peter Schreier, Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste, geboren 1935 in Meißen, starb am 25. Dezember 2019 in Dresden.

"Peter Schreier war ein Jahrhundertsänger und seine Nachrufe sind gespickt mit Superlativen – zu Recht! Seine Winterreise, sein Evangelist, sein Tamino, seine Schumann-Interpretationen – es gab andere, aber keine besseren. Ich durfte ihn persönlich im Kochstudio von Lars Jung im Schauspielhaus kennenlernen - und war überwältigt von seiner Bescheidenheit, von seiner Nahbarkeit. Später habe ich einmal als Moderator in einem von ihm dirigierten Konzert mitgewirkt – und wieder war es seine unkomplizierte Art mit komplizierten Stoffen umzugehen, die mich beeindruckte. Sein Verzicht auf jede Attitude legte den Kern der von ihm gesungenen oder dirigierten Werke frei. Dass ein solcher eine solche Karriere machen konnte, dass er in der ganzen Welt für seine unbestechlichen Deutungen vielgedeuteter Werke gefeiert wurde, das ist und bleibt ein Funken Hoffnung für eine Welt, die immer mehr der Unwahrheit frönt

Nach Theo Adam verliert die Akademie zum zweiten Mal in diesem Jahr eines ihrer profiliertesten Mitglieder, verlieren Dresden und alle Freunde der Musik in aller Welt einen ihrer Protagonisten. Beide haben Musikgeschichte geschrieben und beiden wird die Akademie ein bleibendes Erinnern sichern."

Holk Freytag
Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

 

19. Dezember 2019

Das von der Freien Akademie der Künste Hamburg in der Herbert-Reemtsma-Stiftung veranstaltete Kollegentreffen ist für mich ein geeigneter Anfang, Emotionen und Erfahrungen im Raum des neu kreierten architektonischen Milieus der HafenCity wahrzunehmen. Als überaus interessant erwies sich auch die Begegnung mit Herrn Oberbaudirektor der Freien und Hansestadt Hamburg Franz Josef Höing. Seine Vorstellung von Ergebnissen des „Internationalen Bauforum 2019 | Magistralen“ (19. bis 24. August 2019) bewegte mich, einige Reflexionen über die zu kreierende Stadt von morgen aufzuzeichnen.

Im Verlauf des Vortrags gewann ich den Eindruck, dass das Anliegen der Teilnehmer des „Bauforums Magistralen“ nicht darin bestanden hat, konkrete Ideen zu vermitteln. Eher versuchte jeder einzelne Redner, die Welt nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, separiert sowohl von den Eigenschaften und von der Identität des Ortes wie auch von der historisch verfestigten städtischen Struktur, die das nächste Aufbaugelände doch definieren sollten. Die verständlicherweise nicht tiefgründige Präsentation bot auch keinen Ausgangspunkt für eine gründlichere Analyse der Ideen. So bemängele ich nicht nur die fehlende Betonung urbaner Motivationen und Inspirationen, sondern auch die unterlassenen Anmerkungen zur Vergangenheit des Ortes, zu seinem kulturellen Erbe und Kontext! Schließlich bieten Motivationen und Inspirationen einem Stadtplaner großartige Chancen herauszufinden, wie die Fortsetzung der „Erzählung“ von Symbiose zu schreiben ist: Als Fortsetzung des Existierenden durch Integration des Vorgefundenen im neuen Milieu, als ein wunderbarer Bau des Seienden!

Die jahrhundertealte Geschichte der Menschheit zeigt von der Antike an den unbezwinglichen Willen, etwas Besonders, Unzerstörbares zu hinterlassen. Diese Bestrebungen kamen in der Schaffung von monumentalen weltlichen, sakralen und Wehr-Bauten zum Ausdruck – im Bauen von etwas Hohem, im Errichten von „Spitzen“.

Die mythologische Turmstadt, die Stadt der Zukunft, der Turmbau zu Babel, sollte vermutlich die Menschen davor warnen, nicht auseinanderzugehen, sich nicht zu zerstreuen. Die Idee bezog sich auf die mesopotamischen Zikkurate. Sie können ein Symbol für Hochmut gewesen sei. Oder der Mahnung an den Menschen, sich nicht über Gott zu stellen! Ein anderes Beispiel für diese Aspirationen sind die pompösen ägyptischen Grabstätten der Pharaonen – die Pyramiden. Die Evolution führte jedoch zur Entwicklung von Städten und zur Entstehung von Metropolen.

Wir sind heute Zeugen von Veränderungen und der Kreierung von Stadtvisionen. Dieses Phänomen beruht auf der Errichtung von Stadtzentren, die nicht mehr durch Marktplätze, Kirchen, Rathäuser und Ähnlichem definiert werden. Auch unsere Sichtweise auf komplexe Transportsysteme und die Methoden ihrer Planung unterliegt einer Änderung. Das wirkt sich enorm auf die traditionellen städtischen Institutionen und andere Bestandteile der Städte aus. Außerdem beeinflussen die Beziehungen zwischen der Stadt und ihrem Weichbild unsere Art des Verstehens von Planung, Entwicklung und Ausbeutung des bestehenden Umfelds. Das evoziert die Tendenz zur Rückinterpretierung der überlieferten urbanen Einrichtungen, anderer Stadtkomponenten und der Wechselbeziehung zwischen Stadt und Umland. 

„Die Stadt“ ist das Ergebnis von Interaktion zahlreicher Faktoren. Diese Interaktion spielt eine gewichtige Rolle in dem unsere Zukunft gestaltenden Spiel. Neue Ideen und Trends – Zukunftsvisionen – sind eine Illustration, ein Abbild der individuellen Haltung und Handlungsweise des Schöpfers! Heute steht ein Architekt wieder in einer Situation (er führt sie zuweilen selbst herbei), in der er den Akt der Kreation und Reaktion vollführt und dabei die Grenzen der Architektur überschreitet und neue Bereiche entdeckt!

Architekten kreieren Konstellationen, die Prognosen der Zukunft sind. In den konkreten, individuellen Aufgaben zeigen sie das Potenzial der Architektur – indem sie eine Antwort auf Bedürfnisse und innovative Konzepte liefern, die Veränderungen in unseren Verhaltensmustern und Lebensumständen induzieren. So entstehen neue Räume und so wird unbekannten, künftigen Situationen neue Bedeutung verliehen.

Auch wenn sie für die Bewohner heute nicht annehmbar oder angesichts aktueller ökonomischer und technologischer Einschränkungen schwer zu akzeptieren erscheinen, können Zukunftsbilder von der Stadt als Metropole an die nächsten Generationen vermittelt werden. Die Stadt der Zukunft baut auf den heutigen Erfahrungen, dem Wissenstand und den Emotionen auf. Wir befinden uns im Diskurs zwischen visionären Projekten, den Bauten unserer Zeit und jenen Bauten, von denen meine Generation ausging. Wir entdecken, dass das, was gestern noch Utopie war, heute Wirklichkeit geworden ist. Eine Wirklichkeit, die uns ins neue Jahrhundert gebracht hat! Die bestehenden Städte sind lebendig, und sie werden das Leben der nächsten Generationen konstituieren. Ihre Zukunft zu sichern, das ist die Aufgabe für Städteplaner und Architekten. Denn die sind sowohl für die Visionen als für ihr reales Dasein verantwortlich. 

Welche Art von Visionen können als zukunftsweisend betrachtet werden? Ist es jene Vision, deren Realität durch die Gegenwart definiert wird? Oder jene, die ausschließlich von den künftigen Generationen der Architekten kreiert wird? Was verstehen wir als Architektur in der Stadt der Zukunft, der Stadt von morgen?  

Wir müssen uns die Frage stellen: Ist das HAUS DER ZUKUNFT nicht ein HEUTE gebautes Gebäude, ein Gebäude, dessen unkonventionelle Form nicht schockiert, sondern dank seiner räumlichen Struktur und technischen Ausstattung die permanente Anpassung an die immer neuen Heraus- und Anforderungen ermöglicht und so den sich verändernden Bedürfnissen und Präferenzen der nächsten Generationen der Nutzer entspricht?

Oder anders gefragt: Ist die STADT DER ZUKUNFT eine existierende Stadt, die durch die Evolution, die als „neue Urbanisierung“ bezeichnet wird, ihren Einwohnern in der nächsten Generation Komfort und Sicherheit gewährleistet? Wird das Leben in einer konkreten Gemeinschaft erleichtert, indem man Gebiete mit immer komplexeren Wohnbauten kreiert? Besteht die STADT DER ZUKUNFT aus Residenzen, die mit anderen Funktionen der Stadt verknüpft sind, unter Bevorzugung von Fußgängern und des öffentlichen Verkehrs, der den Zugang zu den Stadträumen, Arbeitsorten, kulturellen Dienstleistungen, Handelsdienstleistungen ermöglicht? Und damit zu einer bedeutenden Einschränkung des Individualverkehrs führt ...

Eine derartige Perspektive der künftigen Stadt, die das Erbe der materiellen und immateriellen Kultur schützt, kann in der Tat eine gute Idee für den humanitären und nachhaltigen Aufbau einer menschenfreundlichen Umwelt sein!  

Eine Motivationsquelle auf der Suche nach neuen Ideen für die Planung sollte das Bedürfnis sein, die Probleme der „unkontrollierten Urbanisierung“ zu lösen – einer übermäßigen territorialen Entwicklung von Städten und Agglomerationen. Die weitere Vereinnahmung neuer Gebiete für die Bewerkstelligung von Wohnprojekten, Handelszentren, Büros und anderes ist mit der Frage nach der Strategie kontrollierter Entwicklung verknüpft, oder mit anderen Worten – mit Fragen nach Strategien der Urbanisierung von städtischen Randgebieten.

Das Problem der Verdichtung in Großstädten auf das natürliche Phänomen von Migration zurückzuführen, provoziert politische Debatten. Das Anzeichen für eine Renaissance von Städten kann in der Tat darauf deuten, dass „Städte der Zukunft“ die heutigen Städte sind, die einem beharrlichen und stabilen Trend zur Umorganisierung unterzogen werden!

Die Hinzufügung des „Neuen“ führt zu der Frage, wie die Stadt, ohne Verlust ihrer bisherigen Qualität und unter Beibehaltung des Genius Loci, zu korrigieren und zu verbessern ist. Indem wir in der urbanen Architektur die Gegenwart und das Heute manifestieren, müssen wir den städtischen Raum mit unikalen Merkmalen unserer architektonischen Landschaft bereichern!

Die in den vorstehenden Überlegungen angesprochenen Probleme und Themen schöpfen keinesfalls die Fülle der Fragen aus, die mit der Entstehung menschenfreundlicher Städte der Gegenwart verknüpft sind. Das Wissen in diesem Bereich bezieht sich auf viele Aspekte und ist auch mit unzähligen Färbungen der einzelnen Fälle behaftet. Es gibt nämlich keine unterschiedslosen Vorbedingungen, Bedürfnisse und Wechselbeziehungen, die zu identischen räumlichen, individueller Merkmale entbehrenden Lösungen führen. Diese spezifischen räumlichen und individuellen Merkmale hingegen sind es, die Städte zu magischen Orten machen, zu Orten, an denen Menschen, Straßen, Plätze, Parks und Häuser ein emotionales Ganzes bilden.

Oskar Hansen, der polnische Architekt finnischer Herkunft, Theoretiker, Maler, Bildhauer und Pädagoge, sagte: „Das heutige Europa braucht einen konkreten, authentischen Impuls, der die menschliche Solidarität ausdrückt, einen Impuls, der auf europäischen Kulturwerten basiert: Eine klare, nachhaltige Vision der Zukunft, weil man leben will und sich nicht vor dem Leben fürchtet!“

Reflexion anlässlich der Diskussion mit Franz Josef Höing, Baudirektor der Freien und Hansestadt Hamburg am 20. September 2019 in der Freien Akademie der Künste in Hamburg im Rahmen des Treffens der Bauklassen und Bausektionen der Akademien der Künste Berlin, Dresden, Hamburg

Romuald Loegler, Architekt Kraków

 

 

Oktober 2019

„Übernimm niemals eine Arbeit, für deren Lohn du Schnaps kaufen mußt, um zu vergessen, daß du diese Arbeit übernommen hast.“ Diesen Satz, „Totes Rennen“ überschrieben, konnte man im Oktober 1980 in der Zeitschrift Sinn und Form lesen, und unter der Überschrift „Wörter“ erfuhr man: „Das Wort ‚totschweigen‘ ist eine der mörderischsten Vokabeln. Es ist übrigens ein Tätigkeitswort.“ „Zwei Wörtlein“ hatten es anders in sich: „Wäre den Journalisten bewußt, welchen Aussagewert eine sprachliche Fügung hat, sie würden vermutlich mit der Wendung ‚überwältigende Mehrheit‘ zurückhaltender umgehen.“ 

Dies und anderes lasen die Abonnenten der „ausabonnierten“ (eine verschollene Vokabel) Zeitschrift auf zwei Druckseiten, über deren Verfasser man im Anhang erfuhr: „geb. 1929, lebt in Leipzig“. Ein mehr als Fünfzigjähriger war auf einmal in Erscheinung getreten, mit Sätzen, die Schlaglichter auf das Leben im realisierten Staatssozialismus warfen; ein Land, eine Gesellschaft hatten ihren Aphoristiker gefunden. Sprachprüfung, Sprachkritik war ein Grundgestus dieser lakonischen Analysen; das Besondere drückte sich als ein Allgemeines aus, ohne an Besonderheit einzubüßen. Eine Prägnanz herrschte, die erkennen ließ, daß sie verdichtete Selbsterfahrung war.

Der hier Worte fand, die aus dem besonderen und dem allgemeinen Leiden den Funken des Witzes schlugen, stammte aus einer Gegend, in der die Oberlausitz ins Böhmische überging. Daß das lesehungrige Dorfkind auf dem Weg über die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät hatte Abitur machen und Anfang der fünfziger Jahre in Leipzig Germanistik studieren können, verdankte es der sozialen Revolution, die in diesem Land stattgefunden hatte. Als Drescher einmal darüber klagte, daß Hans Mayer ihn bei einem Seminarreferat unterbrochen habe, meinte sein Kommilitone Adolf Dresen, er sei der einzige gewesen, dem es gelungen war, bei Mayer ein Referat zu Ende zu bringen. Hartnäckigkeit und Verletzlichkeit paarten sich in ihm auf eine Weise, die mit der Landschaft zusammenhing, der er entstammte; es war eine Mischung, die ihn Ende der fünfziger Jahre beruflich in die Krise führte. In dem Verlag, in dem er Lektor geworden war, für unangebrachten Eigenwillen gerügt, war er um seine Entlassung eingekommen und fristete sein Leben fortan als Mitarbeiter des Blumengeschäfts, das seine Frau am Leipziger Ostfriedhof unterhielt. Zwei Jahrzehnte lang konnte er sich in der Stadt, in der er Wurzel geschlagen hatte, als Verbannter fühlen; mit einem Filmprojekt, das jene nutzbare Ruine des Leipziger Universitätsgebäudes porträtieren wollte, in der der Hörsaal 40 mit den Vorlesungen Ernst Blochs, Hans Mayers und vieler anderer zum geistigen Zentralort geworden war, war Drescher in der SED-beherrschten Leipziger Kulturszene dauerhaft in Ungnade gefallen. Ich glaube, er hatte Ulbrichts Sprengplänen vorbeugen wollen.

Von diesem Bann befreite ihn Sinn und Form, als die Redaktion auf Fürsprache Günter Rückers 1980 eine erste Auswahl seiner Aphorismen druckte. Es folgten Prosaporträts zweier bedeutender Dresdner Maler, die, wie er selbst, eine eigensinnig-stille, produktiv-widersetzliche Existenz im Reich des sozialistischen Realismus führten: Wilhelm Rudolph und Theodor Rosenhauer. Malerbilder nannte er diese Gesprächsessays, eine ihm ganz eigene Form, und andere schlossen sich an; sie galten zwei kontrastierenden Berliner Meistern, Arno Mohr und Werner Klemke.

Dreschers Essay über den neunzigjährigen Wilhelm Rudolph brachte der Leipziger Reclam-Verlag 1987 in einem Bändchen heraus, das in dem strikt regulierten Dresdner Kunstleben wie eine Bombe einschlug; der Lektor, Heinfried Henniger, mußte sich vor einer Versammlung dortiger Kunstregenten verantworten. In Berlin wehte ein anderer Wind, und im Aufbau-Verlag kam im selben Jahr der Aphorismenband Aus dem Zirkus Leben heraus; nach dem Oktober 1989, in den sieben Monaten der geistig und politisch befreiten deutschen Ost-Republik, folgten die gesammelten Malerbilder. In einem späteren Band traten epische Miniaturen zutage, in denen Drescher den Viebig, die Landschaft seiner Kindheit, mit den Stimmen der Erwachsenen von damals zum Sprechen brachte. Sie machten ihn als einen Nachfahr der Grimmelshausen und Bräker kenntlich, jener Autoren, die mit einer Naivität, die zugleich ein Kunstmittel war, im 17. und 18. Jahrhundert den Blick von unten in die deutsche Literatur eingebracht hatten, den Wirklichkeitssinn plebejischer Welterfahrung.

Dreschers nachdenklich-hintergründiger, immer genauer, niemals auftrumpfender Blick hatte in der Niedergangsphase einer Ordnung, die sich – mit dem Brechtschen Wort – als „Arbeitermonarchie“ darstellte, einen Spielraum gewonnen, der nicht lange anhielt. Mit einer neuen Währung traten neue Markt- und Machtverhältnisse und mit beiden anders einengende Erwartungshaltungen in Kraft, und so leise, wie Drescher ins literarische Leben eingetreten war, zog er sich allmählich wieder aus ihm zurück. „So inhaltsschwer die Frage auch sein mag, was Wahrheit sei“, faßte er unter der Überschrift „Die wahre Pilatusfrage“ eine reiche Lebenserfahrung zusammen, „noch gehaltvoller scheint mir die Frage, wem mit ihr gedient ist.“ In Dresden gehörte er 1996 zu den Gründungsmitgliedern der Sächsischen Akademie der Künste und leitete einige Jahre lang deren Klasse Literatur. Wenn sein publikes Wirken zurücktrat: als ein unermüdlicher Briefschreiber hielt er Kontakt zu Gleichgestimmten und verfehlte niemals, seinen Zeit- und Kunstkommentaren ebenso fragile wie originelle Blütencollagen beizufügen. Sie bilden einen Nachlaß eigentümlichster Art und verdienten, ehe sie vergehen, Eingang in ein Bilderbuch zu finden.

Horst Drescher gehörte zu den Stillen im Lande, in sich gekehrt auf eine extroversive Weise; ihn zum Sprechen zu bringen, setzte voraus, ihm Gehör zu schenken. Sein Œuvre ist zu großen Teilen unerschlossen; zutagegefördert wird es das Maß einer Wirklichkeitsbeschreibung erfüllen, die aus Kriegs- und Nachkriegszeiten bis in unsere Tage reicht. In einem Leipziger Seniorenheim, in dem er im Januar noch seinen 90. Geburtstag begehen konnte, ist Horst Drescher, wie erst jetzt bekannt wurde, am 22. September verstorben.

Friedrich Dieckmann

 

September 2019

Den Namen Ágnes Heller hörte ich zum ersten Mal als Gymnasiast. Es wurde herumerzählt, dass die Schülerinnen des benachbarten Mädchengymnasiums ein besonderes Glück hatten: Das Fach Literatur trug dort eine junge Philosophin vor, der es angeblich gelungen war, die Jugendlichen für den ansonsten nicht besonders populären Gegenstand zu begeistern. Außerdem wusste man, dass die Lehrerin Ágnes Heller ihrerseits eine Schülerin und Mitarbeiterin des Philosophen Georg Lukács war, dessen Namen wir schon deswegen kannten, weil er in den Tagen des Volksaufstands 1956 als Kulturminister der kurzlebigen Imre-Nagy-Regierung angehörte. Nach der Unterwerfung des Volksaufstands hat man den einzigen ungarischen Philosophen von Weltruf von der Universität entfernt, aus der Partei, zu deren Mitbegründern er gehörte, ausgeschlossen und für mehrere Jahre mit Publikationsverbot belegt. Soviel wusste ich damals, ohne diesen Sachverhalt mit Ágnes Hellers Situation in Zusammenhang zu sehen. Heute wissen wir, dass ihre Arbeit als Gymnasiallehrerin praktisch eine von höchster Stelle angeordnete Zwangsversetzung war.


In der dunklen Zeit von massenhaften Hinrichtungen, Verhaftungen und Internierungen führte das Regime auch einen quasi ideologischen, aber eigentlich administrativen Feldzug gegen Intellektuelle, die sich geweigert hatten, den Volksaufstand pauschal als „Konterrevolution“ zu verdammen. Als Hauptfeind galt der „Revisionist“ Lukács, aber die Kampagne richtete sich auch gegen seine weniger prominenten Gefährte. So hat man Ágnes Heller 1957 aus der Redaktion der Zeitschrift „Philosophische Rundschau“ ausgeschlossen und von der Universität entlassen. In ihrem für das Zentralkomitee zusammengestellten Sündenregister hieß es: „Ágnes Heller startete in ihren Vorträgen an der Universität wiederholt Angriffe auf die Sowjetunion und die proletarische Diktatur, die sie die trotzkistischen Verleumdungen nachahmend als ´entfremdete Staatsmacht´ charakterisierte. Angesichts der Schwere dieser Anschuldigungen konnte sich die Philosophin noch glücklich schätzen, dass sie lediglich in ein Gymnasium verbannt worden war.


Dann kamen, wie das so üblich ist, die relativ besseren Zeiten. Im Vorfeld der geplanten Wirtschafsreform warb die Partei um die Gunst der intellektuellen Eliten. 1967 wurde Lukács politisch rehabilitiert – wie man damals in Budapest spöttelte, in die Partei wiedereingesperrt – und ihm gelang es auch, die Verbesserung der Lage seiner Schüler durchzusetzen: So konnte Ágnes Heller wieder Bücher veröffentlichen, unter ihnen „Mensch der Renaissance“ und „Alltag und Geschichte“. 1968 konnte sie sogar an der Budapester Universität Doktor der Philosophie werden. Um den Meister gruppierten sich die so genannte Lukács-Söhne und Töchter wie Ágnes Heller, Ferenc Fehér und Mihály Vajda und auf deren Spuren die „Lukács-Enkel“ wie György Bence und János Kis, spätere Vordenker der demokratischen Opposition. Als informelle „Budapester Schule“ bildeten sie ein geistiges Zentrum für kritische Reflexion, in der Gestalt eines ketzerischen Reformmarxismus und im Kontext der westeuropäischen Neuen Linken. Eine Zeitlang schien das Regime diese Art des Andersdenkens zu tolerieren, aber das historische Schaltjahr 1968 brachte nicht nur liberale Versprechungen, sondern auch die ernüchternde Realität: die Zerschlagung des Prager Frühlings durch die Armeen des Warschauer Vertrags.


Gegen den Einmarsch in die Tschechoslowakei protestierte in Ungarn kaum jemand. Der tief deprimierte Lukács wandte sich mit einem Brief an das Zentralkomitee. Die „Söhne und Töchter“ gingen anders vor. Während eines internationalen Fachkongresses in Kroatien, auf der malerischen Insel Korčula, unterzeichneten sie eine Protesterklärung gegen die Invasion. Sie definierten sich als „für die Entwicklung des sozialistischen Systems Verantwortung fühlende Kommunisten und Marxisten“ und äußerten Besorgnis angesichts der Bedrohung „für die Entwicklung des sozialistischen Systems und die Erneuerung der Marx‘schen Theorie“, die sie durch den Einsatz von Panzern gegeben sahen. Obwohl der Begriff „Sozialismus“ oder „sozialistisch“ in den zwei Sätzen der Erklärung viermal vorkam, handelte es sich eindeutig um einen Akt des Dissenses, wie er seit Langem nicht mehr vorgekommen war. Damit aber nicht genug: Sie richteten ihren Brief an die Nachrichtenagentur AFP und die Zeitung „Le Monde“ – ein indirekter, aber rascher Weg zu ungarnsprachigen Auslandssendern, die wiederum von Hunderttausenden gehört wurden. Dieses Vorgehen war mindestens mutig, wenn nicht gar waghalsig. Ich glaube, dass sie damals nur der Name Lukács vor den Repressalien verschonte.


Allerdings verlor die „Budapester Schule“ nach dem Tod des Meisters im Sommer 1971 diesen Schutzschirm. Im Mai 1973 parallel dazu erschien ein so genanntes Positionspapier der ideologischen Abteilung des Zentralkomitees unter dem bedrohlichen Titel „Über die antimarxistischen Ansichten einiger Sozialwissenschaftler“. Hier wurden Angehörige der „Budapester Schule“, namentlich benannt, „revisionistischer“ Abweichung und systemgefährdender Äußerungen bezichtigt. Formal erhielten sie eine Einladung von der Akademie der Wissenschaften zum öffentlichen Disput ihrer Werke, die sie jedoch unter den demütigenden Bedingungen ausgeschlagen haben. Daraufhin wurden sie von ihren Arbeitsplätzen entlassen. So musste Ágnes Heller zum zweiten Mal ihren Job verlieren und diesmal bekam sie nicht einmal eine Lehrerstelle im Gymnasium angeboten – es handelte sich um den reinsten Fall des Berufsverbots.


Nun optierten die Behörden trotz fortgesetzter Schikanen, Hausdurchsuchungen und Verhöre für keine politischen Prozesse mehr, sondern versuchten, den Betroffenen die Auswanderung nahezulegen. Die Taktik passte der damaligen sowjetischen Führung in den Kram, da diese nach der spektakulären Ausbürgerung von Alexander Solschenizyn und anderen Fällen von „Entsorgung“ der kritischen Intelligenzija bei den Bündnispartnern Nachahmung erwartete. Nun saßen auch die Lukács-Adepten Ferenc Fehér, Ágnes Heller, Mihály Vajda und die anderen auf gepackten Koffern. Das Ausreiseverfahren zog sich in die Länge und diesem Umstand verdankte ich die Möglichkeit, Ágnes Heller kurz vor ihrem Exil persönlich kennenzulernen. Es war ein angenehmes Plaudern am Ufer des Balatons, ich war sicher befangen, denn ich empfand ihre Entscheidung tragisch und kaum mehr veränderbar. In der Tat kam die nächste Begegnung und nähere Freundschaft mit Heller erst fünfzehn Jahre später zustande, als sie aus ihrem Exil zurückkehren konnten. Nun wurde die inzwischen weltberühmt gewordene Philosophin auch in der eigenen Heimat anerkannt, mit dem Széchenyi-Preis ausgezeichnet und zum Ehrenbürger von Budapest ernannt. Neben diesem späten Ruhm musste sie aber auch Enttäuschendes und Bitteres erleben.


In dem dritten Jahrzehnt nach dem demokratischen Systemwechsel wurde das Denkmal des Philosophen Lukács von dem Donauufer an den Stadtrand verbannt, sein Archiv aufgelöst, seine Schüler allerlei, teilweise rassistischen Verleumdungskampagnen ausgesetzt. Besonders Ágnes Heller wurde wegen ihrer unbeugsamen Ablehnung der Orbánschen „Ein-Mann-Demokratie“ zur Zielscheibe wüster Hasstiraden erkoren. Dies schien sie indessen kaum zu stören – in ihren letzten Jahren schuf sie eine Reihe hervorragender Werke, unter ihnen „Die Auferstehung des jüdischen Jesus“, „Die Welt der Vorurteile. Geschichte und Grundlagen für Menschliches und Unmenschliches“, „Von der Utopie zur Dystopie: Was können wir uns wünschen?“. Eine kurze Geschichte meiner Philosophie“ sowie „Paradox Europa“. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin bereiste sie in diesen Jahren die halbe Welt und hielt Vorträge an Universitäten und anderen kulturellen Institutionen, so auch zum Anlass des zwanzigsten Jahrestages der Gründung unserer Akademie. Die sie sahen und hörten, bewahren von ihr das Bild eines Menschen von unerschöpflicher Vitalität und gedanklichen Frische. Um so schockierender traf uns die Nachricht im Sommer 2019, dass sie im einundneuzigsten Lebensjahr, ausgerechnet beim Schwimmen im Balaton – eines ihrer Passionen – nicht mehr lebend ans Ufer zurückgekehrt ist.
Ein grosser Geist hat uns verlassen.

György Dalos

 

Dresden, 27. September 2019

Zur Verleihung des Semperpreises 2019 der Sächsischen Akademie der Künste an den Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven 

Die Sächsische Akademie der Künste hat am 26.09.2019 den Semperpreis 2019 an den Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven verliehen. Es sprachen Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste; Anne Katrin Bohle, Erste Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Videobotschaft); der Architekt Prof. Benedikt Schulz (Mitglied der Jury); der Architekt und Ingenieur Prof. Dr. Werner Sobek (Laudator) und der Preisträger. Ort der Preisverleihung war das Oktogon der Hochschule für Bildende Künste Dresden.

Die Preisverleihung war geprägt von den großen Fragen danach, was Architekten und Ingenieure zu tun haben, wenn es um die Zukunft und nichts weniger als den Erhalt unseres Planeten geht.

„Keine Kunstgattung greift so direkt ins Leben der Menschen, wie die Baukunst. Und deshalb ist uns, den Mitgliedern der Sächsischen Akademie der Künste, dieser Preis so wichtig“, so eröffnete Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, den Festakt am 26. September 2019 im Oktogon der Hochschule für Bildende Künste Dresden.

In ihrer Videobotschaft bezeichnete Anne Katrin Bohle, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, den Preisträger als einen Architekten, der „wie kaum ein anderer deutscher Architekt mit seinem Team für eine nachhaltige, ökologische Architektur steht, die mit hoher Kunst architektonisch auf die drängenden Fragen der Gegenwart und der nahen Zukunft antworten will.“ Sie nannte den Semperpreis aktueller denn je. „Wir brauchen diese guten Beispiele und Initiativen wie diese“

Den einzigen Weg zur Rettung des Planeten sieht der Preisträger Christoph Ingenhoven in der vorbehaltlosen Zusammenarbeit aller Professionen. Er erklärte am Nachmittag gegenüber der Presse. „Es hat sich eine Haltung herausgebildet, die ich nicht verstehe, und die nicht notwendig ist: Das ist dieses Sich-Zurückziehen in Fachrichtungen und in Spezialisierungen.“ Laudator Werner Sobek sprach von Christoph Ingenhoven als einer Persönlichkeit, „dessen gesamtes berufliches Schaffen von Anfang an durch ein unablässiges Ringen um eine andere Architektur, um eine vor der Zukunft verantwortbare Architektur gekennzeichnet ist - und um eine Architektur, die die Menschen umhüllt und sie fröhlich macht.“

Ausführliche Informationen zum Download finden Sie hier

 

Die Sächsische Akademie der Künste verleiht den Semperpreis 2019 an den Düsseldorfer Architekten Christoph Ingenhoven. Mit ihm wird eine Persönlichkeit ausgezeichnet, deren Gestaltungsauffassung ökologische Aspekte ganzheitlich berücksichtigt und dies zu einer eigenständigen Architektursprache von höchstem ästhetischem Anspruch führt, was an seinen weltweit errichteten Bauten ablesbar ist.

"Der 1960 geborene Christoph Ingenhoven steht wie kein zweiter deutscher Architekt für eine Architekturästhetik, die kompromisslos aus einem besonderen ökologischen Anspruch abgeleitet wird. Seine weltweit realisierten Bauten erfüllen höchste Standards des nachhaltigen Bauens in einer konsequent eigenständigen Architektursprache. Seit der Gründung seines Büros im Jahr 1985 als 25-jähriger Architekt verfolgt Ingenhoven mit seinem Werk stringent den Weg, klima-, ressourcen- und flächenschonende wie auch gleichsam schöne Gebäude entstehen zu lassen" (aus der Jurybegründung)

Das Pressegespräch mit Christoph Ingenhoven, Preisträger des Semperpreises 2019, Architekt; Prof. Dr. Werner Sobek, Laudator, Architekt und Ingenieur, Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste und Prof. Benedikt Schulz, Mitglied der Jury, Architektfindet am 26. September 2019 um 15 Uhr im Oktogon der Hochschule für Bildende Künste Dresden statt.

Weiterführende Informationen finden Sie im Pressedossier. Porträts und Projektbilder stehen Ihnen zum Herunterladen hier zur Verfügung.

Jurybegründung

Der 1960 geborene Christoph Ingenhoven steht wie kein zweiter deutscher Architekt für eine Architekturästhetik, die kompromisslos aus einem besonderen ökologischen Anspruch abgeleitet wird. Seine weltweit realisierten Bauten erfüllen höchste Standards des nachhaltigen Bauens in einer konsequent eigenständigen Architektursprache. Seit der Gründung seines Büros im Jahr 1985 als 25-jähriger Architekt verfolgt Ingenhoven mit seinem Werk stringent den Weg, klima-, ressourcen- und flächenschonende wie auch gleichsam schöne Gebäude entstehen zu lassen.

Neben der Klarheit, mit der Ingenhoven seit über dreißig Jahren seine architektonische Haltung zum Ausdruck bringt, beeindruckt sein für deutsche Architekten ungewöhnlicher globaler Aktionsradius. Ingenhoven hat mit seinen 59 Jahren bereits auf allen Kontinenten der Erde gebaut. Sehr oft erreichen seine Gebäude die höchsten Zertifizierungsstandards der jeweiligen Staaten wie beispielsweise DGNB Platin, LEED Platinum, BREEAM excellent oder Green Star six star. Sein Wirken lässt ihn damit auch zum Botschafter für die deutsche Vorreiterrolle im umweltbewussten Bauen werden.

Ingenhoven beschreitet oft als Erster neue Wege. Sein RWE-Hochhaus in Essen war das erste deutsche Hochhaus mit einer Doppelfassade zur natürlichen Belüftung der Büroräume. Das Gebäude der Europäischen Investment Bank Luxemburg wurde als erstes Gebäude in Kontinental-europa mit dem Zertifikat BREEAM excellent ausgezeichnet. Der Breezé Tower im japanischen Osaka wurde als erstes Doppelfassaden-Hochhaus in Japan nach CASBEE-Kriterien zertifiziert. Das Hochhaus 1 Bligh in Sydney war das erste Bürogebäude in Australien, das im ÖkoStandard Green Star das Zertifikat Six Stars erhielt.

In Ingenhovens über den Erdball verteiltem Werk fällt auf, dass er neben dem Rückgriff auf übliche energetisch-ökologische Standards seine Nachhaltigkeitskonzepte oft aus lokalen Besonderheiten generiert. Im von Wasserknappheit geprägten Sydney spart das Abwasseraufbereitungssystem des Bürogebäudes 1 Bligh täglich 100.000 Liter Frischwasser. Im Swarovski Headquarter am Zürichsee, realisiert nach dem Schweizer Minergie-Standard, wird das Seewasser des Zürichsees zum Heizen und Kühlen verwendet. Das University College Dublin nutzt Windturbinen zur Stromerzeugung.

Ebenso zählt ressourcenschonender Materialeinsatz zum Kanon der Ingenhoven'schen Nachhaltigkeitskonzepte. So sind mehrere Projekte nach dem Prinzip „Cradle to Cradle" konzipiert. Beim Lufthansa Aviation Center am Frankfurter Flughafen setzte Ingenhoven für die Fassaden nach dem Forest Stewardship Council zertifizierte Hölzer ein. Begrünungen sind ein Markenzeichen seiner Architektur. Grüne Plätze und Höfe, begrünte Atrien, Dachgärten, bepflanzte Loggien oder begrünte Fassaden ziehen sich durch das architektonische Werk seit dem viel beachteten 2. Preis im Jahr 1991 für die Commerzbank-Zentrale in Frankfurt.

Die stetige Suche nach einer noch wirksameren Berücksichtigung ökologischer Aspekte im Gesamtkonzept, der Ausführungsplanung und Realisierung seiner Gebäude beeindruckt im Ingenhoven'schen Oeuvre. Oft können die Bauten als Demonstrationsobjekte verstanden werden. Dabei liegt allen Projekten eine Gestaltungsauffassung zugrunde, die das Streben nach Einfachheit, Logik, Schlüssigkeit bei gleichzeitig hohem ästhetischem Anspruch ablesbar werden lässt. Möglichst natürliche Belichtung und Belüftung, Synergie zwischen technischen Systemen und Gebäudeumfeld, weg von reiner Energieeffizienz hin zu Effektivität von Systemkopplungen aus vielen die Nachhaltigkeit bestimmenden Faktoren. Die Bauten zeichnen sich ästhetisch durch ein leichtes, elegantes, mitunter perfektionistisches Erscheinungsbild aus und wurden bereits mit vielen nationalen und internationalen Architekturpreisen gewürdigt. Ingenhoven begreift seine Bauten als umfassend und bis ins Detail gestaltete Lebensräume. 

Auch zwei jüngste Werke sind bereits prämiert worden. An völlig unterschiedlichen Orten entstanden zeigen sie beide das Bestreben Ingenhovens, neue Wege zu gehen. Das Rathaus in Freiburg im Breisgau ist als Plusenergiegebäude konzipiert, das mehr Energie erzeugt als es verbraucht. Die heutigen technischen Möglichkeiten werden eingesetzt, um weit über die gesetzlichen Anforderungen hinauszugehen – ein öffentlicher Bau wird zum Vorbild. 

In Singapur entstand mit dem Marina One ein riesiger Büro-, Wohn- und Geschäftskomplex, dessen Besonderheit nicht so sehr in der üblichen Nachhaltigkeitszertifizierung, sondern vielmehr im für Singapur untypischen Konzept der baulichen Verdichtung besteht. Die Baumasse wird an den Rändern des Baufeldes konzentriert, um die freie Mitte als „grünes Herz“ auszubilden. Auch hier verfolgt Ingenhoven die Übererfüllung: Die Grünflächen betragen ein Vielfaches mehr als in Singapur behördlich gefordert – und sind als Mehrwert das identitätsstiftende Element des Gebäudekomplexes. Beide Bauten, so unterschiedlich sie sein mögen, bieten eine Zukunft an, wie das Leben der Menschen weitergehen könnte.

Mit der Verleihung des Semperpreises 2019 an Christoph Ingenhoven wird ein herausragender deutscher Architekt gewürdigt, dessen beeindruckendes architektonisches Oeuvre auf einem ganzheitlichen Denken im nachhaltigen Bauen basiert und dessen Verständnis vom Umgang mit den natürlichen Ressourcen vorbildhaft ist, was sich weltweit in seinen errichteten Bauten manifestiert.

Prof. Benedikt Schulz, Architekt, Mitglied der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste
Prof. Dr.-Ing. Engelbert Lütke Daldrup, Stadtplaner, Mitglied der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste
Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

 

Dresden, 2. Juni 2019

Auf ihrer Mitgliederversammlung hat die Sächsische Akademie der Künste einen neuen Vizepräsidenten gewählt. Stellvertreter des Präsidenten Holk Freytag ist der Theaterwissenschaftler und Dramaturg Jörg Bochow, zuletzt Leitender Dramaturg am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und seit 2017 Chefdramaturg und Stellvertretender Intendant am Staatsschauspiel Dresden.

Außerdem wurde der Senat mit vier neuen Mitgliedern besetzt: Die Klasse Baukunst wählte Thomas Will, Inhaber der Professur für Denkmalpflege und Entwerfen an der Technischen Universität Dresden, zu ihrem Sekretär. Stellvertretender Sekretär ist die Landschaftsarchitektin Irene Lohaus. In der Klasse Bildende Kunst wurde der Kunsthistoriker Jürgen Müller zum Sekretär gewählt. Sein Stellvertreter ist der Dresdner bildende Künstler Jürgen Schön.

 

Dresden, 14. Januar 2019

"Die Sächsische Akademie der Künste trauert um ihr Mitglied Theo Adam, der am 10. Januar 2019 in Dresden verstarb. Das ist schnell gesagt und tief gemeint, aber wer war dieser Sänger, Darsteller, Lehrer und Weltbürger? Er war an der New Yorker Met genauso zuhause wie in Bayreuth, Berlin und Mailand oder auf dem Blasewitzer Weihnachtsmarkt, wo ich ihn regelmäßig getroffen habe.

Mit Theo Adam ist eine Jahrhundertgestalt des Musiktheaters von uns gegangen. Er begleitete mein Leben seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sein Hans Sachs, sein Ochs von Lerchenau, vor allem aber sein Wotan haben meine Vorstellung von Musiktheater entscheidend geprägt. Ich habe ihn nie nur als Sänger, immer als Sängerdarsteller erlebt. Ausgangspunkt für seine Interpretationen schien mir immer die Sprache zu sein und deshalb hat es mich nicht verwundert, dass ich ihn während meiner Intendanz am Staatsschauspiel in fast jeder Premiere angetroffen habe. Nicht ohne Herzklopfen stand ich 2001 zum ersten Mal dem Mann gegenüber, der seinem Wotan die menschliche und dem Hans Sachs die tragische Dimension verlieh, dessen Stimme sich von Rolle zu Rolle zu verändern schien. Seine klare Diktion lenkte den Blick auf die Figur, die er verkörperte. Ökonomie und Genauigkeit erlaubten ihm denn auch Auftritte bis ins hohe Alter. Als er bei der Wiedereröffnung der Semperoper am 13. Februar 1985 als Eremit im Freischütz die Bühne betrat, da wurde für mich der Abend zum Ereignis, denn nicht ein Sänger betrat die Bühne, sondern eine Institution.

Theo Adam war eine Ausnahmeerscheinung und so überwiegt denn auch die Dankbarkeit für viele Jahre der Zeitgenossenschaft die Trauer über seinen Tod."

Holk Freytag, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

 

 

2018

Akademiepräsident plädiert für einen neuen Konsens

Die Nachlese des Streitgesprächs zwischen Durs Grünbein und Uwe Tellkamp im Kulturpalast am 8.3.2018 verlangt nach einem Zwischenruf: Die Debatte zum Thema Meinungsfreiheit verkam immer mehr zu einem erneuten Streitgespräch zum Thema Flüchtlinge.

Aus dem werden in der medialen Nachbereitung nun Einzelaussagen Tellkamps aufgegriffen, ohne den differenzierten Gegenpositionen Grünbeins Beachtung zu zollen. So stellte Grünbein zum Beispiel der Behauptung Tellkamps, 95% der Flüchtlinge kämen in die Bundesrepublik, um sich der Sozialsysteme der Bundesrepublik zu bedienen, die Situation 1989 entgegen, als er sagte: "Als wir 1989 auf die Straße gegangen sind, konnten wir nicht unterscheiden zwischen politischem Protest und dem Bestreben, in dieser Marktwirtschaft aufzugehen." Das und die aktuellen Migrationsbewegungen, deren Ursachen und Folgen, wäre ein Thema für eine andere große Debatte. Was mich als Präsident der Sächsischen Akademie der Künste aber gleichermaßen befremdet, sind die Distanzierungserklärung des Suhrkamp-Verlags wie das In-Schutz-Nehmen Uwe Tellkamps durch den Sächsischen Ministerpräsidenten. War das nötig? Hilft das unserer demokratischen Gesellschaft? Macht dies den Riss, der durch die Gesellschaft geht, nicht gerade noch größer? Wir sollten bereit sein, "das links-rechts-Gerangel", das "wie ein Störton im Gehirn sei", wie es Akademiemitglied Durs Grünbein formulierte, aus dem Weg zu räumen, um zu einem neuen Konsens in der Gesellschaft zu kommen. Das setzt allerdings ein gemeinsames Wollen voraus. Aus diesem Grund war die Debatte ein Hinweis darauf, dass die Auseinandersetzung weitergeführt werden muss. Raum für solche Debatten gibt es nur in Demokratien. Vergessen wir deren Vorkämpfer nicht, die sich 1933, 1956, 1968 oder 1989 in verschiedenen politischen Systemen für Freiheit und Demokratie eingesetzt haben. Diese Errungenschaften müssen wir bewahren, anstatt sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Holk Freytag Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
13. März 2018

Mit Unverständnis nimmt die Sächsische Akademie der Künste die Erwägungen der Sächsischen Kultus- und Finanzminister zur Kenntnis, den musischen Unterricht in den Schulen zu kürzen, um dem Lehrermangel des Landes zu begegnen.

Diese Maßnahme, so sie denn umgesetzt würde, stünde in krassem Widerspruch zu allen Erkenntnissen der Erziehungswissenschaft. Seit Jahrzehnten kommen alle diesbezüglichen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass es gerade der Kunst- und Musikunterricht ist, der entscheidend ist für die Entwicklung eines Menschen. Es ist doch so offensichtlich, was Musik, Kunst und Sport fördert: Sozialverhalten, Zugang zur eigenen Emotionalität, den kulturellen Wurzeln und der eigenen Identität. So heißt es beispielsweise in einer Studie des Comenius-Instituts "Musisch-künstlerische Bildung leistet einen Beitrag zur Erfüllung des Bildungsauftrags der Schule im Sinne einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung durch Vermittlung einer ästhetischen Grundbildung und die Möglichkeit des Erwerbs einer individuellen ästhetischen Profil- und Schwerpunktbildung. Die Schüler setzen sich dabei kritisch mit dem eigenen und fremden Bild- und Weltverständnis auseinander." Längst hat sich in der pädagogischen Fachwelt massive Kritik an den sogenannten PISA-Studien durchgesetzt, die einer Marginalisierung vor allem der musischen Fächer Vorschub leisten. Dieser Entwicklung folgt das Vorhaben der Minister. Eine weitere Ausblendung des kreativen Potentials der Fächer Kunst und Musik reduziert das Lehrangebot der Schulen und damit die Vermittlung von Fähigkeiten, die nicht nur wichtig für den erfolgreichen Weg in den Arbeitsmarkt sind. Für eine kulturell so bedeutende Landschaft wie Sachsen ist dies ein Armutszeugnis, dem die Akademie ein Wort von Angela Merkel entgegenhält: "Kunst und Kultur sind die unerlässlichen geistigen Grundlagen unseres Landes."

Holk Freytag Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
15. März 2018

Statement des Präsidenten der Sächsischen Akademie der Künste

Konfrontiert mit der Wirklichkeit von Gewalt, war die Chemnitzer Oberbürgermeisterin "entsetzt". Entsetzen spüren wir immer dann, wenn die Sprache der Vernunft die Menschen nicht mehr erreicht. Und erreichbar mit bloßen Worten sind wohl die nicht mehr, die in Dresden Flüchtlingsschiffe "absaufen" lassen wollen, die in Chemnitz mit dem Hitlergruß durch die Straßen laufen und behaupten, "das Volk" zu sein. Es ist festzustellen: Wir, als Mitglieder der Zivilgesellschaft mit kulturellen und künstlerischen Angelegenheiten befasst, haben zugelassen, dass sich der Bazillus, den Kurt Schumacher im Februar 1932 so trefflich den dauernden Appell an den "inneren Schweinehund im Menschen" genannt hat, längst wieder in der Mitte unserer Bevölkerung angekommen ist. Wir haben zugelassen, dass dieses Land ohne eine Zukunftsvision, ohne ein nachvollziehbares Gesellschaftsbild den Jahr für Jahr erzielten Mehrwert als Selbstzweck betrachtet. Trotz Milliarden-Überschüsse tolerieren wir Kinder- und Altersarmut in einem der reichsten Länder der Erde. Wir transportieren Waffen in Länder, deren offensichtliches Bestreben die Destabilisierung ganzer Regionen ist. Vor 21 Jahren mahnte der damalige Bundespräsident Roman Herzog einen "Ruck" an, der durch die Gesellschaft gehen müsse, wolle man die Zukunft nicht verspielen. Während er allerdings in erster Linie das drohende Szenarium eines wirtschaftlichen Niedergangs entwarf, müssen wir heute erkennen, dass weite Teile der Bevölkerung trotz größtmöglicher wirtschaftlicher Dynamik auf der Strecke geblieben sind. In diesem Land muss endlich zugehört und die Wahrheit ertragen werden. Es war ein Fehler, daran zu glauben, dass die sogenannte Wiedervereinigung aus der Portokasse zu bezahlen sei. Es war auch ein Fehler, dem sich neu formierenden Land eine neue Verfassung vorzuenthalten, die Bezug nahm auf die Erfahrung beider deutscher Staaten. Es ist an der Zeit, einander unvoreingenommen zuzuhören: in persönlichen Gesprächen und im öffentlichen Dialog. Die Sächsische Akademie der Künste wird sich in diesen dringend notwendigen Diskurs einbringen.

Holk Freytag
29. August 2018

Carsten Nicolai, Bildender Künstler und Musiker, geboren in Chemnitz "Ich bin schockiert, dass die Stadt, die ich als weltoffen und tolerant kennengelernt habe, sich mit solchen Schlagzeilen verbindet. Man darf die Stadt mit ihrer vitalen Kunstszene, die sich mit Recht "Stadt der Moderne" nennt, nicht denen überlassen, die Selbstjustiz üben. Als Mitglieder der Akademie sind wir verpflichtet, aufzuzeigen, dass die Ereignisse am Wochenende im Widerspruch zu dem stehen, was die Stadt Chemnitz ausmacht. Es ist Aufgabe der Politik, die mitzunehmen, die sich abgekoppelt fühlen und es ist auch Aufgabe der Politik, unmissverständlich klarzustellen, dass Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit nicht zu tolerieren ist."

Michael Heinicke, Regisseur und ehemaliger Operndirektor Chemnitz "Die Ereignisse in Chemnitz sind für mich Ausdruck dessen, was in Sachsen fehlgeleitet ist. Die Regierung hat nach Ereignissen wie in Heidenau und Einsiedel, versäumt die gebotenen Konsequenzen zu ziehen. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Polizei. Eine Fehleinschätzung der Einsatzkräfte wie in Chemnitz am Wochenende ist nach den gemachten Erfahrungen schlicht unverständlich. Mir tut es um die Stadt leid. Jetzt sind wir alle aufgerufen, unseren Teil zur Verständigung beizutragen. Wir müssen aufhören nur "Hörer des Wortes" zu sein, wir müssen "Täter des Wortes" werden - auch mit Blick auf die Landtagswahlen nächstes Jahr."

Kerstin Hensel, Schriftstellerin, aufgewachsen in Chemnitz "Chemnitz ist meine Heimatstadt - es verschlägt mir den Atem, was da passiert. Mit mehr Polizei ist das alles nicht zu lösen, sondern greift tief ins Menschsein hinein, in die Erziehung zur Humanität. Es sind ja oft Leute, die nie gelernt haben, weder in der DDR, noch nach der Maueröffnung, eine menschen- und weltoffene, eine humane und reflektive Haltung zu entwickeln. Das, was in Chemnitz passiert ist, Spiegel dessen, was an vielen anderen Orten auch passiert. Diese Auseinandersetzungen haben ihren Ursprung ganz weit zurück - in der Kindheit, in der Erziehung zur Aufklärung."

Michael Morgner, Bildender Künstler, Einsiedel bei Chemnitz, "Es hat einem die Sprache verschlagen. Sachsens Vergangenheit zahlt sich aus, das jahrelange Totschweigen von Wahrheiten. Wir haben das Ganze vor drei Jahren hier in Einsiedel schon einmal mitgemacht, als sich ein ganzes Dorf bewaffnet hat, als Protest gegen die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften. Die Leute, die da mit dem Hitlergruß durch die Straßen rennen, sind ja auch so ungebildet - ich glaube manchmal, die wissen gar nicht wer Hitler war. Man findet keine Worte mehr."

Osmar Osten, Bildender Künstler Chemnitz "Was da passiert ist, hätte in jeder anderen deutschen Stadt auch passieren können - bundesweit. Was mir Angst macht, ist der Rückhalt, den die aggressive Grundstimmung in der Bevölkerung hat, diese Selbstverständlichkeit, dass man Leute beschimpfen und jagen kann. Die Gefahr ist, dass es üblich wird, sich zu aggressiven Versammlungen zu verabreden, dass die Verrohung der Sprache üblich wird. Ich bin persönlich sehr involviert, ich gehe auch friedlich in schwierige Situationen hinein, erst wenn eine Eskalation droht, ziehe ich mich zurück. Wir dürfen uns nicht länger vorteilhaft zurückziehen, wir müssen uns einmischen, auch wenn uns die Situation nicht passt."

30. August 2018

2017

Der Hans Theo Richter-Preis für Zeichnung und Graphik der Sächsischen Akademie der Künste wird in diesem Herbst an die Künstlerin Marlene Dumas verliehen. Marlene Dumas gilt als eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart und genießt höchste internationale Anerkennung.

Die Preisverleihung findet statt am 23. November 2017 um 19 Uhr im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die Laudatio hält Prof. Dr. Ulrich Bischoff, ehem. Direktor der Gemäldegalerie Neue Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Der von der Witwe Hans Theo Richters gestiftete Preis ist mit 20.000 Euro dotiert und wird in Zusammenarbeit mit der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung und dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in der Regel aller zwei Jahre vergeben. Das zuständige Wahlgremium besteht aus den ordentlichen Mitgliedern der Klasse Bildende Kunst der Sächsischen Akademie der Künste, dem Vorstand der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung Stiftung und der Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
Für die Dresdner Annenkirche hat Marlene Dumas in diesem Jahr das neue Altarbild gestaltet. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden nehmen das außerordentliche Engagement der Künstlerin in der Stadt zum Anlass für die beiden Ausstellungen "Skulls" im Albertinum und "Marlene Dumas. Hope and Fear" im Kupferstich-Kabinett (jeweils 19. Oktober 2017 – 14. Januar 2018). Die Präsentation im Kupferstich-Kabinett mit drei für das Gesamtwerk der Künstlerin bedeutenden Aquarellserien und einer Auswahl von Druckgrafiken findet parallel zur Ausstellung "Käthe Kollwitz in Dresden" statt.
Prof. Wilfried Krätzschmar, ehem. Präsident der Sächsischen Akademie der Künste, leitete die Sitzung des Wahlgremiums des Hans Theo Richter-Preises im Frühjahr 2017 und begrüßte die Entscheidung: "Besonders freue ich mich, dass damit die Wahl auf eine Künstlerin gefallen ist, die mit ihrem aktuellen Schaffen ein von Herzen kommendes Engagement für die Stadt Dresden bekundet hat. Ihr Werk zeigt ein Leben voller politischer und gesellschaftlicher Konflikte, aber auch eines voller Schönheit und Vitalität."
Dr. Stephanie Buck, Direktorin des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, begründete ihren Vorschlag wie folgt (Auszug): "Im Mittelpunkt ihrer Kunst steht der Mensch. Ihr Menschenbild zeigt in der Isolierung auf den Körper und der Konzentration auf das Porträt die existentiellen Dimensionen des Menschseins. Ihre Themen gründen auf ihrer persönlichen Erfahrung mit der Apartheid in Südafrika und ihrer daraus entstandenen Sensibilität für die Ungerechtigkeiten und Schicksale des menschlichen Lebens. Ihre künstlerische Einstellung ist in ihrer Bedingungslosigkeit grundsätzlich mit der humanistischen Haltung von Hans Theo Richter vergleichbar. Marlene Dumas hat in den letzten Jahrzehnten ein unverwechselbares und konsistentes Gesamtwerk auf höchstem künstlerischem Niveau geschaffen, das sie selbstbewusst und reflexiv aus den künstlerischen Errungenschaften der Moderne entwickelt hat. In ihrem Werk stehen Ölmalerei und Zeichnung, vor allem Tusch- und Aquarellzeichnung, gleichberechtigt nebeneinander. Sie ist eine meisterhafte Zeichnerin. Davon konnte und kann man sich in Dresden in eigener Anschauung überzeugen, denn Marlene Dumas hat mittlerweile eine enge Beziehung zu Dresden. Im März 2017 wurde ihr hochgelobtes Altarbild für die Annenkirche eingeweiht und im Herbst 2017 finden im Albertinum und im Kupferstich-Kabinett zwei Einzelpräsentationen der Künstlerin statt."

Die 1953 in Kapstadt/Südafrika geborene Künstlerin lebt und arbeitet seit 1977 in Amsterdam. Ihr Kunststudium absolvierte sie an der Universität Kapstadt bis 1976, in Holland setzte sie das Studium im unabhängigen Künstlerinstitut De Ateliers (ehem. Ateliers 63') in Haarlem, u. a. bei Jan Dibbets fort, 1979 und 1980 folgte ein Psychologiestudium in Amsterdam. In Dresden sind schon 1994 zum ersten Mal Arbeiten von Marlene Dumas im Rahmen der von Ulrich Bischoff kuratierten Ausstellungsreihe "4 x 1 im Albertinum" gezeigt worden.

Einzelausstellungen (Auswahl) 2015 Marlene Dumas. The Image as Burden. Tate Modern, London, Stedelijk Museum, Amsterdam, Fondation Beyeler, Riehen/Basel 2010/2011 Tronies - Marlene Dumas und die alten Meister. Haus der Kunst, München 2008 Measuring your own Grave. MOCA, Los Angeles, MoMA, New York, The Menil Collection, Houston 2005 Female. Kunsthalle Baden-Baden, Baden-Baden 2003 Time and Again. Art Institute of Chicago 1996 Marlene Dumas. Tate Gallery, London 1996 Marlene Dumas. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt

14. September 2017

Gestern wurde der Hans Theo Richter-Preis für Zeichnung und Graphik der Sächsischen Akademie der Künste an die Künstlerin Marlene Dumas verliehen. Marlene Dumas, deren Altarbild in der Dresdner Annenkirche in diesem Jahr eingeweiht wurde, gilt als eine der wichtigsten Künstlerinnen der Gegenwart und genießt höchste internationale Anerkennung.

"Marlene Dumas Werk ist komplex, und doch so grundsätzlich kommunikativ", erklärte Ulrich Bischoff in seiner Laudatio anlässlich der gestrigen Preisverleihung im Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. "Eines der zentralen Felder in ihrem Werk sind Menschenbilder, Portraits, Gesichter von Freunden und Fremden, von öffentlichen, oft weiblichen Personen und von sehr privaten Antlitzen. Ihre zum größten Teil frontal zur Erscheinung herbeigerufenen Gesichter begegnen uns mit großer Präsenz."
Der Mensch steht bei Marlene Dumas im Mittelpunkt, nicht nur als Sujet ihrer Werke. So gab sie in ihrer Dankesrede bekannt, das von der Hildegard und Hans Theo Richter-Stiftung gestiftete Preisgeld in Höhe von 20.000 Euro an den künstlerischen Nachwuchs weiterzugeben. Das Preisgeld überlässt sie dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, das damit jungen Künstlerinnen und Künstlern die Chance geben möchte, sich mit der Sammlung des Kupferstich-Kabinetts auseinanderzusetzen.
Dieses Stipendiatenprogramm wird konzipiert vom Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

24. November 2017

Die Akademie vertritt in ihrer Satzung "Freiheit und Anspruch der Kunst gegenüber Staat und Gesellschaft", sie wirkt damit in den politischen Raum hinein, ohne dass ein politischer Standpunkt vorgegeben ist. Dies bringt zugleich die Notwendigkeit des ständigen Dialogs gerade auch mit widerstreitenden Positionen mit sich.

Die Frage nach dem Selbstverständnis der künstlerischen Arbeit und die Frage nach dem Umgang mit der an Künstler herangetragenen Erwartung, sich in aktuelle Zeitfragen einzumischen, erhält eine neue Bedeutung, wenn Autoren einen Protestbrief unter dem Titel "Charta 2017"initiieren, wie er im Oktober im Buchhaus Loschwitz von Susanne Dagen veröffentlicht wurde.

Mit diesen Dresdner Aktivitäten und den Vorkommnissen auf der Frankfurter Buchmesse 2017 hat sich Peter Geist, Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege der Sächsischen Akademie der Künste, in dem folgenden Artikel auseinandergesetzt, dabei den Aufruf des Dresdner Literaturbüros e.V./Literaturhaus Villa Augustin vom 4.12.2017 unterstützend:

Der Balken im Auge des Hirschen

Bäte mich jemand um die Zustimmung zu nachstehenden Sätzen, ich zögerte wohl kaum: „Die Erstunterzeichner (…) wehren sich entschieden gegen jede ideologische Einflussnahme, mit der die Freiheit der Kunst beschnitten wird. Wehret den Anfängen – für gelebte Meinungsfreiheit, für ein demokratisches Miteinander, für respektvolle Auseinandersetzungen!“ Es handelt sich um die Schlusssätze einer, und hier komme ich ins Stutzen, „Charta 2017“, die am 14. Oktober 2017 in Dresden vom Buchhaus Loschwitz am Fuße des Weißen Hirsch aus in die weite Welt gesandt wurde. Als Charta bezeichnet man gemeinhin eine Satzung gewichtigen Inhalts von Organisationen oder Bewegungen. Eine „Charta 2017“ verweist zudem notwendig auf die 1977 in der Tschechoslowakei gegründete Bürgerrechtsplattform „Charta 77“ als zivilgesellschaftliche Opposition im Staatssozialismus Husakscher Prägung. Eine Charta ist das Dresdner Papier, zu deren Erstunterzeichner Autoren wie Ulrich Schacht und Uwe Tellkamp gehören, aber mitnichten, sondern ein anlassgebundener Protestbrief. Anlass waren Tumulte auf der Frankfurter Buchmesse, als beim Stand des Antaios-Verlages Vertreter der Identitären zusammen mit dem AfD-Politiker Björn Höcke auftraten. Gegendemonstranten tappten prompt in die gestellte Falle und sorgten gemeinsam mit Veranstaltungsbesuchern für Skandal samt gehörigem Medienauflauf. Als dann noch über Nacht der Stand des neurechten Vordenkers und Verlegers Götz Kubitschek leergeräumt wurde – von wem auch immer -, war die Publicity perfekt: Ein von Büchern entleerter Messestand, der symbolisch auf den abwesenden Signifikanten verweist, ist durch die Projektionsoffenheit für den Betrachter von ungleich wirksamerem Eindruck als ein normal bestückter unter tausenden an deren Ständen. Kubitschek konnte bei seiner Betroffenheitsinszenierung am Morgen hernach seine Freude über so viel unverhoffte Aufmerksamkeit kaum verbergen.
Die Unterzeichner des Briefes allerdings sehen in diesem Coup ein Menetekel für die Bedrohung der Meinungsfreiheit in Deutschland, mehr noch, sie behaupten, „unsere Gesellschaft“ sei „nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt.“ Zur Hybris, den Begriff „Charta“ zu missbrauchen, gesellt sich also ein keiner tiefergehenden Begründung für wert befundener Pauschal-Alarmismus. Mit dem Begriff „Gesinnungsdiktatur“ tauchen übrigens ausnahmslos rechte bis ultrarechte Sites aus den Untiefen des Internet auf. Der Initiatorin Susanne Dagen vom Buchhaus Loschwitz sollte das entgangen sein? Der Frankfurter Sturm im Wasserglas dient nun jedenfalls Verallgemeinerungen etwa über einen „Gesinnungskorridor“.
Nun sollte man wissen: Kubitschek verlegt vor allem die Schriften der deutschen Identitären, die mit Verve völkisch-nationalistische Ideologeme eines ethnisch homogenen Volkes gegen Migration und „Vermischung“ ins Feld führen und immer wieder mal mit popkulturellen Aktionen Aufmerksamkeit erheischen wollen. Kubitschek betreibt auf seinem Gut Schnellroda ein „Institut für Staatswissenschaft“ als Kaderschmiede der Neuen Rechten in der Tradition der Konservativen Revolution der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Und vor allem in der des Staatsrechtlers Carl Schmitt, Verächter der parlamentarischen Demokratie und des Liberalismus, der in bezeugter Nähe zu den letzten Reichskanzlern der Weimarer Republik, von Papen und Schleicher, die einen Ständestaat zu reinkarnieren gedachten, stand. 1935 bezeichnete der „Kronjurist des 3. Reiches“ Waldemar Gurian, ein früherer Adept Carl Schmitts, die Nürnberger Rassengesetze als „Verfassung der Freiheit“. Götz Kubitschek schreibt über Carl Schmitt, ihn zu lesen sei „wie Bach zu hören: Beiläufig, schlagartig, nachhaltig stellt sich Klarheit in der eigenen Gedankenführung ein.“
Ich frage mich: Götz Kubitschek bekommt auf der Frankfurter Buchmesse einen Stand zugesprochen, betreibt uneingeschränkt Verlag und Institut, redet auf Pegida-Veranstaltungen und gern auch mit Journalisten der verhassten „System“-Presse. Wem also kommt die Rede von nahender „Diktatur“ im Brief vom Weißen Hirsch zustatten?
Es handelt sich in diesem Fall nicht um irgendwelche Scharmützel unter schier ewigen ideologischen Gegnern. Wir erleben gegenwärtig eine Renaissance völkisch-nationalistischer Staats-auffassungen als Begleiterscheinung der neoliberalen Verwüstungsorgien seitens des Globalkapitals. Dort, wo die Nationalisten an die Macht gekommen sind, gilt ihre primäre Handlungsoption der Aufhebung der Gewaltenteilung, der Entfernung liberal-demokratischer Kräfte aus dem Staatsapparat, den Massenmedien und Kulturinstitutionen. Und schließlich der Abschaffung demokratischer Normalitäten zugunsten autokratischer, wenn nicht diktatorischer Strukturen, wie wir es in Polen, Ungarn, der Türkei und Russland beobachten können, ermuntert durch den gegenwärtig Einwohnenden im Weißen Haus. Insofern ist die Dresdner Deklaration ein seltsam widersprüchlich Ding, weil sie diejenigen Kräfte hofiert, die „einer offenen und toleranten Gesellschaft und eines freien Geisteslebens“, wie es im Empörungs-brief geschrieben steht, diametral entgegenstehen.
Ich erlaube es mir, schlusshin etwas persönlicher zu werden: Sozialisiert im schönen Gewusel von Kunst und Wissenschaft in Leipzig, tagtäglich in Berlin umgehend mit Menschen vielerlei Herkunft, ist mir die Dresdner Erregung fremd in Anmaßung, Stil und Gestus. Zu den Erstunterzeichnern gehört auch ein Kollege aus der Sächsischen Akademie der Künste, was allein in seiner Verantwortung liegt. Die Signatur von Jörg Bernig, der am 18. November 2017 vom Buchhaus Loschwitz in einer Publikumswahl zum „poet in residence“ 2018 bestimmt wurde, belegt aber auch: Gesellschaftliche Risse gehen auch durch jene Institutionen, die ganz sicher dem Geist der „Charta 77“ verpflichtet sind, in der es heißt, sie sei gegründet „auf den Prinzipien der Humanität, der Solidarität und der Zusammenarbeit“. Diese Auspizien bestimmen das Wirken der Sächsischen Akademie der Künste von Anfang an. Nachdem im Frühjahr 2017 im Rahmen der Akademie eine sehr lebhafte Diskussion von Mitgliedern der Klasse Literatur, u. a. Thomas Rosenlöcher, Angela Krauß, Jörg Bernig, György Dalos, Kerstin Hensel über Begriffe wie „Volk“, „System“ und „Sprache“ in Gang gesetzt wurde, ist nun umso mehr klar: Diese Diskussion wird fortgesetzt werden müssen, sekundiert von unaufgeregt Kundigen.

Peter Geist
Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege
6. Dezember 2017

2016

Die Sächsische Akademie der Künste an die Sächsische Staatsregierung und den Sächsischen Landtag

Die Sächsische Akademie der Künste verweist im Jahre ihres 20-jährigen Bestehens mit Nachdruck auf ihren Leistungswillen und ihre Potenzen, auf ihren Platz im Kulturleben und die Aufgaben gegenüber der Gesellschaft.

Die Sächsische Akademie der Künste wurde 1996 nach dem Vorbild der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und der Akademie der Künste Berlin als Vollakademie gegründet, aber von der Sächsischen Staatsregierung zu keinem Zeitpunkt personell und finanziell zureichend ausgestattet, um den Absichten des Gesetzgebers und den Aufgaben einer wichtigen Institution des Freistaates Sachsen gerecht werden zu können. Es fehlen noch immer die sachlichen und personellen Voraussetzungen, um die im Gründungsgesetz von 1994 niedergelegten Aufgaben zureichend umzusetzen:

  • Förderung der Kunst und Vorschläge zu ihrer Förderung zu unterbreiten
  • Pflege der Überlieferung des traditionellen sächsischen Kulturraums
  • Entfaltung öffentlicher Wirksamkeit
  • Anlage eines Archivs, in dem die Akademie ihre eigene Arbeit und die ihrer Mitglieder dokumentiert

In der jetzigen Ausstattung mit 2,25 Stellen, die aus einem Jahresetat von 395000 Euro finanziert werden, ist die Akademie nicht in der Lage, die ihr übertragenen Aufgaben zureichend zu erfüllen. Mit den jährlichen Veranstaltungen in verschiedenen Formaten, Tagungen, Ausstellungen, Workshops und Konzerten im Freistaat Sachsen, aber auch in den Nachbarländern, strebt sie nach der notwendigen Wirksamkeit in der Öffentlichkeit. Hinzu kommen die satzungsgemäßen Mitgliederversammlungen, Zusammenkünfte der Klassen und des Senats.

Erforderlich sind ein deutlicher Finanz- und Stellenaufwuchs
um 1,0 Referentenstelle für Öffentlichkeitsarbeit/Social Media
1,0 Referentenstelle für Archiv und Dokumentation und 2,5 Referentenstellen für die Arbeit der Klassen (0,5 Stellen pro Klasse).

Länderakademien zum Vergleich:

  • Akademie der Künste (Berlin), (Bundesakademie): 402 Mitglieder, über 40 Mitarbeiter für den Programm- und Mitgliederbereich
  • Bayerische Akademie der Schönen Künste (München): 287 Mitglieder; 10 Mitarbeiter Resolutionen, Proteste und Briefe 281
  • Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt): 190 Mitglieder; 7 Mitarbeiter
  • Sächsische Akademie der Künste Dresden: 168 Mitglieder; 2,25 Mitarbeiter
  1. Wir fordern Gespräche über den auch vom SMWK als notwendig erachteten Ausbau, um vom provisorischen Status zur vollen Arbeitsfähigkeit gelangen zu können.
  2. Wir fordern Aussagen der Staatsregierung und des Landtages zur Perspektive des Standortes, nachdem die Akademie mit dem Blockhaus nach dem Elbehochwasser 2013 ihren vom Freistaat 1996 zugewiesenen Standort verloren hat.
  3. Wir fordern Positionierungen der Staatsregierung und des Landtages zu den von der Akademie vorgelegten Überlegungen über die aktuellen Aufgaben der Akademie im Freistaat, zur Arbeit mit den mittel- und osteuropäischen Nachbarn und zu den Zukunftskonzepten der Akademie.

Wir ersuchen die Staatsregierung und den Landtag, mit dem Doppelhaushalt 2017/2018 eine rasche Änderung der Lage herbeizuführen. Die Akademie bekundet ihren Anspruch – nicht zuletzt vor dem Hintergrund 20-jähriger engagierter Arbeit – verbindliche Antworten zu erhalten und mit den kulturpolitisch Verantwortlichen in den dafür notwendigen Dialog einzutreten.

Die Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste vertreten durch den Präsidenten Wilfried Krätzschmar
18. Juni 2016

Offener Brief zum Standort für die Sächsische Akademie der Künste
Der Präsident an Dr. Eva-Maria Stange, Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Prof. Dr. Stange,

über die Medien erhielt die Sächsische Akademie der Künste am 23. Juni 2016 davon Kenntnis, dass eine Entscheidung über die Zukunft des Dresdner Blockhauses, bis 2013 Standort der Akademie, getroffen worden ist.

Die Akademie begrüßt ausdrücklich, dass das Blockhaus als öffentlicher kultureller Ort erhalten bleibt, und befürwortet das Konzept eines »Archivs der Avantgarde« als Teil der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Damit wird ein zwingend benötigter kräftiger Akzent die kulturelle Landschaft der Landeshauptstadt und des Freistaates beleben. Nachdem das Blockhaus seine Bestimmung gefunden hat, stellt sich mit umso stärkerer Dringlichkeit die seit 2013 vom Freistaat offen gelassene Frage nach dem Standort der Akademie. Klare und verbindliche Aussagen hierzu werden dringend von Ihnen erwartet, zumal Sie, verehrte Frau Ministerin, am 17. Juni 2016 in Ihrem Grußwort zum 20-jährigen Bestehen der Akademie eine andere Darstellung der Standortfrage vermittelt haben. Auch Ihr Schreiben vom 20. Juni 2016 enthielt keine Antwort auf meine explizite Anfrage vom 13. Juni 2016 zur Zukunft des Blockhauses, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung der Staatsregierung gefallen war. Die Akademie hätte es begrüßt, die Nutzungsentscheidung für das Blockhaus mit der Standortfrage der Akademie zu verbinden. Vor dem Hintergrund des gemeinsamen Bemühens um eine lebendige und vielfältige sächsische Kulturlandschaft erwartet die Akademie ein klares Bekenntnis und einen angemessenen Umgang mit den uns gemeinsam bewegenden Aufgaben.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Wilfried Krätzschmar
Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
24. Juni 2016

2015

Resolution der Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste

Die Geheimverhandlungen, die die Europäische Kommission in Brüssel mit den Vertretern der USA über ein transatlantisches Freihandelsabkommen führt, bedrohen durch die Installierung staatsunabhängiger Schiedsgerichte nicht nur die europäische Demokratie, sondern auch die europäische Kultur, die auf breiter Front auf gesetzgeberische Regularien und staatliche und kommunale Zuwendungen angewiesen ist, die sie davor sicherstellen, marktbeherrschenden Konzernen ausgeliefert zu werden. Die Sächsische Akademie der Künste stellt sich mit allem Nachdruck hinter die Forderung der Staatsministerin für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt, Frau Monika Grütters, den Bereich der Kultur auf allen Ebenen von den Festlegungen des Abkommens auszunehmen. Wir teilen die Besorgnis derer, die von den Abkommen die Unterminierung wichtiger europäischer Standards auf dem Gebiet der öffentlichen Güter insgesamt, des Umweltschutzes, der Lebensmittel- und der Pharmaindustrie und anderer Bereiche befürchten. Wir fordern Parlament und Regierung auf, ihre Souveränität gegenüber Tendenzen einer unbegrenzten Kommerzialisierung geltend zu machen.

13. Juni 2015

Unser Land steht vor gewaltigen Herausforderungen. Wir wenden uns an unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger und an die politisch Verantwortlichen, weil wir uns angesichts der aktuellen Entwicklung große Sorgen machen.

Sachsen geriet in den vergangenen Monaten zum wiederholten Mal in den Ruf, ein Hort des Rechtsextremismus, der Fremdenfeindlichkeit und gewalttätiger Auseinandersetzungen zu sein. Sachsen hat ein Problem. Flüchtlinge und Asylbewerber wurden offen attackiert. Ebenso wurden Politiker und Polizisten und Andersdenkende angegriffen. Die Diffamierung und die Hetze gegen Menschen, die aus verschiedenen Gründen – oft ist es ihre nackte Angst ums Überleben – bei uns Hilfe und Schutz suchen, offenbarten sich in einem bisher nicht bekannten Ausmaß.

Es ist ermutigend, dass viele Menschen konkrete Unterstützung leisten und dadurch ihre Mitmenschlichkeit zum Ausdruck bringen. Dafür sind wir dankbar. Gleichwohl ist der Ruf des Landes beschädigt. Deshalb bitten wir alle, die sich der humanistischen kulturellen Tradition verpflichtet fühlen, eindringlich darum, sich nicht gleichgültig zu verhalten und sich gegen jede Form von Gewalt vernehmbar zu Wort zu melden.

Sachsen ist ein der europäischen Kultur und somit auch der Aufklärung verpflichtetes Gemeinwesen. Der wirtschaftliche, kulturelle und soziale Reichtum des Landes wurde in herausragender Weise auch durch Menschen begründet und gemehrt, die aus anderen Kulturen zu uns kamen. Ob wir die humanitären Herausforderungen bewältigen, vor denen die Zivilisation derzeit steht, ist auch eine Frage unserer kulturellen Identität. Es ist offensichtlich, dass es einfache Lösungen nicht gibt. Umso wichtiger ist die Suche nach klaren Orientierungen und effektiven politischen Strategien. Dazu gehören auch Überlegungen, die Flüchtlingsströme durch internationale Maßnahmen und Hilfen zu begrenzen.

Offenkundig leidet ein nicht geringer Teil der Bevölkerung unter zunehmenden sozialen Spannungen, misstraut der Politik und neigt dazu, Defizite auf Schwächere zu projizieren. Solche Fragen müssen auf allen Ebenen der Gesellschaft offensiv diskutiert werden. Wir ermutigen alle Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich aktiv, weltoffen und solidarisch für die zu uns kommenden Menschen einsetzen, anständig mit ihnen umzugehen und Recht und Gesetz einzuhalten. Sie sollten alles tun, was der Radikalisierung und der Eskalierung der zutage getretenen Fremdenfeindlichkeit entgegen wirkt. Sie sollten nichts unterlassen, was geeignet ist, das Bild eines offenen und menschenfreundlichen Landes zu zeichnen.

Wir unterstützen alle Verantwortlichen in Verwaltung, Kultur, Wirtschaft und im Bildungswesen, die sich um eine menschenwürdige Aufnahme der zahlreichen Flüchtlinge bemühen. Wir fordern alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, sich dafür einzusetzen und mitzuhelfen, dass alle Flüchtlinge, die bei uns sind und solange sie bei uns sind, menschenwürdig behandelt werden.

Christian Schramm Präsident des Sächsischen Kultursenats
Wilfried Krätzschmar Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
Ulf Großmann Präsident der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen

6. Oktober 2015

Je suis tombé par terre C‘est la faute à Voltaire Le nez dans le ruisseau C‘est la faute à Rousseau ... (Victor Hugo, Les Misérables) Voltaire hat’s so gewollt dass ich einst fallen sollt, Rousseau wollt es so wenden dass ich im Dreck sollt ... (singt der sterbende Gassenjunge Gavroche in Victor Hugos Roman Die Elenden.)

Letzten Freitag, den 13. November, nahm ich in einem nahen Vorort von Paris an einer Veranstaltung teil, die unter dem Zeichen des Apollinaire-Preises für Lyrik stand. Mit dem diesjährigen Preis wurde die belgische Lyrikerin Liliane Wouters ausgezeichnet, und an der Lesung nahmen außer mir auch die Rumänin Linda Maria Baros sowie der Luxemburger Jean Portante teil. Gerade hatte ich ein paar Tage zuvor Le Temps des assassins (Die Zeit der Mörder) von Philippe Soupault gelesen, wo der Dichter seine 6-monatige Inhaftierung 1942 in Tunis durch die Polizei des Pétain-Regimes beschreibt.

Als ich auf dem Heimweg kurz nach 21 Uhr in der Metro Gruppen von jungen Leuten in Stimmung zum Feiern begegnete, dachte ich daran, dass es Apollinaire war, der das erste Gedicht von Soupault, das er 1917 im Lazarett schrieb, veröffentlichte. Und mir fiel wieder der Vers von 1915 ein, »Ah Dieu! Que la guerre est jolie« (Mein Gott, ist Krieg doch schön), der Apollinaire lange vorgeworfen wurde. Seit einer Woche heißt es, wir sind im Krieg.

An jenem Freitagabend hörte ich kein Radio mehr, so dass mich erst am Samstagmorgen, bevor ich Paris für 3 Wochen verließ, die Nachricht erreichte von jenen blutigen Attentaten auf das Stadion von Saint-Denis, wo das Fußballspiel zwischen Deutschland und Frankreich stattfand, auf einen Konzertsaal und die Terrassen von Cafés und Restaurants im 10. und 11. Arrondissement von Paris, in eben dem Viertel, wo schon im Januar Zeichner und Journalisten der satirischen Wochenzeitung Charlie hebdo umgebracht wurden.

In den letzten Tagen habe ich Stunden mit den Nachrichten über die Ereignisse, die Zeugenaussagen der Überlebenden, die Würdigung der Opfer durch Freunde und Verwandte sowie durch Tausende anonyme Passanten zugebracht, habe am Radio und Fernsehen die Stellungnahmen der Politiker verfolgt und vor allem die oft erhellenden Kommentare von Wissenschaftlern, Fachleuten des Islam oder des Nahen Ostens, Soziologen und Psychoanalytikern.

In der französischen Presse, insbesondere in Le Monde, Libération und L‘Humanité haben sich zahlreiche inländische und ausländische Schriftsteller geäußert. Aber wie leider zu erwarten war, nähren die unsäglichen Untaten in Frankreich auch Reaktionen des Rassismus und der Ausgrenzung. Obwohl Frankreich nicht gleichzusetzen ist mit Front National, ebenso wie Deutschland nicht gleich Pegida ist. Denn es gab auch Trost durch unzählbare schlichte und würdige Gesten und Bezeugungen der Solidarität. Die Devise der französischen Republik Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ist dieser Tage neu und kraftvoll zur Geltung gekommen. Die Pariser, insbesondere die Jüngeren unter ihnen, stellen sich trotzig der Herausforderung der Mörder. Und die alte Devise der Hauptstadt »fluctuat nec mergitur« (sie schwankt, aber geht nicht unter) bekommt einen neuen Sinn. Es heißt, dass die Buchläden Hunderte von Hemingways „Paris – ein Fest fürs Leben“ verkaufen.

Die verantwortlichen Vertreter des Islam haben unzweideutig die Massaker verurteilt. Aber mehrere intellektuelle Muslime, darunter religiöse Würdenträger, wenngleich noch in der Minderheit, verlangen eine grundlegende Reformierung des islamischen Denkens und ermuntern ihre Mitgläubigen dazu, das laizistische Prinzip anzuerkennen. In diese Richtung argumentiert der kürzlich veröffentlichte Text des marokkanischen Schriftstellers Tahar Ben Jelloun: »Mehr als je zuvor müssen die muslimischen Länder, die an den Islam des Friedens glauben, die an die monotheistische Brüderlichkeit glauben, sich mobilisieren, denn man hat ihre Religion gestohlen und vergewaltigt, im Namen derer man Unschuldige niedermetzelt.« (in der Wochenzeitung Le Un vom 18. November 2016).

Dieser emanzipatorische Kampf wird von einer Anzahl algerischer Schriftsteller und Intellektueller geführt, die aus dem Land kommen, das im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts unter dem Terror der Islamisten zu leiden hatte. Einige Monate vor den Attentaten von Saint-Denis und Paris hatte der Schriftsteller Boualem Sansal bei einem der großen Pariser Verlagshäuser seinen Roman „2084“ veröffentlicht, der sich als Fortführung von Orwells „1984“ versteht und die Auswüchse und Heuchelei des religiösen Radikalismus verspottet.

Ich musste daran denken, dass ich 2007 dem Straßburger Bevollmächtigten für Kultur vorgeschlagen hatte, Boualem Sansal zu unserem Treffen der Klasse Literatur und Sprachpflege der Sächsischen Akademie einzuladen und dass ich damit auf Ablehnung gestoßen war. Das hat ihnen kein Glück gebracht: bei den nächsten Wahlen fielen sie durch! Gerührt haben mich dieser Tage die zahlreichen Freundschaftsbekundungen ausländischer Freunde aus Deutschland und aus anderen Ländern, darunter dem Iran.

Wenn man sich fragt, wie diese mörderische Wut, die sich auf den Islam beruft, entstehen konnte, kann man nicht unberücksichtigt lassen, wie die israelische Regierung die gerechtfertigten Forderungen der Palästinenser zurückweist und muss man an verhängnisvolle militärische Eingriffe denken, zunächst vor allem an die von 2003 im Irak durch Bush und Blair trotz der Opposition von Frankreich und Deutschland und dann an den Eingriff 2011 in Libyen auf Beschluss von Sarkozy und Cameron. Sind die gegenwärtigen Bombenangriffe auf Syrien wirklich die geeignete Methode? Und kann man eine objektive Allianz mit dem blutrünstigen Tyrannen Assad einerseits und dem saudi-arabischen Königreich andererseits, dem Land, wo der palästinensische Dichter Ashraf Fayad wegen »Apostasie« zum Tode verurteilt wurde, in Betracht ziehen? Nicht zu vergessen, dass, was Frankreich betrifft, der soziale Abstieg, dessen Opfer viele Jugendliche mit Migrationshintergrund sind, einen fruchtbaren Nährboden für die Indoktrinierung schafft, die zu diesem mörderischen Wahnsinn führt. Frankreichs Vergangenheit als Kolonialmacht spielt auch eine Rolle.

Traurige Ironie der Geschichte: Diese Massaker wurden im Viertel des Boulevard Voltaire begangen, unweit der Metrohaltestelle Charonne, wo wiederum im Februar 1962 neun Frauen und Männer, die zusammen mit Tausenden anderen für den Frieden in Algerien und gegen den Terror der OAS demonstrierten, unter den Schlägen der Polizei starben. Kann man heute von Krieg sprechen? Von Kampf ja, und von einem, der lange andauern und hart sein wird, aus dem wir aber nur als Gewinner hervorgehen werden, wenn wir dem Sicherheitswahn nicht nachgeben und uneingeschränkt die Menschenrechte verteidigen, die Gleichheit zwischen Frauen und Männern, die Freiheit, jeden Glauben und jede Religion zu kritisieren und vor allem als beste Waffe gegen die Barbarei den Zugang zur Kultur für die größtmögliche Anzahl.

Alain Lance
Schriftsteller und Übersetzer
Korrespondierendes Mitglied der Klasse Literatur und Sprachpflege der Sächsischen Akademie der Künste

30. November 2015

Die Sächsische Akademie der Künste begrüßt Debatten zur aktuellen Situation unserer Gesellschaft und den Diskurs über das, was ihre Identität, ihre kulturelle Konstitution und ihre Zukunft ausmacht. Der Austausch über den Zusammenhalt der Gesellschaft und über die Zukunft unseres Landes hat seit der Wiedervereinigung in der notwendigen fundierten Weise nicht stattgefunden und ist überfällig.

Daher sieht die Akademie in den aktuellen Diskussionen eine Chance, sich über die Zukunft unserer Gesellschaft zu verständigen. Bei allen Herausforderungen, vor die uns die hohe Zahl der Flüchtlinge und die schwierige politische Situation in Europa gegenwärtig stellen, ist festzuhalten, wie wenig es sich vordergründig um eine Flüchtlingskrise und um wie viel mehr es sich um eine Krise der Gesellschaft und ihrer Institutionen handelt. Aus diesem Grund begrüßen wir die in der Sächsischen Zeitung geführte Debatte »Aus meiner Sicht Montag«.

Aus Anlass des Beitrages von Jörg Bernig »Zorn allenthalben« vom 21. Dezember 2015 ist jedoch ausdrücklich darauf zu verweisen, dass dieser Text eine private Meinung und nicht eine Stellungnahme der Akademie darstellt. Die Akademie tritt auf der Grundlage ihres Selbstverständnisses für Weltoffenheit ein und unterstützt das Engagement der von Kultureinrichtungen getragenen Initiative WOD. Wir gemahnen eindringlich daran, dass sich die akuten Probleme nur lösen lassen, wenn die bedrückenden Sorgen und Fragen mit Sorgfalt und Verantwortung getrennt werden von Stimmungen, Ressentiments und dem Schüren von Ängsten.

Aus Anlass ihres 20-jährigen Bestehens plant die Sächsische Akademie der Künste für das Jahr 2016 eine Reihe von Veranstaltungen, die unter dem künstlerischen Motto »Wohin mit der Schönheit?« gezielt den politischen Diskurs über das Funktionieren der Gesellschaft ins Zentrum stellen.

Wilfried Krätzschmar
Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

22. Dezember 2015

Die Mitglieder der Sächsischen Akademie der Künste haben sich auf folgende Stellungnahme zu Plänen für die Wiedererrichtung des an der Augustusbrücke gelegenen, im Krieg zerstörten und 1950 abgerissenen Narrenhäusels verständigt: Anders als die Frauenkirche, die als gesellschaftliches und kulturelles Zentrum auch städtebauliches Zentrum der Dresdner Altstadt in enger Wechselwirkung mit der Bebauung des Neumarktes stand, war das Narrenhäusel ein Profanbau ohne vergleichbare Bedeutung für die Bebauung des Neustädter Elbufers. Es war weder Leitbau im lokalen, baulichen Kontext, noch war es von überregionaler Bedeutung.

Unter der Prämisse, dass der historische Stadtgrundriss wieder hergestellt wird und eine städtebauliche Neugliederung des Neustädter Marktes erfolgt, hält es die Akademie für angemessen, an dieser Stelle keinen Nachbau auszuführen, sondern mit dem Akzent eines Neubaus in höchster Qualität ein Dokument zeitgenössischer Architektur mit dem der Bedeutung der Stadt gemäßen Anspruch zu präsentieren.

Das Gebäude soll zeigen, wie hervorragende Architekten unserer Zeit Geschichte interpretieren und den Dialog zwischen Altem und Neuem anregend entfalten auf eine Weise, dass auch künftigen Generationen die verschiedenen Zeit-Schichten an diesem besonderen Ort erkennbar sind.

Städtebaulich ist der Brückenkopf mit dem Blockhaus eine der bedeutsamsten Adressen im Stadtpanorama. Er bildet den Schnittpunkt der Kulturachsen zwischen Japanischem Palais/Volkskunstmuseum/Regierungsviertel einerseits und dem Romantikmuseum/Kästner-Museum und Schloss/Semperoper/ Zwinger andererseits.

Bereits in den vergangenen Jahren hat die Akademie – berücksichtigend, dass einzelne Mitglieder die historisierende Wiedererrichtung befürworten – deutlich gemacht, dass sie dieses Areal als idealen Standort für einen wegweisenden Kulturbau bewertet, und sich für den Neubau eines Konzerthauses/Philharmonie ausgesprochen. Die Akademie plädiert, für das Areal des Neustädter Marktes einen groß angelegten, ergebnisoffenen städtebaulichen und architektonischen Wettbewerb zu initiieren, der in seiner Ausstrahlung das Bild und die Stadtentwicklung Dresdens positiv beeinflusst. Dieser Wettbewerb erfordert die Erarbeitung funktionaler und städtebaulicher Zielstellungen und Konzepte, die weder durch zeitliche Zwänge, noch durch schnelle Bauentscheidungen die Gesamtentwicklung beeinträchtigen oder verhindern dürfen. Für die Entwicklung des Neustädter Elbufers und des Neustädter Marktes ist nicht der Blick in die Vergangenheit, sondern dringlich ein Blick in die Zukunft anzudenken.

Wilfried Krätzschmar
Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
28. Dezember 2015

2014

Petition von Mitgliedern der Sächsischen Akademie der Künste, gerichtet an den Botschafter der Russischen Föderation in Deutschland nach Beschluss der Mitgliederversammlung vom 28. Juni 2014

Sehr geehrter Herr Botschafter,

die Sächsische Akademie der Künste, eine Einrichtung des Freistaates Sachsen, vereinigt namhafte Künstler und Kunsttheoretiker aus dem In- und Ausland. Laut ihrer Satzung vertritt sie Freiheit und Anspruch der Kunst gegenüber Staat und Gesellschaft und macht die Öffentlichkeit mit wichtigen künstlerischen Leistungen bekannt (§ 1,1). Über unsere osteuropäischen Korrespondierenden Mitglieder erfuhren wir von dem Schicksal des Regisseurs Oleg Senzow, der in Moskau festgehalten wird.

Die Sächsische Akademie der Künste bittet Sie im Namen der unterzeichnenden Mitglieder, sich für die Freiheit unseres Kollegen Oleg Senzow einzusetzen.

Wilhelm Bartsch, Schriftsteller, Halle/S.
Jörg Bernig, Schriftsteller, Radebeul bei Dresden
Ondřej Černý, Intendant und Regisseur, Prag
György Dalos, Schriftsteller, Berlin
Friedrich Dieckmann, Schriftsteller und Kritiker, Berlin
Róža Domašcyna, Schriftstellerin und Übersetzerin, Bautzen
Werner Durth, Architekturhistoriker, Darmstadt
Jakub Ekier, Schriftsteller und Übersetzer, Warschau
Elke Erb, Schriftstellerin, Berlin
Matthias Flügge, Kunsthistoriker, Dresden
Bernd Franke, Komponist, Leipzig
Wieland Förster, Bildhauer und Maler, Oranienburg
Dieter Görne, Theaterwissenschaftler, Dresden
Eberhard Göschel, Maler und Grafiker, Dresden
Durs Grünbein, Schriftsteller, Berlin
Uwe Grüning, Schriftsteller, Neumark/Sa.
Peter Gülke, Dirigent und Musikwissenschaftler, Weimar
Ludwig Güttler, Musiker und Dirigent, Dresden
Hartmut Haenchen, Dirigent, Dresden
Christoph Hein, Schriftsteller, Berlin
Michael Heinicke, Opernregisseur, Chemnitz
Kerstin Hensel, Schriftstellerin, Berlin
Jörg Herchet, Komponist, Weinböhla/Dresden
Hubert Hermann, Architekt, Wien
Peter Herrmann, Maler, Berlin
Jörn Peter Hiekel, Musikwissenschaftler, Dresden
Annette Jahns, Regisseurin, Dresden
Friedrich-Wilhelm Junge, Schauspieler, Dresden
Sigrid Kehl, Kammersängerin, Dresden
Klaus Dieter Kirst, Theaterregisseur, Dresden
Ekkehard Klemm, Dirigent und Komponist, Dresden
Robert Koall, Dramaturg, Dresden
Wilfried Krätzschmar, Komponist, Dresden
Ralf Kukula, Filmemacher und Regisseur, Dresden
Reiner Kunze, Schriftsteller, Obernzell/Erlau
Alain Lance, Schriftsteller und Übersetzer, Paris
Olaf Lauströer, Architekt und Architekturhistoriker, Dresden
Konstanze Lauterbach, Theaterregisseurin, Berlin
Christian Lehnert, Schriftsteller, Leipzig
Walter Libuda, Maler, Schildow bei Berlin
Ulrich Lindner, Fotografiker, Dresden
Romuald Loegler, Architekt, Kraków
Engelbert Lütke Daldrup, Stadtplaner, Berlin
Dóra Maurer, Malerin, Konzeptkünstlerin, Kuratorin, Budapest
Maix Mayer, Fotograf und Filmemacher, Leipzig
Angela Mensing-de Jong, Architektin, Dresden
Annette Menting, Architekturtheoretikerin, Leipzig
Michael Morgner, Maler und Grafiker, Chemnitz
Günter Neubert, Komponist, Leipzig
Helmut Oehring, Komponist, Waldsieversdorf
Franz Martin Olbrisch, Komponist, Berlin und Dresden
Jürgen Paul, Architekturhistoriker, Dresden
Petr Pelčak, Architekt, Brno
Jutta Penndorf, Kunsthistorikerin, Altenburg
Jurko Prochasko, Schriftsteller und Übersetzer, Lemberg/L’viv
Stefan Rettich, Architekt, Leipzig
Nikolaus Richter de Vroe, Komponist, München
Thea Richter, Bildende Künstlerin, Ottendorf-Okrilla bei Dresden
Peter Rösel, Pianist, Dresden
Thomas Rosenlöcher, Schriftsteller, Dresden
Sophia Schama, Malerin, Berlin
Steffen Schleiermacher, Pianist und Komponist, Leipzig
Wolfgang H Scholz, Regisseur und Filmemacher, München
Wilfried Schulz, Intendant und Dramaturg, Dresden
Jan Schindler, Architekt, Prag
Christfried Schmidt, Komponist, Berlin
Lutz Seiler, Schriftsteller, Michendorf/Wilhelmshorst
Arila Siegert, Choreographin und Tänzerin, Berlin
Štefan Šlachta, Architekt, Bratislava
Vladimir Tarnopolski, Komponist, Moskau
Thomas Topfstedt, Kunsthistoriker, Leipzig
Bohdan Tscherkes, Architekt, L’viv
Max Uhlig, Maler, Dresden
Jan Vogler, Cellist und Intendant, Dresden, New York
Nike Wagner, Festivalleiterin, Bonn
Andreas Wolf, Architekt, Leipzig
Jörn Walter, Stadtplaner, Hamburg
Ingo Zimmermann, Schriftsteller und Kulturhistoriker, Dresden
Marek Zybura, Historiker und Germanist, Wrocław

21. Juli 2014

Stellungnahme von Mitgliedern der Klasse Baukunst zur aktuellen Stadtentwicklungsdebatte

In der deutschen Planer-Fachwelt geht es wieder einmal um Grundsätzliches. Neun namhafte Architekten, Stadtbaudirektoren und andere kritische Geister um die Dortmunder Professoren Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne haben mit einer »Kölner Erklärung« Stellung bezogen: »Deutschland war noch nie so wohlhabend, seine Stadträume aber noch nie so armselig.« Und wer hat Schuld? »Stadtplaner planen die Organisation von Prozessen, statt Stadträume zu entwerfen. Die Stadt kommt zuletzt.«

Mit solch markanten Sätzen wird der städtebaulichen Praxis hierzulande ein vernichtendes Urteil gesprochen. In erster Linie zielt die Erklärung auf eine vermeintlich mangelhafte städtebauliche Ausbildung an den Universitäten. Es sollte wieder mehr »Kernkompetenz« stadträumlicher Gestaltung vermittelt werden. Dafür müsse vor allem die Idee der »europäischen Stadt« klarer definiert und bei der Planung als Orientierungs- und Wertekonzept betrachtet werden.

Die Erklärung stieß auf Widerspruch. Von der RWTH Aachen, eine der wichtigsten Studienadressen für Stadtplaner in Deutschland, meldete sich gleich eine komplette Lehrstuhlmannschaft zu Wort. Ihre »Aachener Polemik« stört sich vor allem an der retroseligen Perspektive: »Früher war alles besser, heute ist es gar am schlimmsten. Es ist kaum nachvollziehbar, warum sich die Verfasser in solch haltlose Pauschalisierungen verstricken. Was waren denn die ›guten alten Zeiten‹, als ›städtebaulich‹ scheinbar noch alles im Lot war? Die Gründerzeit? Oder doch das noch gar nicht so weit zurück liegende 20. Jahrhundert?« Besonders suspekt erscheint ihnen der allseitige Kompetenzanspruch des baukünstlerischen Universalisten: »Wir hielten das ›Gott-Vater- Modell‹ der Planung für ein mittlerweile ebenso abgedroschenes wie billiges Klischee – hier jedoch feiert es fröhliche Urständ.«

Unter dem programmatischen Titel »100 % Stadt!« unterschrieben dann bundesweit 26 Hochschullehrer, Bauräte und Planungspraktiker eine Art Gegenmanifest, das der »Kölner Erklärung« vor allem in ihrer Fixierung auf ein städtisches Vorzugsmodell widerspricht: »Die Europäische Stadt ist ›sowohl als auch‹, nie ›entweder oder‹. Sie umfasst historische Ortskerne, Parkanlagen, Gründerzeitviertel, Marktplätze [ebenso wie] die vielfältigen Stadtquartiere, die in der Nachkriegsphase gebaut wurden oder an den Rändern unserer Städte entstanden sind. Diese Brüche hat es immer gegeben. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen und sie gestalten.« Dazu gehöre, nicht nur auf die Annehmlichkeiten schöner Stadtbilder zu pochen, sondern mit dem Bürgerwillen zu rechnen und sich auch mit unbehaglichen Fragen, etwa von Grundbesitz, Machtverteilung oder städtischer Armut, auseinanderzusetzen. Zentrale Forderung dieses Positionspapiers: »Komplexität zulassen!«

»Die Kölner Erklärung hat einzig und allein die Städtebau-AUSBILDUNG zum Thema – nicht den Städtebau allgemein«, wehrte sich schließlich Wolfgang Sonne in der Bauwelt gegen die harschen Erwiderungen. »Die Verfasser sind sich mehr als bewusst, dass zur Lösung unserer aktuellen Städtebauprobleme es vor allem politischer, ökonomischer, sozialer, rechtlicher, organisatorischer und anderer Veränderungen und Strategien bedarf – aber die Ausbildung ist auch eine kleine Schraube, an der gedreht werden muss. Wir schrieben nur über Äpfel, ihr aber über den ganzen Obstkorb!«

Es darf nun vermutet werden, dass dieser thematische Übersprung in den »ganzen Obstkorb« urbanistischer Grundsatzdebatten den Kontrahenten nicht versehentlich unterlief. Ein solcher Lauf der Dinge konnte nicht wirklich überraschen. Die »Kölner Erklärung« hat ihre Wurzeln eigentlich an der TU Dortmund, wo rührige Netzwerker ihr »Institut für Stadtbaukunst« zu einem Treffpunkt konservativer Stadt- und Planungstheoretiker aus halb Europa gemacht haben. Deren einschlägige Vortragsreihen und Ausstellungen mussten früher oder später auf Konfrontation hinauslaufen. Nachdem ihre jährlichen Düsseldorfer »Konferenzen über Schönheit und Lebensfähigkeit der Städte« die Profession bereits gespalten hatten – entweder: »Da muss man dabei sein!« oder: »Da gehe ich doch nicht hin!« – war mit der Kölner Verlautbarung der offene Eklat nun da.

Der Riss ist nicht neu. Wie man es mit der Tradition hält und mit den Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Gegenwart – diese Fragen haben Architekten und Stadtplaner von jeher polarisiert. Mit dem jüngsten publizistischen Schlagabtausch sind die Frontlinien nur wieder etwas sichtbarer geworden. Die Kontroverse rührt an die beruflichen Grundüberzeugungen jedes Einzelnen, und letztere sind, wenn überhaupt, kaum verhandelbar.

Einzelne Mitglieder unserer Bauklasse haben mit ihrer Unterschrift hier bereits Flagge gezeigt, auf der einen oder auf der anderen Seite. Somit seien auch alle übrigen Kolleginnen und Kollegen ausdrücklich ermuntert, eigene Positionen in die Debatte zu tragen. Wenn solche Zuspitzung Leidenschaften weckt und Meinungsstreit befeuert, kann man die Provokationen und Polemiken der Dortmunder, Aachener und aller anderen eigentlich nur begrüßen.

Wolfgang Kil, Romuald Loegler, Angela Mensing-de Jong, Ulf Zimmermann
im Auftrag der Klasse Baukunst der Sächsischen Akademie der Künste

27. November 2014

Die Sächsische Akademie der Künste unterstützt die Initiative der Dresdner Intendantenrunde für ein weltoffenes Dresden. Die Initiative wendet sich gegen den Missbrauch diffuser Ängste und tritt für eine Gesellschaft ein, die sich gründet auf Toleranz, Solidarität und Freiheit. Die Akademie stimmt mit den im Gespräch in 3sat Kulturzeit (8.12.2014) geäußerten Forderungen ihres Mitgliedes Robert Koall, Chefdramaturg des Staatsschauspiel Dresden, überein. Alle – Politik, Kultureinrichtungen und Gesellschaft – sind in der Pflicht, dieses fremdenfeindliche Klima abzuschaffen. Dazu sind vor allem »sorgfältig geplante, langfristige Initiativen in allen Bereichen zu entwickeln: in Lehrplänen, im Spielplan, in der Haushaltsausstattung.«

Die Sächsische Akademie der Künste plädiert für eine sachliche Auseinandersetzung mit den Motiven und Hintergründen, die zu den fremdenfeindlichen Protesten führen. Die Sächsische Akademie vereinigt namhafte Künstler und Kunsttheoretiker aus dem In- und Ausland, ein Drittel ihrer Mitglieder kommt aus den Nachbarländern. Zum Selbstverständnis und zu den vorrangigen Aufgaben der Akademie gehört der kulturelle Brückenschlag zu den mittel- und osteuropäischen Ländern.

Wilfried Krätzschmar
Präsident der Sächsischen Akademie der Künste

9. Dezember 2014

2013

Matthias Sauerbruch erhält den Gottfried Semper Architekturpreis 2013

Das Kuratorium des Gottfried Semper Architekturpreises aus Vertretern der Sächsischen Akademie der Künste, der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt und des Energieunternehmens Vattenfall hat heute den Architekten Matthias Sauerbruch zum Preisträger des Gottfried Semper Architekturpreises 2013 bestimmt.
Mit dem Gottfried Semper Architekturpreis wird eine bundesweit ausgewiesene Architekten-persönlichkeit gewürdigt, deren Werk sich durch besondere Qualitäten nachhaltigen Bauens auszeichnet. Der Preis wird alle zwei Jahre von der Sächsischen Akademie der Künste mit der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) und Vattenfall Europe Mining AG und Vattenfall Europe Generation AG (Stifter) vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Für Vattenfall liegt das Engagement in der ökologischen und nachhaltigen Ausrichtung des Preises begründet. „Als modernes Energieunternehmen sehen wir uns in der Verantwortung, Nachhaltigkeit und Umweltschutz zur Grundvoraussetzung aller unternehmerischer Entscheidungen zu erklären“, so Dr. Hartmuth Zeiß, Vorstandsvorsitzender der Vattenfall Europe Mining AG und Vattenfall Europe Generation AG.  
Matthias Sauerbruch ist international für seinen ganzheitlichen Planungsansatz in der Behandlung städtebaulicher, hochbaulicher und gartenarchitektonischer Aufgaben bekannt und stellt eine der profiliertesten Architektenpersönlichkeiten seiner Generation dar. Sauerbruchs Bauten fügen sich in die Stadtlandschaft, die sie durch ihre markante Farbigkeit, organische Grundrisse und geschwungene Fassaden bereichern.
Geboren im Jahr 1955 im süddeutschen Konstanz studierte er an der Universität der Künste Berlin und der Architectural Association in London, an der er als junger Absolvent auch erste Lehraufträge übernahm. Gastprofessuren an der Graduate School of Design GSD in Harvard sowie Vollprofessuren an der Kunsthochschule Stuttgart und der TU Berlin folgten.
Musterbeispiele nachhaltigen Bauens sind neben dem Neubau des Umweltbundesamtes in Dessau die Erweiterung des Verwaltungskomplexes der KfW Bankengruppe mit einem Primärenergiebedarf von 100kWh/m², die neue ADAC-Zentrale in München (Geothermie, Bauteilaktivierung, doppelschichtige Fassade zur natürlichen Lüftung der Büros) und die neue energieeffiziente Hauptverwaltung der Stadtsparkasse Oberhausen, die mit ihrer fließenden Kontur den Wandel der Industriestadt zur Stadt in der Landschaft unterstreicht.
Das differenzierte Selbstverständnis Matthias Sauerbruchs als Architekt, Lehrer und kritischem Zeitgenossen spiegelt sich in dem signifikanten Spiel seiner baulichen Objekte im offenen, urbanen Raum, im Miteinander von Alt und Neu, von Mensch und Ökologie.

29. August 2013

Das Kuratorium des Gottfried Semper Architekturpreises aus Vertretern der Sächsischen Akademie der Künste, der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt und des Energieunternehmens Vattenfall hatte am 29.08.2013 den Architekten Matthias Sauerbruch zum Preisträger des Gottfried Semper Architekturpreises 2013 bestimmt. Die Ausrichtung des mit 25.000 Euro dotierten Preises liegt auf besonderen Qualitäten nachhaltigen Bauens und wird alle zwei Jahre von der Sächsischen Akademie der Künste mit der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt (LaNU) und Vattenfall Europe Mining AG und Vattenfall Europe Generation AG (Stifter) vergeben.
Matthias Sauerbruch erklärte seine Freude über die Auszeichnung, wies aber darauf hin, dass sich die wesentlichen Kriterien des Preises auf das gemeinsame Werk von ihm und der Architektin Louisa Hutton beziehen.
Die Jury hat daraufhin erneut getagt und dem Wunsch des Preisträgers entsprochen, die Auszeichnung an Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton gemeinsam zu vergeben.
Das Kuratorium des Stiftungsrates hat auf Bitten der Jury die Satzung des Preises dahingehend geöffnet, dass auch Architektengemeinschaften mit dem Gottfried Semper Architekturpreis ausgezeichnet werden können. Vom Kuratorium wurde heute beschlossen, den Gottfried Semper Architekturpreis 2013 an Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton gemeinsam zu verleihen.
Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton sind international für ihren ganzheitlichen Planungsansatz in der Behandlung städtebaulicher, hochbaulicher und gartenarchitektonischer Aufgaben bekannt und gehören zu den profiliertesten Architektenpersönlichkeiten ihrer Generation. Ihre Bauten fügen sich in die Stadtlandschaft, die sie durch ihre markante Farbigkeit, organische Grundrisse und geschwungene Fassaden bereichern.
Musterbeispiele nachhaltigen Bauens des Büros Sauerbruch Hutton sind neben dem Neubau des Umweltbundesamtes in Dessau die Erweiterung des Verwaltungskomplexes der KfW Bankengruppe mit einem Primärenergiebedarf von 100kWh/m², die neue ADAC-Zentrale in München (Geothermie, Bauteilaktivierung, doppelschichtige Fassade zur natürlichen Lüftung der Büros) und die neue energieeffiziente Hauptverwaltung der Stadtsparkasse Oberhausen, die mit ihrer fließenden Kontur den Wandel der Industriestadt zur Stadt in der Landschaft unterstreicht.
Die Verleihung des Gottfried Semper Architekturpreises 2013 findet am 28. Oktober 2013 auf Schloss Wackerbarth in Radebeul statt.

6. September 2013

Sächsische Akademie der Künste in Dresden ohne Sitz

Die Sächsische Akademie der Künste wurde 1996 vom Freistaat gegründet, um öffentliche Wirksamkeit zu entfalten, den Freistaat in künstlerischen Belangen zu vertreten und die Öffentlichkeit über das Wirken der Mitglieder und über neue internationale Entwicklungen in der Kunst und Kultur zu informieren. Zu diesem Zweck wurde der Akademie das Blockhaus als Sitz zugewiesen, das 1732 bis 1737 nach Plänen von Zacharias Longuelune errichtet wurde und heute zu einem der markantesten und beliebtesten barocken Gebäude im Herzen Dresdens zählt.

Das Blockhaus an der Augustusbrücke wird zur Zeit leergeräumt. Nach den Zerstörungen durch das Hochwasser im Sommer 2002 wurden zwar notwendige Reparaturen durchgeführt. Maßnahmen zum Schutz vor einem möglichen erneuten Hochwasser – wie dies erfolgreich beim nahegelegenen Hotel Western Bellevue möglich war – wurden für diese Liegenschaft des Freistaates nicht getroffen. Mit dem Juni-Hochwasser dieses Jahres ist nun erneut ein Schaden eingetreten, der die öffentliche Nutzung des Blockhauses unmöglich macht. Statt der zu erwartenden zügigen Rekonstruktion wurde jetzt beschlossen, das Haus auf unbestimmte Zeit zu schließen.

Der Sächsischen Akademie der Künste droht damit der Verlust ihres Sitzes und ihrer öffentlichen Wirksamkeit. Dem Freistaat und der Landeshauptstadt droht der Verlust eines zentralen Ortes der Kultur und des gesellschaftspolitischen Diskurses. Dresden droht ein weiteres totes Gebäude und eine Brache mit ungewisser Zukunft. Das Gemeinwesen erfährt in wirtschaftlicher Hinsicht einen weiteren problematischen Umgang mit öffentlichem Gut.

Nachdem Lüftung, Heizung und der Fahrstuhl nicht mehr funktionieren und das Gebäude nur provisorisch am Strom angeschlossen ist, werden die im Haus ansässigen Institutionen das Gebäude bis zum Jahresende verlassen müssen. Neben der Akademie sind das die Sächsische Landesstiftung Natur und Umwelt und eine Dependance der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, die aus dem Blockhaus bereits ausgezogen ist.

Der Erhalt dieses barocken Kleinods und die Frage der Zukunft der Akademie sind zentrale Themen der Mitgliederversammlung an diesem Wochenende (26. – 27.Oktober 2013) in Wittenberg.
Die Akademie fordert den Freistaat und die mit dem Gebäude befassten Ministerien und Einrichtungen auf, das Haus nicht dem Leerstand zu überlassen, sondern mit neuem Leben zu füllen.

Die Akademie sieht in diesem Haus einen zentralen Ort der Kultur für Dresden und ein wichtiges Schaufenster für den Freistaat. Als eine Schnittstelle zwischen barockem Lebensgefühl, Kunst, Kultur und Politik hat das Blockhaus das Potenzial, zu einem Ort zu werden, an dem die brennenden kulturellen und kulturpolitischen Fragen der Stadt und des Landes diskutiert werden. Das Haus sollte jedem barrierefrei und ohne Schranken offen stehen. Das Blockhaus – auch ein Sinnbild des wiedererstandenen Dresden – muss als öffentlicher Ort der Kultur erhalten werden! Antworten sind dringend geboten – vom Kabinett, vom Landtag und von den zuständigen Ministerien!

Wilfried Krätzschmar
Vizepräsident der Sächsischen Akademie der Künste
25. Oktober 2013

Resolution der Mitgliederversammlung der Sächsischen Akademie der Künste

Seit ihrer Gründung im Jahr 1996 hat die Sächsische Akademie der Künste ihren Sitz in dem an der Augustusbrücke gelegenen Blockhaus. Mit durchschnittlich 50 Veranstaltungen im Jahr konnte sie von hier aus vielfältig öffentlich wirksam werden. Intensiv arbeitet sie zur Zeit auch an der Frage, vor welche Aufgaben die Gesellschaft durch die gegenwärtigen Veränderungen und demographischen Entwicklungen in Zukunft gestellt sein wird.

Anders als die umliegenden Gebäude wurde das Blockhaus nach der Flut des Jahres 2002 nicht gegen ähnliche Überschwemmungen gesichert. Durch das Hochwasser im Jahr 2013 wurde es so schwer geschädigt, dass eine grundlegende Sanierung nötig wird. Ende Juli wurde die Akademie angewiesen, auszuziehen. Bis heute steht der Akademie kein Ausweichquartier zur Verfügung, das die Fortsetzung ihrer Arbeit im erforderlichen Umfang erlaubt.

Als von der Öffentlichkeit angenommener Standort der Akademie, zentral gelegen und eine der Perlen der Dresdner Barockarchitektur, erscheint das Blockhaus wie kaum ein anderer Ort als »Haus der Kultur« geeignet, in dem auch in Zukunft, für jedermann frei zugänglich, Konzerte, Veranstaltungen, Begegnungen verschiedener Art und Diskussionen über brennende Fragen stattfinden können.

Die Mitglieder der Akademie verfolgen die bisher ergebnislosen Auseinandersetzungen um die Zukunft des Blockhauses mit großer Sorge und halten es für ihre Pflicht zu fordern, dass:

  • der Akademie ein adäquates Interimsquartier zur Verfügung gestellt wird,
  • die Rückkehr ins Blockhaus gewährleistet wird,
  • und dass dieses Gebäude als Haus der Kultur in Dresden etabliert wird

26. Oktober 2013

2012

Am 13. September erhält der 1949 in Bitterfeld geborene Hanns Schimansky den Hans Theo Richter-Preis der Sächsischen Akademie der Künste.
Hanns Schimansky gehört zu den großen deutschen Zeichnern seiner Generation. Er studierte in Berlin und war Meisterschüler Gerhard Kettners, der selbst ein herausragender Zeichner war und lange Jahre in Dresden wirkte. Seit 1998 bekleidet Schimansky eine Professur in Berlin-Weißensee. Schimanskys Werk wurde vielfach ausgestellt und war auch in großen deutschen und ausländischen Kunstmuseen wie in Berlin (1990), Hannover (1998) oder Den Haag (2008) zu sehen. Die sensiblen, gedankenvollen und ungemein vielgestaltigen Grafit-, Bleistift-, Tusche- und Ölkreidezeichnungen des Künstlers erscheinen auf beeindruckende Weise zeitungebunden. Seine entschiedene künstlerische Position und die staatsferne Selbstbehauptung in der DDR waren Voraussetzungen, sein Werk auch in den vergangenen zwei Jahrzehnten kohärent weiter zu entwickeln. Der „tastenden Linie“ und dem „Peripheren“ kommen im künstlerischen Verständnis des Künstlers besondere Bedeutung zu. „Ihn interessieren die Grenze, die Kante, der Bruch, der Punkt, der Knick, an dem Übergänge stattfinden – osmotisch oder in unmittelbaren Sprüngen, als Vertauschung, Wechsel oder Umkehrprozesse“, schreibt Kirsten Claudia Voigt im Katalog der Kunsthalle Karlsruhe (2003).
Am Abend der Preisverleihung werden einige seiner Arbeiten im Foyer des Blockhauses, Neustädter Markt 19, gezeigt werden.

Die Auszeichnung erinnert an Hans Theo Richter (1902-1969), den herausragenden Zeichner und Graphiker, der als Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden von 1947 bis 1967 lehrte und eine große Zahl jüngerer Künstler prägte. Hildegard Richter, die Witwe des Künstlers, richtete gegen Ende ihres Lebens eine Stiftung ein, die das Andenken an das Werk und die Persönlichkeit ihres Mannes wachhalten soll. Zugleich ermöglicht die Stiftung die Vergabe eines mit 20.000,- Euro dotierten Preises durch die Sächsische Akademie der Künste, der in der Regel alle zwei Jahre vergeben wird. Der Preis würdigt das zeichnerische oder graphische Werk eines herausragenden deutschen oder ausländischen Künstlers. Mit der Verleihung ist traditionell die Schenkung einer repräsentativen Werkgruppe an das Kupferstich-Kabinett Dresden verbunden, in dem das Werk Richters seit Jahrzehnten besonders gepflegt wird.

5. September 2012

Die Sächsische Akademie der Künste hat sich auf ihrer gestrigen Mitgliederversammlung vom 13.9.2012 in Dresden eine neue Satzung gegeben. Sie macht die Akademie zukunftsfähig und offen für neue Themen und Herausforderungen: Die Verjüngung der Mitgliedschaft, die Diskussion von kulturpolitischen Themen von aktueller Brisanz und die Auseinandersetzung mit den zukünftigen Aufgaben in Kunst und Kultur im demographischen Wandel.

In der Diskussionsreihe „Ressource Kultur – Perspektiven für Kunst und Kultur bis 2020“ wird mit Vertretern aus Kunst, Politik und Wirtschaft die Zukunft von Kultur in ländlichen Räumen diskutiert sowie der Wandel der Sächsischen Literatur-, Theater und Museumslandschaft.
Unter dem Titel „Autonomie der Kunst?“ wird um die Rolle von Innovation, Avantgarde und künstlerischem Engagement in Ostdeutschland bis 1989 und um die Möglichkeit von Engagement in unserer heutigen Gesellschaft gestritten. Was sind die Möglichkeiten des Eingreifens damals und heute? Zu diesem Epochenthema, ist in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig eine Konferenz geplant, die renommierte Künstler und Theoretiker im deutsch-deutschen Kontext vereint.
Wegbrechende Landschaften und Globalisierungsfolgen stehen im Fokus einer tschechisch-deutschen Autorentagung, die sich mit neuen Tendenzen und jungen Autoren aus dem Nachbarland auseinandersetzt. Diese Autorenbegegnung, die die Frage des Sozialen in den Mittelpunkt rückt, soll in der ostböhmischen Randlage Hradec Králové (Königgrätz) und in Kuks stattfinden.
Die länderübergreifende Zusammenarbeit wird auch mit binationalen Konzerten und der Erarbeitung einer Publikation zu den Perspektiven der Nachkriegsarchitektur in Frankreich, Ost- und Westdeutschland, Polen, Slowakei, Tschechien und der Ukraine fortgesetzt.
Mit Nachdruck betont die Akademie ihre Unterstützung für das Kulturkraftwerk Mitte, das eine wegweisenden künstlerisch-architektonischen Rahmengestaltungen mit internationaler Ausstrahlung bedarf.

Die Akademie wird ihre nächste Mitgliederversammlung 2013 nach Lutherstadt Wittenberg einberufen, auch um ein Signal für eine verstärkte kulturelle Zusammenarbeit mit den benachbarten Bundesländern zu senden.

14. September 2012