Krieg gegen die Ukraine
»Vermessung der Zerstörung«
Öffentlicher Vortrag und interner Fachworkshop, Leipzig, 3.–4. April 2025
Für das Frühjahr 2022 war von der Sächsischen Akademie der Künste und ihren ukrainischen Kooperationspartnern eine internationale Architekturtagung zur Rettung der Bauten der Zwischenkriegsmoderne in L'viv geplant. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine schrieb der Architekt und Hochschullehrer Prof. Dr. Bohdan Tscherkes (Nationale Polytechnische Universität L'viv): »Inzwischen geht es nicht mehr um Architektur, sondern um die Rettung des Landes.« In engem Austausch mit Prof. Thomas Will (Sächsische Akademie der Künste) und Prof. Dr. Arnold Bartetzky (GWZO) wurden die neuen Herausforderungen erörtert und ein internationaler Fachworkshop entwickelt, der sich mit der Vermessung der Zerstörung, Reparatur und Wiederaufbau auseinandersetzt und nach einer neuen Baukultur in der Ukraine fragt. »Fragen des Wiederaufbaus waren für uns reine Geschichte. Wir hätten nicht gedacht, dass wir uns damit einmal in dieser Weise beschäftigen müssen.« (Bohdan Tscherkes)
Veranstalter waren das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Verbundprojekt Stadt. Kultur. Bauen. (GWZO, RWTH Aachen, KIT Karlsruhe), gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Kooperation mit der Sächsischen Akademie der Künste, Klasse Baukunst, der Stadt Leipzig, Dezernat Stadtentwicklung und Bau, Referat Internationale Zusammenarbeit, der Sächsischen Staatskanzlei, Referat Internationale Beziehungen, und der Nationalen Polytechnischen Universität L'viv.
Der öffentliche Abendvortrag von Bohdan Tscherkes: »Zerstörung, Vermessung und Planung in Zeiten des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine« am 3. April 2025 im Festsaal des Neuen Rathauses in Leipzig bildete den Auftakt des ansonsten internen Fachworkshops. Vortragsflyer (PDF)
»Es ist schwer, über den Krieg zu reden, wenn wir mitten drin sind. Das Thema ist schrecklich, aber das Schreckliche muss erforscht werden.« Bohdan Tscherkes
Bohdan Tscherkes stellte verschiedene Formen der bisherigen Zerstörungen durch Drohnen und Raketenbeschuss vor und zeigte, mit welchen Strategien die Ukrainer den Herausforderungen der Reparatur und des Wiederaufbaus begegnen. Von den fünf Schritten eines umfassenden Wiederaufbaus gehe es gegenwärtig zuerst um die Bestattung von Gefallenen und Opfern des Krieges. Die zweite Aufgabe bestehe in der Beseitigung zerstörter Bausubstanz. Drittens liegt der aktuelle Fokus auf der Instandsetzung beschädigter Gebäude und der Errichtung temporärer Wohnanlagen. Auch wenn sich internationale Büros mit ukrainischen Themen beschäftigen: Große Wiederaufbauentwürfe, Wettbewerbe und deren Realisierung liegen momentan noch in der Ferne.
Vermessung der Zerstörung, Reparatur, Wiederaufbau. Eine neue Baukultur in der Ukraine?
Internationaler Fachworkshop, Stadtbüro Leipzig, 4. April 2025
Die Ukraine erlebt mit Russlands Angriffskrieg nicht nur die Zerstörung ihres baulichen Erbes und der darin überlieferten Kultur. Sie ist auch mit der Anfälligkeit und Abhängigkeit von einer großindustriellen Infrastruktur konfrontiert, die ihrerseits zerstörerische Folgen gezeigt hat. Beides macht ein Nachdenken darüber erforderlich, von welchen Ideen ein Wiederaufbau geleitet sein sollte, wo die Wiedergewinnung kultureller Zeugnisse möglich und dringlich ist und wo andererseits ein Abschied von einer Hinterlassenschaft, die auch für problematische Bau- und Lebensweisen steht, geboten sein könnte. Der interdisziplinär besetzte, internationale Workshop mit Fachleuten aus der Ukraine, aus Deutschland und weiteren europäischen Ländern bot ein Forum für den Austausch über drängende Probleme und Fragestellungen ebenso wie über zukunftsweisende Ansätze für den Wiederaufbau. Er zielte auf ein Hinhören und ein gegenseitiges Lernen, da ukrainische Erfahrungen – gerade auf Grund ihres extremen Charakters – auch Lehren für das restliche Europa bereithalten.
Der »Vermessung der Zerstörung« kommt eine zentrale Rolle für den Wiederaufbau zu. Dabei geht es nicht nur um eine quantitative und typologische Bestandsaufnahme zerstörter Bauten und Anlagen – von prominenten Kulturdenkmälern in Stadtzentren über Vorstädte, Gärten und Großsiedlungen bis zur technischen Infrastruktur. Es geht auch um die Frage, was diese Zerstörungen für kulturelle und soziale Folgen haben, welche gesellschaftlichen Entwicklungen sie auslösen, wie sich die betroffene Bevölkerung auf sie einstellt, mit ihnen zu leben versucht, und was dies für den künftigen Wiederaufbau bedeutet. Deutlich wurde, dass es dabei nicht primär um einen großformatigen Abriss und Neubau beschädigter Stadtviertel nach großen Idealplänen geht. Wichtiger erscheint die Reparatur, der punktuelle Aufbau unter Beteiligung der Bevölkerung mit möglichst starker Impulswirkung. Ukrainische Städte sind von jeher multikulturell, multiethnisch und von unterschiedlichen Kultur- und Zeitschichten geprägt. Diese Qualitäten gilt es zu bewahren und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig bietet der Wiederaufbau eine Chance für nachhaltige, ressourcenschonende Ansätze zur Stärkung der Resilienz von Städten und Siedlungen.
Begrüßungen
Thomas Dienberg, Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig
Prof. Dr. Julia Herzberg, Stellvertretende Direktorin des Leibniz-Instituts für Geschichte
und Kultur des östlichen Europa (GWZO)
Prof. Dr. Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
Dr. David Michel, Sächsische Staatskanzlei, Referat Internationale Beziehungen
Prof. Dr. Bohdan Tscherkes, Nationale Polytechnische Universität L‘viv
Programm
Einführungen
Prof. Dr. Arnold Bartetzky, GWZO, Leipzig
Prof. Thomas Will, Sächsische Akademie der Künste
Themenblock A: Erbe und Zerstörung. Schadensbilder, Erinnerungsbilder, Leitbilder
Moderation: Dr. Susanne Jaeger (GWZO, Leipzig)
Dr. Semen Shyrochyn (Kyiv)
Майбутнє української архітектурної спадщини радянської доби після Російсько-української війни (Die Zukunft des ukrainischen Bauerbes aus der Sowjetära nach dem Russisch-Ukrainischen Krieg)
Dr. Anastasiia Bozhenko (GWZO, Leipzig)
Радянська архітектурна спадщина Харкова: між руйнуванням та реконструкцією (Sowjetisches Bauerbe in Kharkiv – zwischen Zerstörung und Wiederaufbau)
Gesprächsrunde
Stadtentwicklung und Erinnerungspolitik. Welcher Umgang mit dem beschädigten Bestand ist sinnvoll?
Mit Prof. Dr. Jörg Haspel, Dr. Semen Shyrochyn, Dr. Mikhail Ilchenko, Wolfgang Kil, Dr. Svitlana Telukha, Dr. Nataliia Mysak, Dr. Anastasia Bozhenko u.a.
Themenblock B: Große Pläne, kleine Reparaturen, Fallbeispiele
Moderation: Iris Gleichmann (Gleichmann Büro für Stadtentwicklung, Dresden)
Oleksiy Markov, (Nastroy LCC, Zaporizhiya)
Особливості проектування відновлення будинків на півдні України під загрозою ракетних ударів (Besonderheiten des Wiederaufbaus von Gebäuden in der Südukraine bei drohendem Raketenbeschuss)
»Ziel des russischen Terrors ist, die Hoffnung der Ukrainer zu zerstören. Jedes wiederaufgebaute Gebäude ist ein wirksames Zeichen dagegen und hat große Bedeutung: Es gibt neuen Atem«.
Oleksiy Markov
Oksana Koltyk, Stadtverwaltung Kyiv, Leiterin der Abteilung für interne Finanzkontrolle und Revision
Über den Wiederherstellungsprozess von Wohngebäuden in Kyiv, die durch militärische Operationen infolge der bewaffneten Aggression der Russischen Föderation beschädigt worden sind
Gesprächsrunde
Praktiken von Reparatur, Wiederaufbau und Vorsorge
Mit Denis Chernyshenko, Dr. Liliana Iuga, Wilfried Jilge, Prof. Dr. Oleg Sleptsov, Mariana Kukhlevska, Dr. Lukasz Musiaka u.a.
Themenblock C: Das Erbe der (Petro-)Moderne und der Wiederaufbau
Moderation: Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup (Staatssekretär a.D., CEO BER a.D., Leipzig)
Prof. Dr. Andriy Pavliv (Nationale Polytechnische Universität L‘viv)
Відновлення промислових міст України у поствуглецевій реальності
(Wiederaufbau der ukrainischen Industriestädte in einer Post-Carbon-Realität)
Adrienne Goehler (Berlin): Hope Home • Надія. Prototyping Pervomaiske. Ein Pilotprojekt für ein radikal anderes Bauen in der Ukraine
Gesprächsrunde
Wie können Reparatur, Wiederaufbau und neuer Städtebau zu einer "postfossilen" Baukultur beitragen?
Mit Ekaterina Gladkova, Boris Harbaum, Prof. Dr. Jörg-Rainer Noennig, Anna Pashynska, Prof. Jörn Walter u.a.
Resümee und Ausblick
Dr. Anton Kolomeytsev und Prof. Dr. Bohdan Tscherkes
»Wir müssen die traumatischen Erfahrungen überwinden. Dabei gibt es nicht den Wiederaufbau, sondern zahlreiche Facetten, auf Zerstörungen und Angriffe zu reagieren.« Dr. Anton Kolomeytsev
Veranstalter des Workshops mit geladenen Teilnehmenden waren das Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Verbundprojekt Stadt. Kultur. Bauen. (GWZO, RWTH Aachen, KIT Karlsruhe), gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Kooperation mit der Sächsischen Akademie der Künste, Klasse Baukunst, der Stadt Leipzig, Dezernat Stadtentwicklung und Bau, Referat Internationale Zusammenarbeit, der Sächsischen Staatskanzlei, Referat Internationale Beziehungen, und der Nationalen Polytechnischen Universität L'viv.
Analysen und Statements
Jurko Prochasko: Die Ukraine ist Europas letzte Chance
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 2. März 2025
Jurko Prochasko
Joker der Apokalypse: Trump und Putin wollen die Welt unter sich aufteilen. Wie es ist, von seinen Partnern im Stich gelassen zu werden, wird die EU dann nachvollziehen können.
Lange, viel zu lange haben wir es jetzt mit diesem Putin zu tun. Aber es war wenigstens nur ein einziger Putin. Neuerdings haben wir es mit zweien zu tun. Zwei Klone oder Clowns, unheimliche, entsetzliche Joker der Apokalypse. Der eine düster und todernst, der andere vermeintlich temperamentvoll und irrlichternd. Ein weiterer wesentlicher Unterschied: Dem einen ist die Ukraine lebenswichtig, ja lebensentscheidend, dem anderen herzlich egal. Aber da enden auch schon die kleinen Unterschiede, denn beide sind sie Klone in etwas viel Wesentlicherem: Sie sind beide herzlose Essentialisten, Essentialisten der Macht, des Besitzes und der Dominanz. Und als das einzig zulässige, aber auch notwendige und ausreichende Mittel dazu begreifen sie die Großmacht, das Imperium.
Die beiden sind wirkliche Neoimperialisten herkömmlicher Prägung, sie halten wenig von Allianzen und daraus resultierenden Verpflichtungen, noch weniger von bindenden Regeln und Ordnungen, sie sind geneigt, die Welt ganz für sich in Anspruch zu nehmen und notfalls nur mit purer Gewalt zu ordnen, am besten im Alleingang. Und das ausgerechnet jetzt, wo die gewaltigen und vielfältigen Herausforderungen, mit denen die Menschen fertig werden müssen, eigentlich eine gefestigte, stabile Menschheit erfordern. Da aber selbst die Mächtigsten sich nicht die ganze Welt unterordnen können, wollen sie sie unter sich aufteilen, in Einfluss- oder besser Dominanzsphären. Das sind die einzigen Einschränkungen dieser Ordnung, aber selbst die nur vorübergehend. Europa gehört in ihren Augen nicht in diese Liga, in keiner Form, weder als Idee und Ideal noch als realpolitische Kraft in Gestalt der EU. Europa ist Gesindel.
Eines muss man ihnen lassen: Sie lügen nie. Und es wird immer deutlicher, was die aktuelle amerikanische Regierung mit der Welt, mit Amerika und mit Europa vorhat. Wie schon lange angekündigt, verabschiedet sie sich nun von dieser ihrem Verständnis nach längst überholten und lästigen, nichtsnutzigen und nur kostspieligen transatlantischen Allianz, samt der Vorstellung davon, was „Westen“ ist und dessen vermeintlich gemeinsamen Wertvorstellungen. Und begibt sich, nachdem diese Last nun abgeschüttelt ist, auf einen Alleingang im Stil und Geist einer darauf optimal konditionierten imperialen Großmacht, der einzig und allein nur andere Großmächte Einhalt gebieten können. Nur diese werden als ebenbürtig respektiert, alle anderen sind bloß übrig geblieben und haben sich erübrigt in dieser neuen Weltordnung der Imperien, unter denen man sich nun zu behaupten hat – entweder mithalten und gewinnen oder aber verlieren. Es geht also um alles.
Der Preis für die Ukraine wäre unermesslich, weil existenziell
Auf diesem Weg betrachten die Trump-Bolschewiki, diese neueste rechtsrevolutionäre und revanchistische Kraft der Gegenwart, ihren eigenen Staat samt dessen Institutionen als eine unverzeihlich lästige Bremse und Bürde, die es zu zerstören und zu beseitigen gilt, und die Demokratie als eine Weltanschauung und ein System, das nur hinderlich, ineffizient, wettbewerbshindernd und daher todesbringend ist in dieser apokalyptisch begriffenen Welt. Der Staat wird zu einer von allen Skrupeln und Rücksichten befreiten totalitären Sekte für eine kleine und auserwählte Elite, zu einer global agierenden autoritären Geschäftsgesellschaft, einer Art hochtechnologisierter Westindien-Kompanie. Wo Westen war, soll Westindien werden. Denn Ostindien ist einem anderen versprochen. Das ist in ihren Augen der Kern und das Wesen einer Souveränität, die allein diesen Namen verdient. Und die auserwählte Elite besteht aus denjenigen, die es vermögen, sich von der zerstörten und kaputten Erde auf den Mars zu retten.
Entsprechend versteht diese Macht auch Europa: als eine parasitäre Konstruktion, unfähig, sich selbst zu verteidigen, geschweige denn sich durchzusetzen. Die Agitation für rechtsradikale Parteien und Bewegungen in der EU hat nicht nur und nicht einmal primär zum Ziel, die ideologisch nahestehenden Kräfte zu stärken, nicht bloß, die liberale Demokratie in den europäischen Gesellschaften zu demontieren, sondern deren Antieuropäismus zu mobilisieren. Europa soll aus der heutigen amerikanischen Sicht nicht nur gespalten und geschwächt, sondern vor allem weniger europäisch werden. Die EU soll als Konstruktion verschwinden, und übrig bleiben sollten einzelne schwache gespaltene Länder mit einem sehr archaischen, identitären Verständnis des Europäisch-Seins. Genau das Gleiche macht auch Russland seit eh und je mit Europa. Da treffen sich die beiden wieder. Im Gegenzug soll nicht nur Putin gerettet und rehabilitiert werden, sondern das Motto der MAGA-Bewegung läuft in Wirklichkeit auf MRGA hinaus – Make Russia Great Again.
Verraten wird dabei die Ukraine. Die Bereitschaft, sie einer neuen Aufteilung von Einfluss- und Verantwortungsbereichen preiszugeben, ist nicht neu. Länder wie die Ukraine haben keine ernst zu nehmende Eigenständigkeit, weil sie nicht genügend Gewicht und Einfluss haben. Daher werden sie zu einer bloßen Verfügungsmasse unter denjenigen, die wirklich zählen, nicht nur weil sie zahlen, sondern weil die anderen mit ihnen rechnen müssen. Die Ukraine hat mit den USA gerechnet, jetzt muss sie damit rechnen, dass diese sie einem Tauschgeschäft mit Russland preisgeben. Der Preis für die Ukraine wäre unermesslich, weil existenziell. Den USA aber würde dieser Verrat in Wirklichkeit nicht mehr als eine Lädierung ihres Ansehens einbringen. Das wird die USA nicht weiter stören, und die Aufgabe der Ukraine werden sie als ein geheiligtes Opfer für höhere Zwecke und Aufgaben hinnehmen, die die Position der USA nicht sonderlich beschädigen würden. Moralische Bedenken zählen in dieser Welt sowieso nichts mehr. Alles hat halt seinen Preis.
Wirklich neu – wenn auch nicht ganz unerwartet – ist die endgültige Preisgabe Europas durch Amerika.
Jetzt sind wir restlos aufeinander angewiesen
Für Europa wird die amerikanische Preisgabe der Ukraine einen völlig anderen Preis haben. Die unfreiwillige Wahl, vor die Europa nun willkürlich gestellt oder besser gestürzt wurde, ist nicht sonderlich großzügig: Entweder stützt Europa jetzt die Ukraine oder es fällt mit ihr. Entweder bleibt Europa frei oder es wird ein russisches Hegemonialgebiet. Entweder bleibt Europa eigenständig oder es wird dem Kreml gefügig. Entweder bleibt Europa EU oder es zerfällt in eine Anzahl von sehr wenig zählenden, womöglich oder höchstwahrscheinlich heillos miteinander zerstrittenen oder gar verfeindeten, auch innerlich gespaltenen Protektoraten – auf jeden Fall aber und mit Sicherheit fremdbeherrscht und verachtet. Diese Fremdverachtung wird unweigerlich in eine Selbstverachtung umschlagen, mit Kollaboration und Opportunismus vermengt. Entweder bleibt Europa noch der Westen, oder alles Westliche wird aus Europa restlos verschwinden, außer dem geographischen Namen für einen Teil davon vielleicht. Entweder bleibt Europa ein demokratischer Bund von verbündeten Demokratien – oder es werden neue und fremdbestimmte „Volksdemokratien“ an seine Stelle treten, bestenfalls.
Dieser Zustand, verraten, verlassen, gedemütigt und ausgeliefert zu sein, ist genau der Zustand, in dem die Ukraine schon seit vielen Jahren lebt. Vielleicht kann Europa sich wenigstens jetzt ein wenig mehr in deren Befindlichkeit hineinversetzen.
Jetzt sind wir restlos aufeinander angewiesen, Europa und die Ukraine, die europäische Ukraine und das restliche Europa. Denn sonst ist keiner mehr da. Die Ukraine wird dadurch nicht vom Krieg befreit und noch weniger gefeit. Der einzige Unterschied zu früher ist für Europa, dass es jetzt die Verantwortung für diese Bürde auf sich nehmen muss; es hat nicht mehr die Wahl, es zu tun oder nicht zu tun. Die Dinge sind sehr eindeutig geworden.
Ja, Europa kann auch dieses Mal versuchen, sich fernzuhalten und so zu tun, als würde sich die Sache irgendwie wieder von selbst glimpflich erledigen. Es geht nicht darum, ob Europa bereit wäre, die Ukraine als ein heiliges Opfer dem russischen Hegemon darzubringen. Das wäre es allemal. Der Unterschied zu früher besteht nicht in der moralischen Wende, sondern in einer realistischen und pragmatischen Einsicht. Es geht einfach nicht mehr. Denn dieses Opfer würde nichts Gutes bringen, keine Beruhigung und keine Rettung auf Kosten der Ukraine.
Europa ist zwar verlassen und ausgeliefert, aber nicht allein
Europa hat in den letzten zehn Jahren oft von Amerika hören müssen: Wir wollen nicht mehr mit euch sein. Das wurde überhört. Das rächt sich jetzt. Europa hört seit Langem von der Ukraine: Wir wollen mit euch sein. Es hat das lange überhört, jetzt rächt sich das. Was als eine vermeintliche Gefahr erschien, zeigt sich heute als die einzige – und vielleicht auch die letzte Überlebenschance.
Die Ukraine ist das verdrängte Unbewusste Europas. Jetzt kehrt das Verdrängte wieder. Aber nur mit dem Unbewussten ist man vollständig. Europa ist nicht allein, denn es hat die Ukraine.
Jetzt ist die Ukraine das Auge im gegenwärtigen geopolitischen Sturm. Aber es ist gut möglich, dass die Ukraine auch genau die Lösung ist. Denn die Ukraine ist gerade jetzt am meisten der Westen. Die Kondition des Westens lebt und kämpft jetzt in der Ukraine. Es ist das Land Europas, in dem es genügend Kraft gibt, den Westen, die Ganzheit Europas, Freiheit und freiheitliche Demokratie nicht nur zu leben, sondern auch zu verteidigen.
Europa ist zwar verlassen und ausgeliefert, aber nicht allein. Denn Europa hat jetzt die Ukraine. Wenn Europa die Ukraine jetzt unterstützt, stützt es sich selbst. Dann stützt die Ukraine Europa in Wechselwirkung vielfach. Und zwar nicht nur aus Not, sondern aus schierer Überzeugung. Denn die Ukraine hat auch sonst niemanden mehr. Unser Land kann schon rein existenziell entweder europäisch, westlich, demokratisch und freiheitsliebend sein – oder es hat keinen Sinn und daher auch keine Existenzgrundlage, wohl auch keine Existenzberechtigung.
Wir können nicht ohne Europa sein, denn wir sind selbst Europa, reinstes Europa, vielleicht gerade am meisten Europa unter den anderen europäischen Ländern. Wir sind aber auch ein Europa in Not, nicht aus Not. Dass die Ukraine für den Rest Europas aber nicht nur eine Gefahr, nicht nur eine Last und ein Trauma und ihr verdrängtes Unbewusstes ist, sondern auch eine Chance (vielleicht eine der letzten), eine Stütze und eine Stärkung, Orientierung und Inspiration: Das ist nun auch mehr als offensichtlich.
Denn die Ukraine lebt tatsächlich die konstitutiven europäischen Kardinaltugenden: Freiheit, die sie auch zu verteidigen weiß und verteidigt; die Bereitschaft, für die Demokratie zu kämpfen; die rege Zivilgesellschaft, die die ukrainischen Revolutionen hervorgebracht haben. Der zweite Maidan verband in seinem Namen nicht von ungefähr zwei wichtige Begriffe: Europa und Würde. Die Ukrainer beweisen mit ihren Leben, dass sie es sehr wohl verstehen, diese beiden Begriffe zu verbinden.
Jurko Prochasko: Das ist unser gemeinsamer Krieg
"Das ist unser gemeinsamer Krieg, ob Deutschland will oder nicht" lautet der Titel des Artikels von Jurko Prochasko, erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Beginn dieses Jahres. Darin heißt es: [...] Deutschland muss nicht nur die gesamte Merkel-Ära überdenken, sondern seine komplette Post-Wiedervereinigungsvergangenheit revidieren und neu deuten angesichts dessen, was in der Ukraine passiert, aber vor allem angesichts der Haltung der Ukraine. [...] Das nennt man Zeitenwende." FAZ.net, 01.01.2023
Jurko Prochasko: Welche Bedeutung hat die Kunst in diesen Tagen?
"Ich kenne keinen Künstler in der Ukraine, der von diesem Krieg unverändert geblieben wäre [...] Kultur vermag meistens nicht, Krieg und Gewalt vorzubeugen, zu vermeiden oder zu umgehen. Doch was sie manchmal kann, das Ungeheure wieder in die symbolische Ordnung, wie in die Engelsordnungen einzuführen. Obwohl: Jeder Engel ist schrecklich.", schreibt der ukrainische Schriftsteller und Psychoanalytiker Jurko Prochasko. Sein Text ist Teil des von ihm mit der Fotografin Elena Subach kuratierten Ukraine-Feuilletons, erschienen in der ZEIT, Ausgabe 35/2022, 25.08.2022
Jurko Prochasko: Wenn wir fallen, seid ihr dran
[...] Doch muss Europa sich tatsächlich spätestens jetzt ernsthaft Gedanken darüber machen, welche Kraft es besitzt, um den Frieden zu sichern. Denn das Projekt Europa war von Anfang an derart beschaffen, dass es zwar den inneren Frieden der Europäischen Union wahrte, es aber tunlichst vermied, den Fall durchzuspielen, dass es von außen bedroht oder gar angegriffen wird. Das sollte sich ändern. [...] Und solange Deutschland und die EU nicht selbst auf dem Schlachtfeld kämpfen müssen, solange es also die Ukrainerinnen und Ukrainer für sie erledigen, sollten erstere keinen Tag verstreichen lassen, um viel mehr für den Sieg der Ukraine zu tun. Denn wenn wir fallen, seid ihr dran. [...], schreibt Jurko Prochasko in: Zeit online (inkl. Z+) vom 08.07.2022
Durs Grünbein: Nichts berechtigt uns zur Hoffnung
Den Überfall auf die Ukraine und die Neuaufstellung Russlands durch das System Putin analysiert Durs Grünbein: [...] Zu Beginn seiner zweiten Amtsperiode hatte Putin, zum Entsetzen aller liberalen Kräfte, die alte Sowjethymne wieder eingeführt, damit war der Sound des Stalinismus für alle hörbar zurück. Fehlte nur noch der Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche. Weil auch dies der Festigung ihrer Macht diente, wurden die Staatssicherheitsleute auf ihre alten Tage fromm [...] Deutlich von Stalin inspiriert ist Putins Entschlossenheit, sich keiner Legalität oder Moral mehr zu beugen. [...] Damit ist die russische Frage zum Problem der Weltgemeinschaft geworden, so wie damals die deutsche Frage mit Hitlers Angriffskrieg zur Neuordnung Europas. [...]" https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/putins-krieg-gastbeitrag-von-durs-gruenbein-e641071/?reduced=true
Jurko Prochasko: Es ist auch Euer Krieg!
"Seht uns bitte nicht nur als Entrechtete, sondern auch als Teil unserer gemeinsamen europäischen Kultur, als Menschen, die diese auch leben wollen und können. [...] Es ist auch Euer Krieg!", sagt Jurko Prochasko, 13.3.2022, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, im Gespräch mit den Schriftstellerinnnen Tanja Maljartschuk und Katja Petrowskaja.
14.3.2022: Nicht nur das Leben von Menschen ist bedroht, der Krieg zerstört ebenso Orte der Kultur. Die Stadt Lemberg blickt auf eine lange Geschichte zurück und war bis ins 20. Jahrhundert hinein vom Zusammenleben verschiedener Kulturen geprägt, Polen, Armenier, Juden, Deutsche, Ukrainer hinterließen ihre Spuren. "Wenn das kulturelle Erbe jetzt zerstört werden würde, wäre das eine schreckliche Zäsur in der Geschichte des Landes," erklärt Jurko Prochasko im Interview vom 14.3.2022, 3Sat Kulturzeit (ab Min 10:47)
13.3.2022: "Auf unserer Seite begreifen wir diesen Krieg mittlerweile als eine Fortsetzung eines langen historischen Prozesses. Und wir sehen jetzt, wie wichtig es für uns war, die Zivilgesellschaft zu üben durch unsere zwei Maidans, also durch die Orangene Revolution und die Revoluion der Würde. Das waren die Etappen der [...] Etablierung dieser zivilen Gesellschaft, die wir nun haben und die den größten Widerstand leistet, ohne den die Streitkräfte völlig verloren wären. Sie können deshalb so gut kämpfen, weil sie uns im Hintergrund wissen. Die russische Gesellschaft hat Vergleichbares einfach versäumt."
Jetzt bekommt die Ukraine sehr viel Aufmerksamkeit, warum nicht schon 2014?
"[...] Es gibt ein gewisses Bequemlichkeitsdenken, die Vorstellung, die Ukraine ist weit weg, geht uns also nichts an und ist ohnehin nur ein mickriger Zwerg zwischen uns und Russland, den zwei richtig relevanten Größen in Europa. Das hat zu der Bereitschaft geführt, den russischen Ansprüchen rational recht zu geben. [...] Der Kern der deutschen Reaktion bestand damals nicht darin, dass die politische Ordnung in Recht und Gesetz gebrochen wurde, sondern in der Frage, wer das Anrecht auf große historische Ansprüche hat und wer nicht. [...]"
(Jurko Prochasko im Gespräch mit den Schriftstellerinnen Tanja Maljartschuk und Katja Petrowskaja vom 13.3.2022, "Es ist auch Euer Krieg!", Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
6.3.2022, Zuschaltung von Jurko Prochasko auf der Friedensdemonstration in Berlin. Sein Beitrag unter dem Titel "Unser täglich Gift" kann nachgehört werden, ab Min 33:40 unter https://www.youtube.com/watch?v=vI9wT4AxwQs und ist am 8.3.2022 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.
27.2.2022, Der Standard: Aggressor Putin: Intellektuelles Entsetzen über einen "Kriegsverbrecher"
26.2.2022, Deutschlandfunk: Eine Analyse aus Lemberg - Putin ist von Neid und Wut getrieben
25.2.2022, Hessischer Rundfunk: "Die Ukraine ist kein Anti-Russland, sondern wir wollen eigenständig sein!"
Das Interview zum Nachlesen
24.2.2022
Wie sein Bruder, der Schriftsteller Taras Prochasko, habe er die Einberufung als Reservist erhalten, so Jurko Prochasko in einem Telefonat vom 24. Februar. Sein Sohn, gerade 18 Jahre geworden, sei regulär einberufen. Sie befinden sich noch in Lemberg, weil Lemberg zu einer nachgeordneten Verteidigungslinie gehört. Jurko Prochasko, geboren 1970 in Iwano-Frankiwsk, lebt als Essayist, Übersetzer und Literaturwissenschaftler in Lemberg.
Christoph Brumme: Jetzt wollen die Westler auch noch gelobt werden für ihre Solidarität mit der Ukraine?
Der Schriftsteller Christoph Brumme, geboren 1962 in Wernigerode, lebt seit 2016 mit seiner ukrainischen Familie in der ostukrainischen Stadt Poltawa. Über die Situation schreibt er regelmäßig in seinem Blog und in der Neuen Zürcher Zeitung.
2.3.2022
Ruhige Nacht, wir wurden nicht mit Raketen beschossen. Schnee ist gefallen. Ich habe ein Interview für den Südwestrundfunk gegeben. Vielleicht am Schluss zu emotional. Und jetzt, so verstand ich die Frage des SWR, wollen die Westler auch noch gelobt werden für ihre Solidarität mit der Ukraine? Jetzt, da sie endlich begreifen, dass sie auch selbst bedroht werden von russischen Atomraketen? Jetzt wollen sie Beifall, weil sie so mutig demonstrierten? The rest is silence.
Puh, schon 36 Stunden kein Sirenenalarm!
Falls der Westen nicht kuscht, werde Russland eine »militärisch-technische Antwort« geben, erklärte Putin kurz vor der »Militäroperation im begrenzten Umfang«. Im Internet heißt LewTolstois berühmter Roman inzwischen »Militäroperation und Frieden«.
Auszüge aus seinem Kriegstagebuch vom 25. Januar bis 6. März 2022 sind unter diesem Link nachzulesen.
Bohdan Tscherkes: Inzwischen geht es nicht mehr um Architektur, sondern um die Rettung des Landes.
Mit Bohdan Tscherkes, Architekt und Hochschullehrer an der Nationaluniversität Politechnika L’viv und Korrespondierendem Mitglied der Akademie, plante die Akademie Ende Mai 2022 eine internationale Architekturtagung zur Rettung der Zwischenkriegsmoderne in Lemberg. Inzwischen gehe es nicht mehr um Architektur, sondern um die Rettung des Landes. Für Lemberg seien bisher 40.000 Einberufungsbefehle ergangen, wie lange die Universität geöffnet bleiben wird, ist ungewiss, so Tscherkes am Tag des russischen Angriffs, von dem auch die Außenbezirke der Stadt betroffen waren. Ob und wann wieder eine Tagung in Lemberg stattfinden kann, steht in den Sternen.
Offene Briefe, Initiativen
Soll die Ukraine verschwinden?
Intellektuelle um den Publizisten Ralf Fücks plädieren in einem Offenen Brief an den Bundeskanzler Olaf Scholz, die Ukraine auch mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Die Unterzeichner, zu denen u.a. die Schriftsteller Maxim Biller, Herta Müller uns der Osteuropaexperte Karl Schlögel gehören, wenden sich damit gegen den Offenen Brief der 28, der im von Alice Schwarzer herausgegebenen Journal Emma veröffentlicht wurde und der vor weiteren Waffenlieferungen warnt.
Weitere kritische Reaktionen auf den Offenen Brief der 28 sind u.a. im Tagesspiegel, in der Berliner Zeitung und im Spiegel erschienen.

An der Seite der Kunst: Kulturstiftung initiiert Kulturfonds Sachsen-Ukraine
24. März 2022: Kulturstiftung unterstützt Kunst- und Kulturträger in Sachsen, die sich für vom Krieg betroffene Kunst- und Kulturschaffende engagieren. Einen Monat nach Russlands völkerrechtswidrigem Angriff auf die Ukraine richtet die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen einen „Kulturfonds Sachsen-Ukraine“ ein. Das Sonderprogramm soll sächsische Kunst- und Kulturträger unterstützen, die sich für vom Krieg betroffene Kunst- und Kulturschaffende aus der Ukraine einsetzen. Förderfähig sind Kunst- und Kulturprojekte, die der Unterstützung und Förderung von kriegsbetroffenen Künstlerinnen, Künstlern und Kulturschaffenden sowie der Umsetzung von konkreten künstlerischen Projekten und Veranstaltungen mit Bezug zum Thema dienen.
Anträge auf Förderung formlos per E-Mail bei der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen eingereicht werden.
sachsen-ukraine@kdfs.de Weitere Informationen zum „Kulturfonds Sachsen-Ukraine“ gibt es hier.

Offener Brief: "Schluss mit unserem Geld für Putins Krieg!"
Ein breites gesellschaftliches Bündnis aus Kulturschaffenden, Wissenschaftlern und Akteuren der Zivilgesellschaft fordert Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner zum Importstopp für Öl, Gas und Kohle aus Russland auf. Unterzeichnet haben u.a. Saša Stanišić, Navid Kermani, Ulrike Draesner, Julia Franck, Jan Wagner, Karl Schlögel, Marina Weisband, Caroline Emcke, Pianist Igor Levit, Schauspielerin Katja Riemann, Ex-DDR-Bürgerrechtler und EU-Abgeordneter Werner Schulz. (zitiert nach Campact, 9.3.2022) Offener Brief

Offener Brief aus der Ukraine: Liebe Deutsche, schämen Sie sich nicht?
In einem offenen Brief fordern ukrainische Intellektuelle Deutschland auf, sich dem Energieembargo gegen Russland unverzüglich anzuschließen
„Wenn Sie nicht aufhören, den Angreifer zu finanzieren, haben Sie nicht mehr das Recht zu sagen: ,Nie wieder!‘ [...] Sie finanzieren die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Ukraine, einem Land, das heute auch die Demokratie und Sicherheit Deutschlands mit dem Leben ihrer Söhne und Töchter verteidigt. Wir fordern, dass sich die Bundesregierung dem Energieembargo gegen das Putin-Regime anschließt. Die Deviseneinnahmen aus Energieexporten unterstützen die russische Aggression gegen die Ukraine und Europa. [...]"
Der offene Brief wurde von führenden ukrainischen Intellektuellen unterzeichnet, u.a. von Andrej Kurkow, Präsident von PEN Ukraine; Jurko Prochasko, Übersetzer und Autor; Juri Andruchowytsch, Schriftsteller; Juri Durkot, Übersetzer und Dolmetscher und Katja Petrowskaja, Autorin, (zitiert aus Die Welt, 9.3.2022)

Europäische Allianz der Akademien verurteilt den Krieg gegen die Ukraine
Die Europäische Allianz der Akademien hat sich in einer Erklärung zum Ukraine-Krieg für die Aufrechterhaltung des Dialogs ausgesprochen und eine Reihe von Maßnahmen angeregt. Sie setzt auf die Möglichkeiten des kritischen Dialogs. Außerdem weitet sie ihren Aktionsradius erstmals über die Grenzen der EU aus. So werden ausdrücklich Künstler und Akademien in der Ukraine eingeladen, der Allianz beizutreten. Das Gleiche gilt für oppositionelle Künstler und Einrichtungen aus Russland und Belarus. Statement vom 7.3.2022 / englische Fassung

Aufruf: #SkipPutin. Sprechen Sie mit den Russen. Schriftstellerinnen und Schriftsteller für den Dialog
In einem Aufruf wenden sich zahlreiche renommierte Schriftstellerinnen und Schriftsteller, darunter Vladimir Sorokin und Svetlana Alexievich, an die Öffentlichkeit, den russischen Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit über die russische Aggression gegen die Ukraine zu offenbaren. Zum Aufruf
Internationale Unterstützerinnen und Unterstützer dieses Aufrufs (hier in englischer Sprache) sind u. a. J. M. Coetzee, Mathias Énard, Nuruddin Farah, Christoph Hein, Elfriede Jelinek, Pankaj Mishra, Herta Müller und Ilija Trojanow. (zitiert aus Der Standard, 5.3.2022)

Akademie der Künste Berlin: Our space to help
Die Akademie der Künste Berlin bündelt Informationen zur Unterstützung von Künstlern, Kulturschaffenden und Journalisten in der Ukraine vor Ort und auf der Flucht unter our space to help. Die Listen auf der Website der Akademie der Künste werden stetig erweitert und ergänzt. Neben dem Aufruf für Geld- und Sachspenden (darunter v.a. Notfall- und Schutzausrüstungen für Filmemacher und Journalisten) gilt es, u.a. auch kulturelles Erbe aus ukrainischen Bibliotheken, Museen und Archiven digital zu schützen.

Statement der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften
Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften verurteilt den menschenverachtenden, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die Verletzung der Souveränität und Integrität des Landes und damit die Zerstörung der Friedensordnung in Europa. Die Erklärung im Wortlaut
https://www.akademienunion.de/presse/nachricht/akademienunion-erlaert-ihre-solidaritaet-mit-der-ukraine, 4. März 2022

Initiative #artistsinshelter
#artistsinshelter, eine Initiative deutschsprachiger Kulturschaffender, will einen finanziellen Schutzschirm für Literaturschaffende aus der Ukraine organisieren. Es solle Geld gesammelt werden, das die ausbleibenden Honorare für Projekte abfedern und die Zukunft künstlerischer Tätigkeiten garantieren soll. "Wir rufen explizit in Deutschland tätige Institutionen, Verlagshäuser, Theater und Kulturschaffende auf, sich zu beteiligen, die kulturellen Ressourcen der Ukraine zu schützen und sich gegen den Krieg und seine Folgen zu stellen", heißt es. #artistsinshelter ist eine Initiative deutschsprachiger Kulturschaffender, eine Kooperation der Münchener Kammerspiele, der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und wird unterstützt von Claudia Roth, der Staatsministerin für Kultur und Medien. Die Verteilung der Gelder organisieren der PEN Ukraine und das Ukrainian Book Institute in Zusammenarbeit mit dem Verein translit e.V. Als Mitglied des Vereins translit e.V. und als vielfach ausgezeichnete Übersetzerin aus dem Ukrainischen ist Claudia Dathe mit der Koordination beauftragt. Spenden sind an den Verein translit e.V. (Kontodaten) zu richten.
(zitiert aus Das Börsenblatt, 4.3.2022)
Förderung von deutsch-tschechischen Hilfsprojekten
Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds unterstützt deutsch-tschechische Initiativen, die der Hilfe für die Ukraine und ihre Bürger gewidmet sind - denen, die unmittelbar bedroht sind genauso wie denjenigen, die von einem Tag auf den anderen zu Flüchtlingen wurden.
Daher können ab sofort Projekte beantragt werden, die Folgendes zum Hauptinhalt haben:
1. Die Umsetzung von deutsch-tschechischen humanitären Aktivitäten, die ukrainische Bürger unterstützen und ihr Leid lindern.
2. Die Umsetzung deutsch-tschechischer Benefiz-Veranstaltungen mit dem Ziel, finanzielle und materielle Mittel für humanitäre Hilfe an die Ukraine zusammen zu bringen.
3. Die Umsetzung von deutsch-tschechischen Aktivitäten, die ukrainischen Flüchtlingen in ihrer schwierigen Situation helfen.
Alle wichtigen Hinweise zu diesen Fördermöglichkeiten finden Sie auf der Website des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. https://fb.cz/de/aktuell/aktuell/wir-haben-unsere-forderprogramme-so-modifiziert-dass-wir-gemeinsam-der-ukraine-und-ihren-burgern-helfen-konnen

Offener Brief von Schriftstellerinnen und Schriftstellern
Mehr als tausend Autorinnen und Autoren fordern ein Ende von Wladimir Putins "sinnlosem Krieg"
In einem offenen Brief haben weltweit mehr als tausend Schriftstellerinnen und Schriftsteller Russlands Krieg in der Ukraine verurteilt. Die Unterzeichnenden, darunter Literaturnobelpreisträger wie Swetlana Alexijewitsch, Orhan Pamuk und Olga Tokarczuk, solidarisierten sich in der Erklärung des Autorenverbands PEN International mit ihren Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine und forderten »dringend ein Ende des Blutvergießens«, wie das PEN-Zentrum Deutschland mitteilte. (zitiert aus Der Spiegel, 28.2.2022)
Offener Brief
Spendenaufruf des PEN Zentrum Deutschland

Russische Künstler, Autoren, Filmemacher und Medienschaffende gegen den Krieg in der Ukraine
"Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in einem Aggressor-Staat leben", heißt es in dem unter anderem von der Schauspielerin Tschulpan Chamatowa und dem Schriftsteller Dmitri Bykow unterzeichneten Schreiben. Russland habe einen unabhängigen benachbarten Staat überfallen. "Wir rufen alle Bürger Russlands auf, Nein zu sagen zu diesem Krieg." Sie glaubten den Behauptungen von Kreml-Chef Wladimir Putin nicht, dass an der Spitze des ukrainischen Volkes Nazis stünden, von dem die Menschen befreit werden müssten.
"Wir fordern ein Ende dieses Kriegs." Die unabhängige Ukraine stelle für Russland oder einen anderen Staat keine Gefahr dar. Die auch in Deutschland viel gelesene Autorin Ljudmila Ulitzkaja schrieb: "Das ist ein politisches Verbrechen, das später in Geschichtsbüchern auch so beschrieben sein wird." Dass der Krieg nach jahrzehntelangem Frieden anfange, sei eine Katastrophe für die ganze Menschheit.
"So traurig das auch sein mag – für die Kultur sind derart gespannte Zeiten immer sehr fruchtbar, sie lebt immer auf, wenn Not kommt. Die Kultur gibt mit der Zeit womöglich eine Antwort", schrieb Ulitzkaja. "Es wäre besser, eine schlappe Kultur und ein einigermaßen ruhiges Leben zu haben, ohne Krieg. Leider werden unsere Machthaber uns den Luxus nicht bieten." (zitiert aus Der Standard, 25.2.2022)

Russische Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten gegen den Krieg in der Ukraine
Russische Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten, darunter zahlreiche Mitglieder der Russischen Akademie der Wissenschaften protestieren in einem Offenen Brief nachdrücklich gegen den Krieg mit der Ukraine. Der offene Brief mit der Liste der Unterzeichner wurde am 24.2.2022 auf der Seite der vom Astrophysiker Boris Stern herausgegeben Zeitschrift trv-science.ru veröffentlicht: https://trv-science.ru/2022/02/we-are-against-war
Offener Brief
Mehr dazu

Künstler – und der Krieg gegen die Ukraine. Statement der Sächsischen Akademie der Künste
In der Ukraine herrscht ein Krieg, der für den gesamten europäischen Kontinent zur existentiellen Bedrohung wird.
Die Sanktionen gegen Russlands Krieg sind notwendig in der Hoffnung, den Aggressor zum Einlenken zu bewegen und dem Krieg ein schnelles Ende zu bereiten. Zwingend ist dabei die Distanzierung von staatlichen Kulturinstitutionen und Staatskünstlern, die sich auf die Seite des russischen Präsidenten stellen und den Krieg gegen die Ukraine mittragen. Umso dringlicher erscheint es uns jedoch, mit jenen Kräften in Verbindung zu bleiben, die für das andere Russland, das Russland Puschkins, Dostojewskis, und Tschechows, das Russland Daniil Charmsʼ und Casimir Malewitschs, das Russland der Avantgarde in Literatur, Bildender Kunst, Architektur, Theater, Tanz und Musik stehen. Wir dürfen die Verbindung nicht abreißen lassen!
Die Mitglieder der Sächsischen Akademie der Künste treten in voller Überzeugung für die Freiheit der Kunst ein, für den Dialog der Völker und für den Erhalt von Zivilität und Kultur. Wir unterstützen all jene Kräfte, Persönlichkeiten und Initiativen, die sich dem Krieg entgegenstemmen. So wie während des Zweiten Weltkriegs deutsche Musik in Ländern erklungen ist, denen Deutschland den Krieg erklärt hatte, befürworten wir, in dieser Zeit des Krieges zu unterscheiden zwischen denen, die sich in Russland dem Krieg entgegenstellen und jenen, die den Krieg für gutheißen. Wir stehen damit hinter dem offenen Protest von Tausenden Wissenschaftlern, Kulturschaffenden, Künstlern und Journalisten gegen den Überfall auf die Ukraine.
Genauso wie die Geschichte der Vereinigten Staaten mit den Freiheitsrechten beginnt, die in Washington die freie Welt vertritt, aber in Little Rock oder Alabama von Rassenhass und Diskriminierung geprägt wurde, so wie die französische Geschichte nicht nur das weltoffene, demokratische Paris charakterisiert, sondern auch der Kolonialismus und gewaltsame Machterhalt in Algier, so wie deutsche Geschichte und europäische Integration nach 1945 in Berlin oder Bonn geschrieben und angestrebt wird, aber Buchenwald und Auschwitz niemals vergessen werden darf, so gibt es auch in Russland vielfältige Beispiele für eine „andere“, eine differenzierte Geschichte, in der Menschen nach Frieden und Freiheit streben.
Die Sächsische Akademie der Künste unterstützt die weltweiten Proteste gegen den Krieg gegen die Ukraine und den von Putins Russland initiierten Zivilisationsbruch. Sie arbeitet im Rahmen der Europäischen Allianz der Akademien mit an einem Hilfsprogramm für geflüchtete Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine und gibt die Hoffnung auf die Entwicklung eines friedlichen Europas nicht auf, das sich von der Iberischen Halbinsel bis zum Ural erstreckt.
Wolfgang Holler, Präsident der Sächsischen Akademie der Künste
Dresden, 18.3.2022