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Günther Uecker

Maler und Objektkünstler
Klasse Bildende Kunst

* 1930 in Wendorf/Mecklenburg · † 2025 in Düsseldorf · 1949 Lehre als Maler und Reklamegestalter · 1949–1953 Studium der Malerei an der Ingenieur-Akademie Wismar und an der Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee · nach dem 17. Juni 1953 Flucht aus der DDR · 1955–1958 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Otto Pankok · 1958 erstes Nagelobjekt · 1961 Gründer (mit Otto Piene und Heinz Mack) der Düsseldorfer Künstlergruppe ZERO · 1968 Serie von Lichtnägeln · 1974–1995 Professor für Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf · ab 1975 auch Bühnenbilder · 1992 Gründungsmitglied der Freien Akademie der Künste zu Leipzig · 2000 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste · 2008 Gründer (mit Heinz Mack und Otto Piene) der Stiftung Zero foundation · lebte in Düsseldorf und St. Gallen

Preise und Ehrungen (Auswahl)
1963 Beteiligung am Großen Preis der Biennale San Marino · 1964 Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen · 1965 Erster Preis der Biennale der Jungen, Paris · 1983 Kaiserring der Stadt Goslar · 1985 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse · 1995 Großer Preis der 21. Internationalen Grafik-Biennale Ljubljana · 1996 Chilenischer Kritikerpreis für beste ausländische Ausstellung des Jahres · 2000 Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste · 2006 Berliner Bär (BZ-Kulturpreis, mit Dietrich Fischer-Dieskau) · 2010 Jan-Wellem-Ring der Landeshauptstadt Düsseldorf · 2011 Künstlerpreis der Cologne Fine Art & Antiques und Ehrensenator der Universität Tübingen · 2015 Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen und Umbenennung der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommerns mit dem Zusatz »Günther Uecker«

Persönliche Ausstellungen (Auswahl)
1960 Galerie Schmela Düsseldorf · documenta III Kassel · 1965 Kestner-Gesellschaft Hannover · 1968 documenta IV Kassel · 1970 Biennale di Venezia · 1972 Kestner-Gesellschaft Hannover · 1977 documenta VI · Kassel 1988 · Zentrales Künstlerhaus am Krimwall Moskau · 1999 Galerie im Prediger Schwäbisch Gmünd · 2001 Diözisanmuseum Rottenburg am Neckar · 2005 im Martin-Gropius Bau und in der Neuen Nationalgalerie Berlin · 2007 Stadtmuseum Hattingen in Blankenstein · 2009 Galerie am Dom Frankfurt/M. · 2011 Schirn Kunsthalle Frankfurt/M. und Sonderausstellung zur KölnMesse · 2013/14 Museo Nacional de Bellas Artes Havanna · 2015 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K20 Düsseldorf  · 2016 W&K – Wienerroither & Kohlbacher, Palais Schönborn-Batthyány Wien · 2020 Kunsthalle Rostock · 2020/21 Vier-Kuppel-Pavillon/Muzeum Narodowe we Wrocławiu und Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (Doppelausstellung mit Magdalena Abakanowicz) · 2021 Staatliches Museum Schwerin und Kunsthalle Harry Graf Kessler

Publikationen (Auswahl)
Eigene Schriften und bibliophile Editionen
Weißstrukturen. Düsseldorf 1962 · Zehn Jahre kinetische Arbeiten. 1966 · Uecker-Zeitung 1968–1983 und 2015 · Die Gefährdung des Menschen durch den Menschen. Manifest 1983 · Schatten. Schein. In: Dokumente unserer Zeit. Band IV. (Mit Dorothea van der Koelen und Siegfried Salzmann) Mainz 1987 · Römersteine 1987. In: Dokumente unserer Zeit. Band X. (Mit Karl-Viktor Decker und Dorothea van der Koelen) Mainz 1989 · Wind. 82 Liebesbriefe an die Natur. (Mit Ralph Merten) Mainz 1995 · Leviathan. Köln 1998 · Regen Rain. (Herausgegeben von Ralph Merten) Kempen 1998 · Ein Steinmal in Buchenwald – 1. September 1939. Spröda 2000 · Graphein. Schreiben, Malen, Zeichen. Mainz 2002 · Handlungen. Geuer & Breckner, Düsseldorf 2010 · Poesie der Destruktion – Im Dialog mit Michael Kluth. 1988–2018. Halle/S. 2018

Kataloge (Auswahl)
Mack, Heinz; Piene, Otto; Uecker, Günther: O – Zero. Ausstellungskatalog zur Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft. Hannover 1965 · Honisch, Dieter/Museum Folkwang Essen (Hg.): lenk mack pfahler uecker. XXXV biennale di venezia padiglione tedesco. Essen und Stuttgart 1970 · Günther Uecker – Aschebilder und Grafiken. Ausstellung im Diözesanmuseum Rottenburg. Rottenburg 2001 · Günther Uecker. Zwanzig Kapitel. Neuer Berliner Kunstverein. Ostfildern-Ruit 2005 · Letter to China. works on paper. Düsseldorf 2006 · »Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen« – Uecker, Hafis, Goethe. Ein west-östlicher Dialog in Weimar. Düsseldorf 2021

Andere Autoren
Honisch, Dieter: Günther Uecker. Monographie. Stuttgart 1983 · Honisch, Dieter: Uecker. Werkverzeichnis. Stuttgart 1983/1989 · Jocks, Heinz-Norbert: Archäologie des Reisens. Ein anderer Blick auf Uecker. Köln 1997 · Gräfin von Pfeil, Bettina: Günther Uecker. Korrelationen. Mainz 2000 · Beuckers, Klaus G. (Hg.): Günther Uecker. Die Aktionen. Imhof Petersberg 2004 · Tolnay, Alexander (Hg.): Guenther Uecker. Aquarelle. Ostfieldern 2005 · Jocks, Heinz-Norbert: Das Ohr am Tatort. Heinz-Norbert Jocks im Gespräch mit Gotthard Graubner, Heinz Mack, Roman Opalka, Otto Piene und Günther Uecker. Ostfildern 2009 · Ortheil, Hanns-Josef: Günther Uecker. Wasser Venezia, Accqua luminosa. Aquarelle von Günther Uecker. Mainz 2005 · Dombrowe, Britta Julia: Redepflicht und Schweigefluss. Zur Gestalt, Bedeutung und Funktion von Günther Ueckers Bibliophilen Werken. Dissertation. Mainz 2006 · Koelen, Dorothea van der; Koelen, Martin van der (Hg.): Günther Uecker. Opus Liber. Verzeichnis der Bibliophilen Bücher und Werke 1960–2005. Mainz 2007 · Hollmann, Eckhard; Krieger, Jürgen (Hg.): Günther Uecker. Geschriebene Bilder. Berlin 2011 · Koelen, Dorothea van der (Hg.): Günther Uecker – Lebenslinien (Editionen 1986–2012). Mainz 2015

 

Gedenken
 

Nachruf von Wolfgang Holler

Der Objektkünstler, Bildhauer, Maler und Grafiker Günther Uecker war seit dem Jahre 2000 ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste. Seine Berufung ging nicht zuletzt auf einen Anstoß Werner Schmidts zurück, den ersten Präsidenten der Sächsischen Akademie der Künste und Mitglied der Klasse Bildende Kunst. Günther Uecker gehörte zu denjenigen westdeutschen Künstlern mit biographischen Wurzeln im Osten Deutschlands, die Werner Schmidt bereits während seiner langjährigen Museumstätigkeit geschätzt und gesammelt hatte. Allein im Bestand des Dresdner Kupferstich-Kabinetts befinden sich heute mehr als 160 druckgrafische Einzelblätter von Uecker, dazu über zwanzig Bücher, Mappenwerke und Portfolien, mit dutzenden weiterer Arbeiten von seiner Hand, so dass sein graphisches Schaffen hier repräsentativ vertreten ist. Die erste Erwerbung fällt bereits in das Jahr 1970. Besonders bedeutsam wurden die Schenkungen von 1985 und 1990 und die Stiftung Franz Larese und Jürg Janett aus dem Jahr 2006/2007.

Das im Entstehen begriffene Werkverzeichnis Ueckers wird rund 6000 bis 8000 Arbeiten umfassen. Es war längere Zeit am Dresdner Kupferstich-Kabinett angesiedelt und wird nun vom Uecker-Archiv in Düsseldorf zu Ende geführt.

Wie der gleichaltrige Gotthard Graubner, wie Gerhard Richter oder die jüngeren Georg Baselitz, A.R. Penck, Imi Knoebel oder Blinky Palermo gehörte Uecker zur Phalanx der aus der DDR geflüchteten, emigrierten oder ausgewiesenen Künstler, die der westdeutschen Nachkriegskunst Weltgeltung verschafften.  Entsprechend war Uecker an den wichtigsten Bestandsaufnahmen für zeitgenössische Kunst beteiligt; prominent an der legendären Ausstellung „Westkunst“, die der Ausstellungsmacher Kasper König zusammen mit dem Kunstkritiker László Glózer 1981 kuratierte. Zuvor schon nahm Uecker 1970 gemeinsam mit Heinz Mack und Georg Karl Pfahler als deutscher Vertreter an der Biennale von Venedig teil und war 1964, 1968 und 1977 eingeladen, sein Werk auf der documenta in Kassel zu zeigen.

Uecker lehrte von 1974 bis 1995 an der Düsseldorfer Kunstakademie und war der Kollege anderer berühmter Künstlerpersönlichkeiten wie Josef Beuys, Konrad Klapheck, Gerhard Richter, Norbert Kricke oder Hans Hollein.

Im Laufe seiner langen Karriere erhielt Günther Uecker eine Fülle von Ehrungen und Preisen. Er war Mitglied des Ordens Pour le Mérite, trug das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und den Verdienstorden des Landes Mecklenburg-Vorpommern; er war Ehrensenator der Universität Tübingen. Uecker wurde der Kaiserring der Stadt Goslar verliehen und der Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit 2015 trägt die Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern den Beinamen Günther Uecker.

Geboren wurde Günther Uecker 1930 im südlich von Stralsund gelegenen Wendorf. Er wuchs auf der mecklenburgischen Halbinsel Wustrow auf, wo sein Vater auf dem Versuchsflugplatz als Ingenieur beschäftigt war. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs siedelte die Familie nach Groß Schwansee um, da der Vater eine Neubauernstelle übernommen hatte. Uecker absolvierte nach der Schulzeit eine Lehre als Anstreicher und Schreiner in Grevesmühlen, südöstlich von Wismar. Im Anschluss studierte er Malerei in Wismar. 1951 hatte er im Rahmen der Weltjugendfestspiele in Ost-Berlin erstmals Gelegenheit, herausragende Werke der abstrakten Kunst im Original kennen zu lernen. 1953 wechselte Uecker zum Studium an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee, verließ aber noch im selben Jahr nach dem Aufstand des 17. Juni die DDR und siedelte sich in West-Berlin an. Zugleich holte er seine Schwester Rotraut in den Westen, die sich als Künstlerin ebenfalls einen Namen machen sollte. Sie heiratete 1962 den französischen Künstlerfreund Ueckers, Yves Klein.

In Berlin konzentrierte sich Uecker auf Studien zur Religion und Philosophie, zog aber 1955 nach Düsseldorf, um bei Otto Pankok sein Kunststudium fortzusetzen. Bereits 1956/1957 entstanden die ersten „Nagelbilder“, weiß bemalte, dreidimensionale Reliefs aus Zimmermannsnägeln, die durch ihre Ausrichtung und die Wirkungen von Licht und Schatten bewegt erscheinen.

Erste internationale Bekanntheit erlangte Uecker als Mitglied der internationalen ZERO-​Bewegung, zu der er 1961 gestoßen war. Die Künstlergruppe ZERO war 1958 von Heinz Mack und Otto Piene in Düsseldorf gegründet worden war und existierte bis 1966. Neben der Kerngruppe um Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker entstand ein weiter Kreis von internationalen Künstlern aus Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien, Japan, Südamerika und der Schweiz. ZERO strebte ästhetisch und ideologisch einen radikalen künstlerischen Neustart an, wollte bei null anfangen und mit einer optimistischen und idealistischen Grundhaltung eine neue ästhetische Sensibilisierung ermöglichen. Stilistisch knüpfte man bei den monochromen Bildern von Yves Klein an, den reduktiven Kompositionen von Piero Manzoni und Lucio Fontana und verfolgte ebenfalls eine auf das Wesentliche reduzierte Haltung.  Die Verbindung von Klang, Licht und Bewegung mit räumlicher und farblicher Gestaltung gehörte zu den Kernvorstellungen der Gruppe. ZERO sprengte den Gattungsbegriff von Malerei, Zeichnung oder Grafik und auch Uecker experimentierte mit installativen Arbeiten, Performances und Happenings.

1963 gab die Gruppe das Manifest „ZERO der neue Idealismus“ heraus, das Anleihen bei dadaistischen und futuristischen Positionen machte. Mit Ausstellungen in New York und Washington, Amsterdam oder Stockholm unterstrich die Gruppe ihren internationalen Anspruch.

Uecker trat seitdem mit seinen charakteristischen Nagelreliefs, kinetischen Experimenten sowie Licht- und Raumarbeiten hervor. Ab 1962 versah Uecker auch Alltagsgegenstände wie Möbel mit Nagelreliefs; später kamen Papierarbeiten und Drucke hinzu, die er immer weiter perfektionierte. Die Verbindung von Materialität, Plastizität, Struktur, Serialität, Licht und Bewegung gewinnt dabei häufig eine kontemplativ-spirituelle Wirkung. Seine Nagelfelder waren für ihn immer auch tagebuchähnliche Seelenlandschaften, die er „Empfindungswerte aus der Zeit“ nannte.

Daneben war Günther Uecker stets ein politisch-wacher Künstler, der seine Werke auch zeitkritisch verstand. Mit seinen Aschebildern der 1980er Jahre etwa reagierte Uecker auf den Reaktor-​Unfall von Tschernobyl und die voranschreitende Umweltzerstörung durch den Menschen. 1998 gestaltete er einen Andachtsraum im Deutschen Reichstagsgebäude, der den Abgeordneten und Mitarbeitern des Bundestags Möglichkeit zur Besinnung und Kontemplation bieten soll. In Weimar hatte er 2023 mit der Aktion „Steinmal für Buchenwald“ auf dem Theaterplatz seine eigene Buchenwald-Arbeit von 1999 aktualisiert. In Erinnerung an die Schrecknisse der Nazi-Zeit, die Verfolgung der Juden und die Kriegsgräuel, die er selbst miterlebt hatte, wendet sich die Arbeit gegen das Vergessen und das seit 1945 vielfach gebrochene „Nie wieder!“. Er wandte sich „gegen die Fortdauer imperialer Kriege“ und gegen „unverbindliches, routiniertes, floskelhaftes Erinnern, gegen die unübersehbare Revitalisierung rechtsradikal-rassistischer Einstellungen und Menschenfeindlichkeit“.

Seiner mecklenburgischen Heimat blieb Günther Uecker bis zu seinem Lebensende eng verbunden. Noch in hohem Alter gestaltete er vier große blaue Glasfenster für den Schweriner Dom, die im Dezember des vergangenen Jahres eingeweiht wurden. Er nannte sie „Lichtbogen“, verstand sie als Hommage an die norddeutsche Romantik und zugleich als Zeichen der Heilung für das im Zweiten Weltkrieg getroffene Gotteshaus.

Günther Uecker starb am 10. Juni 2025 im hohen Alter von 95 Jahren in Düsseldorf. Obwohl in den letzten Jahren gesundheitlich stark eingeschränkt, arbeitete er weiter, glaubte an die Dialogfähigkeit der Kunst und bewahrte sich sein abgeklärt-weltoffenes, freundliches Wesen. Mit ihm verliert die Kunstwelt eine der prägenden Künstlergestalten der Nachkriegszeit. Die Sächsische Akademie der Künste wird ihm ein achtungsvolles, ehrendes Gedenken bewahren.