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Wolfgang Engel

Regisseur
Klasse Darstellende Kunst und Film

* 1943 in Schwerin · † 2025 in Leipzig · 1962 Abitur, dann Bühnenarbeiter · 1965 Bühnenreifeprüfung in Berlin, dann Schauspieler am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin und erste Regie · 1974–1976 Regisseur an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul · 1976–1978 Regisseur am Theater der Freundschaft in Berlin · 1978–1980 Dozent an der Fachschule für Schauspielkunst (ab 1981 Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«) in Berlin · 1980–1991 fester Regisseur am Staatstheater Dresden/Staatsschauspiel Dresden · ab 1983 Gastinszenierungen u.a. am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken, am Wiener Burgtheater, Zürcher Schauspielhaus, Berliner Schillertheater und am Münchner Residenztheater · 1991–1993 Regisseur am Schauspiel Frankfurt der Städtischen Bühnen in Frankfurt/M. · 1995–2008 Intendant am Schauspiel Leipzig · 2000 Honorarprofessor im Fachbereich Schauspiel der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« in Leipzig · lebte in Leipzig

Preise (Auswahl)
1986 Kunstpreis der DDR · 1999 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse · 2006 Konrad-Wolf-Preis der Akademie der Künste · 2007 Leipziger Theaterpreis · 2011 Deutscher Theaterpreis DER FAUST (für das Lebenswerk) · Ehrenmitglied des Staatsschauspiels Dresden

Inszenierungen (Auswahl)
Staatstheater/Staatsschauspiel Dresden: 1981 Müller Die Schlacht/Lohndrücker – 1984 Hebbel Die Nibelungen – 1985 Shakespeare Sonette – 1986 Kleist Penthesilea – 1987 Beckett Warten auf Godot – 1990 Goethe Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil – 2010 nach Tellkamp Der Turm – 2012 nach Bulgakow Der Meister und Margarita – 2017 Kleist Amphitryon · Burgtheater Wien: 1991 Grillparzer König Ottokars Glück und Ende –1994 Shakespeare Titus Andronicus · Schauspielhaus Zürich: 1991 Hebbel Judith · Schauspiel Leipzig: 1995 Handke Die Stunde, da wir nichts voneinander wußten – 1996 Shakespeare Richard III. – 1998 Shakespeare König Lear – 1998 Molière Der Menschenfeind – 1999/2000 Goethe Faust Teil I und II – 2005 Schiller Don Carlos – 2006 Ibsen Peer Gynt – 2007 Schiller Wallenstein – Ein Feldzug durch Leipzig · Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin: 1999 Marlowe Edward II · Oper Leipzig: 2004 Verdi Aida – 2010 Prokofjew Die Liebe zu den drei Orangen · Düsseldorfer Schauspielhaus: 2009 v. Düffel nach Th. Mann Joseph und seine Brüder

Publikationen
Herausgeber
Theater in der Übergangsgesellschaft. Schauspiel Leipzig 1957–2007. (Mit Erika Stephan) Berlin 2007

Andere Autoren
Raab, Michael: Wolfgang Engel. Frankfurt/M. 1991 · Jennicke, Skadi: Theater als soziale Praxis. Berlin 2011

Gedenken

Der Regisseur und Schauspieler war von 1980 bis 1991 Teil des Ensembles des Staatsschauspiels Dresden, das nach der einprägsamen Aufführung von Heiner Müllers Titus-Andronicus-Fassung (Regie Wolfgang Engel) am 6. Oktober 1989 die Resolution »Wir treten aus unseren Rollen heraus« verlas. Als Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste engagierte er sich im Protest gegen Kürzungen im Kulturbereich und Schließungen von Theatern und wirkte an zahlreichen Initiativen und Vorhaben der Akademie mit, u.a. 2004 an der Werkstatt Schauspielregie, 2006 an der Reihe »Perspektiven des Schauspieltheaters«, 2014 an der Reden- und Diskussionsreihe am Schauspiel Leipzig zum Thema »Renaissance des Politischen? Muss das Theater politischer werden?« und 2014 am Symposium zum Thema »Kulturinstitutionen und ihr Blick aus der Gegenwart in die Geschichte« am Staatsschauspiel Dresden.

Ein Mann zur richtigen Zeit

Nachruf von Holk Freytag

Für einen, der so erfolgreich war wie er, war er auf erfrischende Weise nahbar. Wolfgang Engel war immer, wofür er sich sein Leben lang einsetzte: ein Mensch. Sein Theater war ein Theater von und für Menschen – heute könnte man dafür womöglich einen Innovationspreis bekommen. Meine erste Begegnung mit ihm war am 30. Juni 1990 abends spät nach der Premiere des ersten Teils seiner dreiteiligen Dresdner Faust-Inszenierung. Ich war zum zweiten Mal nach Dresden gepilgert und wieder galt mein Besuch Wolfgang Engel, dem neben Adolf Dresen aus meiner Sicht wichtigsten DDR-Regisseur. Vier Jahre zuvor hatte mich seine »Penthesilea«- Inszenierung schon einmal ans Staatsschauspiel gelockt. Und da wie hier faszinierte mich seine instinktsichere Heranführung eines alten Stoffes an die Gegenwart. Seine Inszenierungen reflektieren das Lebensgefühl einer ganzen Generation. War es bei Kleist die Identifikation mit der Außenseiterin, der die Anpassung an bestehende Verhältnisse unmöglich war, so war es bei der Faustinszenierung, in deren Vorbereitungszeit sich die Wende-Ereignisse überschlugen, die Suche ins Ungewisse, die getragen war vom Optimismus derer, die das Neue ermöglicht hatten. Als am zweiten Abend in der von Goethe genialisch vorhergeahnten Szene am Kaiserhof, in der die Bankenherrschaft in den Jahrhunderten nach ihm durchschimmert, ein Tausendmarkschein aus dem Schnürboden herabgelassen wurde, war der Jubel im Haus an der Ostra-Allee groß. Auf dem Weg zum Theater waren alle bereits den fliegenden Händlern aus dem Westen begegnet und ein Flugzeug mit dem Schriftzug eines bekannten Boulevardblattes kreiste tagelang über der Stadt. Es sind diese Momente, in denen kein Medium dem Theater nahekommt und Wolfgang Engel war ein Meister in der Handhabung dieser Klaviatur.

So gerne ich an seine Aufführungen denke, so anregend ich über viele Jahre seine Gegenwart und Mitarbeit im Vorstand der Intendantengruppe genoss, dem ich über zehn Jahre die Freude hatte vorzustehen, so wenig möchte ich die geselligen Stunden nach der Arbeit mit ihm missen. Auch da ging das Gespräch weiter – Wolfgang brauchte keinen Anlass zum Denken – der Diskurs war Bestandteil seiner Existenz. Über Jahre zum Beispiel argumentierten wir über den Sinn des Wiederaufbaus der Dresdner Frauenkirche, dem er eher skeptisch gegenüberstand und bei jedem Treffen brachte er ein neues Argument hervor, warum man die Ruine als Gedenkstätte hätte erhalten sollen. »Außerdem«, meinte er einmal, »wirst du sehen, dass die Proportionen der Kirche gar nicht zur sonstigen Silhouette passen.« Ich überlegte einen Moment bis mir einfiel, dass er, der wie ich 1943 geboren war, die Frauenkirche ja gar nicht mehr bewusst gesehen haben konnte. »Trotzdem«﮲, meinte er daraufhin und bestellte noch ein Bier.

Bei aller Innovationsfreudigkeit, bei aller Originalität seiner Textauslegungen, war Wolfgang Engel ein Traditionalist. Die Tradition, die unser europäisches Theater ausmacht, verlangte nach dem politischen Blick auf die Texte – daran ließ er keinen Zweifel. Angesichts der Herausforderungen, die in unseren Tagen gerade die europäische Debatte bestimmen müsste, kann man Wolfgang Engel nur schmerzlich vermissen.