Konstanze Lauterbach
* 1954 in Ronneburg · † 2025 in Berlin · 1972 Abitur in Gera · Berufsausbildung als Textilfacharbeiterin · 1974–1976 Arbeit in der Requisite an den Bühnen der Stadt Gera · 1976–1982 Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft an der Karl-Marx-Universität Leipzig · 1982–1984 Assistenz am Schauspielhaus Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) und Leitung des Theaters im Foyer · 1984–1987 freiberufliche Tätigkeit an den Theatern in Altenburg und Nordhausen · 1987–1990 Regisseurin am Thüringer Landestheater Rudolstadt · 1991–2000 Regisseurin am Schauspiel Leipzig mit Gastverpflichtungen in Bremen, München und Wien · 2000 Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste · 2001–2004 Hausregisseurin am Deutschen Theater in Berlin · seither wieder freiberufliche Tätigkeit an Schauspiel- und Opernhäusern bis 2021 · lebte in den letzten Jahren auf Sizilien
Preise und Ehrungen
1993 Nachwuchsregisseurin des Jahres der Zeitschrift Theater heute · 1996 Kritikerpreis des Verbandes der deutschen Kritiker · 2002 Caroline-Neuber-Preis der Stadt Leipzig
Inszenierungen
Schauspiel (Auswahl)
Theater Rudolstadt: 1987‒1990 Kleist Der zerbrochne Krug‒ G. Seidel Carmen Kittel ‒ P. Brasch Santerre ‒ Anouilh Das Orchester ‒ Manuel Schöbel Smog (UA) ‒ 1993 S. Wagner Schwarzschwanenteich (Rudolstädter Festspiele)· Schauspiel Leipzig: 1990 Turrini Rozznjogd ‒ 1991 F. Bruckner Krankheit der Jugend ‒ 1992 B. Vian Abdeckerei für alle (UA), D. Wasserman Der Mann von la Mancha und M. Galesnik Die Besessene (UA) ‒ 1993 Lorca Bernarda Albas Haus ‒ 1994 K. Lauterbach/C. Oehme nach Goethe Die Leiden des jungen Werther und Hauptmann Einsame Menschen ‒ 1995 L. Fels Lieblieb ‒ 1996 H. Müller Der Auftrag und Brecht Baal ‒ 1997 B. Behan Richards Korkbein und Schiller Kabale und Liebe ‒1998 Petruschewskaja Drei Mädchen in Blau und Schiller Die Räuber ‒2000 Wedekind Lulu ‒ 2001 Maeterlinck Pelleas und Melisande ‒ 2006 H. Müller Zement ‒ 2008 Enzensberger nach Calderón Tochter der Luft · Stadttheater Klagenfurt/Wiener Festwochen: 1995 Brecht Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui · Theater Bremen: 1995 A. Galin Sterne am Morgenhimmel ‒1996 Lorca Doña Rosita bleibt ledig ‒ Lorca Yerma ‒ 2001/02 Jahnn Armut, Reichtum, Mensch und Tier und Medea ‒ 2005 J. M. Lenz Der Hofmeister und St. Schütz Die Amazonen · Burgtheater Wien: 1995 Mrożek Tango ‒ 1998 Brecht Mutter Courage und ihre Kinder · Bayerisches Staatsschauspiel München: 1997 Różewicz Weiße Ehe · Schauspiel Bonn: 2001 Lorca Mariana Pineda · Deutsches Theater Berlin: 2001 Lorca Bluthochzeit ‒ 2002 O’Neill Trauer muss Elektra tragen und A. Grin Casting ‒ 2004 Genet Die Zofen · Hessisches Staatstheater Wiesbaden: 2004 W. v. Hillerns Geierwally ‒ 2006 Williams Die tätowierte Rose ‒ 2010 K. Lauterbach/D. Borrmann nach Kleist Michael Kohlhaas ‒ 2011 Euripides Die Kinder Agamemnons ‒ 2012 Grillparzer Die Jüdin von Toledo ‒ 2013 A. Miller Hexenjagd · Düsseldorfer Schauspielhaus: 2007 Grillparzer Libussa · Theater Konstanz: 2009 T. Lanoye Atropa · Schauspiel Essen: 2012 Frisch Graf Öderland ‒ 2017 Brecht Das Leben des Galilei · Deutsches Nationaltheater Weimar: 2012 Euripides Die Troerinnen ‒ 2013 2013: (nach Pasternak) Schiwagos Odyssee · Landestheater Coburg: 2013 Euripides Medea ‒ 2014 Horváth Zur schönen Aussicht ‒ 2017 Sophokles Antigone · Hans Otto Theater Potsdam: 2019 K. Lauterbach nachN. Haratischwili Das achte Leben (für Brilka) ‒ 2020 Shakespeare Othello· Volkstheater Rostock: 2018 K. Lauterbach nach F. Fellini Schiff der Träume ‒ 2019 Ibsen Peer Gynt ‒ 2021 P. Zadek nach C. Zavattini Das Wunder von Mailand
Oper/Musiktheater (Auswahl)
Staatstheater Karlsruhe: 1977 Wagner Der fliegende Holländer · Tanztheater Volksbühne Berlin: 1999 J. Brandenburg/A. Gieseler nach A. Adam Giselle· Staatsoper Dresden/Semperoper: 2004 Bizet Carmen · Theater Bremen: 2005 P. Dukas Ariane et Barbe-Bleue ‒ 2007 Debussy Pelleas und Melisande · Hessisches Staatstheater Wiesbaden: 2008 Massenet Werther ‒ 2009 Berg Lulu ‒ 2012 Donizetti Lucia die Lammermoor · Staatstheater Braunschweig: 2010 Schostakowitsch Lady Macbeth von Mzensk ‒ 2011 P. Mascagni Isabeau ‒ 2012 Z. Fibich Šárka ‒ 2013 Verdi Aida· Hessisches Staatstheater Wiesbaden: 2011 R. Schtschedrin Lolita · Landestheater Coburg · 2013 Tschaikowski Eugen Onegin ‒ 2015 Bellini Norma ‒ 2018 Brecht/Weill Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
Publikationen
Andere Autoren
Ingenschay, Dieter: Frauenpower unspanisch-postmodern. Zu Konstanze Lauterbachs Inszenierung von Federico García Lorcas »La casa de Bernarda Alba«am Schauspiel Leipzig. In: Gewalt im Drama und auf der Bühne. Hrsg. von Günter Ahrends, Hans-Jürgen Diller u.a. Tübingen 1998· Schütt, Hans-Dieter: Hinterm Vorhang das Meer. Landkarte der neuen Theaterwelt. Berlin 2001· Borrmann, Dagmar: Innocent when you dream. Konstanze Lauterbach am Leipziger Theater. In: Engel, Wolfgang; Stephan, Erika (Hg.): Theater in der Übergangsgesellschaft. Berlin 2007· Franke-Penski, Udo; Preußer, Heinz-Peter (Hg.): Amazonen ‒ kriegerische Frauen. Würzburg 2010
Gedenken
Nachruf von Irina Pauls
unter Verwendung von Texten von Dagmar Borrmann und Jochen Noch
Körperlichkeit im Theater
Zum Tod der Regisseurin Konstanze Lauterbach (30.4.1954‒24.5.2025)
Konstanzes Weg begann am Theater in Karl-Marx-Stadt und führte weiter über Altenburg, Nordhausen, Halle, Rudolstadt, Leipzig, Bremen, Bonn, das Residenztheater München, das Burgtheater Wien und die Wiener Festwochen, die Semperoper in Dresden, das Deutsche Theater und die Volksbühne in Berlin, die Theater Wiesbaden, Braunschweig, Karlsruhe, Weimar, Coburg, Essen, Potsdam und Rostock.
Seit Mitte der 1990-er inszenierte sie gleichermaßen Schauspiel wie Oper. Sie machte nie einen Unterschied zwischen großen und kleinen Häusern. Eine Inszenierung für Coburg bereitete sie genauso akribisch vor wie eine für die Wiener Burg.
Als Konstanze anfing, waren Frauen im Regieberuf noch eine Seltenheit. Nach Ruth Berghaus und Andrea Breth gehörte sie zur ersten Generation von jungen Frauen, die sich an großen Häusern durchsetzten. Sie ließ sich nichts bieten, sie ging keine Kompromisse ein, scheute keinen Konflikt und gab sich nie mit dem Naheliegenden zufrieden.
Schon ihre frühen Arbeiten hatten alles, was für den Lauterbach-Kosmos später so typisch und unverwechselbar war: Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich auf überraschende Weise entfalteten, Sinnlichkeit, die Verbindung von Spiel, Musik und Tanz, die Natur- Materialien auf der Bühne und die surrealen Bildfindungen, die bald zu ihrem Markenzeichen wurden.
Eine ihrer wichtigsten Inspirationsquellen waren die Arbeiten von Pina Bausch. 1987 tourte das Wuppertaler Tanztheater in der DDR. Lauterbach hatte ihre Inspirationsquelle und ihren Material-Fundus gefunden. Das TanzTheater der Lauterbach war geprägt von ihren Schauspielerinnen und Schauspielern und den dramatischen Vorlagen. In ihren Inszenierungen montierte sie Szenen aneinander, suchte das Bruchstückhafte. Rituale legten Verhaltensmuster und Reglementierung offen. Die Figuren spiegelten sich in den Körperbiografien der Darsteller: »Die Realität von außen bricht ein in das private Leben der einzelnen Figuren, die gezwungen sind, sich anzupassen oder zu revoltieren.«
Ich begegnete Konstanze 1990 am Schauspiel Leipzig. Sie war als Hausregisseurin engagiert und ich gründete zu dieser Zeit das Tanztheater am Schauspiel Leipzig. Es liegt nahe, dass wir einen intensiven Austausch hatten und ich gefragt war, wenn es um eine ihrer ausufernden Bewegungs-Ideen ging, die die Schauspielerinnen und Schauspieler am besten aus dem Stand umsetzen sollten.
Körperlichkeit im Theater: Konstanze wollte Schauspielerinnen und Schauspieler, die bis an ihre physischen Grenzen gingen. Für mich als bewegungsanalytische Choreografin war das, was dann auf der Bühne stattfand, oft ein Wunder. Aus der Kalten wurde gerannt, gerollt, geschoben, gesprungen, gekrochen. Die Körper sollten sich in ihren Inszenierungen ins Rennen werfen, und keiner kam unversehrt aus einer ihrer Inszenierungen heraus. Intensiv war ihre Arbeit, unerbittlich hielt sie an ihren Konzepten fest, bis eine Lösung gefunden war.
Ihr Theater war üppig, prall und ausladend und bohrte am Nerv der Zeit. Die 1990-er Jahre gaben den Freiraum, Theater neu zu erfinden. Denn niemand wusste in Ostdeutschland, wie man jetzt noch Theater machen soll.
In Konstanzes Inszenierungen, die sie zwischen 1990 und 2006 in Leipzig erarbeitet hat, sind die Auseinandersetzung mit Diktatur, die Hoffnungen und die Desillusionierungen der Wendezeit eingeschrieben. »Ich habe immerhin zwei Systeme erlebt und das ist ein ganz besonderer Erfahrungsschatz. Ich bin geprägt von der DDR und ich bin jetzt geprägt vom Kapitalismus. Also zwei Prägungen. Ich würde es bedauern, wenn ich die DDR nicht erlebt hätte.«
Konstanze erzählte niemals direkt, sondern immer über eine poetische Verschlüsselung. Sie hasste jeden »Grasfutter-Realismus«, wie sie das nannte, und brachte selbst einen Heiner Müller-Text zum Tanzen, was sie mit seinem Stück »Zement« eindrucksvoll bewies.
Der Schauspieler Jochen Noch schreibt zu Konstanzes Probenmethode: »Diese Suche und Auseinandersetzung ist nie sparsam und komfortabel gewesen. Sie war immer extrem physisch und auch gedanklich fordernd. Das Herangehen über Bewegungen, Stimmungen, Atmosphären, Bilder, die dann erst die gedankliche Konkretion nach sich zog, war besonders. Auch weil man das »Innere« meist selbst beglaubigen musste. Man brauchte in der opulenten Vielfalt von so vielem eine Art eigene Streckenführung, die zu suchen ich genossen habe. Man gab viele Blößen preis in diesem Prozess und fühlte sich nackt (manchmal war man es auch real!). Aber man war dabei immer in dem Gefühl, geschützt zu sein, dadurch ließ man mehr von zu sich zu als man dachte. Toll.«
Für Lauterbach stellte sich überregionaler Erfolg ein. »Die Besessene« wurde zum Theatertreffen eingeladen und »Bernarda Albas Haus« vom ZDF aufgezeichnet.
Größere Häuser wurden auf Konstanze aufmerksam, sie bekam Angebote vom Residenztheater München und vom Burgtheater Wien. Wolfgang Engel, inzwischen Intendant am Leipziger Schauspiel, ließ sie ziehen.
Die Möglichkeiten, die ihr große Theater bieten konnten, nutzte Konstanze. Ihre Anforderungen an Besetzung, Ausstattung und Probenzeiten waren alles andere als bescheiden. Und sie hat mit »Weiße Ehe« in München oder »Tango« und »Mutter Courage« am Burgtheater Wien eindrucksvolle Arbeiten gezeigt.
In ihrer Bremer Zeit entstanden Arbeiten wie Alexander Galins »Sterne am Morgenhimmel«, und sie setzte dort mit »Dona Rosita bleibt ledig« und »Yerma« ihre Entdeckungsreise im Werk des spanischen Dichters Federico Garcia Lorca fort.
Konstanze inszenierte immer auf High Heels und im Kleid. Ihre Präsenz gab sie an ihre Frauenfiguren weiter, kraftvoll, verletzlich und unbeugsam.
Von 2004 bis 2014 erlebte Konstanze noch einmal eine sehr produktive Zeit am Staatstheater Wiesbaden mit ihrer langjährigen Dramaturgin Dagmar Borrmann. Sie schreibt: »Die Utopie einer besseren Welt war immer der Maßstab, an dem sich die Realität bei Konstanze Lauterbach messen musste. Auch ihre letzte Inszenierung, »Das Wunder von Mailand« in Rostock, war von diesem Geist durchdrungen. Mitten in der trüben Corona-Zeit entfesselte sie ein Feuerwerk aus Farben, Musik, Tanz, Aufbruch und Scheitern. »Dream the impossible dream«. Das war der Glutkern ihres Theaters.«

