Zum Hauptinhalt springen
Pinselzeichnung von Petra Kasten, 2025
Fotografie von Andreas Rost, junge Frau auf einer Demonstration, Berlin 2023

Raster und Subjekt. Werke von Andreas Rost und Petra Kasten im Dialog

| Ausstellungseröffnung
Sächsische Akademie der Künste, Palaisplatz 3, 01097 Dresden

Der Fotograf Andreas Rost zeigt Porträts aus seiner seit 2023 laufenden Serie »Bürgerliche Dämmerung«, die er auf verschiedenen Demonstrationen in Berlin aufgenommen hat. Er lenkt dabei den Blick nicht auf die Masse, sondern das Individuum. Die Dresdner Malerin Petra Kasten stellt eine Serie von Papierarbeiten und eine Gruppe von Gemälden aus den letzten Jahren vor. Die gestalterische Spannweite reicht von reduziert gesetzten, breiten Strichen auf grauem Karton bis hin zu komplexen, übereinander gelegten Bildrastern, die eine auffallende Tiefenwirkung entwickeln.

Kuratoren: Wolfgang Ullrich und Wolfgang Holler

Raster und Subjekt

Der Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti beschrieb in seiner 1982 erschienen Autobiographie eine Demonstrationserfahrung, die er bereits 1927 als Unbeteiligter gemacht hatte: »Die Erregung dieses Tages liegt mir noch heute in den Knochen. Ich wurde zu einem Teil der Masse, ich ging vollkommen in ihr auf, ich spürte nicht den leisesten Widerstand gegen das, was sie unternahm.« In seinem Hauptwerk »Masse und Macht« (1960) beschäftigt er sich mit diesem Phänomen der Auflösung des Individuums in der Masse und mit dessen Verführbarkeit durch politische Führer.

Davon ist bei den Fotografien von Andreas Rost, die er auf verschiedenen Demonstrationen seit 2023 in Berlin aufgenommen hat, nichts zu sehen, im Gegenteil: In seiner Reihe von Porträtfotos aus der Serie mit dem Titel »Bürgerliche Dämmerung« steht jeder scheinbar für sich allein, ist herausgehoben aus der Menge. Die Porträtierten bleiben Subjekt, auf sich zurückgeworfen, wirken verletzlich, exponiert wie auf einer Bühne. Bürgerliche Dämmerung ist ein Begriff für den Zeitraum vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang, in dem das gestreute Restlicht der Sonne schon oder noch sichtbar ist. Die Menschen sind nicht nur zur Dämmerstunde aufgenommen, sondern es eint sie auch eine Dämmerstimmung des Zweifels, ja der Trauer und Sorge über den Zustand der Welt und deren Zukunft. Während Demonstrationen in der Berichterstattung üblicherweise als Massenereignis dargestellt werden, lenkt Andreas Rost den Blick auf die Individuen und ihre Emotionen. Auf diese Weise verleiht er dem Grundrecht der Demonstrationsfreiheit einen prägnanten Ausdruck und eine neue, starke Legitimation.

Petra Kasten stellt neben Andreas Rost eine Serie von neun Papierarbeiten und eine Gruppe von Gemälden aus den letzten Jahren vor. Formal und inhaltlich aufeinander bezogen, reicht die gestalterische Spannweite von reduziert gesetzten, breiten Strichen auf grauem Karton bis hin zu komplexen, übereinander gelegten Bildrastern, die eine auffallende Tiefenwirkung entwickeln. Je mehr sich der Betrachter dem abstrakten Geflecht nähert, umso größer zeigen sich die Unterschiede in jedem einzelnen Feld des Rasters. Impuls, Intuition und kontrollierte Setzung im Moment der Konzentration gehen in diesen Arbeiten eine für die Künstlerin typische Verbindung ein.
Rastern ist dabei eine der Methoden, mit denen Petra Kasten arbeitet: »Rastern meint: Linien ziehen auf der liegenden Leinwand, mit dem Pinsel an einem Brett entlang oder auch mit dem Brett selbst, den Fingern. Keine Linie ist wie die andere. Es gibt dünne Farbe und dicke, Aussetzer, Brüche, schartige Ränder, Knoten. Geraden sind häufig, wurden gewünscht, verfehlt, zugelassen, sauber gezogen am rutschenden Brett« (Gregor Kunz: Auch das Gegenteil ist richtig. Petra Kasten und die Metamorphosen in Zeichnung, Malerei und Durckgrafik. In: Ostragehege 106, IV/2022, 16). Sie selbst spricht davon, dass ihr die transformierende Entwicklung in Varianten wichtig ist, wobei die Einzelwerke zu einem Gesamtbild installiert werden.